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Prävention chemischer Risiken beim Umgang mit Desinfektions-mitteln im Gesundheitswesen

Einleitung

Desinfektionsmittel bestehen i. d. R. aus einem oder mehreren desinfizierenden Wirkstoffen, aus Lösungsvermittlern, Tensiden, Schaumregulatoren oder auch diversen Duft-stoffen. Marktrecherchen belegten in den letzten Jahren für Deutschland ein Angebot von mehr als 1000 Desinfektionsmitteln, die diverse Gefährdungen aufwiesen: sie waren reizend, ätzend, leicht oder hoch entzündlich, gesundheitsschädlich oder auch haut- bzw. atemwegssensibilisierend.

Im Unfall- und Berufskrankheiten-Ge-schehen spielen chemische Produkte bei meldepflichtigen Arbeitsunfällen im Gesundheitswesen nur eine untergeordnete Rolle. Dies gilt auch für Berufskrankheiten (BK) durch gefährliche chemische Stoffe wie Benzol, Schwermetalle, aromatische Amine oder Asbest. Die Verdachtsmeldungen ma-chen hier nur etwa ein Prozent aller Verdachtsmeldungen auf Vorliegen einer Be-rufskrankheit aus. Hauterkrankungen stellen den Schwerpunkt des Berufskrankheiten-Geschehens dar (Halsen et al. 2014). Viele Hauterkrankungen (BK Nr. 5101) und Atem-wegserkrankungen (BK Nr. 4301 und 4302) können mit chemischen Produkten wie Reinigungs- und Desinfektionsmittel in Verbindung gebracht werden.

Praktiker in den gesundheitsdienstlichen Berufen benötigen angesichts der Fülle der angebotenen Desinfektionsmittel und der daraus resultierenden Gefährdungen Hilfestellungen zur Durchführung der notwendi-gen Gefährdungsbeurteilungen. Dies hat die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) in Hamburg, die schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) in Luzern und das französische Institut national de recherche et de securité (INRS) in Paris dazu veranlasst, das Thema der Präven-tion chemischer Risiken bei Desinfektionsarbeiten im Gesundheitswesen zu analysieren, zu diskutieren und zu einem gemeinsa-men Standpunkt zusammenzuführen.

Die Diskussion erfolgte im Rahmen einer Arbeitsgruppe „Chemische Risiken“ der Sek-tion Gesundheitswesen der Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS), in der die genannten Institutionen vertreten waren.

Dabei fand auch eine Kooperation mit der Arbeitsgruppe „Infektionsrisiken“ der gleichen Sektion statt, die die Prinzipien der Des-infektion (Factsheet 1) zusammengefasst hat.

Die Arbeitsergebnisse stehen in einer Reihe von „Factsheets“ mit folgenden Themen zur Verfügung:

  • Factsheet 1: Prinzipien der Desinfektion
  • Factsheet 2: Prinzipien der Prävention
  • Factsheet 3: Gefahren chemischer Desinfektionsmittel
  • Factsheet 4: Auswahl sicherer Desinfektionsmittel
  • Factsheet 5: Flächendesinfektion
  • Factsheet 6: Instrumentendesinfektion
  • Factsheet 7: Hände- und Hautdesinfek-tion
  • Factsheet 8: Besondere Verfahren (Räume, Geräte, Wäsche)

Jedes Factsheet ist für sich lesbar und enthält alle wesentlichen Informationen zu dem an-gesprochenen Themenkreis. Es wendet sich an Verantwortliche in Einrichtungen, die Des-infektionsarbeiten organisieren und durchführen, an Arbeitsmediziner und andere Spe-zialisten der Arbeitssicherheit, z. B. Arbeitshygieniker, Fachkräfte für Arbeitssicherheit, aber auch an Mitarbeiter und betriebliche Personalvertretungen.

Die Factsheets wurden in den Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch erstellt.

