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SCHWERPUNKT | Der Zauberlehrling muss nun Meister werden

Arbeiten in der digitalen Welt

„Hat der alte Hexenmeister sich doch einmal wegbegeben! Und nun sollen seine Geister auch nach meinem Willen leben.“

In der 1797 entstandenen Ballade lässt Goethe den anfänglichen Machtrausch des Zauberlehrlings bald in Angst und Verzweiflung umschlagen. „Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los.“ Erst der zu Hilfe gerufene Meister kann die Situation retten. „In die Ecke, Besen, Besen! Seids gewesen. Denn als Geister ruft euch nur zu seinem Zwecke, erst hervor der alte Meister.“

Erfordert die Digitale Transformation nicht einen vergleichbaren Lernprozess: vom Lehrling zum Meister? Die technische Seite der Digitalisierung hat einen ungebremsten Beschleunigungsprozess. Unser kultureller Umgang damit verläuft in den menschlichen Dimensionen des Lernens und hinkt bedrohlich hinterher. Social Media und digitale Kommunikation ermöglichen bisher ungeahnte Verbreitung und Durchdringung. Die hinterletzten Ecken der Welt werden digital erschlossen und erreicht. Der Entwicklungsschub katapultiert traditionelle Lagerfeuer-Erzählkulturen in Regionen der Dritten Welt direkt ins Internet zu Google und Facebook. Was bedeutet das für diese Gesellschaften? Was bedeutet es für unsere europäisch gewachsene Kultur? Ergeben sich nicht wunderbare Möglichkeiten, Werte wie die Menschenrechte überall zu verbreiten und damit einen globalen Demokratisierungs- und Befreiungsprozess einzuleiten? Welch’ schöne Visionen!

Werden die Geister so funktionieren? Oder sich gleichsam entfesseln wie in der Ballade des Zauberlehrlings und den Menschen in Angst und Verzweiflung bringen, ihn am Ende gar beherrschen? Es braucht eben eine Meisterschaft, um die Geister zu bändigen. Um es mit Sascha Lobo, einem deutschen Blogger, zu sagen: Wir haben „die wunderbare und zugleich lästige Pflicht, die Digitalisierung zu gestalten“, d. h. uns vom Lehrling zum Meister zu entwickeln.

Digitale Balance statt Digital Detox

Den digitalen Transformationsprozess in den Unternehmen nimmt Astrid Jansen in den Fokus. Bewährte Führungsinstrumente werden in Frage gestellt, Verunsicherung angesichts der Entgrenzung von Arbeitszeit und Arbeitsort sowie zunehmender Komplexität greifen um sich. Die Autorin zeigt an Beispielen aus der betrieblichen Praxis, wie mit neuen Denkmodellen und Mut zur Selbstreflexion dieser Wandel zu beherrschen ist.

Sabine Schonert-Hirz berichtet aus ihrer Beratungspraxis als Stresscoach sowie den Ergebnissen ihrer neuen Studie zu digitalem Stress. Sie beschreibt die Neurobiologie der „digitalen Sogwirkung“. Wie behalten wir die Oberhand und schützen uns vor gesundheitsschädlichen Gewohnheiten? Wie entwickeln wir eine gesunde Selbstdisziplin?

Bei geschwächter oder fehlender Souveränität, so warnt schließlich Manfred Nelting, der Gründer der Gezeiten Haus Kliniken, kann es zu Dysbalancen und Krankheit kommen. Die Basis für eine stabile Medienresilienz muss schon früh gelegt und weiterentwickelt werden.

Mehr als Netiquette im Betrieb

Im Interview diskutieren Petra Müller-Knöß, IG Metall-Expertin für Gesundheitsschutz, und Sascha Stowasser, Direktor des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft, über die Digitalisierung in den Unternehmen. Es geht um mehr als interne betriebliche Regelungen zur Nutzung der Digitalisierung: Stress in der Online-Welt, Allzeit-Verfügbarkeit und die Beschleunigung von Abläufen stellen nie gekannte Herausforderungen an alle, die mit den Neuen Medien umgehen. Der digitale Transformationsprozess braucht, so Sascha Stowasser, eine begleitende ethische Diskussion. „Spätestens bei der Diskussion zur Künstlichen Intelligenz muss uns klarwerden, dass wir wegweisende Technologien für die zukünftigen Generationen der Menschheit in Gang setzen.“

Petra Müller-Knöß erwartet, dass digitale Arbeitsmittel die Arbeit humaner und gesundheitsförderlicher machen können. Dazu sind die Rahmenbedingungen allerdings anders zu gestalten. „Präventiver Arbeitsschutz muss die Verhältnisse, unter denen gearbeitet wird, in den Blick nehmen. Es reicht nicht, darüber nachzudenken, wie Beschäftigte stark gemacht werden können für den Umgang mit digitalen Arbeitsmitteln.“

„Die ich rief, die Geister“ müssen wir als Meister lernen zu beherrschen. – Vom Zauberlehrling zum Hexenmeister!

    Autorin

    Dr. med. Ulrike Hein-Rusinek

    Head of Occupational Health

    E.ON SE, CoC HSSE

    Brüsseler Platz 1

    45131 Essen

    ulrike.hein-rusinek@eon.com

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