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AWMF-Register-Nr. 161/001 am 05.09.2023 veröffentlicht

AWMF-Schimmelpilz-Leitlinie „Medizinisch ­klinische Diagnostik bei Schimmelpilzexposition in Innenräumen“ – Update 2023

Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

Federführung: Frau Dr. Julia Hurraß, Köln, und Herr Prof. Gerhard Andres Wiesmüller, Köln/Aachen

Mandatierte Vertreter der DGAUM: Frau Prof. Monika Raulf, Bochum, und Prof. Dr. Dennis Nowak, München

In einer Studie zu Feuchte und Schimmel in 7127 Wohnungen in 22 Zentren quer durch Europa (einschließlich Deutschland) mit Vor-Ort-Inspektionen in 3118 Wohnungen war die selbstberichtete Häufigkeit von Wasserschäden (10%), feuchten Stellen (21%) und Schimmel (16%) im Verlauf des vorangegangenen Jahres vergleichbar mit beobachteter Feuchtigkeit (19%) und beobachtetem Schimmel (14%) (Norbäck et al. 2017). Wie diese Studie zeigt, sind Schäden, verursacht durch Feuchte und Schimmelbefall, europaweit ein relevantes Thema und stellen ein potenzielles Gesundheitsrisiko dar. Darüber hinaus ist diese Problematik bei Patientinnen und Patienten oft mit starker Verunsicherung verbunden.

Da überwiegend fast nur Leitlinien zum auf Gebäude bezogenen Vorgehen bei Feuchteschäden wie der Leitfaden zur Vorbeugung, Erfassung und Sanierung von Schimmelbefall in Gebäuden des Umweltbundesamtes (Innenraumlufthygiene-Kommission 2017) und Übersichtsarbeiten zu assoziierten Krankheitsbildern existierten und existieren, jedoch kein übergreifendes auf die Patientin/den Patienten bezogenes diagnostisches Prozedere, sollte bereits die erste Fassung der Leitlinie 2016 die bestehende Lücke für eine rationale und rationelle medizinische Diagnostik bei Schimmelexposition im Innenraum schließen.

Mit dieser aktualisierten Leitlinie soll Ärztinnen und Ärzten eine Hilfe an die Hand gegeben werden, um Patientinnen und Patienten, die einer erhöhten Schimmelexposition in einem typischen Innenraumszenario – also nicht an besonders exponierten Arbeitsplätzen – unterliegen (umgangssprachlich: „Schimmelpilzbelastungen“), aus medizinischer Sicht zu beraten und zu behandeln. Auch wenn arbeitsmedizinische Fragestellungen explizit nicht im Fokus dieser Leitlinie stehen, können die wissenschaftlichen Aussagen der Leitlinie selbstverständlich auch auf arbeitsmedizinische Fragestellungen angewandt werden – insbesondere, wenn es sich um Büro- oder anderweitige Innenraumarbeitsplätze mit Schimmelpilzbefall handelt.

Für die jetzige Aktualisierung erfolgte eine Medline-Recherche über die Jahre 2014–2022 mit insgesamt 3145 Fundstellen. Die jetzt veröffentlichte Fassung beinhaltet 806 Zitate.

Von zentraler Bedeutung ist die Zusammenstellung, welche Befindlichkeitsstörungen und Krankheiten kausal mit einer Schimmelpilzexposition assoziiert sind, für welche Zusammenhänge ausreichende Evidenz besteht sowie zwei weitere Abstufungen „eingeschränkt/vermutet“ und „inadäquat/unzureichend“.

Die Kernaussagen der Leitlinie können wie folgt zusammengefasst werden:

Die Problematik von Schimmelexpositionen im Innenraum bedarf einer Versachlichung.

