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Ermittlung der Arbeitsfähigkeit anhand eines reduzierten Work Ability Index (WAI-r)

Ermittlung der Arbeitsfähigkeit anhand eines reduzierten Work Ability Index (WAI-r)

Ziel: Im Rahmen von Beschäftigtenbefragungen ist der Einsatz des kompletten „Work Ability Index“ (WAI) kritisch zu betrachten, da bei der Erfragung von Diagnosen insbesondere fehlende oder sozial erwünschte Angaben zu erwarten sind. Ziel ist es, die Validität einer um die diagnosebezogenen Fragen reduzierten Version (WAI‑r) zu ermitteln und die WAI‑Extremgruppen „sehr gute“ und „schlechte Arbeitsfähigkeit“ zu prognostizieren.

Kollektiv und Methode: Anhand von zwei Datensätzen (1: Fremdeinschätzung mit n = 103; 2: Selbsteinschätzung mit n = 667) werden (Partial-)Korrelationen zwischen den beiden WAI‑Versionen sowie zum Außenkriterium „subjektive Gesundheit“ (Datensatz 2) ermittelt. Die WAI‑Extremgruppen werden mittels logistischer Regression einschließlich ROC‑Analysen prognostiziert.

Ergebnisse: In beiden Datensätzen ist die Korrelation auch unter Kontrolle des Alters mit r > 0,9 substanziell. Die Korrelation mit dem Außenkriterium ist bei beiden Versionen vergleichbar (r ~ 0,7). Die Prognosegüte für die beiden Extremgruppen ist außerordentlich (AUC > 0,95, R² > 0,77, > 90 % korrekte Treffer). Die Wahl des Trennwerts ist zwar nicht eindeutig, aber in einem engen Intervall.

Schlussfolgerungen: Der WAI‑r ist extern valide. Vergleichswerte der Vollversion sind nach Standardisierung der Spannweiten zumindest orientierend nutzbar. Die ermittelten Trennwerte für die WAI‑Extremgruppen sind belastbar und eröffnen Potenziale insbesondere für Gruppenauswertungen. Die Vorteile des WAI‑r im Rahmen von Beschäftigtenbefragungen – höhere Akzeptanz, weniger fehlende Angaben, weniger sozial erwünschte Antworten, verkürzte Antwortzeiten und erwartbar höhere Rücklaufquoten – überwiegen die möglichen, geringen Einbußen bei den Detailinformationen.

Schlüsselwörter: Work Ability Index (WAI) – Beschäftigtenbefragung – Prognose – Regression

Determination of work ability by a Work Ability Index short form (WAI-r)

Aim: There has to be a critical view on using the complete Work Ability Index (WAI) within employee surveys, because requests about diagnosis may evoke missings and desirable answers. The aim is to detect validity of a work ability index short version (WAI-r) which does not include diagnosis related items and to predict WAI groups of excellent and poor work ability.

Method: Using two datasets (1: external assessment with n = 103; 2: self-report with n = 667) (partial)correlations between the two versions of WAI are calculated as well as to the external criterion “subjective health” (dateset 2). WAI‑groups of poor and excellent work ability are predicted applying logistic regression including ROC analysis.

Results: In both datasets correlation is r > .9, even if age is statistically controlled. Correlation to external criterion is in both versions similar (r ~ 0.7). The predictive value for both groups of interest (persons with excellent work ability and for persons with poor work ability) is high (AUC > 0.95, R2 > 0.77, > 90 % hits). The election of the cutpoint is not distinct but in a small range.

Conclusions: WAI‑r is external valide. With standardised ranges comparative values of the full version are useable at least for orientation. The cutpoints for excellent and poor work ability are stressable and beneficial particularly for group analysis. WAI‑r within employee surveys provides advantages as there are higher acceptance, less missing values, less desirable answers, less time required and higher return rates. These may outweigh the potentially minor losses of detailed data.

