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Einflussfaktoren am Beispiel des BGW-Rückenkollegs

Teilnahmebereitschaft für Maßnahmen der Sekundärprävention

E. Hartinger1

A. Pietsch1,2

L. Kaiser1

H. Riepenhof2

(eingegangen am 23.04.2020, angenommen am 16.04.2021)

Willingness to participate in prevention programmes.
Key factors based on the example of the BGW back school

Objectives: Employees in nursing professions run a high risk of back-related
disorders. The German Social Accident Insurance Institution for the health and welfare services (Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege – BGW) has developed a multi-stage programme of secondary individual prevention (SIP) with a back clinic, back school and refresher course in order to counteract the cause of occupational diseases of the lumbar spine. The aim of the study was to identify what factors influence the willingness to participate in these programmes.

Methods: The study is based on data from 1011 participants who attended the back clinic at the Hamburg regional office of the BGW between 2012 and 2019. They were collected by means of a standardised questionnaire and an orthopaedic examination. The evaluation was based on a t-test for independent samples and the Levene test, which was used to verify the homogeneity of variance.

Results: It was found that increasing age and a higher number of years in the job results in a significant increase of willingness to participate. At the same time, a higher level of BMI and the number of non-back disorders both have a significant inhibitory impact on participation.

Conclusions: The use of preventive programmes will increase in terms of relevance. General state of health is a key factor in whether or not programmes are used by potential participants. Finally, the overall objective should be to develop solutions that encourage the willingness to participate even in the early stages of working life.

Keywords: lumbar spine – prevention – back clinic – back school

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2019; 56: 344–349

Teilnahmebereitschaft für Maßnahmen der
Sekundärprävention. Einflussfaktoren am Beispiel des BGW-Rückenkollegs

Zielstellung: Beschäftigte in Pflegeberufen sind in hohem Maß rückengefährdend tätig. Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) hat mit Rückensprechstunde, Rückenkolleg und Refresher-Kurs ein mehrstufiges Programm der Sekundären Individualprävention (SIP) entwickelt, um der Entstehung von Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule entgegenzuwirken. Ziel der Studie war es zu evaluieren, welche Faktoren die Teilnahmebereitschaft an diesen Maßnahmen beeinflussen.

Methoden: Die Studie basiert auf Daten von 1011 Teilnehmenden der Rücken­sprechstunde der Bezirksverwaltung Hamburg der BGW zwischen 2012 und 2019. Diese wurden mittels eines standardisierten Fragebogens sowie einer ebenfalls standardisierten fachorthopädischen Untersuchung erhoben und über einen t-Test für unabhängige Stichproben evaluiert. Zur Prüfung der Varianzhomogenität fand der Levene-Test Anwendung.

Ergebnisse: Es ist festzustellen, dass ein zunehmendes Lebensalter und signifikant eine höhere Anzahl an Berufsjahren die Teilnahmebereitschaft begünstigen. Gleichzeitig wirken sich eine höhere Ausprägung des Body Mass Index (BMI) und die Anzahl sonstiger Erkrankungen, neben denen des Rückens, signifikant hemmend auf diese aus.

Schlussfolgerungen: Die Inanspruchnahme präventiver Maßnahmen wird weiter an Bedeutung gewinnen. Der allgemeine Gesundheitszustand potenziell teilnehmender Personen hat dabei einen wesentlichen Einfluss darauf, ob Maßnahmen tatsächlich in Anspruch genommen werden. Nicht zuletzt sollten Lösungen entwickelt werden, die die Teilnahmebereitschaft auch in frühen Phasen des Erwerbslebens fördern.

