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Ausschuss für Arbeitsmedizin (AfAMed) beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales– Folge 7 –

AME: Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit - Folge 7

Vorwort

Im demografischen Wandel wird Gesundheit zum kostbaren Gut in der Arbeitswelt. Es gibt weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter, das Durchschnittsalter der Belegschaften steigt und die Menschen bleiben länger im Arbeitsleben. Auch Belastungssituationen im Betrieb, die durch komplizierte Abläufe oder enge Zeitvorgaben verursacht werden, wirken sich auf die Gesundheit der Beschäftigten aus.

Deshalb setzen kluge Arbeitgeber auf betriebliche Prävention und Gesundheitsförde-rung. Dabei stehen ihnen Betriebsärztinnen und -ärzte als Experten zur Seite. Sie wissen, wie Unternehmen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Belastungen schützen und ihre Beschäftigungsfähigkeit durch positive Einflüsse erhalten und stärken können. Sie wissen, wie man ein Umfeld schafft, in dem die Beschäftigten bis zum Rentenalter erwerbs-tätig sein können. Das physiologische Altern lässt sich nicht aufhalten. Aber wir können dafür sorgen, dass uns die älteren Beschäftigten mit ihren unschätzbaren Erfahrungen und ihrem großen betrieblichen Wissen so lange wie möglich erhalten bleiben.

Ursula von der Leyen

ehemalige Bundesministerin für Arbeit und Soziales

Einleitung

Arbeitsmedizinische Empfehlungen (AME) beruhen auf gesicherten arbeitsmedizini-schen Erkenntnissen. Sie werden vom Aus-schuss für Arbeitsmedizin (AfAMed) aufgestellt oder angepasst und vom Bundes-ministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) veröffentlicht. Im Gegensatz zu den Arbeits-medizinischen Regeln (AMR) haben AME keine Vermutungswirkung, sondern allein Empfehlungscharakter. Im Rahmen der Emp-fehlungen werden die Herausforderungen der betriebsärztlichen Praxis angesprochen. Es wird aufgezeigt, welche Chancen in der betriebsärztlichen Betreuung der Beschäftigten – angesichts des demografischen Wandels in der Bevölkerung wie auch bei der Bewältigung der Herausforderungen in der sich rasant verändernden Arbeitswelt – stecken.

In 8 Folgen wird ASU die AME „Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit“ des Ausschusses Arbeitsmedizin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vorstellen. Diese AME wurde von einem Arbeitskreis des AfAMed erarbeitet. Mitglieder und Autoren waren: Joachim Bischof, Brigitte Hoffmann, Petra Müller-Knöß, Beate Nölle, Annegret Schoeller, Ralf Stegmann, Joachim Stork (leitend), Andreas Tautz, Stefanie Wagner.

Die Folge 1 geht auf die Ziele und zen-tralen Aussagen sowie auf Kapitel 1 „Präven-tion braucht ein gemeinsames Verständnis“ der AME ein. Folge 2 stellt Kapitel 2 vor, das die Grundlagen zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit aufführt, wie Leistungsfähig-keit und Belastbarkeit im Erwerbsverlauf, Gesundheit und chronische Erkrankungen, sozialer Status, Gesundheit und Beschäftigungsfähigkeit sowie Arbeitsbedingungen und Altern.

Folgen 3 bis 6 greifen das Kapitel 3 auf, das sich unter anderem mit der Gestaltung betrieblicher Prävention und Gesundheitsförderung befasst sowie mit der Primärprävention im Sinne von Alterns- und gesundheitsgerechte Arbeitsgestaltung, mit arbeitsmedizinischer Beratung bei der Arbeitsgestaltung, mit Arbeitsplatz-/Betriebsbegehungen, Führung und Gesundheit, sekundäre Prävention durch Früherkennung, mit der arbeitsmedizinischen Vorsorge und verbesserte Arbeitsgestaltung, betrieblichen Gesundheitsförderung, mit der Rehabilitation, Integration und betriebliches Eingliederungsmanagement einschließlich der Rolle der Betriebsärzte.

Folge 7 hat Kapitel 4 zum Thema, das auf praktikable Kennzahlensysteme für die betriebliche Prävention und auf Beispiele praktikabler Gesundheitskennzahlen eingeht. Die Folge 8 hat Kapitel 5 „Rolle der Betriebsärzte im Rahmen eines Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM)“ sowie das Kapitel 6, das sich auf spezifische Anforderungen an die Prävention in Klein- und Mittelbetrieben sowie auf die besonderen Erfordernisse und Ansätze der Prävention und betrieblichen Gesundheitsförderung in KMU fokussiert zum Inhalt.

