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Der Klimawandel – Eine ­Herausforderung für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin

Wenn wir mit offenen Augen durch die Natur gehen oder einen kurzen Blick ins Internet werfen: Überall sehen wir uns bereits heute mit den massiven Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert. Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes war der März 2023 in Deutschland im Vergleich zum langjährigen Mittel von 1881 bis 1910 um 3,02 Grad Celsius wärmer. Global gesehen waren es „nur“ 1,58 Grad. Wir könnten uns jeden beliebigen Monat in den letzten Jahren anschauen – es ergäben sich ähnliche Werte. Auch der globale Meeresspiegel ist durch die Volumenerhöhung infolge der Wassererwärmung und des rapiden Abschmelzens von Gletschern und Eisschilden seit 1993 im Durchschnitt bereits um 10,7 cm angestiegen. Inzwischen ist nun auch vielen – aber längst nicht allen – Menschen klar, dass es sich hierbei nicht mehr „nur“ um einen langsam voranschreitenden Prozess handelt, sondern dass wir mitten in einer sich rapide entwickelnden Klimakrise stecken.

Es ist bekannt, dass CO2 und Methan (CH4) die beiden wichtigsten Treiber des anthropogenen Klimawandels sind. Damit unsere Kinder und Enkel noch in einer halbwegs lebenswerten Welt heranwachsen können, müssen diese Emissionen daher so schnell wie möglich drastisch reduziert werden. Allerdings steigen die CO2- und Methan-Emissionen weltweit noch immer an. Selbst die westlichen Länder, die sich verpflichtet haben, den Ausstoß von klimaschädlichen Gasen bis spätestens zur Jahrhundertmitte im Vergleich zu 1990 um 100 % zu reduzieren, hinken weit hinter ihren Zielen her. Zwar reden viele noch immer vom 1,5-Grad-Ziel einer globalen Erwärmung. Den Fachleuten ist jedoch schon längst klar, dass dieses Ziel nicht mehr zu erreichen ist. Nach den Forschenden des Global Carbon Projects hätte die Menschheit hierfür nur noch neun Jahre zur Verfügung, wenn sich die Emissionen so weiterentwickeln wie 2022. Deutschland hat sich bereits deutlich stärker erwärmt als der globale Durchschnitt (2020 im Durchschnitt 1,6 Grad im Vergleich zum Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881). Bezogen auf das Jahrzehnt 2011 bis 2020 sind es sogar etwa zwei Grad mehr als im globalen Durchschnitt. Wenn nicht umgehend und weltweit drastische Maßnahmen ergriffen werden, steuert die Welt nach Angaben von Right. Based on Science auf einen durchschnittlichen Anstieg der Temperaturen bis 2100 von 3,1 Grad zu. Für Deutschland wird ein Anstieg um 4,4 Grad vorhergesagt. Wie dramatisch anders eine um 4 Grad wärmere Welt aussähe, beschreibt der folgende Beitrag zum Klimawandel und seinen Folgen.

Der Menschheit muss klar sein: Der Klimawandel ist nicht mehr rückgängig zu machen. Aber es kann noch immer verhindert werden, dass er die Erde und ihre Ökosysteme so stark verändert, dass viele Lebewesen dies nicht überleben und weite Teile der Welt auch für den Menschen unbewohnbar werden. Zudem müssen wir uns so schnell wie möglich an die bereits bestehenden und zu erwartenden Folgen des Klimawandels anpassen. Dies gilt natürlich auch für die gesundheitlichen Klimawandelfolgen. Nach einer Umfrage aus dem Jahr 2020 wären knapp drei Viertel der Bevölkerung in Deutschland bereit, ihr persönliches Verhalten zu ändern, um Umwelt und Klima zu schützen. Die heftigen Diskussionen um das im Frühjahr 2023 geplante Gebäudeenergiegesetz (GEG) Erneuerbares Heizen, zeigen jedoch, dass theoretische Zustimmung und praktische Umsetzung hier noch weit auseinandergehen. Dabei wird auch deutlich, dass die Menschen aus evolutionärer Sicht nicht darauf vorbereitet sind, Vorgänge zu verstehen, die einen exponentiellen Verlauf nehmen, beziehungsweise mit Zeithorizonten zu rechnen, die über unser eigenes Leben hinausgehen.

