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Bestandsaufnahme für betriebliches Gesundheitsmanagement in KMU

Psychische Gefährdungsanalyse

Bei der Diskussion über die Vor- und Nachteile bestimmter Vorgehensweisen geht es zumeist darum, wie psychische Gefährdungen bzw. Gefährdungspotenziale in einem standardisierten Verfahren festgestellt und konkret benannt werden können, denn dies ist die Vor-aussetzung dafür, diese (konkreten) Gefähr-dungen vermeiden zu können oder sie zu-mindest zu limitieren. Der Betriebsarzt sollte sich dabei als der Experte für Gesundheit im Betrieb aktiv einbringen und dieses wichtige Feld der betrieblichen Gesundheitsförderung nicht ausschließlich anderen Profes-sionen überlassen.

Der Begriff der Gefährdung und der Duk-tus im Arbeitsschutzgesetz lassen erwarten, dass psychische Gefährdungen am Arbeitsplatz ähnlich feststellbar seien wie mechani-sche, elektrische oder chemische. Sieht man sich jedoch z. B. die Gefährdungspotenziale durch den Umgang mit chemischen Stoffen näher an, so zeigt sich, dass die Menge eines Gefahrstoffs im Körper oft auch vom Verhalten des einzelnen Mitarbeiters und von den speziellen Eigenarten seines Stoffwechsels abhängig ist. Die tatsächliche Gefährdung der betroffenen Person resultiert also aus dem Zusammenspiel von äußerer Belastung und individueller Disposition. In der Arbeitsmedizin führte diese Erkenntnis u. a. zur Entwicklung des Biomonitorings (s. auch Göen 2016).

Die Heterogenität menschlicher Eigen-schaften spielt für die tatsächliche Gefährdung also eine bedeutende Rolle. Und an-gesichts der Heterogenität psychischer Ei-genschaften, Fähigkeiten, Bedürfnisse und Wünsche des Menschen ist davon auszu-gehen, dass deren individuelle Ausprägungen einen großen Einfluss darauf haben, welche Art der Ausgestaltung von Arbeitsbedingungen für einen bestimmten Mit-arbeiter eine psychische Gefahr darstellt und welche nicht. So kann eine Arbeitsaufgabe für den einen eine Überforderung mit hohem Stressempfinden bedeuten, für den anderen eine willkommene Herausforderung. Sicher-lich gibt es aber auch z. B. verletzende Verhaltensweisen von Kollegen oder Vorgesetzten, die bei nahezu jeden Menschen eine psychische Beanspruchung hervorrufen.

Die gesetzlichen Mindestvorgaben zur psychischen Gefährdungsbeurteilung sind niedrig. So genügt es beispielsweise, nur Teile des Unternehmens einzubeziehen, auch müssen die Mitarbeiter nicht beteiligt werden (ArbschG § 5). Dabei besteht aus unserer Sicht die Gefahr, dringliche Probleme, die eine psychische Gefährdung darstellen, zu übersehen. Vielmehr empfiehlt es sich, die psychische Gefährdungsbeurteilung als systematische und umfassende Bedarfsanalyse für die Etablierung eines be-trieblichen Gesundheitsmanagements zu nutzen. Denn zwar von verschiedenen Vorgaben ausgehend, haben sowohl die psychi-sche Gefährdungsbeurteilung als auch die betriebliche Gesundheitsförderung die glei-chen Ziele: eine Unternehmenskultur zu etablieren, die die Gesundheit, die Leistungs-fähigkeit und die Motivation der Mitarbeiter erhält bzw. erhöht (siehe zu den Zielen der betrieblichen Gesundheitsförderung auch Tautz 2015).

Einflussfaktoren auf die (psychische) Gesundheit

Die psychische Gesundheit der Mitarbeiter wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst: Neben den individuellen Veranlagungen, dem Lebenswandel sowie dem Privatleben spielen eben auch die Arbeitsbedingungen eine große Rolle (siehe z. B. zum Burnout-Syndrom Von Känel 2008). Zu beachten ist hierbei auch der wechselseitige Einfluss: Physische Einflussfaktoren (z. B. Lärm) kön-nen sich auf die psychische Gesundheit und psychische Einflussfaktoren können sich auf die körperliche Gesundheit (z. B. Rücken-schmerzen aufgrund von sozialen Konflikten oder Stress am Arbeitsplatz) auswirken.

