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Psychische Erkrankungen in der Arbeitswelt: Wiedereingliederung nach einer psychischen Krise

Psychische Erkrankungen in der Arbeitswelt: Wiedereingliederung nach einer psychischen Krise. Ergebnisse einer qualitativen Studie

Einleitung: Psychische Erkrankungen führen zu hohen AU-Zeiten und erhöhen das Risiko, arbeitslos und frühberentet zu werden. Dies verlangt nach Return-to-Work-Ansätzen (RTW-Ansätze), die eine professionelle RTW-Koordination und Begleitung der Zurückkehrenden ermöglichen.

Methode: Dazu wurden 20 RTW-Experten (u.a. Betriebsärzte, Psychologen) in qualitativen Interviews befragt. Überdies wurden zwei Gruppendiskussionen und Interviews mit Betroffenen und Vorgesetzten geführt. Die Tonaufnahmen wurden transkribiert, mit der dokumentarischen Methode nach Bohnsack ausgewertet und die Ergebnisse den RTW-Experten zur Diskussion gestellt. Die dokumentarische Methode ermöglicht einen Zugang zum Erfahrungswissen der Experten, das vornehmlich die Entwicklung von Handlungsfähigkeit konstituiert.

Ergebnisse: Rekonstruiert wurden zuerst drei Handlungsorientierungen der RTW-Experten: eine Prozess-, Klienten- und systemische Orientierung, die deren Handeln leiten und zwei zentrale Dimensionen des RTW-Prozesses charakterisieren: die Einbettung des BEM in die betriebliche Ablauforganisation und die Ausgestaltung des Einzelfallmanagements. Überdies wurden vier Schlüsselkomponenten des RTW-Prozesses identifiziert: 1. das kommunikative Handeln der Experten durch eine empathische Perspektivenübernahme, 2. die Akzeptanz psychischer Erkrankungen auf der individuellen, zwischenmenschlichen und betrieblichen Ebene, 3. das Verstehen der Individualität psychischer Krisen als Ausgangspunkt und 4. Vertrauen als Basis der Rückkehr. Abschließend wurde über Fallvergleiche ein Vier-Phasen-Modell entwickelt, das RTW als systemischen Prozess beschreibt, der frühzeitig beginnt und nicht mit der (stufenweisen) Wiedereingliederung endet.

Schlussfolgerungen: RTW ist soziale Interaktion. Erfolgreiche soziale Interaktion im Return-to-Work-Prozess zeichnet sich in erster Linie durch die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme aus. Im Mittelpunkt stehen dabei das Selbstmanagement der zurückkehrenden Beschäftigten und arbeitsbezogene Interventionen. Eine Schlüsselfunktion übernehmen die koordinierenden und begleitenden RTW-Experten.

Schlüsselwörter: Rückkehr in den Betrieb – betriebliche Wiedereingliederung – psychische Erkrankung – qualitative Studie

Mental illness in the world of work: reintegration after a mental health crisis – findings of a qualitative study

Introduction: Mental disorders are associated with long-term sickness absence, a higher risk of unemployment and early retirement. This calls for return-to-work concepts (RTW concepts) to facilitate professional RTW coordination and support for people returning to employment.

Methods: Qualitative interviews were held with 20 RTW experts (including occupational physicians and psychologists). Moreover, two group discussions and interviews were conducted with those affected and with supervisors. The recordings were transcribed and analysed by means of the Bohnsack documentary method and the findings of the RTW experts were discussed. The documentary method allows access to the experts’ experience-based knowledge, which primarily constitutes the development of a capacity to act.

Results: We first reconstructed three practical approaches taken by the RTW experts: a process approach, a client approach and a systemic approach. These guide their actions and characterise two central dimensions of the RTW process: the incorporation of BEM into internal process organisation and the definition of individual case management. Secondly, we identified four key components of the RTW process: (1) the ability of the experts to communicate by means of empathy and perspective-taking; (2) an acceptance of mental illness at an individual, interpersonal and occupational level; (3) an understanding of the individual nature of a mental health crisis as a starting point and (4) trust as the basis of RTW. Finally, we used case comparisons to create a four-phase-model that describes RTW as a systemic process which starts early and does not end with (gradual) reintegration.

Conclusions: RTW is social interaction. Successful social interaction in the return-to-work process is characterised first and foremost by an ability to adopt the perspective of others. The focus here is on the self-management of the returning employees and on work-related interventions. The coordinating and accompanying RTW experts play a key role.

Keywords: return to work – occupational reintegration – mental disorder – qualitative study

R. Stegmann1

U.B. Schröder2

(eingegangen am 11.03.2016, angenommen am 26.07.2016)

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2016; 51: 660–668

Einleitung und Ziele

Die psychische Gesundheit stellt eine zentrale Herausforderung für den Arbeitsmarkt der Zukunft dar (OECD 2012). Nach der DEGS-Studie leiden in Deutschland knapp 28 % der Menschen im Alter von 18 bis 79 Jahren innerhalb von 12 Monaten an einer psychischen Erkrankung. Angsterkrankungen und Depressionen gehören zu den am weitesten verbreiteten psychischen Erkrankungen. Sie treten häufiger im Erwerbsleben auf als im Rentenalter (Jacobi et al. 2014). In der Regel führen sie, wenn sie nicht frühzeitig behandelt werden und eine multiprofessionelle bzw. vernetzte Unterstützung durch betriebliche und überbetriebliche Schlüsselakteure ausbleibt, zu hohen AU-Zeiten, verringern die Arbeitsproduktivität und erhöhen das Risiko, arbeitslos und frühverrentet zu werden (Wege u. Angerer 2014).