4 Praktikable Kennzahlensysteme für die betriebliche Prävention

Um den Ansatz eines integrierten Gesundheitsmanagements im Betrieb voranzubringen, benötigt man entsprechende Hilfsmittel. In diesem Zusammenhang hat sich der bekannte PDCA-Zyklus bewährt, der auf präventionsrelevante Themen herunter zu brechen ist ( Abb. 1). Im Rahmen des PDCA-Zyklus ergibt sich unter „check“ die Notwendigkeit, durchgeführte Maßnahmen und Ergebnisse kontinuierlich verfolgen und bewerten zu können. Erst danach lässt sich oft die Wirksamkeit des gemeinsamen Handelns bewerten.

Der Anspruch einer „evidenzbasierten betrieblichen Prävention“, besonders aber die Anforderungen an ein BGM, erfordern es, sinnvolle und nicht sinnvolle Handlungs-ansätze möglichst mess-, bewert- und un-terscheidbar zu machen. Die Evaluation aller Handlungsansätze trägt zur Akzeptanz durch Arbeitgeber und Beschäftigte maßgeblich bei.

Welche Kennzahlen aussagefähig sind und zudem eine positive Steuerungsgröße darstellen, hängt neben den abgestimmten betrieblichen Präventionszielen auch von ihrer Qualität, Vollständigkeit, Aktualität und Verfügbarkeit ab. Zunächst ist die Aus-wertung der Untersuchungsdaten aus arbeitsmedizinischer Vorsorge und die Ableitung angemessener Handlungsempfehlungen eine Aufgabe der Betriebsärzte nach ASiG. Weitere Kennzahlen (z. B. zum Unfall-geschehen) sind in der Regel verfügbar oder mit begrenztem Aufwand generierbar.

Die Verwendung von Kennzahlen im BGM sollte allerdings – wie alle grundsätz-lichen Aspekte des BGM – zwischen den be-trieblichen Partnern im Konsens festgelegt werden. Unabhängig davon sind die Einhaltung aller Standards des Datenschutzes, der ärztlichen Schweigepflicht und die Wahrung der Persönlichkeitsrechte unverzichtbar und unterliegen auch bei Konsens der Sozialpartner nicht der betrieblichen Entscheidungs-findung.

Aus der arbeitsmedizinischen Vorsorge abgeleitete Daten haben den Vorteil, dass sie in unmittelbarem Bezug untereinander, zur Tätigkeit, zum Arbeitsbereich und ggf. zu Expositionsdaten aktuell und im Längsschnitt auswertbar sind. Zudem besteht im Rahmen der individuellen Beratung die Chance, mit den Beschäftigten über ihre Arbeitssituation und über ihre Gesundheit zu sprechen. Dabei kommen bei einem stabilen Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitsmediziner und Beschäftigten oft Themen zur Sprache, die in keinem Fragebogen vor-gesehen, aber von hoher Bedeutung für die Prävention sind.

Die Datenqualität, die Auswertungskompetenz und das Sicherstellen der Anony-mität aller personenbezogenen Daten sind die entscheidenden Voraussetzungen jeder Verwendung von Gesundheitsdaten. Insbesondere die leider verbreitete unkritische Verwendung von Arbeitsunfähigkeitsdaten ohne elementare Standardisierung (Alter, Geschlecht, vorwiegend manuelle versus kognitive Arbeit) ist zu vermeiden, da hier die Gefahr besteht, dass deren „Ergebnisse“ irreführend sein können.

Zu den elementaren Anforderungen ge-hört selbstverständlich auch das Aufstellen zu prüfender Hypothesen vor der Datenauswertung. Die erhobenen Daten sollten in verständlichen Grafiken/Texten dargestellt bzw. erläutert werden, damit die Kenn-zahlen im Unternehmen auch als Argumen-tations- und Überzeugungsmittel eingesetzt werden können. Nicht zuletzt gilt es festzulegen, in welchen Arbeits- und Entscheidungsgremien welche anonymisierten Daten in welcher Detaillierung präsentiert werden.