Keywords: Work Ability Index (WAI) – employee survey – prediction – regression

C. Hetzel1

R. Baumann1

H. Bilhuber

M. Mozdzanowski1

(eingegangen am 17. 10. 2013, angenommen am 10. 11. 2013)

Der Work Ability Index (WAI, auch Arbeitsfähigkeitsindex oder Arbeitsbewältigungsindex genannt) ist ein Verfahren zur Erfassung der Arbeitsfähigkeit von Erwerbstätigen. Der WAI zeigt auf, inwieweit ein Beschäftigter angesichts seiner persönlichen Voraussetzungen sowie angesichts der bei ihm vorliegenden Arbeitsbedingungen in der Lage ist, seine Arbeit zu verrichten. Ziel der Anwendung in Betrieben ist die Förderung bzw. Erhaltung der Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten. Der WAI ist international das gebräuchlichste Fragebogeninstrument zur Erfassung der Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten (van den Berg et al. 2009; Ilmarinen 2009). Der WAI wurde in den 1980er Jahren entwickelt (vgl. Hasselhorn u. Freude 2007; Gould et al. 2008), wird in Deutschland vorwiegend betriebsärztlich eingesetzt, aber auch im Rahmen der Betriebsepidemiologie und in der sozialepidemiologischen Forschung (Praxisberichte z. B. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2011; jüngere Studien z. B. Bethge et al. 2012; Bilhuber 2012; zur Kritik Hasselhorn et al. 2005).

Der WAI ist theoretisch fundiert (Hasselhorn u. Freude 2007; Ilmarinen 2009). Zwar ist die interne Validität nicht eindeutig (Hasselhorn 2007), aber er ist prädiktiv valide bezüglich Berufsunfähigkeit, Lebensqualität im Ruhestand, Mortalität, erfolgreiche berufliche Wiedereingliederung (Tuomi et al. 2001; Hasselhorn 2007; Alavinia et al. 2009) sowie Lebensqualität, ärztliche Versorgung sowie subjektiver Bedarf und Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen (Bethge et al. 2012).

Der WAI besteht aus sieben sog. WAI-Dimensionen mit zusammen elf Fragen (mit * sind die Fragen des WAI‑r [r = reduzierte Fassung] markiert):

  • WAI 1*: Derzeitige Arbeitsfähigkeit im Vergleich zu der besten, je erreichten Arbeitsfähigkeit.
  • WAI 2*: Arbeitsfähigkeit in Relation zu den Arbeitsanforderungen (Wie schätzen Sie Ihre derzeitige Arbeitsfähigkeit in Relation zu den körperlichen Arbeitsanforderungen ein? … zu den psychischen Arbeitsanforderungen ein?)
  • WAI 3: Anzahl der aktuellen, vom Arzt diagnostizierten Krankheiten (Langversion = 50, Kurzversion = 13 Krankheiten/Krankheitsgruppen)
  • WAI 4: Geschätzte Beeinträchtigung der Arbeitsleistung durch die Krankheiten (Behindert Sie derzeit eine Erkrankung oder Verletzung bei der Arbeit?)
  • WAI 5*: Krankenstand im vergangenen Jahr (Anzahl Tage)
  • WAI 6*: Einschätzung der eigenen Arbeitsfähigkeit in zwei Jahren (Glauben Sie, dass Sie, ausgehend von Ihrem jetzigen Gesundheitszustand, Ihre derzeitige Arbeit auch in den nächsten zwei Jahren ausüben können?)
  • WAI 7*: Psychische Leistungsreserven (Haben Sie in der letzten Zeit Ihre täglichen Aufgaben mit Freude erledigt? Waren Sie in letzter Zeit aktiv und rege? Waren Sie in der letzten Zeit zuversichtlich, was die Zukunft betrifft?)

