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INTERVIEW | Die Arbeitswelt ist komplex und Firmen ticken unterschiedlich

Gesund und trainiert im Beruf

Die DGUV-Vorschrift 2 wurde 2011 mit dem Ziel eingeführt, die betriebsärztliche und sicherheitstechnische Betreuung der Unternehmen neu zu ordnen und zu optimieren. Befürworter nennen vor allem die kommunikationsfördernde Wirkung der Vorschrift, Kritiker befinden hingegen, dass der komplexe Aufbau zu einem Kosten- und Ressourcenaufwand führe. Welche Erfahrungen machten Sie in der Umsetzung der Unfallverhütungsvorschrift?

Dr. Kallenberg: Lassen Sie mich meine Erfahrungen mit einem Bild beschreiben: Sie renovieren Ihr Haus und wollen darin besser angepasst als bisher wohnen. Sie schauen auf Grundriss, Funktionalität und Abläufe, Sie wählen Möbel, Farben und kreieren damit eine Stimmung, eine Atmosphäre, Ihr Zuhause. So ging es mir mit der neuen DGUV-Vorschrift 2: Das Altbekannte wird neu geordnet, angeschaut, berechnet, verworfen und gewählt.

Für viele ärztliche Kolleginnen und Kollegen, aber auch Fachkräfte für Arbeitssicherheit war es gewinnbringend, sich ihre Zusammenarbeit oder ihre warum auch immer entstandene Nichtzusammenarbeit vor Augen zu führen und Impulse für ein Höchstmaß an Gesundheit und Sicherheit anzubieten. In einigen mir bekannten Unternehmen hat dies zu einer deutlichen Erhöhung der arbeitsmedizinischen Betreuung geführt, weil dort bewusst ein Mehr an Gesundheit gewollt wurde. Positiv an der neuen Vorschrift ist die Transparenz, welche Themen, Aufgaben und vereinbarte Leistungen der sicherheitstechnischen und betriebsärztlichen Betreuung mit welchen personellen und zeitlichen Ressourcen bearbeitet werden sollen.

Heutzutage ist die Arbeitswelt komplex und die Firmen ticken außerordentlich unterschiedlich. Und mir gefällt, dass die DGUV-Vorschrift 2 diese Situation differenziert abbildet und individuelle Lösungen ermöglicht. Ja, die Vorschrift ist komplex und es braucht etwas Zeit und Geduld, sie zu verstehen und umzusetzen, aber es lohnt sich.

„Es ist höchste Zeit, die Belastung und Beanspruchung am Arbeitsplatz in puncto Stress zu reduzieren.“

Das baden-württembergische Regionalforum Arbeitsmedizin beschäftigte sich in diesem Jahr insbesondere mit der Frage des Rollenverständnisses der Betriebsärzte heute und in der Zukunft. Wie interpretieren Sie die Rolle der Betriebsärzte?

Dr. Kallenberg: Ich bin seit 1985 in der Arbeitsmedizin und habe selbst ein unterschiedliches Rollenverständnis erlebt und wahrgenommen. In den 80er Jahren ging es häufig um die Erfüllung von Gesetzen und Vorgaben, um arbeitsmedizinische Vorsorge- und Reihenuntersuchungen, um die Beschäftigung mit Berufskrankheiten, toxikologische Fragen und die Frage von Eignung und Nichteignung in nicht immer historisch reflektierter Tradition. Nach Phasen der Verbesserung der Sicherheit, dem Rückgang von Arbeitsunfällen und der Reflexion von Arbeitsbedingungen ist jetzt von den Betriebsärztinnen und Betriebsärzten eine breit angelegte Beratungsleistung, Expertise und strategisches Wissen gefragt. Thematisch handelt es sich um richtig große Brocken, wie beispielsweise die Themen alters- und alternsgerechte Arbeitsplatzgestaltung, Erhalt der individuellen gesundheitlichen Ressourcen, das Betriebliche Eingliederungsmanagement, Unterstützung bei der Weiterentwicklung eines Gesundheitsmanagements – die Liste ist fortsetzbar.

Innerhalb einer Podiumsdiskussion wurde erörtert, wie und durch welche Institutionen die Betriebsärzte unterstützt werden können. Ausgehend von einem ganzheitlichen Ansatz (Individual- und Settingansatz) – wie könnte ein Beitrag des organisierten Sports bzw. eines Verbandes aussehen?

Dr. Kallenberg: In der DGUV-Vorschrift 2 wird die arbeitsmedizinische Unterstützung bei der Weiterentwicklung eines Gesundheitsmanagements direkt bei der betriebsspezifischen Betreuung genannt. Hinzu kommen hier Schwerpunktprogramme, Kampagnen sowie Unterstützung von Aktionen zur Gesundheitsförderung. Genau hier sehe ich den richtigen Ansatz für vielfältige Kooperationen mit Sportvereinen. Nehmen Sie das Thema Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Der neue Stressreport Deutschland 2012 der BAuA zeigt in einer Analyse von 13 ausgewählten europäischen Kohortenstudien, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine relevante Folge von psychosozialen Belastungen am Arbeitsplatz sind oder sein können.

Jetzt ist es höchste Zeit, die Belastung und Beanspruchung am Arbeitsplatz in puncto Stress systematisch zu reduzieren und beispielsweise in Kooperation mit einem Sportverein das Herz-Kreislauf-System zu trainieren. Solch ein Vorgehen kann eine langfristige Bindung von Unternehmen und Sportverein herstellen und eine gute Basis für die Motivation und Compliance von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für das Thema entwickeln.

Wichtig scheint mir dabei zu sein, dass sich beide Seiten in den anderen Part hineinversetzen. Hier tickt ein Unternehmen mit seinen Umsatzzielen, seiner spezifischen Kultur und Reputation, dort kooperiert ein gemeinnütziger Sportverein fest etabliert vor Ort mit begrenzten Ressourcen. Diese beiden Partner müssen zusammenfinden, die jeweiligen Strukturen berücksichtigen, die „Chemie“ muss einfach stimmen.

Vor kurzem las ich im Zug auf einer Reise das Magazin des Deutschen Olympischen Sportbundes. Ich lernte, dass das Sportabzeichen 100 Jahre alt wird und es eine charmante Idee sein kann, in betrieblichen Teams im Sportverein auf das Sportabzeichen zu trainieren und es dann gemeinsam abzulegen. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Herzlichen Dank für dieses Interview!  

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