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Unfallversicherungsschutz im Zu­sammenhang mit Corona-Schnelltests

Accident Insurance Coverage in the Context of Corona Rapid Tests

Urteil des SG Frankfurt (Oder) vom 25.03.2022 – S 10 U 108/21 –

Tatbestand

Die Klägerin begehrte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls. Sie ist gelernte Elek­tronikfacharbeiterin und war Ingenieurin im Bereich Risikomanagement. Am 04.05.2021 nahm die Klägerin gegen 6:00 Uhr morgens ihre Tätigkeit in ihrem Büro auf. Gegen 6:50 Uhr begab sie sich auf den Weg in das ca. 60 m entfernte, ebenfalls auf dem Betriebsgelände gelegene Bürogebäude des Betriebsarztes, um dort einen freiwilligen Corona-Schnelltest, der den Mitarbeitern1 des Unternehmens zu diesem Zeitpunkt seitens des Arbeitgebers zweimal wöchentlich kostenfrei angeboten wurde, durch die Betriebsärztin durchführen zu lassen. Bei einem Sturz auf der Treppe zum betriebsmedizinischen Dienst zog sie sich eine dislozierte distale Radiusfraktur zu, die im Rahmen eines stationären Aufenthalts im Städtischen Krankenhaus mit einer Radiusplatte versorgt wurde.

Am 06.07.2021 teilte die zuständige Sicherheitsfachkraft des Arbeitgebers der Beklagten telefonisch mit, dass ein negativer Test am Unfalltag keine Voraussetzung für die Aufnahme der Tätigkeit der Klägerin gewesen sei. Durch Bescheid vom 07.07.2021 lehnte die Beklagte das Vorliegen eines Arbeitsunfalls daraufhin ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die freiwillige Teilnahme an einem Corona-Schnelltest sowie der damit verbundene notwendige Weg dem privaten Lebensbereich zuzurechnen seien und daher nicht unter Versicherungsschutz stünden. Es bestehe insofern kein enger sachlicher Zusammenhang mit der versicherten beruflichen Tätigkeit. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte zurück.

Mit ihrer Klage trägt die Klägerin vor, dass sie sich zu dem Test entschlossen habe, weil sie einerseits Risikopatientin sei und andererseits vor allen Dingen eine mögliche Ansteckung anderer Mitarbeiter habe ausschließen wollen. Hieraus sei ein betriebliches Interesse abzuleiten. Zudem habe der Test nur wenige Minuten gedauert, so dass von einer geringfügigen Unterbrechung der beruflichen Tätigkeit auszugehen sei. Dem stimmte das Sozialgericht im Ergebnis zu und bestätigte, dass die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Anerkennung des Ereignisses vom 04.05.2021 als Arbeitsunfall habe, da der Unfall nach Einschätzung der Kammer infolge der Ausübung einer versicherten Tätigkeit eingetreten sei.

Versicherte Tätigkeit

Versicherte Tätigkeit im Zusammenhang mit dem kraft Gesetzes bestehenden Versicherungsschutz als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII sei grundsätzlich jede dem Unternehmen zu dienen bestimmte Tätigkeit. Nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stünden hingegen dem Grunde nach private („eigenwirtschaftliche“) Tätigkeiten, auch wenn diese während der eigentlichen Arbeitszeit ausgeführt und in diese eingeschoben würden. Entscheidend für die Abgrenzung sei jeweils die subjektive Handlungstendenz des Betroffenen. Die konkret zum Unfall führende, „unfallbringende“ Tätigkeit müsse dabei in einem sachlichen „inneren“ ursächlichen Zusammenhang mit der nach dem jeweiligen Arbeitsverhältnis geschuldeten versicherten Tätigkeit stehen.

Sachlicher Zusammenhang

In Anwendung dieser Grundsätze sei die Kammer davon überzeugt, dass die hier konkret zum Unfall führende Zurücklegung des Weges vom Büro zum betriebsärztlichen Dienst, die ausschließlich von der Handlungstendenz der Klägerin geprägt war, dort einen freiwilligen Corona-Schnelltest durchführen zu lassen, in einem hinreichenden inneren Zusammenhang mit der eigentlichen betrieblichen Tätigkeit der Klägerin stand. Die Kammer verkenne in diesem Zusammenhang nicht, dass Gesundheitsmaßnahmen, also Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit, wie zum Beispiel Untersuchungen, Impfungen oder die Besorgung von Medikamenten, grundsätzlich ausschließlich dem unversicherten, persönlichen Lebensbereich zuzurechnen sind.