Folgende betriebliche Einflussfaktoren auf die psychische Gesundheit bzw. psychi-sche Einflussfaktoren im Betrieb auf die kör-perliche Gesundheit sind wissenschaftlich belegt:

Einflussfaktoren auf die psychische Gesund-heit:

  • Siegrist (2013) zeigt in seiner Übersichts-arbeit zum Arbeitsstressmodell beruflicher Gratifikationskrisen, dass fehlende soziale Anerkennung einer erbrachten Leistung vermehrt zu klinisch relevanten depressiven Störungen führt.
  • Ndjaboué et al. (2014) bestätigten dies für psychische Störungen allgemein: Eine geringe Anerkennung oder ein Missverhältnis von Engagement und Anerkennung führen zu vermehrten Fehlzeiten aufgrund psychischer Probleme.
  • Endo et al. (2015) fanden heraus, dass hoher Arbeitsstress zu erhöhtem Rückfall bei Depressionen führt.
  • Das Review von Okechukwu et al. (2014) legt dar, dass berufliche „Ungerechtigkeit“ („discrimination“, „harassment“, „abuse“, „bullying“) zu vermehrten psy-chischen Störungen und Erkrankungen führt.
  • Rau u. Henkel (2013) legen in ihrem Re-view dar, dass eine Vielzahl metaanalytischer Studien darauf hindeuten, dass folgende Faktoren für Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen verantwortlich sind:
    • eine objektiv und subjektiv als hoch bewertete Arbeitsintensität,
    • ein als nur gering wahrgenommener Handlungsspielraum,
    • eine gering erlebte berufliche Aner-kennung bei gleichzeitig hohen Anforderungen,
    • mangelnde erlebte soziale Unterstüt-zung,
    • wahrgenommener Rollenstress.
    • Das Erleben von Handlungsspielraum (unabhängig von dessen objektivem Vorhandensein) hat einen puffernden Effekt auf das Störungsrisiko.
  • Michie u. Williams (2003) identifizieren in ihrem Review ähnliche berufliche Fak-toren für psychische Störungen:
    • Arbeitsüberlastung und Arbeitsdruck,
    • widersprüchliche Anforderungen,
    • mangelnde Kontrolle über die Arbeit,
    • zwischenmenschliche Konflikte,
    • Mangel an Partizipation bei Entschei-dungen,
    • geringe soziale Unterstützung bei der Arbeit,
    • unklare Führung und Definition der eigenen Rolle sowie
    • Konflikte zwischen Arbeit und Familie.

Einflussfaktoren auf die körperliche Gesund-heit:

  • Ijzelenberg u. Burdorf (2005) zeigen z. B., dass der wahrgenommene Mangel an Unterstützung durch Vorgesetzte oder Kollegen einen erheblichen Einfluss auf Rückenschmerzen haben.
  • Kivimaki et al. (2005) zeigen den Zusam-menhang zwischen psychischen Faktoren und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Weiterhin ist zu bedenken, dass eine psychische Erkrankung oft multifaktoriell bedingt ist, d. h. neben den psychischen Belastungen der Arbeit bestimmen zudem auch die Veranlagung eines Mitarbeiters und sein privates Umfeld, ob schließlich eine psychi-sche Erkrankung ausbricht. Psychische Belastungen aus der Arbeit können sich also zu privaten addieren. Jedoch kann das betriebliche Umfeld auch als „stabilisierender Faktor“ wirken und private Belastungen so-weit kompensieren, dass eine Erkrankung verhindert wird. Dabei wirken die Arbeit und das soziale Umfeld der Arbeit dann als gesundheitliche Ressource (Salutogenese). Ein gutes Betriebsklima bedeutet also nicht nur, dass psychische Belastungen reduziert wer-den, sondern auch, dass mögliche psychische Erkrankungen aufgrund z. B. privater Fakto-ren ggf. vermieden und so die Arbeitskraft des Mitarbeiters erhalten werden kann.

