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19. bis 21. September 2016, Bergische Universität Wuppertal

Internationale, interdisziplinäre Konferenz zu Arbeit, Alter, Gesundheit und Erwerbsteilhabe (WAHE 2016)

Die Bergische Universität am Campus Freudenberg hatte im Auftrag der International Commission on Occupational Health (IOCH) geladen. In Kooperation mit dem Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB) Nürnberg organisierte der Lehrstuhl für Arbeitswissenschaft der BUW unter der Leitung von Prof. Dr. Hans Martin Hasselhorn über drei Tage die englischsprachige, internationale Konferenz.

Um es vorneweg zu sagen: Eine einheitliche Lösung und Losung kann es nicht geben, aber ein intensiver Austausch unter Experten kann Tendenzen aufzeigen und Signale für die Gesundheits-, Wirtschafts- und Sozialpolitik geben.

Müssen wir alle länger arbeiten?

In den nächsten Jahren tritt EU-weit ein Anwachsen des Anteils der älteren Arbeitnehmer ein, während parallel ein Fachkräftemangel auftreten wird. Die geburtenstarken Jahrgänge rücken in die Altersgruppe der über 50-Jährigen vor. Prognosen zufolge wird der Anteil dieser Altersgruppe an der Erwerbsbevölkerung auf über 40% steigen. Zudem lässt sich seit einigen Jahren eine Zunahme der Erwerbsbeteiligung Älterer feststellen. Aber wie gut sind wir auf diesen Wechsel vorbereitet? Wie schaffen wir es, Menschen auch im höheren Alter mit Lust und Freude im Job zu halten? Gibt es Gender Unterschiede oder unterschiedliche Professionen, die länger „ihren Beruf stehen“? Was sind die Faktoren für ein frühes Ausscheiden aus der Erwerbstätigkeit? Wie wichtig sind frühe Interventionen am Arbeitsplatz oder in anderen Lebenswelten, um Menschen zufrieden und erfüllt auch im höheren Alter arbeiten zu lassen?

Obwohl die Deutschen immer älter werden, gehen sie wieder – nach Daten der Deutschen Rentenversicherung – früher in Rente. Das Eintrittsalter ist von 64,1 Jahren im Jahr 2014 auf 64,0 Jahre in 2015 gesunken. Zuvor war das Renteneintrittsalter – unter anderem durch die Anhebung der Altersgrenzen – kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2000 lag es noch bei 62,3 Jahren. 2014 hatte die große Koalition die Möglichkeit der abschlagsfreien Rente mit 63 für langjährige Beitragszahler geschaffen. Arbeitnehmer gehen seitdem verstärkt mit 63 Jahren in den Ruhestand.

Wenn wir alle länger leben, müssen wir auch länger arbeiten!

Doch können wir uns das langfristig überhaupt leisten? Wie sieht die Sicherung unserer Sozialsysteme aus? „Wenn wir alle länger leben, müssen wir auch länger arbeiten“, so eine Aussage der internationalen Konferenz. Gleichzeitig werden auch neue Medikamente und Innovationen im Gesundheitsbereich eingefordert, die unsere Sozialkassen zusätzlich belasten werden.

Und wie sieht es innerhalb der EU aus? Sind die Länder vergleichbar untereinander? Arbeit ist im ständigen Wechsel und globalisiert sich zunehmend. Gleichzeitig wächst der psychische Druck auf die Beschäftigten. Hat das auch Auswirkungen auf die Gesundheit der Arbeitnehmer? Laut einer dänischen Forschungsgruppe ist durch die Verschlechterung des psychosozialen Arbeitsumfeldes, eine Zunahme von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes zu beobachten. Weiterhin führen die Veränderungen der Rahmenbedingungen in der Arbeitswelt, wie unsichere prekäre Arbeitsverhältnisse, Zeitarbeitsverträge und ungewollte Teilzeitbeschäftigung, eher zu Depressionen.

Nach einer deutschen Arbeitsgruppe sind die Hauptgründe der Selbstständigen und besser Ausgebildeten, länger im Berufsleben zu bleiben, weniger die finanziellen Gründe, sondern die „weichen Faktoren“ wie Lebenszufriedenheit, Selbstbestätigung und körperliche Fitness. Andererseits spielen – nach einem englischen Forscherteam – sehr wohl finanzielle Gründe bei schlecht ausgebildeten Arbeitnehmern eine Rolle bei der Entscheidung, auch im höheren Alter erwerbstätig bleiben zu müssen.

Konsens bestand über die Wichtigkeit der Schaffung von „gesunden Arbeitsplätzen“ auch nach ergonomischen Gesichtspunkten innerhalb des Arbeitslebens, um Menschen auch nach dem Eintritt ins Rentenalter in Arbeit halten zu können. Dabei spielen auch betriebliche Gesundheitsförderungsprogramme und das „altersgerechte Arbeiten“ eine entscheidende Rolle. „Spezielle Weiterbildungsmaßnahmen für die älteren Beschäftigten und die Motivation zum lebenslangen Lernen, sollten ein Teil der Unternehmenskultur sein. Diese müssen jedoch frühzeitig einsetzen, um die Menschen erreichen zu können. Leider haben sich bisher nur wenige Unternehmen mit einer altersheterogenen Beschäftigungsstruktur beschäftigt“, so ein Teilnehmer.