Schlüsselwörter: Lendenwirbelsäule – Prävention – Rückensprechstunde – Rückenkolleg

Einleitung

Die Prävention berufsbedingter Erkrankungen der Lendenwirbelsäule (LWS) stellt ein bedeutendes Handlungsfeld in der Arbeit der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) dar. Sie bietet mit der Rückensprechstunde (RSS), dem nachgelagerten Rückenkolleg und einem Refresher-Kurs ein mehrstufiges Präventionsprogramm der Sekundären Individualprävention (SIP) mit dem Ziel, dem Risiko der Entstehung solcher Erkrankungen entgegenzuwirken (Behl-Schön et al. 2016). Zielgruppe hierfür sind Versicherte in Berufen, die mit langjährigem Heben und Tragen schwerer Lasten oder langjährigen Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verbunden sind (Kusma et al. 2015). Dass Berufe in der Pflege mit einer hohen Belastung des Rückens einhergehen, ist bereits umfassend erforscht (Schneider et al. 2006; Kusma et al. 2015). Bereits geringe Lastgewichte können in großen Häufigkeiten, eingeschränkten Ausführungsbedingungen und ungünstigen Körperhaltungen zu Schädigungen der LWS führen (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2006; Schneider et al. 2006).

Hintergrund

Beschäftigte in Pflegeberufen sind aufgrund der speziellen körperlichen Beanspruchungen nicht nur in einem deutlich höheren Maß rückengefährdend tätig als andere Berufsgruppen, sondern erleiden dementsprechend auch sechsfach häufiger Erkrankungen des Rückens (Hofmann et al. 2002; Cohen-Mansfield et al. 1996; Brütting et al. 2017; Frey et al. 2017). Damit sind pflegend Tätige in besonderem Umfang dem Risiko ausgesetzt, eine berufsbedingte Erkrankung im Bereich des Rückens zu entwickeln. Die BGW ist der für einen Großteil der in diesem Bereich tätigen Personen zuständige Unfallversicherungsträger. Entsprechend der gesetzlichen Vorgaben liegt gemäß § 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) neben Rehabilitation und Entschädigung ein wesentliches Handlungsfeld der BGW auf der Prävention. Aufgrund der erhöhten Gefährdungssituation ihrer Versicherten liegt ein Schwerpunkt der Präventionsarbeit dementsprechend in der Verhinderung bandscheibenbedingter Erkrankungen der LWS.

Im Jahr 2017 wurden der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) bundesweit 5165 Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit der LWS gestellt (DGUV 2018). Allein bei der BGW wurden im gleichen Zeitraum 3255 Verdachtsanzeigen auf Vorliegen einer berufsbedingten Wirbelsäulenerkrankung gemeldet (BGW 2018).

Die Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage eins zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) wird beschrieben als „bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zu chronischen oder chronisch-rezidivierenden Beschwerden und Funktionseinschränkungen (der Lendenwirbelsäule) geführt haben.“ Um der gesetzlichen Anforderung gerecht zu werden, der Entstehung, Verschlimmerung oder dem Wiederaufleben einer solchen Erkrankung entgegenzuwirken (§ 3 Abs. 1 BKV), existiert bei der BGW das nachfolgend beschriebene mehrstufige SIP-Programm.

Die Rückensprechstunde (RSS)

Erhält die BGW eine Verdachtsmeldung auf eine berufsbedingte Erkrankung der Wirbelsäule, ergeht eine Einladung zur RSS. Hier erfolgt sowohl eine umfassende Beratung durch die BGW-Sachbearbeitung als auch eine Untersuchung durch eine Fachärztin/einen Facharzt für Orthopädie. Anhand der daraus gewonnenen Erkenntnisse über zum Beispiel Tätigkeit, Arbeitszeit und Erkrankungsbild legen Sachbearbeitende, Orthopädin/Orthopäde und Betroffene das weitere Vorgehen gemeinsam fest (Behl-Schön et al. 2016).

Das Rückenkolleg

Ergibt die RSS, dass die Teilnahmevoraussetzungen für das Rückenkolleg erfüllt sind, werden die Teilnehmenden von der BGW zum Rückenkolleg eingeladen. Diese dreiwöchige stationäre SIP-Maßnahme verfolgt einen biopsychosozialen Behandlungsansatz (Salutogenese-Modell nach Antonovsky 1997) und ist multimodal, interdisziplinär und individuell aufgebaut (Behl-Schön et al. 2016). Es umfasst neben den Kernelementen des berufsspezifischen Übens, bei dem die Teilnehmenden zum rückengerechten Arbeiten angeleitet werden, und der medizinischen Trainingstherapie auch Physiotherapie sowie physikalische und schmerztherapeutische Maßnahmen. Weitere Inhalte sind psychologisches Gesundheitstraining, eine Ernährungsberatung mit Kochtraining, eine Schulung zu Medizinprodukten und Hilfs­mitteln, einen ärztlichen Vortrag zu Anatomie, Pathologie und Biomechanik der Wirbelsäule sowie ein Vortrag über bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS (Koch et al. 2014; Kusma et al. 2019).