Ganz besonders wichtig für Betriebe ist die Tatsache, dass einer psychischen Erkran-kung aufgrund zu hoher Belastungen am Ar-beitsplatz in der Regel (lange) Phasen der Demotivation und Frustration vorausgehen. Während dieser Phasen bringen die Mitarbeiter nicht mehr die volle Leistung und Kreativität ein. Dieser Zusammenhang wird im so genannten Eisbergmodell dargestellt ( Abb. 1): Nicht alle Mitarbeiter, die psychisch belastet sind, erkranken auch. Eine viel größere Anzahl ist unzufrieden, frustriert, kündigt innerlich oder hat Wechselgedanken. Dies kann zu mehr Fehlern und geringerer Motivation und Engagement füh-ren. Aus Sicht der Betriebe sollte es daher nicht nur darum gehen, die Spitze des Eisbergs – die psychischen Erkrankungen – zu vermeiden!

Eine gute Unternehmenskultur (mit Mög-lichkeiten der Aus- und Weiterbildung) kann hingegen die Motivation und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter steigern. Insbesondere kann z. B. eine gute Informationspolitik gegenüber der Belegschaft einen hohen po-sitiven Return on Invest (ROI) erzielen (siehe z. B. Fritz 2006; Fritz u. Richter 2011).

Belastung versus Beanspruchung

Wichtig für unser Vorgehen ist der schon oben angesprochene Unterschied von Belastungen und Beanspruchungen: Die gleiche Belastung führt je nach Person und Zeitpunkt zu unter-schiedlicher Beanspruchung (siehe z. B. Rau u. Henkel 2013).

Welche (objektiv feststellbaren) Belastungen allerdings für die Mitarbeiter eine Überlastung bedeuten, hängt nicht nur von Art und Höhe der Belastungen selbst ab, son-dern auch von den Fähigkeit und Vorlieben der Mitarbeiter. Es ist also besser zu fragen, ob die Mitarbeiter beansprucht sind, d. h. die Arbeitsbedingungen (subjektiv) als belastend, störend, frustrierend oder emotional anstrengend empfinden, als zu versuchen, die Arbeitsbedingungen nach einem festen Maßstab (welchen?!) zu beurteilen. Immer dann, wenn Mitarbeiter stark beansprucht sind, besteht auch eine Gefahr für ihre Ge-sundheit. Und zudem beeinflusst der Grad ihrer Beanspruchung wesentlich ihre Motivation und mittelfristig auch die Leistungsfähigkeit.

Sieht man die psychische Gefährdungsbeurteilung nicht nur als Pflicht an, sondern als ein Investment, das einen möglichst ho-hen Return on Invest haben soll, so sind al-so mindestens die folgende drei Ziele von Bedeutung:

  • Gesundheit der Mitarbeiter im engeren (medizinischen) Sinne,
  • Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter (inklusive Aus- und Weiterbildung),
  • Motivation der Mitarbeiter.

Dies sind auch die Ziele eines systematischen betrieblichen Gesundheitsmanagements, wie z. B. im Handbuch der Arbeitsmedizin dargelegt (Tautz 2015). Somit ist die psychi-sche Gefährdungsbeurteilung ein fester Bestandteil eines ganzheitlichen betrieblichen Gesundheitsmanagements.

Die von uns entwickelte Methode zur psychischen Gefährdungsbeurteilung identifiziert konkrete Probleme, die diesen drei Zielen zuwiderlaufen und dabei zugleich auch Verbesserungsvorschläge der Mitarbei-ter erfassen, um möglichst schnelle und konsensfähige Lösungen zu realisieren.

Unsere Methode zur psychischen Gefährdungsbeurteilung

Zentrales Element ist unser Befragungstool, das seit 2006 bei KMU und Großunternehmen aus verschiedenen Branchen eingesetzt wird. Hierbei sind u. a. Unternehmen aus dem Dienstleistungsbereich, der Industrie, Verwaltung/Behörden, aber auch dem Bereich Gesundheitswesen oder Schulen abgedeckt (n [Datensätze]> 20 000; Rückläufe bis zu 89 %).

