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Betriebsärztliche Ausnahme-entscheidungen in der rechtlichen Betrachtung

Entscheidend für das Handeln des Be-triebsarztes ist, wie seine Tätigkeit rechtlich einzuordnen ist. Nach § 2 Abs. 1 ASiG hat der Arbeitgeber, so-weit dies erforderlich ist, Betriebsärzte zu bestellen. Die umfänglichen Aufgaben, die ein Betriebsarzt zu erfüllen hat, sind in § 3 ASiG niedergelegt. Die Ausnahmeentscheidungen werden sich im Wesentlichen aus § 3 Abs. 1 Nr. 2 ASiG ergeben.

§ 3 ASiG

  1. IDie Betriebsärzte haben die Aufgabe, den Arbeitgeber beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung in allen Fragen des Gesundheitsschutzes zu unterstützen. Sie haben insbesondere
  • 2Die Arbeitnehmer zu untersuchen, arbeitsmedizinisch zu beurteilen und zu beraten, sowie die Untersuchungs-ergebnisse zu erfassen und auszu-werten.

Nach der ArbMedVV muss der Arbeitgeber arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen durchführen lassen. Hierbei wird zwischen Pflichtuntersuchungen, Angebotsuntersuchungen und Wunschuntersuchungen unterschieden. Bei all diesen Untersuchungen ist der Arbeitgeber auf die kompetente betriebsärztliche Begleitung angewiesen. Auch bei diesen Untersuchungen können sich betriebsärztliche Ausnahmeentscheidungen ergeben.

Betriebsärzte unterstehen nach § 8 Abs. 2 ASiG unmittelbar dem Leiter des Betriebs. Diese Wortwahl „unterstehen“ legt nahe, von einer arbeitsrechtlichen Unterordnung auszugehen. Diese Annahme führt jedoch in die Irre.

§ 8 ASiG

  1. IIBetriebsärzte und Fachkräfte für Arbeits-sicherheit oder, wenn für einen Betrieb mehrere Betriebsärzte oder Fachkräfte für Arbeitssicherheit bestellt sind, der leitende Betriebsarzt und die leitende Fachkraft für Arbeitssicherheit, unterstehen unmittelbar dem Leiter des Betriebes.
  2. Mit Urteil vom 13. November 2014 hat der BGH AZ. III ZR 101/14 entschieden, dass ein Betriebsarzt Dienste höherer Art leistet. Demnach sind für vertragliche An-sprüche die dienstvertraglichen Regeln des BGB zugrunde zu legen. Zu Betriebs-ärzten dürfen nur solche Personen bestellt werden, die berechtigt sind, den ärztli-chen Beruf auszuüben und die über die zur Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben erforderliche arbeitsmedizinische Fachkunde verfügen (§ 4 ASiG).

Der Betriebsarzt erbringt die ärztliche Leistung nur im Verhältnis zu den Betriebsangehörigen und nicht zu seinem Vertragspartner, dem Arbeitgeber. Auch wenn seine Tätigkeit im Einzelfall in einem Spannungsverhältnis zu den Vorstellungen des Arbeitgebers über die zum Arbeitsschutz und zur Arbeitssicher-heit notwendigen Maßnahmen steht, rechtfertigt dies nach Meinung des BGH nicht, die Stellung eines Betriebsarztes anders zu bewerten als die Stellung eines anderen Arztes.

Ein Betriebsarzt hat in fachlicher und persönlicher Hinsicht eine besondere Vertrauensstellung inne. Eine solche besteht nicht nur unmittelbar im Verhältnis zwischen Arzt und Patient, es muss auch die Bedeutung des Arztes für die Arbeitssicherheit im Betrieb berücksichtigt werden. Eine Ver-trauensstellung kann insoweit auch im „Drei-ecksverhältnis“ zwischen Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Betriebsarzt vorliegen. Der Arbeitgeber bedient sich des Betriebsarztes zur Erfüllung seiner Fürsorgepflichten gegenüber seinen Mitarbeitern.