Der Refresher-Kurs

Ein bis anderthalb Jahre nach dem Rückenkolleg wird den Teilnehmenden des Rückenkollegs ein fünftägiger Refresher-Kurs angeboten. Hier werden die Inhalte des Rückenkollegs im Sinne des lebenslangen Lernens wieder aufgegriffen und gefestigt. Im Berufsalltag aufgetretene Problematiken werden mit Ärztinnen und Ärzten sowie Therapeutinnen und Therapeuten besprochen (Behl-Schön et al. 2016).

Zielstellung

Die vorliegende Arbeit soll aufzeigen, welche Personengruppen mit dem Angebot Rückensprechstunde erreicht wurden und welche Faktoren die Bereitschaft zur Inanspruchnahme weiterführender Präventionsmaßnahmen, hier die Maßnahmen Rückenkolleg und Refresher-Kurs, beeinflussen.

Die hier zugrunde liegenden Forschungsfragen lauten: Welchen Einfluss haben die bei der Rückensprechstunde erhobenen Variablen auf die Teilnahmebereitschaft an Rückenkolleg und Refresher-Kurs der BGW und welche Unterschiede oder Gemeinsamkeiten bestehen diesbezüglich zwischen den einzelnen Maßnahmen?

Methoden

Abb. 2: Anzahl der Jahre im Beruf zum Zeitpunkt der Rückensprechstunde (n = 1111) (eigene Darstellung)
Fig. 2: Number of years in the job at the time of the back clinic (n = 1111) (own illustration)

Abb. 3: Vorliegen eines Bandscheibenvorfalls der Lendenwirbelsäule nach Berufsjahren (n = 1111) (eigene Darstellung)
Fig. 3: Existence of an intervertebral disc herniation in the lower back by years in the job (n = 1111) (own illustration)

Intervention

Zwischen 2012 und 2019 wurden Daten von 1011 Versicherten der Bezirksverwaltung Hamburg der BGW erhoben, die einen Termin zur RSS vereinbart hatten. Basierend auf diesen Daten wurde untersucht, welche Merkmale die Bereitschaft zur Teilnahme an Rückenkolleg und Refresher beeinflussen.

Von diesen Versicherten sind 80,2 % pflegenden, 5 % therapeutischen und 7,9 % pädagogischen Berufen zuzuordnen. Weitere 6,8 % setzen sich aus sonstigen rückengefährdenden Berufen zusammen. Die Zahl der an der RSS Teilnehmenden ist beginnend mit 41 in 2012 bis auf 232 in 2018 kontinuierlich gestiegen.

Insgesamt wurde 769 Teilnehmenden der RSS (76,1 %) das daran anschließende Rückenkolleg angeboten. Bei dieser Stichprobe (n = 1111) wurde die nachfolgend beschriebene Analyse durchgeführt. Alle bei der statistischen Auswertung verwendeten Daten fußen auf den Angaben der RSS-Teilnehmenden in Form eines standardisierten Fragebogens sowie der Ergebnisse einer ebenfalls standardisierten fachorthopädischen Untersuchung. Durchgeführt wurden diese von einer/einem Doppel-Fachärztin/-arzt für Orthopädie sowie Physikalische und Rehabilitative Medizin und beinhalteten neben einer ausführlichen Anamnese und Befundung der radiologischen Schnittbilddiagnostiken eine umfassende Untersuchung der Wirbelsäule mit Gangbildanalyse.