Die Auswertung erfolgt für vollständige Daten über einen gewichteten Summenscore, der in vier Gruppen der Arbeitsfähigkeit kategorisiert wird (siehe dazu http://www.arbeitsfaehigkeit.net, zur Validität der Lang- und Kurzliste der Krankheitsdiagnosen siehe Thinschmidt u. Seibt 2007; Nübling et al. 2006). Es gibt aber auch alternative Trennwerte (Bethge et al. 2013).

Wird der WAI im Rahmen eines betriebsärztlichen Interviews bzw. einer betriebsärztlichen Untersuchung eingesetzt, sind vollständige und valide Antworten zu erwarten. Im Rahmen von Selbstauskünften beispielsweise bei einer Beschäftigtenbefragung dürfte aber insbesondere die Abfrage von Diagnosen (WAI 3) einschließlich deren Auswirkungen (WAI 4) zu Akzeptanzproblemen, zu fehlenden Angaben oder zu sozial erwünschten Antworten führen. Die Folge ist, dass erstens der Summenscore wegen fehlender Anga-ben nicht ohne weiteres berechenbar ist und zweitens der Summen-score verzerrt ist, selbst wenn vollständige Antworten vorliegen. Dies könnte im Extremfall dazu führen, dass nicht ein einziger valider WAI‑Summenscore vorliegt.

Das führt zu der Frage, wie groß der Informationsverlust der um WAI 3 und WAI 4 reduzierten Fassung (WAI‑r) ist. Möglicherweise ist der Informationsverlust zumindest für gruppendiagnostische Fragestellungen tragbar, weil hier Grobinformationen ausreichend sind und Fehlklassifikationen zu einem „gewissen“ Maße praktisch nicht bedeutsam sind. Davon abgesehen hat der WAI‑r gegenüber der Vollversion insbesondere im Rahmen von Beschäftigtenbefragungen folgende Vorteile: höhere Akzeptanz, weniger fehlende Angaben, weniger sozial erwünschte Antworten, verkürzte Antwortzeiten und erwartbar höhere Rücklaufquoten.

In der vorliegenden Arbeit sollen anhand von zwei verschiedenen Datensätzen folgende Fragen beantwortet werden:

  1.  1. Wie bedeutsam korrelieren WAI‑voll und WAI‑r?
  2. Eine hohe Korrelation weist auf die Validität des WAI‑r hin, weil dann das theoretische Konzept und die bekannten psychometrischen Eigenschaften des WAI substanziell übertragbar sind.
  3.  2. Wie gut kann anhand des WAI‑r die Einteilung in die WAI‑Extremgruppen vorhergesagt werden?
  4. Zwar lässt sich die theoretische Spannbreite der Gruppeneinteilungen des WAI‑voll proportional auf die des WAI‑r über-tragen. Aber dies kann nur eine Näherung sein, da die einzelnen Dimensionen des WAI unterschiedlich gewichtet sind. Insofern bedarf es einer empirischen Fundierung. Sollte dies substantiell gelingen, dann wären die Befunde auf Grundlage des WAI‑r anschlussfähig an die Gruppeneinteilung der Vollversion. Zum einen könnten Personen der einzelnen WAI‑Gruppen individuell identifiziert werden – sofern die Erhebung personalisiert ist. Mögliche Anschlussmaßnahmen für diese Personen oder für Arbeitsbereiche mit gehäuften Anteilen dieser Personen sind den WAI‑Materialien zu entnehmen. Zum anderen bieten sich insbesondere Potenziale für Gruppenauswertungen einer Beschäftigtenbefragung. Theoretisch und empirisch anerkannt ist (z. B. Wieland 2010), dass persönliche Voraussetzungen sowie Belastungen und Ressourcen der Arbeit differenziert auf die Gesundheit, Arbeitsmotivation oder auch die Arbeitsfähigkeit wirken. Insofern sind die Ausprägungen von Beschäftigten mit „sehr guter“ bzw. „schlechter Arbeitsfähigkeit“ (WAI‑Extremgruppen) bei diesen Voraussetzungen und Arbeitsbedingungen von besonderem Interesse.