Umso wichtiger ist es, dass Fachleute – etwa aus den Bereichen der Umwelt-, Sozial- und Arbeitsmedizin – dies verstehen und in ihre Strategieentwicklung miteinbeziehen. Dieses Heft widmet sich daher den drängenden Problemen, die unter der Überschrift „Klimawandel und Gesundheit“ zusammengefasst sind. Welche große Rolle Public-Health-Maßnahmen bei der Anpassung der städtischen Infrastruktur an den Klimawandel spielen können, zeigt der Artikel von Lotte Habermann-Horstmeier (Villingen Institute of Public Health) und Veronika Huber (Ludwig-Maximilians-Universität und Helmholtz Zentrum München). Oskar Masztalerz (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen) und Henrika Kleineberg-Massuthe (Charité Berlin) betonen in ihrem interessanten Übersichtsartikel, wie stark die Gesundheit der Menschen von der Gesundheit der Ökosysteme weltweit abhängt und wie die ambulante Gesundheitsversorgung Patientinnen und Patienten vor den Risiken globaler Umweltveränderungen schützen und gleichzeitig selbst möglichst wenig zu diesen gesundheitsgefährdenden Umweltveränderungen beitragen kann. Inzwischen ist bekannt, dass nicht alle vom Klimawandel in gleichem Maße betroffen ist. Besonders vulnerabel – insbesondere in Bezug auf Hitzeereignisse – sind ganz junge und ganz alte Menschen sowie Kranke und Menschen mit Behinderung. Alexandra Schneider (Institut für Epidemiologie, Helmholtz Zentrum München) und ihre Mitautorinnen von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) stellen daher in ihrem Beitrag das Thema „Klimawandel und Krankenhaus“ vor, indem sie auf die Risiken und Potenziale des Klimaschutzes in diesem Bereich eingehen. Lotte Habermann-Horstmeier (Villingen Institute of Public Health) beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit den Klimawandelfolgen in Alten- beziehungsweise Behinderteneinrichtungen, während Sophia Thomas und Helena Erlbeck (Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV) sowie Georg Nottelmann (Unfallkasse Nordrhein-Westfalen) die Herausforderungen des Klimawandels für Kindertageseinrichtungen beschreiben. Der Praxisteil schließt mit der Vorstellung des Klima-LIMETTE-Projekts, einer Lehrveranstaltung mit Simulationsszenarien, die von der studentischen Gruppe „Health for Future“ (HFF) um Kyra Lilier und Rebecca Seifert an der Medizinischen Fakultät der Universität Münster entwickelt wurde.

Wie wichtig solche Projekte sind und wie wenig sich die Lehre an medizinischen Fakultäten in Deutschland bisher mit dem Thema „Planetary Health“ beziehungsweise „Klimawandel und Gesundheit“ beschäftigt, zeigt der Originalartikel von Eva-Maria Schwienhorst-Stich und ihrer Arbeitsgruppe „Klima und Planetare Gesundheit“ an der Universität Würzburg. Welche Inhalte zum Thema „Klimawandel und Gesundheit“ an Universitäten und Hochschulen nach Ansicht von Expertinnen und Experten heute vermittelt werden sollten, stellt Lotte Habermann-Horstmeier (Villingen Institute of Public Health) anschließend in ihrem Originalbeitrag vor.

Den Autorinnen und Autoren dieses Schwerpunktheftes ist bewusst, dass sie damit nicht das gesamte Spektrum der für die Bereiche Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin wichtigen Gebiete im Themenbereich „Klimawandel und Gesundheit“ abdecken. Daher werden auch in Zukunft noch andere Themen im Rahmen einer kleinen ASU-Reihe angesprochen. So ist zum Beispiel geplant, auf (klima-)resiliente Gesundheitseinrichtungen einzugehen. Weitere Beiträge werden die Themenbereiche „Klimawandel und … Betriebliche Gesundheitsförderung, Infektionskrankheiten, Allergien, Schwangerschaft bzw. Pflege“ aufgreifen. Auch die klimaspezifische Gesundheitskompetenz wird ein Thema sein.

Wir hoffen, dass dieser kleine Ausblick Ihr Interesse geweckt hat und stehen Ihnen natürlich gerne bei Fragen zu den von uns vertretenen Themengebieten zur Verfügung.

Ihre

Lotte Habermann-Horstmeier

Villingen-Schwenningen

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