Eine geregelte und gesundheitsförderliche Arbeitstätigkeit hingegen ist laut OECD ein stabilisierender Faktor psychischer Gesundheit, während sich Langzeitarbeitslosigkeit besonders negativ auf die Gesundheit auswirkt. Nach einer psychischen Krise ist das Risiko, arbeitslos zu werden, mindestens doppelt so hoch wie bei gesunden Beschäftigten. Dennoch liegt die Beschäftigungsquote nach einer psychischen Krise bei 50–70 % (OECD 2012). Arbeitgeber sollten Arbeitsbedingungen schaffen, die die psychische Gesundheit der Beschäftigten möglichst erhalten und Langzeiterkrankungen verhindern. Gleichzeitig müssen die Dauer und der Verlauf von Krankschreibungen systematisch ausgewertet werden, so dass bei längeren AU-Zeiten frühzeitig Hilfe angeboten werden kann. Außerdem ist es notwendig, vermehrt Anstrengungen zu unternehmen, um Diskriminierung und Stigmatisierung in Folge einer psychischen Erkrankung vorzubeugen (Stegmann 2014; Gaebler 2004). Vor diesem Hintergrund geht es darum, Konzepte weiter zu entwickeln, die die psychische Gesundheit der Beschäftigten unterstützen und die Rückkehr an den Arbeitsplatz durch ein betriebliches Eingliederungsmanagement nachhaltig verbessern. Eine Schlüsselrolle übernehmen hier Return-to-Work-Experten, die den Prozess koordinieren und die zurückkehrenden Mitarbeiter begleiten.

Return to Work (RTW) sollte frühzeitig beginnen, streng genommen mit dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit (Unger u. Siegrist 2014). RTW muss schon bei der Behandlung im ambulanten Bereich, in der Tagesklinik oder im vollstationären Bereich mitgedacht werden. Dabei sollte es immer auch darum gehen, mögliche Belastungen und Konflikte sowie Ressourcen und Unterstützungsmöglichkeiten hinsichtlich der Rückkehr zur Arbeit zu erfassen. Im optimalen Fall planen die behandelnden Ärzte mit dem Betriebsarzt in Verbindung mit den betrieblichen Interessenvertretern und Arbeitgebervertretern frühzeitig die Rückkehr in den Betrieb.

Return to Work ist in diesem Sinne ein multidimensionaler Prozess (Weber et al. 2014) – ein Prozess der Vernetzung von medizinisch-therapeutischem und betrieblichem System. Betrieblich ist er so gesehen ein Verständigungs- und Aushandlungsprozess über die Bedingungen der Rückkehr und gleichfalls ein Prozess der Organisationsentwicklung (betriebliches Eingliederungs- und Gesundheitsmanagement). Mit Blick auf die Begleitung der Betroffenen ist er eine medizinische Konsultation, eine niederschwellige psychosoziale Beratung und mitunter ein Coaching, das das Selbstmanagement bzw. die Selbstwirksamkeit der zurückkehrenden Mitarbeiter unterstützt. Aus der Perspektive der betroffenen Beschäftigten wiederum ist die Rückkehr in die Arbeit ein wesentlicher Aspekt der abschließenden Krankheitsverarbeitung und -bewältigung, in dem es u. a. darum geht, die berufliche Belastbarkeit wieder einschätzen zu lernen und Ängste abzubauen (Stegmann et al. 2014). Internationale Studien zeigen, dass insbesondere die professionelle Koordination des RTW-Prozesses, eine angemessene medizinisch-therapeutische Begleitung der Zurückkehrenden sowie die frühzeitige Zusammenarbeit mit betrieblichen Schlüsselakteuren als auch der individuelle und betriebliche Umgang mit der Erkrankung eine erfolgreiche Rückkehr unterstützen (Anderson et al. 2012; Schandelmaier et al. 2012). In Deutschland ist dieser Prozess noch nicht näher untersucht. Mitarbeiter mit psychischen Beeinträchtigungen werden im betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) bis dato tendenziell als schwierige Fälle beschrieben. Gleichzeitig wird in diesem Kontext von fehlender betrieblicher Akzeptanz gesprochen und ein Mangel an professioneller externer Unterstützung vermutet (Freigang-Bauer u. Gröben 2011).

Zentrale Ziele der vorliegenden Studie waren vor diesem Hintergrund, die Anforderungen und Herausforderungen der Wiedereingliederung nach einer psychischen Krise vor allem aus der Perspektive von RTW-Experten explorativ zu beforschen und zu beschreiben, das damit verbundene Erfahrungs- und Handlungswissen der RTW-Experten zu rekonstruieren und auf diesem Wege Empfehlungen für eine bessere betriebliche Praxis der Wiedereingliederung nach einer psychischen Krise zu generieren.

Material und Methode

Im Rahmen der Studie wurden zwanzig RTW-Experten (4 Psychologen, 3 Psychiater, 8 Betriebsärzte, 3 Schwerbehindertenvertretungen und 2 Sonstige) in ein- bis zweistündigen Experteninterviews befragt. Die Stichprobe der Studie umfasste Experten, die entweder als betriebliche oder als externe Experten die Wiedereingliederung der zurückkehrenden Beschäftigten begleiten. Das Besondere der durchgeführten Experteninterviews ist, dass es sich hierbei um narrativ fundierte Interviews handelt. Den Befragten wurde in einem ersten Teil des Interviews nach einer allgemein gehaltenen Eingangsfrage die Möglichkeit gegeben, aus ihrer Perspektive ihre Arbeitspraxis umfassend zu schildern. Im zweiten Interviewteil wurden leitfadenorientierte Fragen zur Vorgehensweise, zu förderlichen und hemmenden Bedingungen etc. gestellt. Durch dieses Vorgehen wurde vermieden, dass die Vorannahmen der Forschenden unhinterfragt schon in die Interviewführung eingehen. Ziel war es, den Interviewten die Möglichkeit zu geben, ihre eigenen Schwerpunkte zu entfalten und darzustellen, was ihnen in ihrer Arbeit wichtig ist. In diesem Zusammenhang stand auch die Auswahl der Interviewpartner. Diese wurde nicht von vornherein festgelegt, sondern richtete sich im Sinne des „theoretical sampling“ (Przyborski u. Wohlrab-Sahr 2008; Glaser u. Strauss 1967) nach den Ergebnissen der Auswertungen1 der Interviews, die parallel zum Erhebungsprozess erfolgten. So zeichnete sich u.a. nach den ersten Interviews die Relevanz einer externen psychiatrischen Kompetenz ab. Deren Kooperationsbereitschaft wurde von betrieblichen RTW-Experten als entscheidend für das Gelingen der Wiedereingliederung angeführt. Entsprechend wurden drei Interviews mit Psychiatern durchgeführt, die im ursprünglichen Erhebungsplan so nicht vorgesehen waren.