Test ist Arbeitsschutzmaßnahme

Die Durchführung eines Corona-Schnelltests sei jedoch nicht als Gesundheitsmaßnahme in diesem Sinne anzusehen. Anders als die aufgeführten Maßnahmen habe ein solcher Test keine direkten Auswirkungen auf beziehungsweise keinen konkreten Nutzen für die Gesundheit der Testperson und insofern keinen ausschließlich eigenwirtschaftlichen Charakter. Denn dieser Test diene – anders als eine körperliche Untersuchung – auch nicht der Feststellung einer Erkrankung der Testperson, sondern vielmehr ausschließlich dem Nachweis einer bestehenden, gegebenenfalls vollständig symptomlosen Infektion. Zweck einer solchen Testung sei somit die Vermeidung der Ansteckung weiterer Personen und damit verbunden die Abwendung einer weiteren Ausbreitung der Corona-Pandemie.

Der Testung komme somit vornehmlich kein selbstschützender, sondern vielmehr ein drittschützender Charakter zu. Das Gericht verkenne in diesem Zusammenhang auch nicht, dass der Aspekt des Drittschutzes eines Corona-Tests grundsätzlich nicht allein auf den Schutz der Arbeitskollegen einer Testperson beschränkt sei, sondern vielmehr der Eindämmung der Pandemie im Hinblick auf die Allgemeinheit dienen solle. Vorliegend beruhe das Testangebot des Arbeitgebers jedoch nicht auf einer allgemeingültigen Corona-Schutzverordnung, sondern erfolgte konkret aufgrund der im Zeitraum vom 23.04.2021 bis zum 30.06.2021 geltenden Vorschrift des § 5 Abs. 1 der COVID-19-Arbeitsschutzverordnung 1/2021 (Corona-ArbSchV 1/2021), nach der der Arbeitgeber der Klägerin verpflichtet war, seinen Beschäftigten, soweit sie nicht ausschließlich in ihrer Wohnung arbeiteten, mindestens zweimal pro Kalenderwoche einen Corona-Test anzubieten.

Aufgabenübertragung nach ASiG

Die am Unfalltag von der Klägerin beabsichtigte Durchführung des Corona-Tests stelle hier somit eine Maßnahme des Arbeitsschutzes da, die in zulässiger Weise seitens des Arbeitgebers der Klägerin auf den betriebsärztlichen Dienst des Unternehmens übertragen worden war und somit gemäß § 3 des Arbeitssicherheitsgesetzes (ASiG) zu dessen Aufgaben gehörte. Die Betriebsärzte hätten insofern die gesetzliche Aufgabe, den Arbeitgeber beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung in allen Fragen des Gesundheitsschutzes zu unterstützen, § 3 Abs. 1 Satz 1 ASiG. Bei den nachfolgend in § 3 Abs. 1 Satz 2 ASiG ausdrücklich aufgeführten Tätigkeiten des Betriebsarztes handele es sich um einen nicht abschließenden Aufgabenkatalog, so dass die Übertragung weiterer Aufgaben durch den Arbeitgeber – hier die Durchführung der freiwilligen Corona-Testungen der Mitarbeiter – grundsätzlich möglich gewesen sei. Die Durchführung von derartigen, vom Unternehmer veranlassten Arbeitsschutzmaßnahmen, die nach dem ASiG zum Aufgabenbereich des Betriebsarztes gehörten, stehe grundsätzlich ohne Weiteres in einem betrieblichen Zusammenhang und damit bereits gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Verhütung von Versicherungsfällen

Dies gelte nach Auffassung der Kammer uneingeschränkt sowohl für die freiwillige Teilnahme an einer solchen Testung als auch für die Zurücklegung des zur Teilnahme notwendigen innerbetrieblichen Wegs. Da zudem unter bestimmten Voraussetzungen die Anerkennung einer im Zusammenhang mit einer versicherten Tätigkeit eingetretenen Corona-Infektion als Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII in Verbindung mit der Nr. 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) beziehungsweise als Arbeitsunfall nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII in Betracht komme, diene die Durchführung von Corona-Schnelltests im betrieblichen Kontext überdies der Verhütung des Eintritts dieser Versicherungsfälle und gehöre damit zu dem in § 14 Abs. 1 Satz 1 gesetzlich verankerten, umfassenden Präventionsauftrag der Beklagten.

Betriebsweg versichert

Selbst wenn man hier, der Rechtsauffassung der Beklagten folgend, zulasten der Klägerin annehmen würde, dass die Durchführung des Corona-Schnelltests an sich als eigenwirtschaftliche Handlung unversichert wäre, so hätte dies keinen Einfluss auf die Annahme des Vorliegens einer versicherten Tätigkeit zum Unfallzeitpunkt. Entscheidend sei, dass die Klägerin hier nicht erst während der Teilnahme an dem Corona-Test, sondern vielmehr bereits auf dem versicherten Betriebsweg dorthin verunfallt ist.

