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Neuroenhancement: Doping für Gehirn und Psyche?

Neuroenhancement – der Versuch, kognitive (und auch emotionale) Funktionen durch Einnahme von psychoaktiven Substanzen zu steigern – ist wohl eines der in den verschiedensten Disziplinen am kontroversesten diskutierten Forschungsfelder des 21. Jahrhunderts.

Obwohl das Phänomen des instrumentellen Gebrauchs bestimmter Substanzen zur Leistungssteigerung im Studium oder bei der Arbeit (z. B. im Militär) bereits in den vorherigen Jahrhunderten dokumentiert wurde, rückt es erst in den letzten Jahren verstärkt ins gesellschaftliche Bewusstsein. Die Erhaltung beziehungsweise Steigerung der Leistungsfähigkeit im Beruf kann eine wichtige Motivation für die Einnahme entsprechender Arzneimittel sein, doch inwieweit werden wir in unserer praktischen Tätigkeit mit Fällen konfrontiert – etwa im Vergleich zu Alkoholismus oder Drogenmissbrauch?

Die Relevanz von Neuroenhancement am Arbeitsplatz lässt sich nur schwer fassen. Zum einen können Prävalenzen über die Verbreitung von Neuroenhancement in der Arbeitswelt aufgrund von unterschiedlichen Fragestellungen und untersuchten Kollektiven nur eingeschränkt verglichen werden. Zum anderen ist die ethische Bewertung ein wichtiger Aspekt für die Erforschung der Verbreitung. Die Einnahme psychotrop wirkender Substanzen bewegt sich in
einer gesellschaftlichen Grauzone und der soziale Druck, durch die Einnahme Leistung zu erhalten oder zu steigern, kann hoch sein, während die Risiken für die Gesundheit als vermeintlich gering eingeschätzt werden. Diese vielschichtigen Aspekte von Neuro­enhancement werden auch in einem Experteninterview mit Frau Tanja Veselinović adressiert.

Fakt ist, ein solch sensibles Thema, das in der Gesellschaft durchaus negativ diskutiert wird, ist selbst bei anonymen Umfragen schwer ohne Verzerrungen messbar. Auf diesen Sensibilitätsaspekt geht
Pavel Dietz in einem praxisnahen Beitrag näher ein. Er zeigt eine Möglichkeit auf, wie man über indirekte Befragungsmethoden möglichst verzerrungsfrei wahre Aussagen von Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmern über die Prävalenz von beispielsweise Neuroenhancement bekommt. Diese Befragungstechniken geben nämlich den Personen die absolute Sicherheit, dass niemand durch ihre individuelle Antwort auf die Frage zurückschließen kann: ein spannendes Gedankenspiel mit effektiven Ausgang!

Zuvor gibt in einem ersten Praxisbeitrag Bernhard Engel einen weiten Überblick über das Wissen und den Praxisstand zum Thema Neuroenhancement. Dazu gehören neben den in Deutschland vorhandenen Daten zur Prävalenz auch mögliche Risikogruppen oder Berufsgruppen, die im besonderen Zusammenhang zu Neuroenhancement stehen. Wichtig für die Praxis ist neben dem Hintergrundwissen jedoch auch das Aufzeigen von Möglichkeiten für das Screening auf Neuroenhancement oder die Ansätze in der betrieblichen Prävention.

Auch im Wissenschaftsteil beschäftigt sich ein Beitrag mit Neuroenhancement bei Studierenden. Petra Gaum et al. untersuchen in einer längsschnittlichen Studie Neuroenhancement unter Medizinstudierenden in Nordrhein-Westfalen. Dabei werden studienbedingte psychische Belastungen als möglicher Auslöser für Neuroenhancement untersucht und in Zusammenhang mit Depressivität gebracht.

Ich hoffe, dass Sie als Leserin oder Leser sich durch diese Beiträge für das Thema „Neuroenhancement“ sensibilisieren lassen. Vielleicht motivieren die Beiträge Sie in Zukunft, in Ihrer täglichen Praxis gezielt in Unternehmen oder bei Beschäftigten unter dem Präventionsaspekt nachzufragen, ob der Druck für eine substanzinduzierte Leistungssteigerung vorhanden ist. So können Sie prüfen, ob Sie zielgerichtet informieren und hinsichtlich Handlungsalternativen beraten können. Die Forschung über langfristige Folgen und Risiken des Neuroenhancements steht noch in den Anfängen und wird hoffentlich in diesem Jahrhundert soweit voranschreiten, dass Ihre Beratungsleistung noch fundierter ausfallen kann.

Ihre Jessica Lang

Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Uniklinik Aachen