Kollektiv und Methode

Die Berechnung des Summenscores des WAI‑r erfolgt gemäß den Vorgaben der Vollversion. Zur Beantwortung der erstgenannten Fragestellung werden Korrelations-koeffizienten nach Pearson berechnet so-wie Partialkorrelationen für Alter und Geschlecht. Für die zweite Fragestellung werden die Trennwerte für die beiden Extremgruppen empirisch bestimmt. Dazu werden logistische Regressionen und ROC-Analysen eingesetzt. Das Vorgehen ist an Muche et al. (2005) sowie Best und Wolf (2010) orientiert. Es wird eine logistische Regressionsgleichung ermittelt mit dem Regressanden y („schlechte bzw. sehr gute Arbeitsfähigkeit gemäß WAI‑voll“ mit 1 = ja und 0 = nein) und dem Regressor x (WAI‑r). Ziel ist es, die Wahrscheinlichkeit der Gruppenzugehörigkeit p(y = 1) aufgrund der Ausprägungen bei Regressor x zu ermitteln. Der Rechenansatz für den Beobachtungsfall k lautet:

mit den Regressionskoeffizienten b und dem Residuum u. Die Modellparameter werden mit Hilfe der Maximum-Likelihood-Methode geschätzt. Verteilungsannahmen sind für die logistische Regres-sionsanalyse nicht erforderlich. Für die Anpassungsgüte wird erstens R² verwendet. Dabei wird der Anteil der erklärten Varianz des logistischen Regressionsmodells quantifiziert, indem die Devianz des Nullmodells mit der des vollständigen Modells in Beziehung gesetzt wird. Es wird R² nach Nagelkerke verwendet, das Werte zwischen 0 und 1 annimmt. Zweitens wird die Wald-Statistik zur Beurteilung der einzelnen Variablen genutzt. Die Wald-Statistik testet die Nullhypothese, dass ein Regressionskoeffizient gleich Null ist. Die Prognosegüte wird anhand der Klassifikationsergebnissen ermittelt. Zum einen werden Cutpoint-abhängige Gütemaße ermittelt. Sensitivität bzw. Spezifität bestimmen die Güte der Prognoseentscheidung in Bezug auf Personen mit dem Ergeignis (y = 1) bzw. auf Personen ohne Ereignis (y = 0). Als zusammenfassendes Maß wird der Youden-Index (Y = Spezifität + Sensitivität – 1) verwendet. Zum anderen werden Cutpoint-unabhängige Gütemaße aus der ROC-Analyse, der sog. Area under Curve (AUC > 0,9 als außergewöhnliche Prognosegüte), verwendet.

„Datensatz 1“ sind die Ergebnisse von betriebsärztlichen Einschätzungen bei Beschäftigten mit physisch belastenden Tätigkeiten im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements. Es kam die WAI‑Vollversion mit der langen Krankheitsliste zum Einsatz. Es gibt keine fehlenden Werte. Die Stichprobe ist wie folgt charakterisiert: n = 103, Durchschnittsalter 50,1 Jahre (SD = 6,3), 83,5 % Männer, 78,4 % Hauptschule.

„Datensatz 2“ sind die Ergebnisse von Selbstauskünften im Rahmen einer Beschäftigtenbefragung bei Beschäftigten mit physisch und psychisch belastenden Tätigkeiten. Es kam die WAI‑Vollversion mit der kurzen Krankheitsliste zum Einsatz. Personen mit fehlenden Angaben werden ausgeschlossen. Die Stichprobe ist wie folgt charakterisiert: n = 667, 99,5 % Männer, Durchschnittsalter 39,4 Jahre (SD = 9,4), mindestens Fachausbildung. In Datensatz 2 wird zudem die subjektive Gesundheit erhoben. In Erweiterung der ersten Fragestellung wird die Korrelation zwischen subjektiver Gesundheit und WAI‑r bzw. WAI‑voll ermittelt und mit dem Befund bei Nübling et al. (2005) (r = 0,73, Selbstauskunft von n ~ 2000 Personen mit breitem Tätigkeitsspektrum) im Sinne externer Validität verglichen.

