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Mutterschutz

Bewertung von Biomonitoring­ergebnissen bei Schwangeren1

Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

Evaluation of Biomonitoring Results in Pregnant Women

Einleitung und Zielsetzung

Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber haben nach § 10 des Mutterschutzgesetzes (MuSchG 2018, s. „Weitere Infos“) bei jeder Gefährdungsbeurteilung nach § 5 Arbeitsschutzgesetz auch Gefährdungen für schwangere oder stillende Frauen oder ihr Kind zu berücksichtigen. Auch bei Einhaltung von MAK- und BAT-Werten kann das ungeborene Kind von schwangeren Beschäftigten nicht ausreichend geschützt sein, da die fruchtschädigende Wirkung nicht als empfindlichster Endpunkt zur Ableitung der Werte herangezogen wird und zudem nicht alle Arbeitsstoffe ausreichend auf fruchtschädigende Wirkungen untersucht werden (Deutsche Forschungsgemeinschaft [DFG] 2023).

Die Ständige Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe (MAK-Kommission) evaluiert Maximale Arbeitsplatzkonzentrationen (MAK-Werte) und Biologische Arbeitsstoff-Toleranzwerte (BAT-Werte) in ihrer Arbeitsgruppe „Entwicklungstoxizität“ hinsichtlich ihrer fruchtschädigenden Wirkung. Das entwicklungstoxische Risiko wird dabei in vier Schwangerschaftsgruppen eingeschätzt (➥ Tabelle 1). Bei Arbeitsstoffen mit Zuordnung zur Schwangerschaftsgruppe B (fruchtschädigende Wirkung bei Einhaltung des MAK- oder BAT-Werts nicht auszuschließen) wird durch die Kommission geprüft, ob die Bewertung der Datenlage es ermöglicht, einen Hinweis zu gegeben, welche Konzentration des Stoffes der Zuordnung zur Schwangerschaftsgruppe C (fruchtschädigende Wirkung nicht anzunehmen) entsprechen würde (Gruppe B mit Hinweis auf Voraussetzung für Gruppe C).

Methoden

Für die Beurteilung der fruchtschädigenden Eigenschaften von Substanzen werden neben epidemiologischen Studien zur Entwicklungs(neuro)toxizität, Daten zur pränatalen Entwicklungs(neuro)toxizität bei weiblichen Ratten und Kaninchen (teilweise auch bei der Maus) und aus Generationenstudien einschließlich Screening-Tests bei Ratten (und teilweise auch Mäusen) herangezogen. Dabei sind insbesondere Inhalationsstudien von Bedeutung. Diese sollten nach international anerkannten Prüfrichtlinien (OECD [Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung] oder vergleichbar) durchgeführt werden. Zur Berücksichtigung von Unsicherheiten bei der Übertragung der Ergebnisse auf den Menschen muss ein ausreichender Abstand zwischen dem NOAEL (No Observed Adverse Effect Level) im Tierexperiment und der Belastung bei Einhaltung des MAK- beziehungsweise BAT-Werts gegeben sein. Wegen einer Anzahl sehr unterschiedlicher Einflussfaktoren wird der Abstand stoffspezifisch festgelegt (DFG 2023, s. „Weitere Infos“).

Seit 2019 wird bei der Ableitung von BAT-Werten ebenfalls die Zuordnung zu einer Schwangerschaftsgruppe geprüft (DFG 2023). Wenn der BAT-Wert in Korrelation zum MAK-Wert abgeleitet wurde, gilt die Schwangerschaftsgruppe des MAK-Werts auch für den BAT-Wert. Korreliert der BAT-Wert nicht zum MAK-Wert, wird analog zur Ableitung der Schwangerschaftsgruppe beim MAK-Wert eine Schwangerschaftsgruppe zum BAT-Wert abgeleitet (DFG 2023).

Ergebnisse

Die Arbeitsgruppe „Entwicklungstoxizität“ hat das fruchtschädigende Risiko für die in ➥ Tabelle 2 aufgeführten Gefahrstoffe evaluiert und deren BAT-Werten Schwangerschaftsgruppen zugeordnet. Für einige Substanzen der Schwangerschaftsgruppe B (fruchtschädigende Wirkung nicht auszuschließen) konnte eine Stoffkonzentration im Blut oder Urin ermittelt werden, bei der eine fruchtschädigende Wirkung nicht anzunehmen ist („Schwangerschaftsgruppe B mit Hinweis auf Voraussetzung für Gruppe C; DFG 2023a,b).