Die Auswertung der transkribierten Interviews erfolgte entlang der Unterscheidung von explizitem und implizitem Wissen mit der dokumentarischen Methode (Bohnsack 2010). Mit den verschiedenen Arbeitsschritten der dokumentarischen Methode wurden die beiden Wissensbestände (explizites und implizites Wissen) rekonstruiert und in einer Fallbeschreibung je Interview zusammengefasst. Auf einer generalisierenden Ebene wurden über kontinuierliche Fallvergleiche Gemeinsamkeiten und Unterschiede erörtert und zu allgemeinen Konzepten zusammengefasst sowie verschiedene Typen des Handelns der Experten herausgearbeitet.

Zusätzlich zu den Experteninterviews wurden eine Gruppendiskussion mit sechs Betroffenen und vier vertiefende Einzelinterviews durchgeführt, die psychisch erkrankt und mehrheitlich wieder beruflich tätig waren. Eine weitere Gruppendiskussion wurde mit direkten Vorgesetzten unterschiedlicher Bereiche eines Großunternehmens organisiert, die bereits Erfahrungen mit der Rückkehr von psychisch erkrankten Beschäftigten hatten. Abschließend wurden die zentralen Ergebnisse der Studie in einem Expertenworkshop mit den interviewten RTW-Experten diskutiert und gemeinsam bewertet.

Ergebnisse

Nachfolgend werden nun die Ergebnisse der Expertenbefragung erörtert. Aus den Interviews mit den RTW-Experten wurden drei wesentliche Erkenntnisdimensionen rekonstruiert:

  1. RTW-Orientierungen der Experten,
  2. Schlüsselkomponenten des RTW-Prozesses und
  3. Vier-Phasen-Modell der Wiedereingliederung,

die hier im Folgenden näher ausgeführt werden.

Drei Return-to-Work-Orientierungen der Experten

Das Handeln der RTW-Experten wird von ihrem Fach- und Erfahrungswissen bestimmt, wobei das Letztere überwiegend implizites Wissen ist. Dieses implizite Wissen lässt sich im Falle der befragten Experten anhand von RTW-Orientierungen charakterisieren, die in der Auswertung durch kontinuierliche Fallvergleiche rekonstruiert wurden. Sie verdeutlichen, wie die Experten das Thema Wiedereingliederung nach einer psychischen Krise bearbeiten, wie sie Vorgehen und welche Schwerpunkte sie in ihrer Arbeit setzen. Vor diesem Hintergrund wurden drei idealtypische RTW-Orientierungen rekonstruiert und verallgemeinert: eine Prozessorientierung, eine Klienten- bzw. Personenorientierung, eine systemische Orientierung.

Die Prozessorientierung basiert in erster Linie auf einem Denken und Handeln in Strukturen und Funktionen. Im Mittelpunkt der Prozessorientierung steht die Planbarkeit, Vorhersehbarkeit und Transparenz des RTW-Prozesses. Die Schwerpunkte liegen auf der Einbettung der Wiedereingliederung in die betriebliche Hierarchie und Ablauforganisation, dem Festlegen und Abarbeiten von Meilensteinen und die Hinzuziehung und Nutzung der Kompetenzen unterschiedlicher Experten. Das Ziel ist eine möglichst zügige und reibungslose Rückkehr der Betroffenen in den Betrieb. Sie erhöht die Handlungssicherheit der beteiligten Akteure, insbesondere durch die Transparenz und die bessere Planbarkeit des Prozesses. Im günstigsten Fall führt dies zu einer frühzeitigen Rückkehr. Die Prozessorientierung kann allerdings dazu führen, dass die spezifischen Anforderungen an das individuelle Fallmanagement aus dem Blick geraten können.

Bei der Klienten- bzw. Personenorientierung konzentriert sich das Denken und Handeln der RTW-Experten vor allem auf einzelne Personen. Im Mittelpunkt steht hier die Begleitung der zurückkehrenden Beschäftigten von der Kontaktaufnahme bis zur Rückkehr in den Betrieb. Schwerpunkte des Handelns und Vorgehens sind der Aufbau einer vertrauensvollen, tragfähigen Arbeitsbeziehung, das Verstehen der Ausgangssituation der Zurückkehrenden, die Unterstützung des Selbstmanagements der Betroffenen. Das Ziel ist eine Verständigung über die Bedingungen und Maßnahmen der Rückkehr. Im günstigsten Fall führt dies zu einer zunehmend selbstbestimmten Rückkehr auf Augenhöhe, die auf den Unterstützungsbedarf und die Ressourcen der zurückehrenden Beschäftigten fokussiert. Die Klienten- bzw. Personenorientierung stellt jedoch hohe Anforderungen an die Qualifikation der begleitenden RTW-Experten. Ohne eine entsprechende Qualifikation besteht die Gefahr der Überforderung.

Bei einer systemischen Orientierung fokussiert das Denken und Handeln der Experten auf die Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Ebenen: das individuelle Fallmanagement, die Rückkehr ins Arbeitsteam und die betriebliche Netzwerk- und Organisationsentwicklung. Im Mittelpunkt stehen die Wechselwirkungen zwischen betrieblichen Strukturen, Funktionsträgern und individueller Begleitung der zurückkehrenden Mitarbeiter. Das Ziel ist hier die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit des gesamten Systems, das die Akzeptanz und das Verständnis aller Beteiligter braucht. Eine systemische Vorgehensweise zielt auf die Motivation und Unterstützung der zentralen Schlüsselakteure ab. Es verbindet im besten Fall das Fallmanagement mit einer darauf abgestimmten Team- und Organisationsentwicklung. Damit verbunden sind allerdings ein hoher interaktiver, zeitlicher Aufwand und entsprechende Anforderungen an die Qualifikation der RTW-Experten.

Die Rekonstruktion der abstrahierten Orientierungen macht deutlich, dass sie zwar unterschiedliche, aber doch gleich wichtige Aspekte des RTW-Prozesses widerspiegeln. Gleichzeitig charakterisieren sie zwei zentrale Dimensionen des RTW-Prozesses. Sie beziehen sich

  1. auf die Einbettung des RTW-Prozesses in die betriebliche Ablauforganisation, also auf (über)betriebliche Strukturen und Netzwerke sowie
  2. auf den Umgang mit den zurückkehrenden Mitarbeitern, also auf die Ausgestaltung der individuellen Begleitung.