In Abgrenzung zu einem nach der Vorschrift des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII zu beurteilenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit, bei dem entweder der Ausgangs- oder Zielpunkt des Weges dem unversicherten, privaten Bereich außerhalb der Arbeitsstätte zuzuordnen ist, könnten die Wege, die vollständig innerhalb des Werksgeländes zurückgelegt werden, als Betriebsweg gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII unter Versicherungsschutz stehen. Voraussetzung für die Annahme eines derartigen versicherten Betriebsweges sei, dass der Weg in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werde, Teil der versicherten Tätigkeit sei und damit der Betriebsarbeit gleichstehe. Dafür reiche es nach der für die Kammer maßgeblichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für die Herstellung eines ausreichenden betrieblichen Interesses im Einzelfall bereits aus, dass ein Beschäftigter einen Weg auf dem Werkgelände zurücklegt, um im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Arbeitszeit eine besondere betriebliche Einrichtung aufzusuchen, die der Arbeitgeber aus organisatorischen Gründen auf seinem Betriebsgelände eingerichtet habe, um seinen Mitarbeitern die Erfordernis des Aufsuchens außerhalb des Betriebsgeländes befindlicher, entsprechender Stellen während der Arbeitszeit zu ersparen und ihnen hierdurch eine reibungslose Weiterarbeit durch ein Verbleiben auf dem Werksgelände zu ermöglichen.

Organisatorische Gründe für ­Wegeschutz

Nach dieser Rechtsprechung stehe sogar der Weg eines Beschäftigten zu einer vom Arbeitgeber eingerichteten Werksambulanz, um sich dort wegen eines nicht durch einen Arbeitsunfall bedingten Leidens – und damit aus rein privaten Gründen – behandeln zu lassen, bereits aus organisatorischen Gründen unter Versicherungsschutz. Diese nachvollziehbaren rechtlichen Erwägungen des Bundessozialgerichts seien nach Einschätzung der Kammer vollumfänglich auf den hier zur Entscheidung stehenden Sachverhalt anzuwenden. Genauso wie die Einrichtung einer eigenen Werksambulanz, diene auch die Einrichtung eines eigenen betriebsärztlichen Dienstes, beziehungsweise zumindest die hier erfolgte Übertragung der Durchführung der freiwilligen Corona-Schnelltests auf den werkseigenen Betriebsarzt, bereits nach objektiven Gesichtspunkten der reibungslosen innerbetrieblichen Umsetzung der sich diesbezüglich aus §5 Abs. 1 Corona-ArbSchV 1/2021 ergebenden Verpflichtung des Arbeitgebers.

Die Mitarbeiter des Unternehmens – und insbesondere auch die Klägerin – konnten dementsprechend das an sie gerichtete Testangebot ohne weiteres während der Arbeitszeit wahrnehmen, ohne hierzu den organisatorischen Bereich des Werksgeländes verlassen zu müssen. Allein durch die hierdurch angefallene Zeitersparnis im Hinblick auf die Arbeitszeit, sei ein hinreichender unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang mit der versicherten betrieblichen Tätigkeit gegeben. Auch die Klägerin habe insofern im Rahmen der mündlichen Verhandlung selbst nachvollziehbar dargelegt, dass sie das betriebliche Testangebot immer dann genutzt habe, wenn sie außerhalb ihres Gebäudes zu tun hatte. Neben dem organisatorischen Zusammenhang bestünde zudem ein immenses wirtschaftliches Interesse des Arbeitgebers an der Durchführung der Corona-Schnelltest, da man hierdurch möglicherweise auftretende innerbetriebliche Infektionsketten frühzeitig hätte erkennen und unterbrechen können, um somit die Aufrechterhaltung des Betriebs in besonderen Pandemiezeiten zu gewährleisten. Auch aus diesem Umstand folge die Annahme einer versicherten Tätigkeit zum Unfallzeitpunkt.

Da sich der Unfall der Klägerin zudem in örtlicher Hinsicht bereits auf der Außentreppe des Gebäudes des betriebsärztlichen Dienstes und damit vor dem Durchschreiten der Eingangstür ereignete, sei der versicherte Betriebsweg zum Unfallzeitpunkt noch nicht beendet gewesen. Nach der auch auf den vorliegenden Fall anwendbaren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ende der Weg zur Werksambulanz – und damit auch der hier zurückgelegte Weg zum Betriebsarzt – nicht schon mit dem (hier noch nicht erfolgten) Durchschreiten der Außentür des Gebäudes, in dem sich die Ambulanz beziehungsweise die Räumlichkeiten des Betriebsarztes befinden, sondern erst mit dem Durchschreiten der jeweiligen Tür des Behandlungszimmers.

Letztlich stelle die seitens der Klägerin durchgeführte Verrichtung der versicherten Zurücklegung des Betriebswegs auch ohne weiteres die rechtlich allein wesentliche Ursache für den Eintritt des Unfallereignisses dar. Andere konkurrierende Ursachen für den Eintritt des Unfalls aus dem privaten, unversicherten Lebensbereich seien insofern weder vorgetragen noch aus den Gesamtumständen ansatzweise ersichtlich.

Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

doi:10.17147/asu-1-250946

Kontakt

Reinhard Holtstraeter
Rechtsanwalt; Lorichsstraße 17; 22307 Hamburg

Foto: privat

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