Ergebnisse

Datensatz 1

In Datensatz 1 korrelieren die Summenscores der Vollversion und WAI‑r mit r = 0,907 (p < 0,001), unter Kontrolle von Geschlecht und Alter mit r = 0,909 (p < 0,001). Die Deskription des WAI‑r, differenziert nach der Gruppierung der Vollversion, ist in  Tabelle 1 dargestellt. Während die Mittelwerte deutlich zwischen den Gruppen differenzieren, zeigen sich an den Gruppenrändern Überlappungen.

Da die Gruppen mit (sehr) guter Arbeits-fähigkeit nur gering besetzt sind, wird für den Datensatz 1 nur die Gruppe der Perso-nen mit „schlechter Arbeitsfähigkeit“ prognostiziert. Das Prognosemodell ist in  Tabelle 2 und die ROC-Analyse im Anhang dargestellt. Das Modell hat eine außer-gewöhnliche Prognosegüte (AUC > 0,955, R² = 0,767). Das statistisch optimale Verhältnis von Spezifität und Sensitivität, d. h. der maximale Youden-Index, wird für den Trennwert 18 (also „schlechte Arbeitsfähig-keit“ bei 5 bis 18 Punkten) erreicht. Dabei haben 93,5 % der Personen, die nach WAI‑voll keine „schlechte Arbeitsfähigkeit“ haben, auch beim WAI‑r keine „schlechte Arbeitsfähigkeit“. Gleichzeitig werden 85,4 % der Personen mit sehr schlechter Arbeitsfähigkeit richtig zugeordnet. Insgesamt ist werden 90,3 % der Personen richtig zugeordnet.

Datensatz 2

In Datensatz 2 korrelieren die Summenscores von Vollversion und WAI‑r mit r = 0,953 (p < 0,001), unter Kontrolle von Geschlecht und Alter mit r = 0,946 (p < 0,001). WAI‑r bzw. WAI‑voll korrelieren höchstsignifikant mit subjektiver Gesundheit zu r = 0,721 bzw. r = 0,737. Die Deskription des WAI‑r, differenziert nach der Gruppierung der Voll-version, ist in  Tabelle 3 dargestellt. Während die Mittelwerte deutlich zwischen den Gruppen differenzieren, zeigen sich bei den Gruppenrändern Überlappungen.

Die Prognosemodelle für „schlechte“ und „sehr gute Arbeitsfähigkeit“ sind in  Tabelle 4 und die ROC-Analysen im Anhang dargestellt. Beide Modelle haben jeweils eine außergewöhnliche Prognosegüte. Der maximale Youden-Index für „schlechte Arbeitsfähigkeit“ wird für den Trennwert 21 erreicht, d. h. schlechte Arbeitsfähigkeit entspricht 5 bis 21 Punkten. Dabei werden 96,1 % der Personen korrekt zugeordnet. Der maximale Youden-Index für „sehr gute Arbeitsfähigkeit“ wird für den Trennwert 31 erreicht (31–36 Punkte). Dabei werden 90,1 % der Personen korrekt zugeordnet. Für beide Modelle sind Gütemaße für alternative Trennwerte angegeben.

Diskussion

In der vorliegenden Arbeit sollen anhand von zwei Datensätzen die Validität des WAI‑r ermittelt und mittels WAI‑r die Extremgruppen der Arbeitsfähigkeit gemäß der Vollversion prognostiziert werden.