Stichproben

Die Stichproben dieser Studie betragen hinsichtlich des Rückenkollegs n = 511 und n = 196 und bezüglich des Refresher-Kurses n = 247 und n = 179 (➥ Abb. 1). Sie enthalten jeweils nur die teilnehmenden Personen, die zum Zeitpunkt der statistischen Berechnungen nicht nur das Angebot, sondern auch tatsächlich die Möglichkeit zur Teilnahme zum Rückenkolleg (n = 707) beziehungsweise Refresher-Kurs (n = 426) hatten. Bei Letzterem wurde nicht unterschieden, ob die Maßnahme einmalig oder wiederholt in Anspruch genommen wurde.

Statistische Methoden

Im Rahmen der Studie kamen Gruppenvergleiche (t-Test) für jeweils zwei unabhängige Stichproben (Teilnahme am Rückenkolleg ja/nein; Teilnahme am Refresher-Kurs ja/nein) mit Prüfung der Voraussetzungen (z. B. Varianzhomogenität, Normalverteilung) und bei Verletzung der Annahmen entsprechender Datentransformation (z. B. logarithmische Transformation, Wurzelfunktionen) zur Prüfung der Herstellbarkeit parametrischer Bedingungen zur Anwendung (Eid et al. 2017). Beim Vergleich von mehr als zwei unabhängigen Stichproben wurde bei Normalverteilung die einfaktorielle Varianzanalyse durchgeführt, bei nicht vorhandener Normalverteilung der Kruskal-Wallis-Test. Die Prädiktoren Geschlecht, Alter, Größe, Gewicht, BMI und Jahre im Beruf wurden für jede einzelne Gruppenkombination gerechnet. Zur Reduzierung der Alphafehler wurde die Adjustierung des Signifikanzniveaus im Rahmen eines Post-hoc-Tests (Bonferroni-Korrektur) durchgeführt. Das Signifikanzniveau wurde mit α = 0,05 festgelegt (IBM SPSS V.25, Armonk, VA, USA). Fehlende Angaben wurden unter Verwendung von IBM SPSS V.25 durch einfache Mittelwertimputation ergänzt. Der Anteil der Fehlwerte betrug minimal 0,3 % (Alter) und maximal 8,5 % (Jahre im Beruf).

Tabelle 1:  Stichprobenmerkmale des Kollektivs (zu testende Prädiktoren)Table 1: Sample description (predictors to be tested)

Tabelle 1: Stichprobenmerkmale des Kollektivs (zu testende Prädiktoren)Table 1: Sample description (predictors to be tested)

Abb. 4: Body Mass Index (BMI) vor Besuch des Rückenkollegs – ja/nein (eigene Darstellung)
Fig. 4: Body Mass Index (BMI) before attendance at back school – yes/no (own illustration)

Abb. 5: Weitere Erkrankungen außer LWS-Erkrankungen, Rückenkolleg – ja/nein (eigene Darstellung)
Fig. 5: Other diseases apart from lumbar spine diseases, back school – yes/no (own illustration)

Ergebnisse

Stichprobenbeschreibung

Die Verteilung der Altersstruktur aller Teilnehmenden zeigt, dass die Altersgruppe der 50- bis 60-Jährigen mit 48 % am stärksten vertreten ist. Die Anzahl der „Jahre im Beruf“ liegt mit 22 % im Bereich zwischen 20 bis 24 Berufsjahren am höchsten (➥ Abb. 2). Kumuliert sind 59,6 % der Teilnehmenden 20 Jahre und länger im Beruf tätig (21,4; SD: 10,9). Auch hinsichtlich des Vorliegens eines Bandscheibenvorfalls (BSV) ist die Gruppe der Teilnehmenden mit 20 bis 24 Berufsjahren bei einem Anteil von 19,8 % am stärksten ausgeprägt (➥ Abb. 3). Insgesamt hatten 48,5 % der RSS-Teilnehmenden zum Untersuchungstag bereits einen oder mehr BSV der LWS erlitten. Die übrigen 51,5 % hatten Bandscheibenvorwölbungen oder andere degenerative Veränderungen wie beispielsweise Chondrosen oder Black Disks.