  • Schimmelbefall in relevantem Ausmaß soll in Innenräumen aus Vorsorgegründen nicht toleriert werden. Zur Beurteilung des Schadensausmaßes sei auf den „Leitfaden zur Vorbeugung, Erfassung und Sanierung von Schimmelbefall in Gebäuden“ des Umweltbundesamtes verwiesen (Innenraumlufthygiene-Kommission 2017).
  • Die wichtigsten Maßnahmen bei Schimmelexpositionen im Innenraum sind Ursachenklärung und sachgerechte Sanierung (Innenraumlufthygiene-Kommission 2017).
  • Aus medizinischer Indikation sind Schimmelpilzmessungen im Innenraum selten sinnvoll. In der Regel kann bei sichtbarem Schimmelbefall sowohl auf eine quantitative als auch auf eine qualitative Bestimmung der Schimmelpilzspezies verzichtet werden. Vielmehr sollen die Ursachen des Befalls aufgeklärt und anschließend Befall und primäre Ursachen beseitigt werden.
  • In der medizinischen Diagnostik bei Schimmelexposition hat das Umweltmonitoring von Mykotoxinen in der Innenraumluft und im Hausstaub keine Indikation.
  • In der medizinischen Diagnostik bei Schimmelexposition hat das Umweltmonitoring von Microbial Volatile Organic Compounds (mikrobiologisch produzierte flüchtige organische Komponenten; MVOC) in der Innenraumluft keine Indikation.
  • Schimmelexpositionen können allgemein zu Irritationen der Schleimhäute (Mucous Membrane Irritation, MMI), Geruchswirkungen und Befindlichkeitsstörungen führen.
  • Spezielle Krankheitsbilder bei Schimmelexposition betreffen Allergien und Schimmelpilzinfektionen (Mykosen).
  • Ärztinnen und Ärzte sollen in Fällen eines vermuteten Zusammenhangs von Feuchte/Schimmelschäden in Innenräumen und Erkrankungen, für die es keine Evidenz in Bezug auf einen solchen Zusammenhang gibt (z.B. akute idiopathische pulmonale Hämorrhagie bei Kindern, Arthritis, Autoimmunerkrankungen, chronisches Müdigkeitssyndrom (CFS), Endokrinopathien, gastrointestinale Effekte, Krebserkrankungen, luftgetragene Mykotoxikosen, multiple chemische Sensitivität (MCS), Multiple Sklerose, neuropsychologische Effekte, neurotoxische Effekte, plötzlicher Kindstod, renale Effekte, Reproduktionsstörungen, Rheuma, Schilddrüsenerkrankungen, Sick-Building-Syndrom (SBS), Teratogenität und Urtikaria) Betroffene sachlich über den Stand des Wissens informieren.
  • Besonders zu schützende Risikogruppen sind:
  • a) Personen unter Immunsuppression nach der Einteilung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut (RKI) (Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention 2021)

    b) Personen mit schwer verlaufender Influenza

    c) Personen mit schwer verlaufender COVID-19-Infektion

    d) Personen mit Mukoviszidose (zystischer Fibrose)

    e) Personen mit Asthma bronchiale.