Prinzipien der Desinfektion

Die Entscheidung zur Durchführung einer Desinfektion und die Festlegung auf ein spe-zielles Desinfektionsverfahren und Desinfektionsmittel erfolgt im Gesundheitsdienst durch hygienische Fachleute (z. B. Hygieniker, Hygienefachkräfte). Um auch den im Ar-beitsschutz aktiven Personen einen Einblick in die Probleme der Desinfektion zu geben, beschreibt das Factsheet 1 der IVSS-Reihe die Prinzipien der Desinfektion. Dazu gehören nach einer Klärung von Begriffen wie z. B. Antisepsis, Antiseptikum, Biozide, Desinfektionsmittel oder Remanenz auch die Themen

  • normative Regelungen in Europa (z. B. Biozidverordnung), u. a. die Zulassung von Desinfektionsmitteln,
  • ordnungsgemäße Anwendung von Desinfektionsmitteln,
  • Wirkungsweise und Zwecke der Desinfektion, z. B. für Flächen, für Instrumente, für Haut und Hände, etc.,
  • Desinfektionsmittelresistenz (natürliche, erworbene)
  • das Wirksamkeitsspektrum der wichtigsten Desinfektionsmittelwirkstoffe.

Prinzipien der Prävention

Factsheet 2 erläutert zu Beginn kurz das Prin-zip einer Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Desinfektionsmitteln und gibt Hinweise, wie man die Gefahren einzelner Desinfektionsmittel identifizieren kann. Es werden die Änderungen aufgrund der neuen Produktkennzeichnung nach CLP-Verordnung besprochen und wesentliche Einflussgrößen auf die Höhe einer Exposi-tion der Beschäftigten gegenüber Desinfektionsmittel aufgeführt. Sowohl für die inhalative als auch die dermale Belastung durch Desinfektionsmittelwirkstoffe werden Beurteilungshinweise gegeben, z. B. in Form einer Liste der gültigen Luftgrenzwerte in den beteiligten Ländern und in Form der Einstufungskriterien nach TRGS 401 „Gefährdung durch Hautkontakt – Ermittlung, Beurteilung, Maßnahmen.“

Gefahren chemischer Desinfektionsmittel

Die Desinfektionsmittel setzen sich i. A. aus einem oder mehreren Wirkstoffen mit der gewünschten desinfizierenden Eigenschaft sowie Verdünnungs- oder Lösemitteln, Tensiden, Schaum- und pH-Wert-Regulatoren, Komplexbildnern und ggf. Duftstoffen zusammen. Gegenstand des Factsheets 3 sind desinfizierende Wirkstoffe.

Die in einem ersten Abschnitt des Fact-sheets 3 zusammengestellten Gefahren der Desinfektionsmittel-Wirkstoffe umfassen eine Vielzahl von Branchen und beschreiben die grundsätzlichen intrinsischen Gefahren der reinen Stoffe. Die dort aufgeführten Gefahren müssen daher nicht zwangsläufig bei den bei Desinfektionen im Gesundheitswesen auftretenden Expositionen gegenüber den dort eingesetzten Zubereitungen (Mischungen) wirksam werden. Dies betrifft die Informationen über Aldehyde und Aldehydabspalter, Alkohole, Guanidine/Bi-guanide, Halogenierte Derivate (z. B. Jod), Quartäre Ammoniumverbindungen, Peroxide, Alkylamine sowie Phenol(derivate). Die Zusammenstellung der potenziellen Ge-fahren kann allerdings erste Hinweise bei unbestimmten Beschwerden von Beschäftig-ten geben.

Im Abschnitt „Desinfektionsmittelindu-zierte Effekte im Krankenhaus“ werden doku-mentierte Effekte auf die Beschäftigten dar-gelegt, z. B. allergische Erkrankungen der Atemwege (Rhinitis, Asthma) oder Haut-erkrankungen wie z. B. Nesselausschlag oder irritative bzw. allergische Kontaktekzeme.

Eine umfangreiche Tabelle im Anhang des Factsheets enthält die gefahrstoffrechtlichen Einstufungen von ca. 70 relevanten Desinfek-tionsmittelwirk- und -zusatzstoffen.

Auswahl sicherer Desinfektionsmittel

Im Factsheet 4 wird eine Methode zur Auswahl eines aus Sicht des Arbeitsschutzes möglichst sicheren Desinfektionsmittels dargestellt. Sie orientiert sich an der Forderung des europäischen Gefahrstoffrechts nach einer Minimierung der Gefährdungen für die Beschäftigten und verwendet dazu die allgemein zugänglichen Daten in Form von Produktkennzeichnungen und -einstufungen sowie von Sicherheitsdatenblättern und weiteren Produktinformationen. Bei der Substitutionsprüfung verwendet man aus-schließlich diese Informationen der Produkte, auch wenn mögliche Anwendungslösungen selbst nicht mehr gefahrstoffrecht-lich gekennzeichnet werden müssen. Im vorliegenden Factsheet wurden die Produkt-kennzeichnungen ausgewertet, die bis Mitte 2015 für Gemische verbindlich sind.