Tabelle 2:   Substanzen mit hinsichtlich der Schwangerschaftsgruppe geprüften BAT-Werten und gegebenenfalls Angabe der Konzentrationen ihrer Human-Biomonitoring-Parameter, bei denen eine fruchtschädigende Wirkung nicht anzunehmen ist (DFG 2023)

Tabelle 2:   Substanzen mit hinsichtlich der Schwangerschaftsgruppe geprüften BAT-Werten und gegebenenfalls Angabe der Konzentrationen ihrer Human-Biomonitoring-Parameter, bei denen eine fruchtschädigende Wirkung nicht anzunehmen ist (DFG 2023)

Beispiel: Chlorierte Biphenyle (PCB)

Eine Abschätzung der individuellen gesundheitlichen Gefährdung durch PCB in der Raumluft ist wegen der langen Halbwertszeit nur durch die Bestimmung von PCB-Indikatorkongeneren im Blut der Exponierten möglich. Für die Ableitung des BAT-Werts in Höhe von 15 µg ∑ PCB28, PCB 52, PCB101, PCB138, PCB153, PCB 180/l Plasma wurde als kritischer toxischer Effekt die bei Ratten beobachtete Leberhypertrophie herangezogen. Nach Einschätzung der MAK-Kommission treten bei Personen im erwerbsfähigen Alter keine gesundheitlich relevanten Effekte unterhalb dieser Konzentration von 15 µg PCB/l Plasma (Summe der 6 Indikatorkongenere) auf. Da aber bei Einhaltung des BAT-Werts kein ausreichender Abstand zum NOAEL für Entwicklungstoxizität beim Affen von 20 μg Gesamt-PCB/l Plasma besteht und zusätzlich epidemiologische Daten beim Menschen auf eine entwicklungstoxische Wirkung der chlorierten Biphenyle hinweisen (Verzögerung der neurologischen Entwicklung in den ersten sechs Lebensjahren bei Kindern von Frauen, die in der Schwangerschaft hoch mit PCB belastet waren), gilt die Schwangerschaftsgruppe B (fruchtschädigende Wirkung nicht auszuschließen) auch bei Einhaltung des BAT-Werts. Aus umfangreichen epidemiologischen Studien zu den empfindlichsten Endpunkten Entwicklungsneurotoxizität und Geburtsgewichtsverminderung konnte eine Konzentration von 3,5 µg PCB-Indikatorkongenere/l Plasma abgeleitet werden, bei der eine fruchtschädigende Wirkung nicht anzunehmen ist (Schwangerschaftsgruppe C), so dass für den BAT-Wert für PCB die Schwangerschaftsgruppe B mit Hinweis auf Voraussetzung für Gruppe C bis 3,5µg PCB-Indikatorgene/l Plasma gilt (Brinkmann et al. 2019).

Aus den Blutproben von 188 Frauen beziehungsweise Schwangeren im Alter von 16–45 Jahren, die von 2009 bis 2018 durch Innenraumluft potenziell gegen PCB belastet waren, ergab sich für die Summe der 6 PCB-Indikatorkongenere ein Median von 0,36 µg/l Plasma und ein 95. Perzentil von 1,39 µg/l Plasma (Minimum: < 0,01 µg/l Plasma (Bestimmungsgrenze), Maximum: 2,95 µg/l Plasma). Für die allgemeine Gefährdungsbeurteilung gemäß Mutterschutzgesetz lagen für diese Frauen, die in PCB-kontaminierten Gebäuden arbeiteten, somit keine Hinweise auf eine unverantwortbare Gefährdung vor. Zum Ausschluss einer bereits vorab bestehenden hohen außerberuflichen PCB-Belastung, die keinen weiteren PCB-Eintrag mehr als verantwortbar erscheinen lässt, besteht für Beschäftigte das Untersuchungsangebot von PCB im Serum (Göen u. Drexler 2018).

