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Mensch-Roboter-Kooperation in der Praxis

Kooperation, Kollaboration und Interaktion zwischen Mensch und Roboter stellen derzeit in der Forschung und Industrie ein vielbeachtetes Thema dar. Getrieben durch zunehmend individuelle Kundenwünsche und fortschreitende Optimierungsmaßnahmen werden innovative und flexible Produktionskonzepte wie die Mensch-Roboter-Kooperation (MRK) entwickelt, um den neuen Herausforderungen im Produktionsumfeld zu begegnen. Hierbei wird sich die ermüdungsfreie Arbeit und Präzision des Roboters zunutze gemacht, ohne dabei auf die feinmotorischen und kognitiven Fähigkeiten des Menschen zu verzichten.

Einsatz der MRK

Viele Forschungsarbeiten im Themenfeld MRK konzentrieren sich auf die Unterstützung des Menschen zur Entlastung bei manuellen Tätigkeiten und dem Erreichen einer sicheren MRK in solch einem Szenario. So werden Roboter zum Beispiel zur Entlastung des Menschen bei repetitiven Tätigkeiten und der Handhabung schwerer Lasten eingesetzt. Beispiele hierfür sind die Klebstoffapplikation auf das CFK-Autodach bei der Audi AG oder die Unterstützung bei der Vorderachsgetriebemontage bei der BMW AG (Schmidt 2017). Ein weiterer Bereich, in dem Roboter zum Einsatz kommen, ist der Pflegebereich. Anwendungsfälle sind hier beispielsweise der Einsatz des Roboters Care-O-bot 4 zur Unterstützung im häuslichen Bereich. Zu den Aufgaben des Care-O-bot gehören unter anderem das Servieren von Lebensmitteln und das Bereitstellen von Informationen mittels eines eingebauten Displays.

Sicherheit durch MRK

Bei all diesen Anwendungsfällen hat natürlich die Arbeitssicherheit bei der Interaktion, Kooperation oder Kollaboration mit dem Roboter oberste Priorität. Durch die Aufhebung der Trennung der Arbeitsbereiche von Mensch und Roboter müssen für die Gewährleistung des Arbeitsschutzes geeignete Sicherheitsmechanismen implementiert werden. Bei der Umsetzung neuer MRK-Systeme sind diverse Richtlinien und Normen zu beachten. Dazu gehören insbesondere für die Sicherheitsanforderungen an Industrieroboter die DIN EN ISO 10218 Teil 1 (Roboter) und Teil 2 (Robotersysteme und Integration) sowie explizit für kollaborierende Roboter die Spezifikation ISO/TS 15066, die unter anderem Grenzwerte für maximale Kräfte festlegt.

Entgegen den üblichen Einsatzszenarien von MRK für Arbeitstätigkeiten lassen sich auch große Potenziale für die direkte Schaffung von Arbeitssicherheit erkennen, z.B. durch den Einsatz von teleoperierten Roboterplattformen. Hierdurch entsteht wieder eine räumliche Trennung von Mensch und Gefahrzone, in der ein durch den Menschen teleoperierter Roboter als verlängerter Arm des Menschen dient. Durch diese Trennung wird der Mensch vor der Gefahrenquelle geschützt und kann aus sicherer Distanz agieren. Dieses Prinzip kommt zum Beispiel im durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt DURCHBLICK zum Einsatz. Zur Untersuchung herrenloser Gepäckstücke an Bahnhöfen oder Flughäfen werden Roboter mit entsprechender Sensorik zur Unterstützung bei der Detektion von Sprengvorrichtungen herangezogen und minimieren somit das Gefährdungspotenzial für den Menschen (Kwee-Meier et al. 2018).