Dienste höherer Art beinhalten, dass sie aufgrund besonderen Vertrauens übertragen werden. Im Falle des Betriebsarztes erstreckt sich das Vertrauen über die fachliche Kompetenz hinaus auch auf dessen Person. Der Ausführung der Tätigkeit liegt insoweit eine persönliche Bindung (Beziehung) zwischen den Vertragspartnern zugrunde. Laut BGH ist dies bei gesundheitsbezogenen Diensten, wie auch dem Betriebsarzt, regelmäßig erfüllt.

Trotz des „Unterstehens“ des Betriebsarztes unter dem Leiter des Betriebs ist der Betriebsarzt, wie ausdrücklich in § 8 Abs. 1 Satz 1, 3 ASiG unabhängig (weisungsfrei) und nur seinem Gewissen unterworfen.

§ 8 ASiG

  1. IBetriebsärzte und Fachkräfte für Arbeits-sicherheit sind bei der Anwendung ihrer arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Fachkunde weisungsfrei. Sie dürfen wegen der Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben nicht benachteiligt werden. Betriebsärzte sind nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen und haben die Regeln der ärztlichen Schweigepflicht zu beachten.

Gerade angesichts der von Weisungen freien Stellung des Betriebsarztes muss sich der Arbeitgeber darauf verlassen können, dass der Betriebsarzt seine herausgehobene Po-sition korrekt ausübt; woraus sich auch eine Dokumentation im Rahmen der Sorgfaltspflicht ergibt. Dies ist sowohl bezogen auf die Fachkunde des Arztes wie auch auf dessen Vertrauenswürdigkeit. Der Betriebsarzt erhält durch seine Tätigkeit Einblicke in die Betriebsabläufe bzw. Betriebsstruktur sowie in datengeschützte Bereiche. Auch auf diese Betriebsinterna, insbesondere auf die ihm bekannt gewordenen Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, bezieht sich seine ärztliche Schweigepflicht.

Unter Berücksichtigung der herausgeho-benen Aufgabenstellung des Betriebsarztes kann nicht zweifelhaft sein, dass betriebsärztliche Leistungen solche sind, die aufgrund besonderen Vertrauens übertragen werden. Der Umstand, dass ärztliche Maß-nahmen durch den Betriebsarzt typischerweise lediglich gegenüber den Betriebsan-gehörigen, nicht aber gegenüber dem Vertragspartner (Arbeitgeber) erbracht werden, steht – wobei diese Leistungen im Übrigen sowieso nur einen Teil der von ihm geschuldeten Tätigkeit ausmachen – dem nicht entgegen.

Ansprüche gegen den Betriebsarzt können von zwei Seiten kommen, sowohl vom Arbeitgeber als auch vom Arbeitnehmer. Der Betriebsarzt kann im Verhältnis gegenüber dem Arbeitnehmer sowohl zivilrechtlich, wie auch strafrechtlich für sein Tun einstehen müssen.

Bei einem zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch eines Arbeitnehmers gegen den Betriebsarzt hat das LG Paderborn am 15. Mai 2001 (AZ. 2 O 42/01) ein Vertragsverhältnis oder vertragsähnliches Rechtsverhältnis zwischen Betriebsarzt und unter-suchtem Arbeitnehmer verneint. Die Untersuchung durch den Betriebsarzt begründet kein derartiges Verhältnis. Der Betriebsarzt ist Erfüllungsgehilfe des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer geht auf Veranlassung des Arbeitgebers zur Untersuchung zum Betriebsarzt. Dies dient in der Regel nicht der medizinischen Behandlung, sondern einer medizinischen Einschätzung des Gesundheitszustandes. Eine vertragliche Beziehung, aus der sich Sorgfaltspflichten des Betriebsarztes gegenüber dem Arbeitnehmer ergeben, bestehen dabei nicht. Der Arbeitnehmer kann demnach im Arzthaftungsprozess von dem Betriebsarzt keinen Schadensersatz verlangen. Diesen Anspruch hat das LG Paderborn zurecht abgewiesen, da eine unerlaubte Handlung i. S. d. §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB in der bloßen Untersuchung nicht vorliege und der Arbeitnehmer kein Vertragsverhältnis zum Betriebsarzt habe. Zwar entfalte der Vertrag zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsarzt grundsätzlich auch Schutzwirkungen gegenüber dem zu untersuchenden Arbeitnehmer. Eine kon-krete Schutzwürdigkeit ist aber dann nicht gegeben, wenn der zu schützende Dritte wegen des Sachverhalts, aus dem er seinen Anspruch herleite, einen inhaltsgleichen Anspruch gegen den Gläubiger des Vertrages, also dem Arbeitgeber, hat.