Im optimalen Fall ist das Handeln der RTW-Experten abwechselnd prozess-, klienten- bzw. systemisch orientiert - bezogen auf die Koordination in erster Linie prozessorientiert, auf die Selbstwirksamkeit überwiegend klientenorientiert und auf die professionelle Begleitung vor allem systemisch orientiert.

Vier Schlüsselkomponenten des RTW-Prozesses

Aus den Interviews mit den RTW-Experten wurden außerdem vier ineinander greifende Schlüsselkomponenten eines erfolgreichen RTW-Prozesses rekonstruiert. Die vier Schlüsselkomponenten beziehen sich im Einzelnen auf:

  1. das kommunikative Handeln der RTW-Experten,
  2. das Verstehen und Anerkennen der Individualität psychischer Krisen,
  3. die Akzeptanz gegenüber psychischer Krisen und
  4. das Vertrauen als A und O der Wiedereingliederung.

Kommunikatives Handeln der RTW-Experten

Das kommunikative Handeln der Experten zeichnet sich durch eine empathische Grundhaltung und durch die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme bzw. -integration aus. Es steuert die Zusammenarbeit mit den zurückkehrenden Beschäftigten und den (über-)betrieblichen Akteuren. Es ist auf das Verstehen der Beteiligten und ihrer Situation ausgerichtet. Eine zentrale Leistung der Empathie ist es, die Eigen- und Fremdperspektive zu vergleichen und zu einem möglichst „realistischen Bild der Situation sowie der Involviertheit der Akteure zu gelangen“ (Breyer 2013). Im RTW-Prozess bedeutet dies, die Perspektive der Betroffenen mit der der RTW-Experten, der medizinisch-therapeutischen und der betrieblichen Perspektive in Einklang zu bringen:

„Ganz wichtig ist die Selbsteinschätzung der betroffenen MitarbeiterInnen, die Einschätzung der behandelnden Therapeuten bzw. Psychiater, sofern sie vorliegen und natürlich meine eigene.“ (BA3, F 2319) 2

Von den RTW-Experten verlangt dies im Dialog mit den Betroffenen ein Verstehen der Ausgangssituation und eine Verständigung über die Bedingungen der Rückkehr. Diese spezifische Zuwendung erfordert Offenheit, einen respektvollen Umgang und ein partizipatives Vorgehen. Demgemäß steht bei der Kontaktaufnahme zu den Beschäftigten erst einmal das emotionale Verstehen im Vordergrund. Es ist sozusagen der Schlüssel für eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung und eine Verständigung über Maßnahmen der Wiedereingliederung:

„Dieses gefühlsmäßige Mitschwingen, auch irgendwie um die Situation wissen, dass ich mich irgendwo in die Situation reinversetzen kann, dass ich den Betroffenen verstehe. Ja, in seiner Angst, aber vielleicht auch in seiner Lust, wieder zur Arbeit zu gehen, wieder Leistung zu bringen. (…) Manche haben Angst davor, wieder zur Arbeit zu gehen. Das muss ich verstehen. Ich muss verstehen, was das für ein Gefühl ist, da wieder hin zu müssen. Dann kann ich versuchen, da Ressourcen rauszuarbeiten.“ (PSY 2, F 2319) 3

Die Perspektive der medizinisch-therapeutischen Experten und die der betrieblich Beteiligten bilden die andere Seite der RTW-Realität. Hier geht es um eine Haltung, in der man den Platz der Anderen in einer gemeinsamen Außenwelt einnimmt, um rational nachvollziehen zu können, wie man selbst in der Situation handeln würde (kognitives Verstehen). Das kommunikative Handeln der RTW-Experten zielt hier darauf ab,

  1. ein Verständnis für die Situation der beteiligten Schlüsselakteure zu bekommen,
  2. ein realistisches Bild der Ausgangssituation und der Maßnahmenentwicklung zu ermöglichen,
  3. den Prozess für alle transparent und nachvollziehbar zu gestalten
  4. und gemeinsam tragfähige Lösungen zu finden.

„Wer ein funktionierendes Eingliederungsmanagement aufbauen will, (…) der muss sehr gute Vorarbeit leisten. Diese Vorarbeit ist mindestens die halbe Miete. Dazu gehört es, vorhandene betriebliche Netzwerke zu nutzen, sie miteinander zu verknüpfen und die Akteure davon zu überzeugen mitzumachen und die nicht erstaunt sind, wenn man anruft und sie um Unterstützung bittet.“ (BA6/S1, F 2319)

Akzeptanz psychischer Erkrankungen: betrieblich, zwischenmenschlich und individuell

Stigmatisierung wird von den befragten RTW-Experten als „zweite Krankheit“ bezeichnet. Sie beeinflusst das Selbstbewusstsein, die Zielorientierung, die Lebensqualität und auf diesem Wege die Arbeitsfähigkeit der Betroffenen (s. dazu Russinovaa et al. 2011). Stigmatisierung verhindert einen angemessenen Umgang mit einer psychischen Krise – die damit einhergehenden Vorurteile, abwertenden und diskriminierenden Einstellungen werden von den Betroffenen auf sich selbst bezogen (Gaebler et al. 2004). Dies erzeugt Scham und Angst und führt allzu schnell zu sozialem Rückzug oder zu Überforderungstendenzen.

„Und jetzt kommen sie zurück. Und dann fühlen sie sich vom Selbstwert geschwächt. Was sagen sie jetzt den anderen? Ich habe eine Depression, dann denken die doch, ich bin nichts wert. Der kann doch gar nichts! (…) Und alle die Ängste, die ich habe, projiziere ich auf die Kollegen oder Vorgesetzten. Und was sage ich dann? Sag ich ihnen gar nichts oder ich hatte einen Herzinfarkt, oder was sage ich? (….) Diese Phase wird erlebt wie ein Spießrutenlaufen und kostet viel Kraft. (…) Und dafür ein Gefühl zu kriegen und dies vorher besprechen, ist wichtig.“ (PSY 1, F 2319)

In vielen Unternehmen muss das Thema psychische Gesundheit daher erst noch zum Thema gemacht werden. Aufgabe der Unternehmen ist es, Voraussetzungen für einen offenen Umgang mit psychischen Erkrankungen zu schaffen.