Auch beim Umgang mit radioaktiv verstrahlten Stoffen kann die MRK zum Arbeitsschutz beitragen. Marturi et al. (2016) untersuchen die Teleoperation eines Roboters, der nach der Abschaltung eines Atomkraftwerks bei der Handhabung von Atommüll und dem Abbau nuklearer Anlagen zum Einsatz kommt. Eine Herausforderung ist dabei das komplexe Aufgabenspektrum an Tätigkeiten, die durch Teleoperation durchgeführt werden müssen.

Neue Einsatzmöglichkeiten

Allerdings existieren insbesondere im Umgang mit Gefahrstoffen auch Tätigkeiten, die derzeit noch größtenteils manuell durchgeführt werden. So werden in naturwissenschaftlichen Laboratorien bei Experimenten entstehende Gase durch Abzüge abgesaugt. Hier findet durch ein Schiebefenster nur bedingt eine räumliche Trennung statt, da dieses nicht zu jedem Schritt des Experiments komplett geschlossen sein kann. Des Weiteren gibt es viele Experimente bzw. Produktionsschritte beispielsweise von Halogenlampen oder in der Batterieforschung, die in so genannten Gloveboxes (auch Isolatoren genannt) durchgeführt werden müssen. Gründe hierfür liegen in der Trennung von Gefahrstoffen, dem Bedarf an kontrollierten Druckverhältnissen oder der Reinheit der Luft. Somit liegt hier eine räumliche Trennung vor: Nur durch fest installierte abgedichtete Handschuhe kann der Mensch mit den Materialien innerhalb der Glovebox interagieren.

Allerdings können auch diese Methoden Unfälle und Fehlbedienungen nicht vollständig vermeiden. So kann es zum Beispiel bei Explosionen trotz des Abzugs zu Schnittwunden und Verbrennungen kommen (Al-Dahhan et al. 2017). Auch bei der Verwendung von Gloveboxes kommt es immer wieder zu Unfällen. Allspaw et al. (2018), die den Einsatz von teleoperierten Robotern in Gloveboxes untersuchen, und Tsuji et al. (2015), die eine auf EMG basierende Gestensteuerung für einen teleoperierten Roboter in der Glovebox entwickelten, sind nur einige Beispiele für den Einsatz von MRK in diesem Bereich, um die Arbeitssicherheit zu erhöhen und das Gefährdungspotenzial zu minimieren.

MRK-Plattform CoWorkAs

Am Lehrstuhl und Institut für Arbeitswissenschaft der RWTH Aachen University werden unter anderem die Möglichkeiten der MRK zur Steigerung der Arbeitssicherheit erforscht. Hierzu wurde der MRK-Arbeitsplatz Collaborative Workplace for Assembly (CoWorkAs,  Abb. 1) aufgebaut, der als Forschungsplattform für verschiedenste Anwendungsszenarien und Interaktionskonzepte dient (Petruck et al. 2018). Der Arbeitsplatz ist gekennzeichnet durch den Einsatz eines hängend montierten Leichtbauroboters in Kombination mit zwei Linearachsen, wodurch ein sehr großer Arbeitsraum abgedeckt werden kann. Der Arbeitsbereich kann je nach Anwendung flexibel gestaltet werden. So lassen sich unterschiedlichste Anwendungsszenarien, Interaktions- und Arbeitssicherheitskonzepte erproben.

Die implementierten Interaktionskonzepte umfassen bei der Montageassistenz sowohl direkte Interaktionen zwischen Mensch und Roboter als auch indirekte Interaktionen und Steuermodi zur Teleoperation. Zielsetzung ist neben der ergonomischen Gestaltung der Interaktion auch eine Übertragbarkeit der Konzepte auf Tätigkeiten in anderen Bereichen wie beispielsweise der teleoperierten Handhabung von Gefahrstoffen.