Für das strafrechtliche Einstehen müssen von Betriebsärzten, wenn ein Arbeitnehmer durch einen Betriebsunfall getötet oder verletzt wurde, können die §§ 230, 222 StGB einschlägig sein.

Neben der Strafbarkeit durch aktives Tun kommt eine Strafbarkeit als unechtes Unter-lassungsdelikt in Betracht.

Sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung überwiegt jedoch die Meinung, dass Betriebsärzte als Überwachungsgaranten nicht für pflichtwidriges Tun oder Unterlassen haften.

Die Verantwortung bei schuldhaften Verstößen gegen Arbeitsschutz- oder Sicher-heitsbestimmungen, die zu Arbeitsunfällen führen, muss strafrechtlich unter dem Gesichtspunkt der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) oder fahrlässigen Körperverletzung (§ 230 StGB) geprüft werden. Eine vorsätzliche Regelung dürfte in der Praxis ohne Be-deutung sein. Wie bei jedem anderen Straf-tatbestand sind objektive und subjektive Voraussetzungen maßgebend. Der objektive Tatbestand verlangt ein Handeln oder Unterlassen. In der Regel wird der Verantwortliche einen Arbeitsunfall nicht durch die aktive Einwirkung auf den Betriebsangehörigen verursachen, sondern durch ein Unterlassen, d. h., eine an sich gebotene Sicherungsmöglichkeit unterbleibt. Für die Rechtswidrigkeit des Unterlassens ist darauf abzustellen, ob der Verantwortliche eine Rechtspflicht zum Handeln hatte und trotz dieser Verpflichtung (sog. Garanten-pflicht) nicht gehandelt hat. Es ist auch nicht anders zu beurteilen, wenn der objektive Tatbestand durch die Erteilung einer Ausnahmeentscheidung durch den Betriebs-arzt erfüllt wird.

Eine Rechtspflicht zum Handeln hat der-jenige, der einen tatsächlichen Pflichtenkreis in einem bestimmten Lebensbereich mit der Aufgabe übernimmt, für den Schutz Dritter zu sorgen, wobei ihm gleichzeitig das Recht eingeräumt wird, die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Maßnahmen und Entscheidungen selbst zu treffen. Eine nur moralische oder allgemeine Verpflichtung zum Handeln reicht zur Begründung einer Garantenstellung nicht aus.

In erster Linie verantwortlich für die Erfüllung der besonderen Arbeitsschutz- und Sicherheitspflichten (z. B. nach § 21 SGBVII) und der aufgrund dieses Gesetzes erlasse-nen Unfallverhütungsvorschriften, der Pflich-ten nach dem Arbeitsschutzgesetz und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechts-verordnungen ist der Unternehmer. Das folgt aus diesen Gesetzen selbst, aber auch aus den §§ 618, 619BGB und § 62HGB. Aus der Verpflichtung des Unternehmers, für den Ar-beits- und Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu sorgen, folgt eine entsprechende Rechtspflicht im Sinne einer Garantenpflicht gegen-über den Arbeitnehmern.

Betriebsärzte haben grundsätzlich keine Garantenstellung. Für sie besteht im Arbeits- und Gesundheitsschutz nur eine allgemeine Rechtspflicht ohne die notwendige Entschei-dungsmacht, mit eigenen konkreten Maßnahmen in den Betrieb hineinwirken zu kön-nen. Dennoch ist im Einzelfall auch für Be-triebsärzte eine Garantenstellung denkbar, wenn die Position entsprechend den dargelegten Grundsätzen ausgestattet ist, d. h., wenn Betriebsärzte nicht nur die Pflicht, son-dern auch das Recht haben, eigene Maßnahmen aufgrund eigener Entscheidung und Verantwortung zu treffen. Dies könnte zwar bei einer betriebsärztlichen Ausnahmege-nehmigung gegeben sein, doch haben die Betriebsärzte, in der Regel, trotz fehlenden Weisungsrechts, auch hier nicht die letzte Entscheidungshoheit.