Zu einer erfolgreichen Wiedereingliederung gehört aber auch ein angemessener Umgang der zurückkehrenden Mitarbeiter mit ihrer Erkrankung, flankiert und unterstützt durch die RTW-Experten, direkten Vorgesetzten und Kollegen. Aufgabe der Experten ist hierbei,

  1. im Vorfeld Ängste und Unsicherheiten sowie den Umgang damit zu thematisieren,
  2. mit den Betroffenen im Verlauf der Rückkehr die positiven Entwicklungen hervorzuheben, „da die Betroffenen dazu neigen, eher wahrzunehmen, was sie noch nicht können als wahrzunehmen, was sie sich bereits wieder angeeignet haben“ (IFD Mitarbeiterin in: Stegmann u. Schröder 2016) und
  3. im RTW-Prozess Überforderungstendenzen zu reflektieren.

„Das ist immer ein Stück weit Erkenntnis der Mitarbeiter selbst. Wenn sie es denen im Vorfeld sagen, wollen es viele erst mal nicht akzeptieren, sondern die merken dann selber, ‚Hoppla ich bin doch noch nicht so fit und das geht noch nicht’. Das ist natürlich für viele dann so ein Moment, wo sie denken: ich bin gescheitert. Wo wir dann versuchen müssen, dahin zu kommen, dass sie das erst einmal akzeptieren, dass das nicht so schnell geht, wie sie sich das vorstellen.“ (BA5, F 2319)

Dies bedeutet auf der einen Seite, erst einmal Grenzen zu akzeptieren, die die Erkrankung setzt, diese im RTW-Prozess wahrzunehmen und in diesem Falle Unterstützung zu suchen und anzunehmen. Andererseits heißt dies, Wege zu finden, mit der Erkrankung im Arbeitsprozess umzugehen und die Arbeitsfähigkeit Schritt für Schritt zu steigern. Dazu gehören vor allem ein richtiges Einschätzen der aktuellen Leistungsfähigkeit und ein achtsamer Umgang mit überfordernden Situationen.

Verstehen und Anerkennen der Individualität psychischer Krisen

Aus der Perspektive der befragten RTW-Experten sind die Verläufe und Erscheinungsbilder von psychischen Krisen so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Der Verlauf erscheint stark abhängig vom Umgang mit der Krise, wie sie bewältigt wird und von den erlebten Rahmenbedingungen. Dieses subjektive Erleben lässt sich nicht allein über eine ärztliche Diagnose fassen, sondern kann nur im Dialog mit den Betroffenen erfahren werden, d. h., eine psychische Krise muss individuell betrachtet werden – abhängig von einem Bündel psychophysischer, sozialer und im Falle der Wiedereingliederung betrieblicher Faktoren. Und dies ist wahrscheinlich „die“ zentrale Erkenntnis für den RTW-Prozess nach einer psychischen Krise: Wer die zurückkehrenden Mitarbeiter professionell unterstützen will, der muss das individuelle Kranksein und Gesundsein der Betroffenen im RTW-Prozess, in der jeweiligen Arbeitsumwelt und das damit einhergehende Befinden anerkennen und verstehen. Eine Diagnoseorientierung allein hilft hier nicht weiter.

„Bipolar heißt auch, manche werden chronisch krank und manche führen zehntausend Mitarbeiter als Unternehmenschef. Es kommt darauf an, wie Sie mit dieser Krankheit umgehen.“ (PSY 1, F 2319)

Ein Verstehen vollzieht sich im Dialog mit den RTW-Experten und mit den behandelnden Ärzten bzw. Therapeuten sowie den betrieblichen Schlüsselakteuren. Im Mittelpunkt des Dialogs stehen das private und betriebliche Umfeld, der Verlauf der Erkrankung, der Umgang mit ihr, das aktuelle Befinden und was sich die zurückkehrenden Mitarbeiter gegenwärtig in Bezug auf die Arbeit zutrauen, was sie brauchen, um zur Arbeit zurückzukehren und was sie selbst beitragen können, damit die Wiedereingliederung erfolgreich verläuft. Man muss sich ein „Bild vom Krankheitsbild machen“ (BA3, F2319), wie dies eine Betriebsärztin ausgedrückt hat.

„Also für mich ist es so. Ich muss ein Bild haben. (…) Also nicht nur dieses Kranksein, sondern manchmal ist es einfach auch eine Fantasie, eine Vision davon entwickeln, was der eigentlich ist. (…) Es ist wirklich dieses Mitkriegen, da ist jemand, der ist momentan so und so und so. (…) Ich brauche dieses Bild, dass ich eine Idee davon bekomme, wie er gesünder und stabiler seine Arbeitsaufgaben erledigen kann.“ (PSY 7, F 2319)

Vertrauen als A und O für eine erfolgreiche und nachhaltige Wiedereingliederung

Es lassen sich drei zentrale Dimensionen des Vertrauens unterscheiden:

  • das Vertrauen in die Beteiligten,
  • das Selbstvertrauen der zurückkehrenden Beschäftigten und
  • das Vertrauen in den RTW-Prozess.

Die kleinste Einheit im RTW-Prozess bilden persönliche Vertrauensbeziehungen, das Vertrauen in die Beteiligten. Förderliche Faktoren für den Aufbau persönlicher Vertrauensbeziehungen sind Begegnungen auf Augenhöhe, die Kompetenz der RTW-Experten sowie Kontinuität in der Zusammenarbeit. Vertrauen bildet die Basis, um offen über die Erkrankung, Ängste, Unsicherheiten, belastende Arbeitsumstände, Probleme, Konflikte und individuelle Maßnahmen der Rückkehr sprechen zu können.