Die beiden verwendeten Datensätze weisen Stärken und Schwä-chen auf. Datensatz 1 beruht auf Untersuchungen eines WAI‑erfahrenen Betriebsarztes und ist daher als hochwertig einzustufen. Allerdings ist die Fallzahl relativ gering und zudem auf Personen mit eher schlechter Arbeitsfähigkeit konzentriert. Datensatz 2 ist deutlich umfangreicher und beruht auf Selbstangaben. Verzerrun-gen aufgrund sozial erwünschter Antworten insbesondere bei den Diagnosen sind nicht auszuschließen, dürften aber nach den Erkenntnissen aus dem Pretest gering sein. In beiden Datensätzen überwiegen deutlich die Männer.

In beiden Datensätzen ist die Korrelation zwischen Vollversion und WAI‑r mit r = 0,91 bzw. r = 0,95 sehr hoch. Auch bei Kontrolle von möglichen Störgrößen bleibt die Korrelation in dieser Größenordnung – insbesondere Alter ist hier bedeutsam (Gould et al. 2008; van den Berg et al. 2009; Bilhuber 2012). Dies ist deutlicher als der Befund bei der alternativen Kurzversion K‑WAI (drei Dimensionen bzw. vier Fragen bei Baumann 2008), bei der die Korrelation zur Vollversion r = 0,88 beträgt (eigene Berechnungen).

Wegen der sehr hohen Korrelation ist davon auszugehen, dass das theoretische Konzept und die psychometrischen Eigenschaften der Vollversion weitgehend auf den WAI‑r übertragbar sind. Darauf deutet auch die Korrelation mit dem allgemeinen Gesundheitszustand hin (Datensatz 2), die sowohl für WAI‑voll als auch für WAI‑r mit dem Befund bei Nübling et al. (2005) vergleichbar ist. Die vorliegenden minimalen Abweichungen könnten methodisch begründet sein, da der allgemeine Gesundheitszustand hier fünfstufig und dort elfstufig erfasst wurde. Weiterführende Detailanalysen zu den Gütekriterien im Einzelnen sowie Itemanalysen sind nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit.

Ferner können für den WAI‑r aufgrund der sehr hohen Korrelation Vergleichswerte der Vollversion mindestens orientierend genutzt werden, sofern die unterschiedlichen Spannweiten der beiden Versionen standardisiert werden. Je nach Zielsetzung potenzieller Studien sind die eingangs aufgeführten Argumente zur Kürzung der Vollversion und der Nachteil, dass der Bezug zu externen Vergleichswerten und -studien beschränkt ist, abzuwägen.

Die Korrelation ist nicht maximal, so dass im Einzelfall relative Abweichungen zum Score der Vollversion auftreten können. Diese Abweichungen treten in beiden Richtungen auf. Inwieweit dies indikationsabhängig ist, muss weiteren Analysen vorbehalten bleiben. Wichtig ist jedoch, dass der WAI‑r individualdiagnostisch zur Vermeidung von Fehlschlüssen lediglich als Screeninginstrument verwendet und durch weiteres Assessment konkretisiert werden sollte. Bei Gruppenauswertungen insbesondere bei größeren Gruppen dürften die Abweichungen jedoch praktisch unbedeutsam sein, es sei den die Fragestellung erfordert eine höhere Präzision.