Einflussfaktoren auf die Teilnahmebereitschaft zum Rückenkolleg

Das Angebot Rückenkolleg nahmen von 707 potenziellen Teilnehmenden 72,3 % (n = 511) wahr. Im Zuge der Inferenzanalyse konnte bei zwei der untersuchten Stichprobenmerkmale ein signifikanter Einfluss auf die Bereitschaft zur Teilnahme zum Rückenkolleg nachgewiesen werden. Die einzelnen getesteten Prädiktoren sind in ➥ Tabelle 1 aufgeführt.

Die Betrachtung des Merkmals „BMI“ zeigt, dass die Akzeptanz der präventiven Maßnahme Rückenkolleg signifikant im Zusammenhang mit der Höhe des BMI steht (p = 0,044; ➥ Abb. 4). Ein geringerer BMI erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass das Rückenkolleg absolviert wird. Der Gruppenunterschied liegt hier bei t(0,95, 386) = –2,017, die arithmetischen Mittel betragen 26,7 beziehungsweise 27,5 und die Varianzhomogenität ist F(1,705) = 0,89, p = 0,346.

Ebenfalls beeinflusst wird die Teilnahme von der Anzahl der bestehenden weiteren Erkrankungen. Dieses Merkmal ist mit p = 0,020 signifikant, die Varianzhomogenität liegt mit F(1,705) = 3,768, p = 0,053 vor. Der Gruppenunterschied beträgt t(0,95, 325) = –2,335 und die arithmetischen Mittel betragen 5,0 und 5,8 (➥ Abb. 5). Die Akzeptanz des Rückenkollegs steigt, wenn weniger Erkrankungen zusätzlich zu Rückenbeschwerden vorliegen. Diesbezüglich ergibt die geschlechterspezifische Betrachtung, dass Männer durchschnittlich signifikant (p = 0,005) weniger Nebenerkrankungen als Frauen aufweisen.

Nicht signifikant bei geringer Effektstärke von d = 0,2 war die Variable „Jahre im Beruf“. Aufgrund der geringen Effektstärke können die vorliegenden Tendenzen dahingehend, dass eine längere Berufstätigkeit die Bereitschaft zur Teilnahme am Rückenkolleg begünstigt, nicht bestätigt werden.

Einflussfaktoren auf die Teilnahmebereitschaft zum Refresher-Kurs

Der Refresher-Kurs weist bei 426 möglichen Teilnehmenden eine Teilnahmequote von 58 % (n = 247) auf. Zwischen der Anzahl der Berufsjahre und der Teilnahmebereitschaft zum Refresher-Kurs besteht ein signifikanter Zusammenhang (p = 0,026). Dabei gilt, dass mit steigenden Jahren im Beruf die Akzeptanz der Maßnahme zunimmt. Die arithmetischen Mittel betragen 23,0 und 20,7. Varianzhomogenität ist mit F(1,424) = 0,62, p = 0,432 gegeben. Der Gruppenunterschied wird mit t(0,95, 939) = –2,238, p = 0,026 signifikant.

Diskussion

Ziel dieser Studie war es, die im Rahmen der RSS erhobenen Daten nach Auffälligkeiten zu analysieren und den Einfluss der erhobenen Variablen auf die Bereitschaft zur Teilnahme an den konkreten Maßnahmen Rückenkolleg und dem Refresher-Kurs zu evaluieren.

Seit Einführung der RSS in der Bezirksverwaltung Hamburg 2012 hat die Zahl der jährlich Teilnehmenden stetig zugenommen – eine Entwicklung, die sich auch in vorangegangenen Studien zeigt. So hat sich die Inanspruchnahme verhaltenspräventiver Maßnahmen in den letzten Jahren beziehungsweise Jahrzehnten zunehmend positiv entwickelt und allein zwischen 1997 und 2010 beinahe verdoppelt (Kirschner et al. 1995; Jordan 2013). Vor dem Hintergrund der zum 01.01.2021 in Kraft getretenen Reform des Berufskrankheitenrechts (§ 9 SGB VII), konkret der Abschaffung des Aufgabezwanges und dem damit in Verbindung stehenden Bedeutungszuwachs präventiver Maßnahmen, wird sich dieser Trend voraussichtlich auch zukünftig weiter fortsetzen (DGUV 2016).