„Da ein Vertrauen aufzubauen, damit sie sich überhaupt erst einmal öffnet, um zu hören, was braucht sie denn eigentlich? Es geht ja darum, was der Mitarbeiter braucht, um gesund zu werden und zu bleiben.“ (S3, F 2319)

Zwischen den persönlichen Beziehungen und dem Vertrauen in den RTW-Prozess steht das Selbstvertrauen der zurückkehrenden Mitarbeiter. Ihre Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit sind wesentliche Faktoren einer erfolgreichen Wiedereingliederung. Nicht wenige müssen diese Selbstsicherheit, erst über Erfolgserlebnisse wiedergewinnen. Eine professionelle Begleitung kann dazu einen wesentlichen Beitrag leisten:

„Herr A. hat trotz wiederkehrender Befürchtungen, es nicht zu schaffen, die STWE [Stufenweise Wiedereingliederung] gut bewältigt, wieder Selbstvertrauen in seine Fähigkeiten und Belastbarkeit gewonnen. Dazu beigetragen haben begleitende Gespräche, in denen wir uns mit seinen negativen Bewertungen der eigenen Fähigkeiten und Selbstwirksamkeit auseinandergesetzt haben. Mit seinen Erwartungsängsten und dem Misstrauen gegenüber Vorgesetzten und AG-Beauftragten. Und die Gespräche, in denen es darum ging, eigene Grenzen frühzeitig wahrzunehmen, Überforderung zu vermeiden und Unterstützungsbedarf zu artikulieren.“ (IFD Mitarbeiterin in: Stegmann u. Schröder 2016)

Von den befragten Experten wird immer wieder betont, dass das Vertrauen in den RTW-Prozess durch die Unternehmenskultur und dessen betriebliche Einbettung geprägt wird. Vor diesem Hintergrund erscheint das betriebliche Eingliederungsmanagement bestenfalls als Teil des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Dies schafft Transparenz, ermöglicht eine Gleichbehandlung der Mitarbeiter und erleichtert die einzelfallorientierte Beratung und Unterstützung. Im Unternehmen muss bekannt sein, wie BEM-Prozesse ablaufen, was, wann, wie passiert.

„Weil die Akzeptanz ist durch eine entsprechende Vorinformation für mich eigentlich das A und O der ganzen Sache. Wir haben einen Flyer, den wir auch in die Einladung [zum Erstgespräch] entsprechend mit reinlegen, so dass der Mitarbeiter sich ungefähr denken kann: Was bieten die denn an? Was wollen die denn? Und passt das für mich oder passt das nicht?“ (SBV2, F 2319)4

Zu den wichtigsten betrieblichen Rahmenbedingungen, die das Vertrauen in den RTW-Prozess beeinflussen, gehören: transparente Regelungen zum BEM, insbesondere zum Persönlichkeits- bzw. Datenschutz, eine gute Öffentlichkeitsarbeit und die Einbindung in ein (über-)betriebliches Gesundheitsmanagement.

Das Vier-Phasen-Modell der Wiedereingliederung

Das idealtypische Vier-Phasen-Modell wurde im Anschluss an die Rekonstruktion der RTW-Orientierungen, der zentralen Schlüsselkomponenten und auf Basis der geschilderten Handlungsabläufe der interviewten Experten als ein von den Einzelfallschilderungen abstrahiertes Modell der Wiedereingliederung entwickelt. Die Phase 1 der Koorientierung und die Phase 2 der Koordinierung dienen der Vorbereitung der Rückkehr, die durch Vier-Augen-Gespräche mit den zurückkehrenden Mitarbeitern und durch Betriebsgespräche mit den betrieblichen Schlüsselakteuren geprägt ist. Die Phase 3 der Kooperation und die Phase 4 der erneuten Koorientierung markieren die Umsetzungsphase, in der eine Passung zwischen den individuellen, sozialen bzw. betrieblichen Bedingungen angestrebt und die Nachhaltigkeit der Rückkehr durch ein professionell bzw. sozial unterstütztes Selbstmanagement gesichert wird.

Phase der Koorientierung: Verständnis, Verstehen und Verständigung

Eine Wiedereingliederung sollte nach Einschätzung der befragten RTW-Experten sorgsam vorbereitet werden. Dazu ist ein frühzeitiger Kontakt zu den zurückkehrenden Mitarbeitern notwendig. Ein Kontakt zwischen den Mitarbeitern und der Arbeitsstelle, ein Austausch mit den behandelnden Therapeuten und Ärzten sowie mit den betrieblichen Schlüsselakteuren können dazu beitragen, AU-Zeiten zu verringern und erhöhen die Chance auf eine erfolgreiche Wiedereingliederung. Zentrale Ziele dieser Phase sind der Aufbau einer tragfähigen Arbeitsbeziehung, das Verstehen der individuellen Ausgangsituation sowie die Konkretisierung von Maßnahmen der Wiedereingliederung. Im Mittelpunkt stehen dabei vertrauliche Vier-Augen-Gespräche zwischen dem zurückkehrenden Mitarbeiter und dem RTW-Experten (-Koordinator, -Coach). Sie dienen dazu, sich ein Bild über die individuellen, sozialen und betrieblichen Anforderungen der Wiedereingliederung zu machen sowie das Selbstmanagement der Zurückkehrenden zu unterstützen.

„Na, es geht immer auch darum, jemanden, der psychisch krank geworden ist, erst einmal zu stärken und zu bestätigen. Ganz oft ist ja das Gefühl da, ich hab versagt. Sie wieder aufzubauen, dass sie wieder Selbstvertrauen gewinnen, ist wichtig [Verständnis]. (…) Und dass man in Ruhe noch mal die Arbeitssituation anguckt und noch mal die verschiedenen belastenden Faktoren rausarbeitet, (…) dass jemand wirklich auch das Gefühl hat, ich hab ein bisschen verstanden, um was es geht [Verstehen]. (…) Dann habe ich mit ihm besprochen, was brauchst du denn für Arbeitsbedingungen, das du wiederkommen kannst und dann haben wir das zusammen erarbeitet [Verständigen].“ (PSY 5, F 2319)