Zur Analyse der psychischen Gefährdung am Arbeitsplatz wird ein bis zu dreistufiges Verfahren durchgeführt: In der ersten Stufe werden die Beanspruchungen der Mitarbei-ter per Vollbefragung ermittelt. Die Vollbefragung der Mitarbeiter eignet sich gegenüber Pilotgruppenbefragungen zum einen deshalb besonders gut, da bestimmte psychische Arbeitsplatzbedingungen (z. B. die Führungs-qualität) für jede Abteilung nur durch Befra-gung aller Mitarbeiter erfasst werden können; schließlich gibt es keinen typischen Arbeitsplatz in dieser Hinsicht, jede Führungskraft hat eigene Stärken und Schwächen. Zum anderen kann man davon ausgehen, nur ehr-liche Antworten der Mitarbeiter zu erhalten, wenn ihnen absolute Anonymität im Verfahren zugesichert wird (siehe zu verschiedenen Vorgehensweisen auch BAuA 2014); ist die Anzahl der Befragten zu klein, wird schnell die Anonymität angezweifelt.

Eine gut gemachte Gefährdungsbeurtei-lung muss handlungsrelevantes Wissen lie-fern, nur allein die Benennung relativ abstrak-ter Problemfelder reicht nicht aus. Deshalb werden bei unserer Methode zur psychischen Gefährdungsbeurteilung quantitative und qualitative Methoden kombiniert: So bekom-men die Befragten neben den quantitativen Fragen (Ankreuzfragen) auch qualitative Fra-gen gestellt (Freitextfragen), bei denen sie sowohl Gründe für ihre Bewertungen als auch Verbesserungsvorschläge in Textfelder schreiben können. Diese werden nicht wört-lich an den Betrieb weitergegeben, sondern unter der Nennung der Häufigkeiten in sinn-gleiche Kategorien zusammengefasst. Sie konkretisieren auf eine sehr plastische Art die Antworten der quantitativen Fragen.

Dabei sind unsere abgefragten Themen, die u. a. den wissenschaftlichen Kenntnisstand zu Einflüssen auf die (psychische) Ge-sundheit berücksichtigen, modular aufge-baut. Aufgrund des Wandels in der Arbeitswelt hin zu weiterer Flexibilisierung u. a. auch durch Digitalisierung und die damit verbun-dene permanente Erreichbarkeit wurde un-ser Befragungstool thematisch um die Gefahren einer Überlastung durch permanente Erreichbarkeit und Verfügbarkeit erweitert (z. B. Umgang mit Handy und E-Mail; Modulinhalte s. Infokasten).

Stufe 1 der Analyse endet mit der gesamten Auswertung der quantitativen und qualitativen Fragen sowie der Identifikation von Risikogruppen bzw. Risikobereiche.

Die Ergebnisse der Befragungen sowohl für das gesamte Unternehmen als auch für Untergruppen wie z. B. Abteilungen werden in verschiedenen Grafikformen ( Abb. 2 und 3) und Tabellen ( Abb. 4 und 5) auf-bereitet und in Berichtform (anonymisiert) zusammengefasst. Zur Orientierung und Einordnung der eigenen Ergebnisse stehen branchenspezifische Vergleichswerte zur Verfügung. Da sich oftmals große Unterschiede zwischen den Abteilungen zeigen (besonders hinsichtlich der Fragen, die sich auf die Führungsqualität beziehen), ist von einer Teilbefragung im Unternehmen abzuraten. Ebenso ist generell eine Befragung der Mitarbeiter versus einer Einschätzung der Lage hinsichtlich psychischer Gefährdung durch die Leitungsebene dringend zu emp-fehlen, da es hin und wieder zu völlig unterwarteten Ergebnisse kommt: In einem kleineren Produktionsbetrieb wurde beispielsweise die Frage nach der Monotonie trotz augenscheinlich monotoner Arbeitsanforderungen von etwa 90 % der Befragungsteilnehmer mit „in Ordnung“ beantwortet („nicht in Ordnung“ 4,5 %, keine Angabe 5,5 %, n = 110).

Zusätzlich werden die Ergebnisse der quantitativen Analysen aufgeschlüsselt nach allen abgefragten Untergruppen (z. B. Abtei-lung, Alter, Tätigkeit etc.) in einer Ergebnistabelle dargestellt, in der man aufgrund der besonderen Darstellungsart und der farblichen Markierungen sehr schnell einen Überblick darüber bekommt, welche Themen-bereiche oder welche Untergruppen kritisch (= rot markiert) bis zu sehr gut (= grün markiert) einzuschätzen sind und wie man im Vergleich zu anderen Unternehmen steht (s. Abb. 4).

