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Berufskrankheiten-Konferenz der EU-Kommission, 3. und 4. Dezember 2013 in Brüssel

Berufskrankheiten in Europa

Andreas Kranig und Stefanie Palfner, DGUV Berlin

Das Generaldirektorat Beschäftigung, Soziales und Inklusion der EU-Kommission (GD EMPL) veranstaltete am 3. und 4. Dezember 2013 in Brüssel eine Berufskrankheiten-Konferenz, unter dem Motto „Zusammen für Beschäftigte ohne Berufskrankheiten“. Mehr als 200 Teilnehmer aus Europa und aus Übersee diskutierten über aktuelle Probleme und Zukunftsperspektiven der Berufskrankheiten in Europa. Dabei brachten sie die unterschiedlichen Perspektiven der Politik der EU und ihrer Mitgliedsstaaten, der Sozialpartner, der (insbesondere arbeitsmedizinischen) Wissenschaft und Forschung, der Prävention und der Berufskrankheiten-Versicherungen ein.

Ausgangspunkt waren die Ergebnisse und Vorschläge einer 2013 publizierten Studie, die die EU-Kommission in Auftrag gegeben hatte (Zusammenfassend: Kranig 2013, s. auch „Weitere Infos“). Zu den Zielen der Studie gehörte es, aufgrund von Berichten aus 29 europäischen Staaten (über die EU hinaus auch Island, Norwegen und Schweiz) die gegenwärtige Situation der Berufskrankheiten in Europa zu analysieren. Insbesondere sollte die Entwicklung in den Jahren seit Verabschiedung der Europäischen BK-Liste im Jahr 2003 (bis 2010) analysiert werden. Für die EU war vor allem die Frage bedeutsam, welche Wirkungen und Impulse die Europäische BK-Liste entfaltet hat und welche Schlussfolgerungen sich für die zukünftige europäische Politik auf diesem Gebiet ergeben.

Zur Einführung der Konferenz stellte Jorge Costa-David für die EU-Kommission die Ergebnisse des Reports vor. Darauf bezogen skizzierte er die Optionen und Positionen der EU-Kommission in den Problemfeldern BK-Anerkennung, Kompensation, Prävention, Setzung von (Präventions-)Zielen, Berichterstattung und BK-Meldung, Epidemiologie und Forschung, Diagnostik, Statistik und „Awareness Raising“.

Einige Schlaglichter: Obwohl 23 der 29 europäischen Staaten ein Berufskrankheitensystem und 26 der 29 eine Berufskrankheitenliste haben, wurde die EU Liste nur von 5 Mitgliedsstaaten übernommen. Ihre Existenz war aber gerade im Prozess der EU-Erweiterung für einige der neuen Mitgliedsstaaten hilfreich. Der Report stellt den Vorschlag zur Diskussion, entsprechend dem SCOEL ein SCOD (Scientific Committee for Occupational Diseases) in der EU einzurichten; hierzu wurden unterschiedliche Positionen der Sozialpartner deutlich. Ob Kriterien für Berufskrankheiten auf EU-Ebene definiert werden sollen, ist umstritten. Hingegen könnte eine Aktualisierung der europäischen BK-Liste aufgrund der Erfahrungen in den Mitgliedsstaaten eher Konsens finden. Die Primärprävention ist Gegenstand zahlreicher verbindlicher Regelungen der EU; sie könnte daher aus der europäischen BK-Liste, die lediglich Empfehlungscharakter hat und nur einen – wenn auch wichtigen – Ausschnitt der gesamten arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren betrifft, herausgenommen werden.

In der Plenarsession des ersten Tages wurden exemplarisch drei BK-Schwerpunkte mit den folgenden Vorträgen zur Dimension und Last arbeitsbedingter Erkrankungen dargestellt: Gert van der Laan (NL) zu Asbest, Allan Piette (BE) zu Muskel-Skelett-Erkrankungen und Johannes Siegrist (DE) zu arbeitsbedingten psychischen Belastungen.

Bei der Podiumsdiskussion wurden dann die unterschiedlichen Sichtweisen von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Staat deutlich: Die Arbeitnehmer fordern mehr und weiter gehende Regelungen auch auf EU-Ebene, während die Arbeitgeber eher allgemeine Schutzziele als ausreichend erachten. Die Souveränität der Mitgliedsstaaten wie auch deren individuelle Probleme stehen einer Ausweitung verbindlicher europäischer Regelungen entgegen. Bei den Begrifflichkeiten wurde von vielen Vortragenden zum Teil sehr deutlich zwischen Berufskrankheiten, arbeitsbedingten Erkrankun-gen und mit der Arbeit zusammenhängenden Erkrankungen unter-schieden.

In vier Parallel-Sessionen des ersten Tages wurde zu folgenden Themen vorgetragen, wobei der aktuelle wissenschaftliche Stand referiert und vor allem Präventionsstrategien erörtert wurden: neue und sich abzeichnende Risiken am Arbeitsplatz mit Vorträgen zu „Nanotechnology and Chemical Risks“, "Low Level Exposure to Complex Mixtures of Chemicals“ (Airtoxisches Syndrom von Piloten und Bordpersonal), „Risks Posed by Electromagnetic Radiation or Use of IT Equipment“, „Green Economy Jobs“.

In der Diskussion wurde insbesondere betont, dass es wichtig ist, sog. Sentinel-Systeme aufzubauen (Beispiel: die Verfolgung von Pestiziden über die Welt), wobei kein System eine umfassende Beobachtung gewährleisten kann.