Phase der Koordinierung: Kooperativer Such- und Verständigungsprozess

In der Phase der Koordination geht es darum, die Bedingungen der Wiedereingliederung im Dialog mit den betrieblichen Schlüsselakteuren zu klären und abzustimmen. Dies geschieht, bevor der Mitarbeiter wieder anfängt zu arbeiten und bildet mit Phase 1 die Grundlage für die Rückkehr. Zentrale Zielsetzungen dieser Phase sind eine betriebliche Verständigung über die Maßnahmen der Rückkehr, die Erstellung eines Wiedereingliederungsplans sowie die Koordination der Aufgaben und Festlegung von Verantwortlichkeiten. Im Fokus stehen die betrieblichen Maßnahmen der Wiedereingliederung und mögliche flankierende Maßnahmen externer Dienstleister. Es muss abschließend geklärt werden, ob die Rückkehr an den alten bzw. an einen neuen Arbeitsplatz möglich ist, ob und wie eine stufenweise Wiedereingliederung inhaltlich bzw. zeitlich ausgestaltet werden soll, ob präventiv arbeitsgestaltende Maßnahmen und zeitlich befristete Maßnahmen (z. B. in Bezug auf Reisetätigkeiten und Kundenkontakte) sinnvoll sind und ob Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Frage kommen. Von besonderer Bedeutung ist in dieser Phase die Abstimmung der STWE mit den betrieblichen Akteuren wie dem Betriebsarzt, dem direkten Vorgesetzten und den Interessenvertretungen. Sie ist der integrative Ausgangspunkt im RTW-Prozess (vgl. Kohte 2010). Sie eröffnet den Mitarbeitern die Chance eines sanften Übergangs aus der Arbeitsunfähigkeit zurück in der Arbeit. Eine personenbezogene Gefährdungsbeurteilung, die mit Unterstützung des Betriebsarztes durchgeführt wird, bildet eine fachlich fundierte Grundlage für diesen Prozess.

Phase der Kooperation: Rückkehr ins Arbeitsteam

Die Rückkehr in den Betrieb nach einer psychischen Krise bzw. Erkrankung ist mit Ängsten und Unsicherheiten verbunden. Von einzelnen RTW-Experten wird diese Phase als „emotionale Schwerstarbeit“ (PSY 1, F 2319) bzw. als „harte Arbeit“ (PSY 5, F 2319) bezeichnet. Zentrale Ziele der Rückkehr in den Betrieb sind die Sicherung der Arbeitsfähigkeit, die Rückkehr ins Arbeitsteam und die Stabilisierung des Selbstmanagements der Beschäftigten. Die stufenweise Wiedereingliederung, vor allem ihre therapeutische Orientierung und sorgsame Vorbereitung bzw. Umsetzung, bildet in der Regel die Basis für eine erfolgreiche Rückkehr. Sie zielt darauf ab, die Belastbarkeit wieder einschätzen zu lernen, selbstsicherer und autonomer zu werden sowie Ängste vor Überforderung und einem Krankheitsrückfall abzubauen. Sie wird als ein individueller und betrieblicher Lern- bzw. Veränderungsprozess verstanden, der die soziale bzw. professionelle Unterstützung der Vorgesetzten, Kollegen und RTW-Experten braucht.

„So eine stufenweise Wiedereingliederung ist für den Betroffenen richtig harte Arbeit! Das geht ja nicht nur darum, wieder zurück in den Betrieb zu finden, sondern es geht auch darum, was anders zu machen! (…) Und das sind nicht immer nur die äußeren Bedingungen, das sind auch innere, nämlich mal ‚nein‘ zu sagen, (…) weil das bringt mich wieder in so eine Drucksituation, die ich nicht mehr will! Das habe ich mehrfach so in der Begleitung der stufenweisen Wiedereingliederung festgestellt, dass das wirklich eigentlich der zentrale Knackpunkt ist.“ (PSY 5; F 2319).

Die inneren Bedingungen, die hier angesprochen werden, betreffen die individuelle Arbeitsumwelt, d. h. den Umgang mit den Arbeitsanforderungen. Beispiele dafür sind: die individuelle Verausgabungsbereitschaft, der Umgang mit stressigen Arbeitssituationen und die Distanzierungs- bzw. Erholungsfähigkeit von der Arbeit. Es geht darum, einen anderen Umgang mit den Anforderungen zu lernen. Dieser Prozess sollte im Einzelfall durch regelmäßige Feedback- und Coachinggespräche begleitet werden. Sie gehören zu einem guten Standard im BEM. Ein besserer Umgang mit den Arbeitsanforderungen verlangt gleichzeitig die Bereitschaft belastende Arbeitsbedingungen abzubauen bzw. zu minimieren. Arbeitsbedingungen wie z. B. hoher Termin- und Leistungsdruck, ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge, bei der Arbeit gestört bzw. unterbrochen zu werden, eine geringe Wertschätzung, Konflikte mit Vorgesetzten und/oder Kollegen sowie Arbeitsplatzunsicherheit (Lohmann-Haislah 2012; Rau et al. 2014). Das Ziel der Rückkehr ist eine bessere Passung der individuellen, sozialen und betrieblichen Arbeitsumwelt, die die Gesundheit der Zurückkehrenden zunehmend stabilisiert und deren Arbeitsfähigkeit sichert.

Phase der erneuten Koorientierung: Selbstmanagement und Selbstfürsorge

Nach einer erfolgreichen Wiedereingliederung sind die Mitarbeiter in der Regel weitgehend auf sich gestellt. Damit eine Wiedereingliederung auf die Dauer nachhaltig sein kann, ist es aus der Perspektive der RTW-Experten erforderlich, dass die zurückgekehrten Mitarbeiter im normalen Arbeitsalltag selbstbewusst mit ihrer Erkrankung, achtsam mit den alltäglichen Arbeitsanforderungen und ihren Belastungsgrenzen umgehen. Dazu zählt, frühzeitig Anzeichen der Überforderung und Erschöpfung wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren, aber auch die Position im Arbeitsteam durch Kontinuität zu festigen. Unterstützen können dabei Ansprechpartner, die helfen, auftretende Probleme oder Überforderungen zu reflektieren. Dies können vertraute Kollegen sein, die auch betrieblich in dieser Rolle anerkannt werden:

„Da braucht man eine Person, wo derjenige hingehen kann. (…) Also jemand, mit dem sie wirklich offen sprechen können (…) Also wirklich, wo ein Vertrauen besteht, dass derjenige, alles was ihm so begegnet, was ihn beschäftigt, auch rückmelden kann, ohne natürlich, dass es einen übermäßigen Umfang annimmt.“ (PSY 7,F 2319).