Die Aufgaben der Betriebsärzte werden im Gesetz mit Unterstützung, Beratung, Prü-fung, Überwachung und Unterrichtung beschrieben. Das sind Pflichten allgemeiner Art, die nicht als konkrete Rechtspflichten im Sinne des Strafrechts angesehen werden können, weil keine Befugnis zum unmittel-baren Eingreifen besteht. Anders ausge-drückt: Eine Garantenstellung ist gerade dann gegeben, wenn die tatsächliche Übernahme eines Pflichtenkreises in einem bestimmten Lebensbereich mit Schutzfunktion und Entscheidungsbefugnis vorliegt. Für Betriebsärzte trifft dies nicht zu. Zwar hat der Betriebsarzt als sachverständige Berater des Arbeitgebers eine umfassende Schutzaufgabe. Er hat bei der Verwirklichung des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung auch eine wichtige Unterstützungsfunktion, es fehlt ihm aber das erforderliche Entscheidungsrecht. Die Entscheidung, was, wann, wo und wie zu geschehen hat, liegt nach wie vor beim Unternehmer als dem originär Verantwortlichen. Daran ändert auch nichts, dass Betriebsärzte bei der Anwendung ihrer arbeitsmedizinischen bzw. sicherheitstechnischen Fachkunde weisungsfrei sind.

§ 8 Abs. 3 ASiG legt ausdrücklich fest, dass letztlich der Arbeitgeber die Entscheidungsbefugnis hat.

§ 8 ASiG

  1. IIIKönnen sich Betriebsärzte oder Fachkräfte für Arbeitssicherheit über eine von ihnen vorgeschlagene arbeitsmedizinische oder sicherheitstechnische Maßnahme mit dem Leiter des Betriebs nicht verständigen, so können sie ihren Vorschlag unmittelbar dem Arbeitgeber und, wenn dieser eine juristische Person ist, dem zuständigen Mitglied des zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organs unterbreiten. Ist für einen Betrieb oder ein Unternehmen ein leitender Betriebsarzt oder eine leitende Fachkraft für Arbeitssicherheit bestellt, steht diesen das Vorschlagsrecht nach Satz 1 zu. Lehnt der Arbeitgeber oder das zuständige Mitglied des zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organs den Vor-schlag ab, so ist dies den Vorschlagenden schriftlich mitzuteilen und zu begründen; der Betriebsrat erhält eine Abschrift.

Der Arbeitgeber entscheidet endgültig, kann also auch den Vorschlag ablehnen. Damit ist der Betriebsarzt kein Garant. Anders wäre wohl nur zu entscheiden, wenn der Betriebs-arzt sich im Rahmen der medizinischen Untersuchung individuell dem Arbeitnehmer zuwendete, d. h. wenn er so wie ein Hausarzt die Behandlung übernehmen würde. Dies wäre nämlich nicht mehr von den ASiG-Re-geln erfasst, sondern würde nach den Regelungen über die Arzthaftung abgehandelt, da dann wohl ein Vertrag zwischen Betriebs-arzt und Arbeitnehmer anzunehmen wäre. Zu einer hausarztähnlichen Behandlung ist der Betriebsarzt aber nicht befugt.

Zusammenfassend kann festgestellt wer-den, dass der Betriebsarzt aufgrund fehlender vertraglicher Bindung mit dem Arbeitnehmer und fehlender letztendlicher Entscheidungs-befugnis zur Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses auch nicht strafrechtlich verantwortlich gemacht werden kann.

    Weitere Infos

    Gesetz über Betriebsärzte, Sicher-heitsingenieure und andere Fach-kräfte für Arbeitssicherheit (ASiG)

    www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/asig/gesamt.pdf

    Autorin

    Andrea Hellmann

    Fachanwältin für Arbeitsrecht, Wirtschaftsmediatorin

    ASTRAIA Fachanwälte

    Hirschgartenallee 45

    80639 München

    andrea.hellmann@anwalts.net

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