Erforschung neuer Interaktionskonzepte

Anhand des Arbeitsplatzes CoWorkAs können aber auch neuartige Interaktionskonzepte hinsichtlich ihrer Machbarkeit, Sicherheit, Performance sowie Gebrauchstauglichkeit und Akzeptanz untersucht werden. Dabei soll intelligente Sensorik zu jeder Zeit den Schutz der Arbeitsperson gewährleisten. So bietet CoWorkAs bereits inhärente Konzepte, die ihrerseits zur Arbeitssicherheit beitragen. Die Geschwindigkeit des Roboters wird beispielsweise in Abhängigkeit der Distanz des Menschen zum Roboter dynamisch angepasst, so dass es in der Nähe des Menschen zu keinen schnellen Roboterbewegungen kommt. Somit wird das Gefahrenpotenzial durch Zusammenstöße reduziert.

Durch den Einsatz von ungefährlichen Ersatzstoffen können industrierelevante Szenarien im Sinne einer Proof-of-Concept-Lösung realisiert und erprobt werden. Das Interaktionskonzept sollte zugleich intuitiv, robust gegen Fehlbedienung und zuverlässig sein. Gerade die Arbeit an Gloveboxes oder Abzügen, die durch einen hohen Grad an Feinmotorik charakterisiert ist, stellt dabei eine Herausforderung dar. Auch wenn der Mensch durch die räumliche Trennung geschützt ist, sollten Zwischenfälle im geschützten Bereich durch eine Fehlfunktion oder ungenaue Steuerung des Roboters vermieden werden. Somit kann CoWorkAs durch die Entwicklung und Untersuchung dieser Interaktionskonzepte einen Beitrag für die Erweiterung des Arbeitsschutzes im Umgang mit Gefahrstoffen durch MRK leisten.

Literatur

Allspaw J et al.: Remotely teleoperating a humanoid robot to perform fine motor tasks with virtual reality. Proceedings of the 1st International Workshop on Virtual, Augmented, and Mixed Reality for HRI (VAM-HRI), 2018

Kwee-Meier S et al.: Management von Gefahrenlagen: Die digitalisierte Arbeitswelt von Einsatzkräften und Herausforderungen für die Gestaltung von Mensch-Maschine-Schnittstellen. ARBEIT(S).WISSEN.SCHAF(F)T Grundlage für Management & Kompetenzentwicklung: Dokumentation des 64. Arbeitswissenschaftlichen Kongresses, 2018

Marturi N et al.: Towards advanced robotic manipulation for nuclear decommissioning: a pilot study on tele-operation and autonomy. IEEE International Conference on Robotics and Automation for Humanitarian Applications (RAHA), S. 1-8, 2016

Petruck H et al.: Mensch-Roboter-Kollaboration in der manuellen Montage – Der Arbeitsplatz der Zukunft. ARBEIT(S).WISSEN.SCHAF(F)T Grundlage für Management & Kompetenzentwicklung : Dokumentation des 64. Arbeitswissenschaftlichen Kongresses, 2018

Schmidt J: MRK-Lösung beim Automobilhersteller. VDI-Z 2017, 159(4):46-47

Tsuji T, Shibanoki T, Shima K: EMG-based control of a multi-joint robot for operating a glovebox. Handbook of Research on Advancements in Robotics and Mechatronics, IGI Global, S. 36-52

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

    Koautoren

    Mitautoren des Beitrags sind Marco Faber, Alexander Mertens, Christopher Brandl und Verena Nitsch.

    Weitere Infos

    Al-Dahhan W, Ali A, Yousif E: Lack of maintenance in a chemical laboratory has almost caused an accident (Open Access). J Chemistry 2017; 1: 63–66

    www.sryahwapublications.com/open-access-journal-of-chemistry/pdf/v1-i1/9.pdf

    Institut für Arbeitswissenschaft der RWTH Aachen: Mensch-Roboter-Kollaboration

    https://www.iaw-aachen.de/index.php/de/MRK.html

    Für die Autoren

    Henning Petruck, M.Sc.

    Lehrstuhl und Institut für Arbeitswissenschaft

    der RWTH Aachen University

    Bergdriesch 27

    52062 Aachen

    h.petruck@iaw.rwth-aachen.de

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