Die Evaluation der RSS zeigt, dass die Altersgruppe der 50- bis 60-Jährigen am stärksten vertreten war. Dies entspricht in etwa auch den Ergebnissen der Arbeit von Jordan et al. (2012), in der geschlechtsübergreifend die Altersgruppe der 40- bis über 60-Jährigen am häufigsten verhaltenspräventive Maßnahmen in Anspruch nahm. Hier konnte bereits nachgewiesen werden, dass durch ein multimodales Trainingsprogramm auch bei Teilnehmenden über 50 Jahre deutlich positive Effekte erzielt werden können (Pietsch et al. 2021). Bei insgesamt geringer Datenlage zeigen die wenigen Arbeiten, dass unter anderem die Inanspruchnahme von verhaltenspräventiven Maßnahmen vor allem durch Gesundheitsbewusstsein und Kontrollüberzeugung beeinflusst wird, durch die Erwartung, dass das eigene Handeln zu einer Verbesserung der Situation führt (Faltermaier 2011; Ladebeck et al. 2015).

Ein wesentlicher Anteil der Teilnehmenden befindet sich in einer bereits fortgeschrittenen Phase des Erwerbslebens. Ein Kriterium einer berufsbedingten Erkrankung der LWS ist die langjährige Durchführung einer gefährdenden Tätigkeit. Als Untergrenze der Langjährigkeit werden zehn Berufsjahre benannt, da im Zuge anderer Studien bereits nach dieser Zeit ein Häufigkeitsanstieg degenerativer Wirbelsäulenerkrankungen erkennbar war (Häublein 1979; Hofmann et al. 1995; Michaelis et al. 2007). Die Teilnehmenden der RSS haben diese nach durchschnittlich 21,4 Jahren in Anspruch genommen, was mehr als dem doppelten Zeitraum der geforderten Untergrenze entspricht. Dieser positive Zusammenhang zwischen Dauer der Berufstätigkeit und Inanspruchnahme präventiver Maßnahmen spiegelt sich auch in den Ergebnissen von Rückenkolleg und Refresher-Kurs wider. Während eine höhere Anzahl an Berufsjahren tendenziell die Teilnahme am Rückenkolleg begünstigt, ist deren positive Auswirkung auf die Akzeptanz des Refresher-Kurses signifikant.

Dass zwischen der Ausprägung des BMI und dem Auftreten von LWS-Erkrankungen ein Zusammenhang besteht, wurde bereits im Rahmen vorangegangener Studien mehrfach aufgezeigt (Seidler et al. 2008; Leino-Arjas et al. 2006). Daran anknüpfend konnte in der von Jordan 2012 durchgeführten Studie nachgewiesen werden, dass bei steigendem Körpergewicht der Anteil an Teilnehmenden zunahm. In der nun durchgeführten Studie beträgt das arithmetische Mittel der Variable „BMI“ 27,1 (SD: 5,1), was als Übergewicht einzuordnen ist (World Health Organization 1995). Entgegen der Studie von Jordan zeigt sich jedoch, dass sich eine höhere Ausprägung des BMI hemmend auf die Inanspruchnahme des Rückenkollegs auswirkt.

Jordan kommt in seiner Studie zu dem Ergebnis, dass die Inanspruchnahme von Präventionsmaßnahmen durch das Vorliegen von chronischen Erkrankungen begünstigt wird. Abzugrenzen von chronischen Erkrankungen wie Asthma bronchiale sind die Ergebnisse der vorliegenden Studie, bei der bei multiplen Nebenerkrankungen die Teilnahmebereitschaft am Rückenkolleg mit zunehmender Zahl der Nebenerkrankungen signifikant abnimmt. Hier erscheint den Versicherten die Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme möglicherweise sinnvoller als die Teilnahme an einer Präventionsmaßnahme.