Diagnosekriterien, Daten und Statistik mit Vorträgen zu „Incorporation of occupational health in ICD11“, „Development of Diagnostic Criteria for an EU System“,„Changes in Incidence of Some Occupational diseases in the EU“, „European Occupational Diseases Statistics (EODS)“: In der Diskussion wurden die auf den Unterschieden der nationalen BK-Systeme und der sprachlichen Bezeichnungen beruhenden Schwierigkeiten deutlich, die BK-Entwicklung in Europa vergleichend zu analysieren. Aktuell verfolgte Wege zur Verbesserung wurden erörtert.

„Alte“ arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren und Erkrankungen, arbeits-bedingte Exposition gegenüber Chemikalien und Krebs: In der dritten Session wurde zu Stress, Hauterkrankungen und Lärmschwerhörig-keit sowie in der vierten zu Asbest, Quarzstaub, Grenzwerten für Karzinogene und Diagnostik und Prävention arbeitsbedingter Krebserkrankungen vorgetragen. Deutlich wurde: Arbeitsbedingte Krebserkrankungen beruhen in Europa im Wesentlichen auf industriellen Altlasten, haben aber wegen ihrer Schwere besonderes Gewicht. Und: Über dem Auftreten neuer Risiken dürfen die „alten“ arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren (u. a. für die Haut und das Gehör) nicht vernachlässigt werden.

Der erste Tag schloss ab mit einer weiteren Plenarsession. Hier wurden exemplarisch die Erfahrungen unterschiedlicher nationaler BK-Systeme dargestellt, wobei die Prävention und Überwachung von Berufskrankheiten im Vordergrund standen. Die Berichte über unterschiedliche BK-Systeme in Großbritannien (Karen Clayton, Kate Sweeney), Deutschland (Andreas Kranig), Australien (Malcolm Sim) und USA (Geoffrey Calvert) wurden ergänzt durch die Darstellung der Rolle internationaler und übernationaler Einrichtungen, die ILO (Shengli Niu) und EU-OSHA (Christa Sedlatschek).

Am zweiten Tag wurden dicht gedrängt

  • die Beratungen der vier Parallelsessionen des Vortags vorgestellt,
  • in einer Roundtable-Diskussion Probleme und Perspektiven der wissenschaftlichen Beratung für ein europäisches BK-System erörtert (mit Statements aus unterschiedlicher Perspektive von James Bridges (UK), Hermann Bolt (DE / SCOEL), Laurent Vogel (BE/Europäischer Gewerkschaftsbund), Tar-Ching Aw (UK, United Arab Emirates University, für die EC Diagnostic Criteria Group), Philippe Martin (EC) Giuseppina Luvara (EC)) und
  • in einer abschließenden Plenarsession und -diskussion neue Perspektiven und Ansätze zu Berufskrankheiten behandelt, wobei die zum großen Teil interessanten Beiträge etwas unter dem allzu umfangreichen Konferenzprogramm litten und kaum mehr adäquat diskutiert werden konnten: Ableitung neuer Präventionsstrategien aus Erfahrungswissen (Raymond Agius, UK); Return on Invest bei Aktivitäten für psychische Gesundheit (David McDaid, UK); Bericht über ein BK-Sentinel Clinical Watch System (Vincent Bonneterre, FR); Mechanismen der Datensammlung (Melanie Carder, UK); Arbeitswelt und Gesundheit – eine Herausforderung auch für das öffentliche Gesundheitswesen (Michael Hübel, EC).

Die Konferenz schloss mit Worten von Koos Richelle (EC, Director General EMPL), die wie folgt zusammengefasst werden können:

  • Der Vorschlag, ein wissenschaftliches Beratungsgremium zu Berufskrankheiten („SCOD“) nach dem Vorbild von SCOEL einzurichten, dürfte weiter verfolgt werden. Dabei scheint weitgehend Einvernehmen zu bestehen, dieses nicht aus Beamten, sondern aus ausgewiesenen unabhängigen Wissenschaftlern zu-sammenzusetzen und die Mitgliederzahl zu begrenzen (ca. 20).
  • Eine erzwungene Harmonisierung des BK-Rechts in Europa wird es nicht geben. Die EU-Kommission ist sich der großen rechtlichen und politischen Probleme bewusst, eine Harmonisierung auf dem Weg der Regulierung zu erreichen.
  • Dennoch erscheint der EU-Kommission eine Harmonisierung im BK-Bereich im Interesse der Betroffenen wünschenswert. Der Weg dorthin soll über wissenschaftlichen und politischen Austausch führen (Konvergenz auf freiwilliger Basis). Ob hierzu auch verstärkte Berichtspflichten der Mitgliedsstaaten gegenüber der EU eingesetzt werden sollen (z. B. Bericht zur Frage, warum bestimmte Krankheiten der europäischen BK-Liste nicht in die nationalen Listen übernommen wurden), erscheint aber offen.
  • Für alle möglicherweise seitens der EU folgenden Schritte kündigte Koos Richelle vor dem Hintergrund der Komplexität der Probleme umfassende Abstimmungen mit allen Partnern an.

    Weitere Infos

    Kranig A: Neuer Bericht an die EU-Kommission. Was bedeutet die Europäische Berufskrankheitenliste für die Berufskrankheiten in Europa? DGUV-Forum 2013; 1–2: 46.

    http://www.dguv-forum.de/files/594/12-36-079_DGUV_Forum_1_2_2013.pdf

    Report on the current situation in relation to occupational diseases systems in EU Member States and EFTA/EEA Countries, in particular to Commission Recommendation 2003/670/EC

    http://www.astri.nl/media/uploads/files/Report_-_Occupational_diseases.pdf

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