Die Ergebnisse samt Berichten und Do-kumentation werden den Unternehmen bzw. den verantwortlichen Gesundheitsbeauftragten präsentiert. Dabei wird identifiziert, ob Stufe 2 mit weiteren Analysen oder Stufe 3 mit Maßnahmenableitungen bzw. Handlungsempfehlungen folgt. Bisherige Ergebnisse zeigten, dass die Hauptproblem-bereiche die der psychischen, physischen und sozialen Situationen am Arbeitsplatz sind. Vor allem in den Bereichen Führungsstil, Stress durch Überarbeitung sowie Or-ganisationsstrukturen und das soziale „Miteinander“ können aufgrund der Nennungen aus den Freitextfeldern konkrete Handlungsempfehlungen abgeleitet werden, da in diesen von den Mitarbeitern nicht nur konkrete Hinweise über Missstände mitgeteilt, sondern auch mögliche Handlungsfelder und Verbesserungsvorschläge benannt werden (s. Abb. 5).

Sofern es zur Identifikation von Risikogruppen kam, werden in Stufe 2 der BMQ-Methode zur psychischem Gefährdungsanalyse Interviews mit diesen Gruppen zur genaueren Eingrenzung der Problemfelder durchgeführt.

Sowohl in Stufe 1 wie auch in Stufe 2 kommt es zur Ableitung von Maßnahmen, die in Stufe 3 dann an das Unternehmen spezifisch angepasst, durchgeführt und auf ihren Erfolg hin evaluiert werden. (Die Durchführung und Erfolgsevaluation von Maßnahmen ist ein verpflichtender Bestandteil der psychischen Gefährdungsanalyse nach § 5 ArbSchG.)

Im Idealfall kommt es zu einer Implementierung der psychischen Gefährdungsanalyse in das betriebliche Gesundheits-management und damit zu einer regelmä-ßigen Wiederholung der Analysen. Dabei können die Wiederholungen unterschiedlich gestaffelt sein, da eine ausführliche Gesamt-evaluation, wie zuvor beschrieben, in derselben Frequenz wie die Evaluation einzelner Maßnahmen oder einzelner Problembereiche in derselben Frequenz weder nötig noch sinnvoll ist.

Es zeigt sich, dass eine externe Durchführung der Analyse in Kombination mit einem offen kommunizierten Datenschutzkonzept das Vertrauen bei den Befragten bzgl. Anony-mität deutlich erhöht und somit eine zentrale Voraussetzung für eine hohe Rücklauf-quote ist. Zusätzlich ist wichtig, dass sowohl die Unternehmensleitung als auch der Betriebs- oder Personalrat die Analysen unterstützen. Für die Unternehmensleitung gilt weiterhin, dass sie nicht nur ihre Unterstützung kommunizieren muss, sondern auch, welche Ziele sie verfolgt und dass sie bereit ist, bei bestimmten Problemen Konsequenzen zu ziehen.

Mit diesem Vorgehen werden auch die Anforderungen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie GDA (GDA 2015) erfüllt:

  • Festlegen konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen nach dem Stand der Technik (bei diesem Schritt ist die Rangfolge der Schutzmaßnahmen nach § 4 Arbeitsschutzgesetz zu beachten),
  • Durchführen der Maßnahmen,
  • Überprüfen der Wirksamkeit der Maßnahmen,
  • Fortschreiben der Gefährdungsbeurteilung (insbesondere Anpassung im Falle geänderter betrieblicher Gegebenheiten § 3 Arbeitsschutzgesetz).

Mit einer Wiederholung des Einsatzes unse-res Befragungstools (Follow-up) kann regel-mäßig überprüft werden, ob festgestellte konkrete Problemlagen gelöst bzw. ob Verbesserungen erreicht wurden oder neue Pro-blemfelder entstanden sind.

Im Rahmen eines ganzheitlichen betrieb-lichen Gesundheitsmanagements sollte die Durchführung der psychischen Gefährdungs-beurteilung nicht nur ein verpflichtender Be-standteil sein, sondern als eine Möglichkeit gesehen werden, präventiv Belastungen am Arbeitsplatz zu begegnen. Die Integration des Betriebsarztes in die gesamten Prozesse ist empfehlenswert.

Literatur

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) (Hrsg.): Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung – Erfahrungen und Empfehlungen, 1. Aufl. Berlin: Erich Schmitt Verlag, 2014.