Schlussfolgerung

Schwangere können mit Arbeitsstoffen, deren BAT-Werte der Schwangerschaftsgruppe C zugeordnet wurden oder für die ein Hinweis auf Voraussetzung für Gruppe C angegeben wurde, bei Exposition in Höhe der abgeleiteten Werte des jeweiligen Human-Biomonitoring-Parameters ohne Risiko für das ungeborene Kind arbeiten. Weitere Evaluierungen werden kontinuierlich durchgeführt.

Interessenkonflikt: Prof. Hartwig ist Vorsitzende und Prof. Drexler ist stellvertretender Vorsitzender der Ständigen Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Prof. Hartwig ist Leiterin der AG „MAK-Werte und Einstufungen“ und Prof. Drexler ist Leiter der AG „Beurteilungswerte in biologischem Material“. Dr. Schriever-Schwemmer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin, eine Leiterin des MAK-Sekretariats sowie kommissarische Leiterin der AG „Entwicklungstoxizität“, Priv.-Doz. Dr. Weistenhöfer, Dres. Brinkmann, Michaelsen und Bartsch arbeiten im wissenschaftlichen Sekretariat der MAK-Kommission.

Literatur

Brinkmann B, Bartsch R, Schriever-Schwemmer G, Drexler H, Hartwig A, MAK Commission: Addendum zu Chlorierte Biphenyle. BAT Value Documentation in German language. MAK Collect Occup Health Saf 2019; 4: 950–969 (Open Access: https://repository.
publisso.de/resource/frl:6454686/data).

Göen T, Drexler H: persönliche Mitteilung 2018.

Weistenhöfer W, Brinkmann B, Schriever-Schwemmer G, Michaelsen S, Bartsch R, Klotz K, Drexler H, Hartwig A: Die Berücksichtigung von Schwangerschaftsgruppen bei der Evaluierung von Beurteilungswerten in biologischem Material: Sicherheit und Schutz für das ungeborene Leben. 60. Jahrestagung der DGAUM. München, 2020, Tagungsband S. 259.

doi:10.17147/asu-1-335678

Weitere Infos

DFG – Deutsche Forschungs­gemeinschaft (Hrsg.): MAK- und BAT-Werte-Liste 2023. Maximale Arbeitsplatzkonzen­trationen und Biologische Arbeitsstofftoleranzwerte. Ständige Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe, Mitteilung 59, 2023. Düsseldorf: German Medical Science
https://doi.org/10.34865/mbwl_2023_deu

DFG – Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hrsg.): Arbeitsmedizinisch-toxikologische Begründungen zu MAK- und BAT-Werten. The MAK Collection for Occupational Health and Safety
https://series.publisso.de/en/pgseries/overview/mak/dam

MuSchG 2018: Mutterschutz­gesetz vom 23. Mai 2017 (BGBl. I S. 1228), geändert durch Artikel 57 Absatz 8 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2652)
https://www.gesetze-im-internet.de/muschg_2018/MuSchG.pdf

Kernaussagen

  • Die MAK-Kommission evaluiert MAK- und BAT-Werte hinsichtlich ihrer fruchtschädigenden Wirkung und ordnet sie entsprechend dem entwicklungstoxischen Risiko den vier Schwangerschaftsgruppen zu.
  • Das ungeborene Kind von schwangeren Beschäftigten kann auch bei Einhaltung von MAK- und BAT-Werten nicht ausreichend geschützt sein (Schwangerschaftsgruppe A und B).
  • Schwangere können mit Arbeitsstoffen, für die eine Stoffkonzentration im Blut oder Urin ermittelt werden konnte, bei der eine fruchtschädigende Wirkung nicht anzunehmen ist (Schwangerschaftsgruppe C), ohne Risiko für das ungeborene Kind arbeiten.
  • Über den Schutz des ungeborenen Kindes von schwangeren Beschäftigten kann für manche Arbeitsstoffe keine Aussage getroffen werden (Schwangerschaftsgruppe D).
  • Koautorinnen und Koautoren

    Kontakt

    Priv.-Doz. Dr. med. ­Wobbeke Weistenhöfer
    Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und UmweltmedizinFriedrich-Alexander-Universität Erlangen-NürnbergHenkestr. 9–1191054 Erlangen

    Foto: Glasow

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