Bei der Auswahl der Desinfektionsmittel darf nicht vergessen werden, dass immer die Kombination von Desinfektionsmittel und Desinfektionsverfahren für das Entstehen von Emissionen durch Dämpfe, Aerosole etc. verantwortlich ist.

In Factsheet 4 wird die Häufigkeitsverteilung der auf den Desinfektionsmitteln an-gegebenen Gefahren, gruppiert nach geplan-ter Anwendungen (Flächen-, Instrumente-, Hände-, Hautdesinfektion) beschrieben sowie eine Klassifikation der Produkte nach Gefahrenstufen vorgenommen (Gefahrenstufe A = geringe Gefährdung; Gefahrenstufe D = hohe Gefährdung). Der Anwender der beschriebenen Methode kann so einstufen, ob das von ihm verwendete Produkt zu den gefährdungsarmen oder gefährdungsreichen Produkten für die vorgesehene Anwendung gehört und entscheiden, ob eine Substitution möglich ist oder ob stattdessen auf adäquate Schutzmaßnahmen zurückgegriffen werden soll.

Flächendesinfektion

Die Flächendesinfektion wird in medizini-schen Einrichtungen an Fußböden und Wän-den, Arbeitsflächen und Oberflächen des Inventars oder medizinischer Geräte eingesetzt. Die Flächendesinfektion wird routinemäßig nach krankenhaushygienischen Vorgaben durchgeführt oder gezielt, wenn das Umfeld sichtbar mit Blut, anderen Körperflüssigkeiten oder Körperausscheidungen verunreinigt ist.

Die Flächendesinfektion kann folglich nicht in geschlossenen Apparaten durchge-führt werden und ein Kontakt der Beschäftigten mit Desinfektionsmitteln ist in der Praxis wahrscheinlich.

Factsheet 5 beschreibt die wesentlichen Arbeitsschritte und -verfahren zur Flächendesinfektion sowie die wesentlichen Desinfektionsmittelwirkstoffe, ihre Gefahren und die im Markt angetroffene Häufigkeit.

Auf der Grundlage einer Analyse und Diskussion der auftretenden inhalativen und dermalen Expositionen, u. a. anhand einer umfangreichen Literaturauswertung, werden die technischen, organisatorischen und persönlichen Schutzmaßnahmen für die sichere Flächendesinfektion systematisch dargestellt.

Instrumentendesinfektion

Die Art der Anwendung von Desinfektionsmitteln zur Instrumentendesinfektion kann stark variieren. Drei besonders häufige Anwendungen werden im Factsheet 6 „Instrumentendesinfektion“ behandelt:

  • Die Ablage von Instrumenten in Desinfektionsmittellösungen
  • Die manuelle Instrumentendesinfektion
  • Die maschinelle Desinfektion von Instru-menten.

Auch werden die wichtigsten Desinfektions-mittel/Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen von Instrumentendesinfektionsmitteln auf dem deutschen Markt vorgestellt und ihre Gefah-ren und Häufigkeitsverteilung besprochen.

In ähnlicher Weise wie bei der Bespre-chung der Flächendesinfektionsmittel wer-den die auftretenden dermalen und inhalativen Expositionen der Beschäftigten bei der Instrumentendesinfektion diskutiert und anhand von Luftgrenzwerten bzw. auf der Grundlage einer Auswertung der wissen-schaftlichen Literatur bewertet.

Eine systematische Darstellung der mög-lichen Schutzmaßnahmen bei der Instrumen-tendesinfektion orientiert sich wiederum am bekannten „STOP“-System.

Hände- und Hautdesinfektion

Unter dem Begriff „Hände- und Hautdesinfektion“ versteht man im Gesundheitswesen zwei Tätigkeiten:

  • die Hautdesinfektion beim Patienten (z. B. vor einem chirurgischen Eingriff),
  • die Hautdesinfektion des Personals, die vor einer medizinischen Verrichtung (Desinfektion zur Hygiene) oder vor einem chirurgischen Eingriff (chirurgische Desinfektion) erfolgen kann.