Auffällig ist, dass die Ergebnisse des Rückenkollegs und des Refresher-Kurses in Teilen zueinander inkongruent sind. So ist festzustellen, dass ein höherer BMI zunächst die Teilnahmebereitschaft am Rückenkolleg signifikant hemmt, diese jedoch bei der Teilnahme am Refresher-Kurs tendenziell zu begünstigen scheint. Gleiches gilt für die Anzahl der sonstigen Erkrankungen. Daraus abgeleitet wäre im Rahmen weiterer Forschungen zu untersuchen, ob Personen die Präventionsmaßnahmen der BGW häufiger in Anspruch nehmen, wenn sie selbst in einer eher ungünstigen gesundheitlichen Verfassung sind, zeitgleich jedoch die Hemmschwelle zur erstmaligen Inanspruchnahme höher ist.

Stärken und Limitationen

Die hohe Anzahl befragter Personen sowie die Befragungsdauer über acht Jahre kann als Vorteil bewertet werden, wobei die Autoritätsstellung der BGW die Studie anfällig für einen Authority Bias macht. Auch der eventuell vorhandene Wunsch der Teilnehmenden der RSS nach weiteren präventiven, rehabilitativen und monetären Leistungen der BGW könnte zu fehlerhaften Aussagen führen.

Schlussfolgerungen

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund gesetzlicher Änderungen und der allgemein fortschreitenden demografischen Entwicklungen, wird präventiven Maßnahmen auch weiterhin eine hohe Bedeutung zukommen. Kritisch betrachtet werden muss jedoch, dass ein wesentlicher Anteil der Teilnehmenden sich zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme bereits in einer vorangeschrittenen Phase des Erwerbslebens befindet. Derzeit begünstigen ein zunehmendes Alter und eine steigende Anzahl an Berufsjahren die Teilnahmebereitschaft an Präventionsmaßnahmen. Zukünftig werden aber Lösungen entwickelt werden müssen, Maßnahmen der SIP frühzeitiger, sowohl hinsichtlich des Lebensalters als auch der Anzahl der Berufsjahre, etablieren zu können, um frühzeitig der Entstehung von Rückenerkrankungen entgegenzuwirken. Dafür spricht auch, dass sich die Zahl sonstiger Erkrankungen negativ auf die Teilnamebereitschaft auswirkt. Zusammen mit dem Merkmal BMI zeigt sich zudem, dass der allgemeine Gesundheitszustand in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Präventionsmaßnahmen steht. Je besser sich die allgemeine Gesundheit der einzelnen Person darstellt, desto eher besteht die Bereitschaft zur Teilnahme an Maßnahmen der SIP von Rückenerkrankungen.

Forschungsbedarf besteht, auch aufgrund der geringen Anzahl der bisher veröffentlichten Arbeiten, weiterhin am Motivationsverhalten zur Teilnahme an Präventionsmaßnahmen sowie der Entwicklung von Strategien, um diese zu fördern. Für die BGW als ein Leistungsträger präventiver Maßnahmen wäre es zudem ein Ansatz, die Kooperation mit weiteren Sozialversicherungsträgern über bereits bestehende Ansätze hinaus auszubauen und so die Effekte existierender Maßnahmen anderer Träger miteinander zu kombinieren und mögliche Synergieeffekte zu nutzen.

Interessenkonflikt. Eric Hartinger und Aki Pietsch sind an der Durchführung der Rückensprechstunde beteiligt. Alle Autoren erklären, dass kein Interessenskonflikt besteht.

Ethische Richtlinien. Die Forschungsarbeiten erhielten keine spezifischen Zuschüsse von Finanzierungsagenturen im öffentlichen, kommerziellen oder gemeinnützigen Sektor. Alle Teilnehmer der RSS wurden über die präventiven Maßnahmen und die Auswertung der Daten informiert und erklärten sich schriftlich mit der Verwendung ihrer anonymisierten Daten einverstanden. Die Bewertung wurde gemäß Helsinki-Erklärung von 2013 in der aktuellen Fassung von 2013 (World Media Association 2013) durchgeführt.

Literatur

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Kontakt

Eric Hartinger
Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege
Bezirksverwaltung Hamburg
Schäferkampsallee 24,
20357 Hamburg
Eric.Hartinger@bgw-online.de