Friedrich Engels hätte sich über den regen Expertenaustausch gefreut. Vor fast 200 Jahren war er Zeitzeuge der gesellschaftlichen Herausforderungen, ausgelöst durch die industriellen Veränderungen und den Beginn der Sozialversicherungen. So gab es im „Thale der Wupper“ eine hohe Kindersterblichkeit und eine große Anzahl von Invaliden. Kranken- und Rentenversicherungen waren noch nicht existent. Kinderarbeit war an der Tagesordnung und erst durch die Einführung der Schulpflicht durch die Preußen kam es zur Bildung der Bevölkerung, die vorher meist Analphabeten waren.

Lebenslange Bildung ist nach Ansicht der Experten wichtig für die Entscheidungsfreiheit, auch im fortgeschrittenen Alter selbstbestimmt und frei wählen zu können, wie sich der eigene Lebensabend gestalten lässt. Dafür müssen aber die Rahmenbedingungen aus der Politik geschaffen werden. Eine weitere flexible Gestaltung des Renteneintritts wäre notwendig, um aus einer Vielzahl der Möglichkeiten wählen zu können. Gleichzeitig muss auch ein Umdenken bei uns selbst stattfinden. Ältere Kollegen sind zu wertschätzen und die Ergebnisse des Arbeitsteams sind entscheidend. „Wir müssen beginnen, voneinander zu lernen“, so ein Kollege aus dem Senegal. „In meinem Land ist die demografische Struktur noch eine gänzlich andere. Wir haben viele Erwerbstätige im jüngeren und mittleren Alter. Auf uns wird die Entwicklung der Industrienationen noch zukommen“, so der Kollege.

Auch die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen wurden diskutiert. Familienstrukturen haben sich verändert und Arbeit ist nicht mehr für alle frei zugänglich. Entscheidend wird zunehmend der soziale Status, in den eine Person hineingeboren wird. Dies hat wiederum auch Auswirkungen auf die gesundheitliche Entwicklung des Individuums. Die Vergütung der Arbeit muss angemessen honoriert werden, um besonders alleinerziehenden Frauen die Altersarmut zu ersparen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt war die Grundaussage „Arbeit hält gesund“. Dahinter verbirgt sich die Tendenz, dass wir einen Paradigmenwechsel zu leisten haben. Vom „wir müssen arbeiten“ zum „wir wollen arbeiten“ benötigen wir noch einen regen gesellschaftlichen Austausch. Denn Arbeit findet in einer sozialen Interaktion statt und bedeutet auch, ein Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühl in einem kulturellen Raum der Identifikation zu erleben.

Wir brauchen den interdisziplinären Austausch!

Bedauert wurde einhellig das Fehlen noch weiterer Disziplinen wie Wirtschaftswissenschaftler, Theologen, Bildungsexperten und Wirtschaftsverbände auf dieser Konferenz.

„Wir können und müssen noch viel ändern und im engen Austausch miteinander sein. Dieser Kongress muss ein Startschuss für weitere Folgeveranstaltungen sein“, so der Gastgeber Prof. Hasselhorn. „Wir brauchen den interdisziplinären Austausch und müssen den weisen Blick zurück und nach vorne in die verlängerte Rentenzeit werfen“, schloss er die Veranstaltung ab.

Und Friedrich Engels hätte dem sicherlich zugestimmt.

    Info

    Dr. med. Kerstin Lepique ist als Haus- und Betriebsärztin in eigener Praxis in Wuppertal niedergelassen. Sie verfügt über die Zusatzqualifikationen Psychosomatische Grundversorgung, Suchtmedizin, Sportmedizin sowie über die Zusatzqualifikationen Naturheilverfahren und Akupunktur. Als Betriebsärztin betreut sie Unternehmen aus dem Bergischen Land (Unternehmensgröße von 2000 bis 2 Mitarbeiter) aus den Bereichen Automobil, Transport, Dienstleistung, Textil, Pflege, Handwerk, Praxen und Krankenhäuser. Sie ist Mitglied im Bundesverband selbstständiger Arbeitsmediziner und freiberuflicher Betriebsärzte, im Verband deutscher Betriebs- und Werksärzte, in der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin, in der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, in der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention und seit über 30 Jahren Mitglied einer großen Gewerkschaft.

    Als Dozentin lehrt Frau Dr. Lepique an der Hochschule für Ökonomie und Management im Studiengang „Gesundheits- und Sozialmanagement“ an der FOM Wuppertal. Sie betreut an der Bergischen Universität Wuppertal das arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Seminar am Lehrstuhl für Arbeitswissenschaften mit.

    Frau Dr. med. Lepique ist Mutter von drei Kindern.

    Autorin

    Dr. med. Kerstin Lepique

    Kleine Klotzbahn 23

    42105 Wuppertal

    praxis@lepique.net

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