Die beiden Tätigkeiten sind getrennt zu be-trachten, da weder dieselben Produkte, noch dieselben Verfahren zum Einsatz kommen. Im zweiten Fall ist der Kontakt des Desinfektionsmittels mit der Haut des Personals verbindlich vorgeschrieben.

Das Factsheet 7 „Hände- und Hautdes-infektion“ beschreibt nach einer kurzen Darstellung der normativen Regelungen für Biozide die üblichen Arbeitsverfahren sowie die gängigen Desinfektionsmittelwirkstoffe und die von ihnen ausgehenden Gefährdungen. Für die Beschäftigten werden die auftretenden Expositionen anhand von Luft-grenzwerten (AGW) beschrieben/bewertet und verschiedene Schutzmaßnahmen zur Reduzierung der vorgestellten Expositionen systematisch präsentiert.

Besondere Verfahren (Räume, Geräte, Wäsche)

Neben den drei bereits dargestellten Verfahren werden im letzten Factsheet drei weitere Desinfektionsverfahren behandelt, die im Gesundheitswesen wegen der auftretenden Gefährdungen und der Anwendungshäufigkeit eine gewisse Rolle spielen. Dies sind

  • die Desinfektion von Räumen (z. B. mit Formaldehyd),
  • die Desinfektion von größeren medizini-schen Geräten (z. B. Dialysegeräte) so-wie
  • die Desinfektion von Wäsche.

Jede der genannten Tätigkeiten wird im Fact-sheet 8 beispielhaft beschrieben, die wesent-lichen Einsatzstoffe und die Desinfektionsverfahren besprochen sowie notwendige Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten auf der Grundlage der aktuellen Erkenntnisse zu den auftretenden Expositionen dargelegt. Die Empfehlungen können bei anderen Des-infektionsaufgaben von den Spezialisten der Hygiene und des Arbeitsschutzes sinngemäß übertragen werden.

Insbesondere bei der Erarbeitung dieses Factsheet 8 wurden nationale Unterschiede in der Bewertung der Wirksamkeit von Desinfektionsverfahren deutlich: während in Frankreich und der Schweiz die Desinfektion von Räumen „Raumdesinfektion“ mit Per-essigsäure die Methode der Wahl ist, ist in Deutschland nur die Raumdesinfektion mit Formaldehyd als allgemein wirksam anerkannt. Das Robert Koch-Institut (RKI) verlangt bei anderen Desinfektionsverfahren im Einzelfall jeweils einen individuellen Nachweis der Wirksamkeit.

Fazit

Mit den vorliegenden acht Factsheets zur „Prävention chemischer Risiken beim Um-gang mit Desinfektionsmitteln im Gesund-heitswesen“ ist eine umfassende Beschrei-bung und Analyse der Prinzipien der Desinfektion und des Arbeitsschutzes bei der Desinfektion entstanden, die sowohl den Experten des Arbeitsschutzes einen Einblick in die Denkweise der Hygieniker er-möglicht, als auch den Praktikern die Denk-weise der Arbeitssicherheit nahe bringt. Die Factsheets enthalten zudem viele Hinter-grundinformationen über einzelne Desin-fektionsmittelwirkstoffe und Wirkstoffgrup-pen. Schutzmaßnahmen-Konzepte sind ins-besondere für die beschriebenen Desinfektionsverfahren systematisch zusammengestellt worden.

Die deutschsprachigen Factsheets kön-nen über die Internetseiten der beteiligten Institutionen BGW, IVSS und Suva kosten-los als pdf-Dateien heruntergeladen werden: in Deutschland über www.bgw-online.de in der Schweiz über www.suva.ch (s. auch „Weitere Infos“).

Literatur

Halsen et al.: Gefahrstoffe in der medizinischen Praxis. München: Marseille Verlag, München, 2014.

    Weitere Infos

    Internationale Sektion der IVSS für die Verhütung von Arbeits-unfällen und Berufskrankheiten im Gesundheitswesen

    https://www.bgw-online.de/DE/Arbeitssicherheit-Gesundheitsschutz/Grundlagen-Forschung/Gefahrstoffe-Toxikologie/IVSS/AG-Chemische-Risiken.html

    Für die Autoren

    Prof. Dr.-Ing. Udo Eickmann

    Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW)

    Fachbereich Gefahrstoffe & Toxikologie

    Bonner Straße 337 – 50968 Köln

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