4.1 Beispiele praktikabler Gesundheitskennzahlen

Die folgende Liste möglicher Gesundheitskennzahlen erhebt weder den Anspruch auf Vollständigkeit, noch soll sie einen „guten Berichtsstandard“ im BGM definieren. Viel-mehr soll sie einige Beispiele oft verfügbarer und in der Praxis bewährter Parameter aufzeigen, aus denen – in Abhängigkeit von der betrieblichen Situation und den präventiven Zielsetzungen – eine sinnvolle Auswahl getroffen werden kann. Ein Teil dieser Daten ist nur in Mittel- und Großbetrieben verfügbar. Grundsätzlich ist aber auch in Kleinbetrieben in Grenzen ein kennzahlen-orientiertes Arbeiten in der Prävention mög-lich:

Objektive Gesundheitsdaten

  • Erhebung objektiver Gesundheitsparameter durch arbeitsmedizinische Vorsorge,
  • Häufigkeit chronischer Erkrankungen,
    • welche? z. B. Bewegungsapparat, Herz-Kreislauf, Stoffwechsel, psychische Erkrankungen
    • bei wem? z. B. Alter, Geschlecht
    • bei welchen Mitarbeitergruppen? z. B. direkte/indirekte Mitarbeiter oder Führungskräfte
  • Häufigkeiten gesundheitlicher Risikofaktoren (Rauchen, Übergewicht, metabolisches Syndrom, Diabetes etc.); ggf. aggregiert als Risiko-Score,
  • Häufigkeiten und Anzahl von Berufskrankheiten,
  • Arbeitsunfälle, einschließlich geringfügiger, aber präventionsrelevanter Verletzungen ohne Meldepflicht,
  • Fluktuationsrate in einzelnen Unterneh-mensbereichen.

Subjektive Gesundheitsdaten

  • Daten aus arbeitsmedizinischer Vorsorge (z. B. subjektives Wohlbefinden, Arbeitszufriedenheit, Selbsteinschätzung der eigenen Gesundheit, Fragen zur psychi-schen Gesundheit, usw.),
  • Daten aus Belegschaftsbefragungen (z. B. zur Arbeitgeberattraktivität, Stimmungs-barometer, Motivation, usw.).

Kennzahlen zur Güte der Arbeitsplatz-gestaltung, Arbeitsorganisation und Arbeitszufriedenheit

  • aus ergonomischen Bewertungssyste-men abgeleitete Kennzahlen zur Qualität der Arbeitsgestaltung (z. B. unternehmensspezifische Scores in der Automobilindustrie),
  • Daten zur Erfassung von Arbeitsplatzexpositionen und Umgebungsfaktoren (Gefahrstoffmessungen, Luftqualität, Beleuchtung, Lärm, Klima, usw.),
  • Daten aus Belegschaftsbefragungen.

Häufigkeit von Einschränkungen der Einsatzflexibilität

  • Art, Anzahl und Häufigkeit von „leistungsgewandelten“ Mitarbeitern, die adäquat oder nicht adäquat einsetzbar sind,
  • Anzahl vorhandener und zu schaffender Arbeitsplätze für leistungsgewandelte Mitarbeiter,
  • Erhebung von Daten zum gesundheitsgerechten Personaleinsatz entsprechend der arbeitsmedizinischen Einsatzempfehlung (Ist der „richtige“ Mitarbeiter auf dem „richtigen“ Arbeitsplatz eingesetzt?).

Erhebung von Kranken-/bzw. Anwesenheitsständen, Erwerbsunfähigkeit

  • Fehlzeiten aufgeteilt nach Häufigkeit und Länge der Abwesenheit,
  • diagnosespezifische Arbeitsunfähigkeiten (Auswertungen der Krankenkassen wie z. B. „Gesundheitsbericht“),
  • Häufigkeit der Frühberentung wegen vor-zeitiger Erwerbsunfähigkeit.

Realisierte Gesundheits- und Präventionsprogramme

  • Erhebung der Teilnahmequoten (Abgleich erwartet/tatsächlich teilgenommen),
  • Daten zur Evaluation/Zielerreichung von Maßnahmen und Programmen. 

    Aufbereitet von

    Dr. med. A. E. Schoeller

    Bereichsleiterin im Dezernat 5 – Versorgung und Kooperation mit Gesundheitsfachberufen

    Bundesärztekammer, Berlin

    Herbert-Lewin-Platz 1

    10623 Berlin

    annegret.schoeller@baek.de

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