Entscheidend ist hierbei, dass es sich um ein kollegiales Verhältnis handelt. Kollegen sind keine Berater, keine Therapeuten, sondern Kollegen, die ihr Erfahrungswissen einbringen können und nicht mehr. Im optimalen Fall hilft dies, Irritationen aufzulösen und Wogen zu glätten. Darüber hinaus sind die RTW-Experten gefragt, wenn sich z.B. handfeste Konflikte abzeichnen oder sich bei zurückgekehrten Beschäftigten erneut ernsthafte Anzeichen einer psychischen Krise zeigen.

Schlussfolgerungen

Methodik

Die narrativ fundierten Interviews erwiesen sich für die vorliegende Studie als geeignete Erhebungsmethode zur Beschreibung der Anforderungen und Herausforderungen des RTW-Prozesses nach einer psychischen Krise aus der Perspektive der RTW-Experten. Die Auswertung mit der dokumentarischen Methode wiederum erwies sich als besonders geeignet zur Rekonstruktion und Beschreibung des Erfahrungs- und Handlungswissens der befragten RTW-Experten. Bei der Rekrutierung der Experten konnte vor allem eine Variation in Bezug auf die Betriebsgröße und die berufliche Tätigkeit (Betriebsärzte, Psychologen, Psychiater, Schwerbehindertenvertretungen etc.) erreicht werden. Darüber hinaus umfasst das Sample in erster Linie RTW-Experten mit einem fundierten Erfahrungs- und Handlungswissen im Bereich Wiedereingliederung nach einer psychischen Krise, was zugleich eine Stärke und eine Limitation der Studie ist. Die Rekrutierung der Interviewpersonen ermöglichte insgesamt eine Sättigung der Studienpopulation.

Inhalt

Erfolgreiche soziale Interaktion im RTW-Prozess zeichnet sich in erster Linie durch die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme bzw. -integration aus. Im Mittelpunkt steht dabei der erfahrungsbasierte Dialog mit den zurückkehrenden Mitarbeitern, gestaltet durch die Expertise und Einbeziehung der behandelnden Ärzte, der Betriebsärzte und weiterer betrieblicher Schlüsselakteure. Im Mittelpunkt steht auch ein unterstützendes Selbstmanagement und die gemeinsame Ausgestaltung bzw. Begleitung der Rückkehr. Ein erfolgreiches Handeln im RTW-Prozess ist letztlich kommunikatives, intersubjektives Verstehen und Verständigen. RTW-Coaches und -Koordinatoren nehmen in diesem Prozess eine Schlüsselrolle ein. Die beschriebenen Erkenntnisse der Studie verdeutlichen die hohen Anforderungen an die Qualifikation und Kompetenzen der begleitenden Experten. Professionalität hat ihren Preis und sollte zukünftig systematisch gefördert werden. Nur eine qualitativ hochwertige Koordination des RTW-Prozesses und die Begleitung der zurückkehrenden Beschäftigten rechtfertigt den damit verbundenen Aufwand. Erst dann ist ein BEM-Angebot ein gutes BEM. Abschließend lassen sich folgende Aspekte des RTW-Prozesses aus der Perspektive der RTW-Experten hervorheben:

  • Die Rückkehr in den Betrieb muss frühzeitig und sehr gut vorbereitet werden.
  • Stigmatisierung ist die zweite Erkrankung, die eine erfolgreiche Rückkehr behindert.
  • Es gibt nicht den „Standard-Erkrankten“ und deshalb auch kein „Standard-Verfahren“.
  • Vertrauen ist das A und O im RTW-Prozess.
  • Wiedereingliederung nach einer psychischen Krise ist für die Betroffenen „emotionale Schwerstarbeit“.
  • Wiedereingliederung braucht professionelle Begleitung und soziale Unterstützung.
  • Die STWE ist die zentrale Maßnahme nach psychischen Krisen.
  • Die beste STWE nützt wenig, wenn belastende Arbeitsbedingungen nicht minimiert werden.

Betriebliche Wiedereingliederung ist ein systemisch orientierter Prozess und agiert auf vier zentralen Ebenen der Arbeitsfähigkeit mehr oder weniger gleichzeitig:

  • auf der medizinischen Ebene mit Blick auf den Erhalt der Leistungsfähigkeit,
  • auf der psychischen Ebene mit Blick auf die emotionale Stabilität, die Motivation und die Selbstwirksamkeit der zurückkehrenden Mitarbeiter;
  • auf der sozialen Ebene mit Blick auf die Unterstützung durch professionelle Helfer, direkte Vorgesetzte und Kollegen;
  • auf der betrieblichen Ebene mit Blick auf Unterstützungsstrukturen und Gestaltung der Arbeitsbedingungen (Stegmann 2014).

Literatur

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Stegmann R: Gesund, fit und Leistungsfähig. Wiedereingliederung nach einer psychischen Krise und deren interaktionelle Dimension. VDBW Aktuell, Dezember 2014.

Stegmann R, Schröder UB: Anders Gesund. Return-to-Work nach einer psychischen Krise. Ein Handlungsleitfaden (2016 geplant).

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Wege N, Angerer P: Auswirkungen psychischer Erkrankungen auf Arbeitsfähigkeit und Rückkehr zur Arbeit. In: Angerer P, Glaser J, Gündel H et al. (Hrsg.): Psychische und psychosomatische Gesundheit in der Arbeit. Heidelberg: ecomed Medizin, 2014.

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Für die Verfasser

Ralf Stegmann

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

Fachbereich 3 Arbeit und Gesundheit

Nöldnerstraße 40–42

10317 Berlin

stegmann.ralf@baua.bund.de

Fußnoten

1 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Fachgruppe 3.3: Evidenzbasierte Arbeitsmedizin, Betriebliches Gesundheitsmanagement, Berlin

2 e-fect dialog evaluation consulting eG, Berlin

1 Die Auswertungen wurden im Rahmen von regelmäßig stattfindenden Gruppeninterpretationen diskutiert und abschließend abgestimmt.

2 Das Kürzel BA steht für Betriebsarzt

3 Das Kürzel PSY steht für Psychologe/Psychiater

4 Das Kürzel SBV steht für Schwerbehindertenvertretung