  • Schimmelpilzallergikerinnen und -allergiker sowie Personen mit das immunologische Abwehrsystem schwächenden Erkrankungen sollen über die Gefahren von Schimmelexpositionen im Innenraum und über Maßnahmen zur Prävention sachlich aufgeklärt werden und entsprechende Expositionen minimieren.
  • Grundsätzlich sind bei entsprechender Exposition sehr viele Schimmelpilzarten geeignet, Sensibilisierungen und Allergien hervorzurufen. Im Vergleich zu anderen Umweltallergenen ist das allergene Potenzial aber insgesamt als geringer einzuschätzen.
  • Atopikerinnen und Atopiker weisen als Polysensibilisierte oft IgE-Antikörper auch gegen Schimmelpilze auf, was jedoch nicht zwangsläufig einen Krankheitswert hat. Die klinische Ausprägung der allergischen Reaktion korreliert nicht mit der Höhe des spezifischen IgE-Titers.
  • Kernelemente einer Typ-I-Allergiediagnostik sind die Anamnese, die Hauttestung, die Bestimmung spezifischer IgE-Antikörper sowie die Provokationstestung. Im Falle einer allergischen bronchopulmonalen Aspergillose (ABPA) sollte zusätzlich die Bestimmung von spezifischen IgG-Antikörpern erfolgen. Bei der exogen-allergischen Alveolitis (EAA) soll serologisch nur die Bestimmung von spezifischen IgG-Antikörpern erfolgen.
  • Der Nachweis von spezifischem IgE oder einer positiven Reaktion im Hauttest bedeuten zunächst nur, dass eine spezifische Sensibilisierung gegen entsprechende Allergene vorliegt. Eine klinisch relevante Allergie stellt sich dann erst im Zusammenhang mit typischen allergischen Symptomen dar.
  • Ein negatives Ergebnis einer Hauttestung oder einer spezifischen IgE-Testung auf Schimmelpilze schließen eine Sensibilisierung auf Schimmelpilze nicht sicher aus. Gründe dafür sind unter anderem die unterschiedliche Zusammensetzung und Qualität von Testextrakten oder das fehlende Vorhandensein relevanter Allergene.
  • Die Bestimmung spezifischer IgG-Antikörper im Zusammenhang mit der Diagnostik einer Schimmelpilzallergie vom Soforttyp (Typ-I-Allergie) hat keine diagnostische Bedeutung und soll daher nicht durchgeführt werden. Dies gilt auch für den Nachweis von Immunkomplexen z.B. mittels Ouchterlony-Test.
  • Galactomannan im Serum soll nur zur Diagnostik bei Verdacht auf eine invasive pulmonale Aspergillose durchgeführt werden, ansonsten besteht keine Indikation in der Diagnostik bei Schimmelexposition.
  • Die Bestimmung von eosinophilem cationischen Protein (ECP) und β-1,3-D-Glucan (BDG) im Serum hat keine Indikation und soll in der medizinischen Diagnostik bei Schimmelexposition nicht durchgeführt werden.
  • Der Basophilen-Degranulationstest und Histaminfreisetzung (HLT = Histamin-Liberations-Test), der Basophilen-Aktivierungstest mithilfe der Durchflusszytometrie und die Bestimmung anderer Mediatoren (Sulfidoleukotrien-Freisetzungstest, Cellular-Antigen-Stimulation-Test (CAST-ELISA)) finden Anwendung in der Spezialdiagnostik, sollten jedoch nicht in der Basis-Allergiediagnostik durchgeführt werden.
  • Lymphozytentransformationstestungen (LTT) auf Schimmelpilze sind als diagnostische Verfahren nicht indiziert und sollen deshalb nicht durchgeführt werden.
  • Der Vollbluttest (VBT) ist kein geeignetes Instrument zum Nachweis einer Schimmelpilzsensibilisierung und soll daher nicht durchgeführt werden.
  • Invasive Schimmelpilzinfektionen sind selten und erfolgen am ehesten inhalativ. In der Praxis ist von den in den Risikogruppen 2 und 3 nach TRBA 460 eingestuften Schimmelpilzen die Bedeutung von Aspergillus fumigatus als wichtigstem Mykoseerreger am höchsten. Betroffen sind überwiegend Personen mit allgemeiner starker oder sehr starker Immunschwäche (gemäß KRINKO Grad 2 und 3 [Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention 2021]). Bei entsprechender Disposition soll dieses Risiko besonders beachtet werden.
  • Mikrobiologische, immunologische, molekularbiologische und radiologische Verfahren sind Kernelemente der Schimmelpilzinfektionsdiagnostik und sollen je nach Indikation eingesetzt werden.
  • In der medizinischen Diagnostik bei Innenraumschimmelexposition hat das Human-Biomonitoring von Mykotoxinen keine Indikation und soll daher nicht durchgeführt werden.
  • Folgende diagnostische Methoden sollen bei Innenraum-Schimmelexpositionen nicht durchgeführt werden, weil es hierfür keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz gibt (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): Nachweis von Schimmelpilzen im Blut, Bestimmung von gegen Schimmelpilze gerichteten IgA-Antikörpern, Bestimmung von Lymphozyten-Subpopulationen, Bestimmung von Zytokinen, Bestimmung des oxidativen Stresses, Visual Contrast Sensitivity Test (VCS-Test), Tränenfilmabrisszeit.
  • Folgende diagnostische Methoden sollen mangels medizinisch-naturwissenschaftlicher Grundlagen bei Innenraumschimmelexpositionen nicht durchgeführt werden (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): Elektroakupunktur nach Voll, Bioresonanzverfahren, Pendeln, Vega-Test, Decoder-Dermografie, Biotonometrie, Biotensor, Kirlianfotografie (Plasmaprintverfahren, energetische Terminalpunktdiagnose), Regulationsthermografie nach Rost, Aurikulodiagnostik, Kinesiologie, Auraskopie, Irisdiagnostik, zytotoxische Bluttests, Provokations- und Neutralisationstest (PN-Test).
  • Literatur

    Norbäck D, Zock JP, Plana E, Heinrich J, Tischer C, Jacobsen Bertelsen R, Sunyer J, Künzli N, Villani S, Olivieri M, Verlato G, Soon A, Schlünssen V, Gunnbjörnsdottir MI, Jarvis D: Building dampness and mold in European homes in relation to climate, building characteristics and socio-economic status: The European Community Respiratory Health Survey ECRHS II. Indoor Air 2017; 27(5): 921–932 (doi: 10.1111/ina.12375).

    Innenraumlufthygiene-Kommission des Umweltbundesamtes. Leitfaden zur Vorbeugung, Erfassung und Sanierung von Schimmelbefall in Gebäuden. Umweltbundesamt, Berlin, Bonn 2017. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/421/publikati… (abgerufen am 24.05.2023).

    Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut (RKI). Anforderungen an die Infektionsprävention bei der medizinischen Versorgung von immunsupprimierten Patienten. Bundesgesundheitsbl 2021; 64: 232–264 (doi: 10.1007/s00103-020-03265-x).

    Weitere Informationen zum Update und die Langfassung der Leitlinie:

    https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/161-001

    Kontakt

    Prof. Dr. med. Dennis Nowak

    LMU Klinikum
    Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin
    Campus Innenstadt
    Ziemssenstr. 1
    80336 München
    Dennis.Nowak@med.uni-muenchen.de