Endo M et al.: Risk factors of recurrent sickness ab-sence due to depression: a two-year cohort study among Japanese employees. Int Arch Occup Environ Health 2015; 88: 75–83.

Fritz S: Ökonomischer Nutzen weicher Kennzahlen. Zürich: vdf Hochschulverlag, 2006.

Göen T: Erfassung der individuellen Gefahrstoffbelastung (Biomonitoring). In: Greim H (Hrsg.): Toxikologie – Einführung für Naturwissenschaftler und Mediziner. Weinheim: WILEY-VCH, 2016.

Ijzelenberg W, Burdorf A: Risk factors for musculo-skeletal symptoms and ensuing health care use and sick leave. Spine 2005; 30: 1550–1556.

Kivimäki M et al.: Justice at work and reduced risk of coronary heart disease among employees. The White-hall II Study. Arch Int Med 2005; 165: 2245–2251.

Michie S, Williams S: Reducing work related psycho-logical ill health and sickness absence: a systematic literature review. Occup Environ Med 2003; 60: 3–9.

Ndjaboué R et al.: Effort–reward imbalance and medi-cally certified absence for mental health problems: a prospective study of white-collar workers. Occup Environ Med 2014; 71: 40–47.

Okechukwu CA. Discrimination, harassment, abuse, and bullying in the workplace: contribution of work-place injustice to occupational health disparities. Am J Ind Med 2014; 57: 573–586.

Rau R, Henkel D: Zusammenhang von Arbeitsbelas-tungen und psychischen Erkrankungen. Review der Datenlage. Nervenarzt 2013; 84:791–798.

Siegrist J: Berufliche Gratifikationskrisen und depres-sive Störungen Aktuelle Forschungsevidenz. Nerven-arzt 2013; 84: 33–37.

Tautz A: Betriebliches Gesundheitsmanagement – Betriebliche Gesundheitsförderung – Well-being/Wohlbefinden am Arbeitsplatz. In: Letzel S, No-wak D (Hrsg.): Handbuch Arbeitsmedizin. Lands-berg: ecomed 3/2015.

Fußnoten

1 Der Einfachheit und Lesbarkeit halber verwenden wir immer die männliche Form, selbstverständlich sind damit aber beide Geschlechter gemeint.

    Info

    Modulinhalte unseres Befragungstools1:

    • Physische Arbeitsbedingungen
    • Arbeitsplatzgestaltung, Raum, Lärm etc.
    • Arbeitsablauf/-organisation
    • Psychische Belastung
    • Burnout
    • Quantitative Arbeitsbelastung
    • Qualitative Arbeitsbelastung
    • Verfügbarkeit/Erreichbarkeit
    • Monotonie
    • Work-Life-Balance
    • Kinderbetreuung
    • Führungsqualität
    • Zusammenarbeit mit Kollegen
    • Entwicklungsmöglichkeiten
    • Empfundene Arbeitsqualität

    1 Eine Auswahl unserer Fragenmodule wurde in das Ganzheit-liche betriebliche Gesundheitsmanagementsystem GABEGS des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration integriert (BMQ-IPASUM Fragebogen).

    Weitere Infos

    Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)

    www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/arbschg/gesamt.pdf

    Fritz S, Richter P: Effektivität und Nutzen betrieblicher Gesund-heitsförderung. Wie lässt sich beides sinnvoll messen? 2011

    s11553-010-0271-0_Sigrun_Fritz@meer-wert_com.pdf" target="_blank" >meer-wert.com/upload/download/s11553-010-0271-0_Sigrun_Fritz@meer-wert_com.pdf

    Gemeinsame Deutsche Arbeits-schutzstrategie (GDA): Arbeits-schutz gemeinsam anpacken. Leitlinie Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation.

    www.gda-portal.de/de/pdf/Leitlinie-Gefaehrdungsbeurteilung.pdf?__blob=publicationFile

    Von Känel R: Das Burnout-Syndrom: eine medizinische Perspektive. Praxis 2008; 97: 477–487

    www.congress-info.ch/upload/39/File/Handout_1_Prof%20Roland%20von%20Kaenel.pdf

    Für die Autoren

    Dr. phil. Johannes Kiesel

    Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin (IPASUM)

    Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

    Schillerstraße 25 + 29

    91054 Erlangen

    johannes.kiesel@fau.de

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