Die Prognosegüte für die beiden Extremgruppen ist außerordentlich (AUC > 0,95, R² > 0,77). Es werden mit über 90 % korrekten Treffern sehr gute Klassifikationsergebnisse erzielt. Allerdings ist die Wahl des Trennwerts für die Gruppe „sehr schlechte Arbeitsfähigkeit“ nicht eindeutig. Anhand von Datensatz 1 (betriebsärztliche Untersuchung) liegt der statistisch optimale Trennwert bei 18 Punkten und bei Datensatz 2 (Selbstauskunft) bei 21 Punkten – ähn-lich gut bei 20 Punkten. Bei beiden Datensätzen sind die Klassifikationsergebnisse bei den angrenzenden Trennwerten nur unwesentlich schlechter. Die Unterschiede könnten zum einen in der Art der Datenerhebung, also Fremd- oder Selbsteinschätzung, zum anderen in der Stichprobe begründet sein. Insofern lässt die vorliegende empirische Basis es nicht zu, einen allgemeingültigen Trennwert für die „schlechte Arbeitsfähigkeit“ zu wählen. Auf der vorliegenden empirischen Basis scheint ein Trennwert von 18, 19 oder 20 Punkten optimal, der je nach Priorität von Spezifität und Sensitivität variiert werden sollte. Der uneindeutige Trennwert dürfte auch für die andere Extremgruppe („sehr gute Arbeitsfähigkeit“) gelten, deren Trennwert nur anhand von Datensatz 2 ermittelt werden kann.

Die beschriebene Problematik der disjunkten Gruppenzuordnung könnte umgangen werden, wenn eine probabilistische Zuordnung konzipiert werden würde. Dies ist jedoch im Anwendungskontext des WAI bislang nicht üblich.

Methodisch limitierend ist zum einen, dass die Argumente zur Kürzung des WAI allein methodischer und ökonomischer Art sind und auf Itemanalysen verzichtet wurde. Zum anderen weist die verwendete Methode Grenzen auf. Denn die Trefferquote ist bei Verwendung derselben Stichprobe wie zur Schätzung der logistischen Regressionsfunktion überhöht. Daher müsste eine Validierung an einem unabhängigen aber strukturgleichen Datensatz oder eine interne Validierung (z. B. Data-Splitting, Kreuzvalidierung oder Boot-strap-Validierung) durchgeführt werden. Nicht zuletzt ist die empirische Basis begrenzt, da Personen mit überwiegend psychischen Tätigkeitsanforderungen fehlen und da Frauen unterrepräsentiert sind (weitere potenziell bedeutsame Strukturmerkmale siehe van den Berg, et al. 2009).

Schlussfolgerung

Der WAI‑r ist extern valide, so dass das theoretische Konzept und die psychometrischen Eigenschaften der Vollversion substanziell übertragbar sind. Vergleichswerte der Vollversion sind nach Standardisierung der Spannweiten zumindest orientierend nutzbar. Die ermittelten Trennwerte für Personen mit „sehr guter“ bzw. „schlechter Arbeitsfähigkeit“ sind belastbar und eröffnen Potenziale insbesondere für Gruppenauswertungen. Die Vorteile des WAI‑r im Rahmen von Beschäftigtenbefragungen – höhere Akzeptanz, weniger fehlende Angaben, weniger sozial erwünschte Antworten, verkürzte Antwortzeiten und erwartbar höhere Rücklaufquoten – überwiegen die möglichen, geringen Einbußen bei den Detailinformationen. Die Trennwerte sollten an weiteren Datensätzen fundiert werden.

Empfehlungen für die Praxis:

  • Der WAI‑r ist extern valide und eignet sich insbesondere für Gruppendiagnostik im Rahmen von Beschäftigtenbefragungen.
  • Bei Selbstauskünften sind die wesentlichen Vorteile gegenüber der Vollversion höhere Akzeptanz, weniger fehlende Angaben, weniger sozial erwünschte Antworten, verkürzte Antwortzeiten und erwartbar höhere Rücklaufquoten.
  • Die hier ermittelten Trennwerte für „sehr gute Arbeitsfähigkeit“ ( 31) bzw. „schlechte Arbeitsfähigkeit“ ( 19) sollten je nach Spezifität und Sensitivität variiert werden (Spannweite des WAI‑r: 5–36).

Literatur

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Für die Verfasser

Dr. phil. Christian Hetzel

Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH an der Deutschen Sporthochschule Köln

Eupener Straße 70 – 50933 Köln

hetzel@iqpr.de

Fußnoten

1 Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH an der Deutschen Sporthochschule Köln