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Wie geht der Öffentliche Gesundheitsdienst damit um?

Wohnungsverwahrlosung, Vermüllung und pathologisches Horten

Warum beschäftigt Wohnungsverwahrlosung das Gesundheitsamt?

Nur in den seltensten Fällen gehen von einer verwahrlosten Wohnung Gesundheitsgefahren für die Umgebung aus. Weder der Gestank verwesenden Mülls noch Schimmelgeruch rufen Erkrankungen hervor, und selbst wenn Fliegen und Kakerlaken auftreten, übertragen sie in Mitteleuropa keine Infektionskrankheiten, die unter das Infektionsschutzgesetz fallen. Für die Rattenbekämpfung auf Privatgrundstücken ist der Eigentümer zuständig.

Insbesondere in Altbauten mit Holzdecken kann extremes Sammeln z. B. von Zeitungen zu statischen Problemen bis hin zur Einsturzgefahr führen, hier ist die Bauaufsicht gefragt. Ebenso kann es beim Sammeln brennbarer Gegenstände und Versperren von Fluchtwegen zu Brandschutzproblemen kommen. Das betrifft die Feuerwehr.

In einer nicht unerheblichen Zahl der Fälle steckt jedoch hinter der Wohnungsverwahrlosung eine psychische Störung des Bewohners. Der populäre Begriff „Messie-Syndrom“ (von engl. „mess“ = Durcheinander, Unordnung) erweckt den Eindruck, dass es sich um ein einheitliches Phänomen handelt. Sowohl die Beschaffenheit des „Durcheinanders“ in den Wohnungen unterscheidet sich, wie auch die psychischen Probleme der Bewohner, die dahinter stehen. So wenig wie es „das Messie-Syndrom“ gibt, gibt es „die Messie-Wohnung“.

Wohnungsverwahrlosung – ein facettenreiches Phänomen

Man kann bezüglich der Wohnung mehrere Typen unterscheiden:

  • Grundsätzlich geordnete Wohnungen, in denen aber so große Mengen von Gegenständen gesammelt oder gehortet werden, dass die Nutzbarkeit der Wohnung für Wohnzwecke leidet. Es können Zeitungen sein, die man später noch einmal lesen möchte, Elektrogeräte, die man reparieren könnte, die Hinterlassenschaft einer verstorbenen Person oder eben einfach Dinge, die man „später vielleicht noch einmal brauchen kann“. Diese werden, zunächst sortiert, in Regalen, Kartons und Stapeln aufbewahrt, wodurch die Bewegungsfläche zunehmend eingeengt wird und Räume (wie Schlafzimmer, Küche, Bad) nicht mehr zugänglich sind.
  • Wohnungen, die im eigentlichen Sinne vermüllt sind. Das Bild wird geprägt durch große Mengen Abfälle, sei es in Tüten verpackt oder frei herumliegend, zum Teil auch Exkremente, in Gefäßen oder auf Boden und Möbeln, inmitten von einem Durcheinander von allen möglichen Gegenständen in allen Stadien des Gebrauchs. Manchmal sind noch Spuren geordneten Hortens aus früheren Zeiten zu erkennen. Wenn verderbliche Waren oder Fäkalien beteiligt sind, besteht oft eine deutliche Geruchsbelästigung und es kann Schädlingsbefall auftreten.
  • Wohnungen, die fast uneingerichtet wirken, in denen sich aber die Spuren gemeinsamen Substanzkonsums und evtl. von Auseinandersetzungen finden, manchmal auch große Mengen Leergut. Es entsteht der Eindruck, als ob der Bewohner in seiner Wohnung „Platte macht“, also sie so nutzt, wie ein Wohnungsloser einen Schlafplatz.

Sonderfälle sind das Horten von Lebensmitteln, wo in einer sonst geordneten Wohnung große Mengen verdorbener Lebensmittel aufbewahrt werden und es zu starker Geruchsbelästigung und Befall mit entsprechenden Schädlingen kommt, sowie das so genannte „animal hoarding“, wo eine übergroße Anzahl von Tieren nicht artgerecht gehalten wird. Verstöße gegen das Tierschutzgesetz werden vom zuständigen Veterinäramt verfolgt.

Der Außenwelt kommen derartige Wohnverhältnisse in der Regel erst in äußerst fortgeschrittenen Zuständen zur Kenntnis. Wenn Küche und Bad nicht mehr zugänglich sind, wird auch bei bis dahin sehr sauberen Wohnungen die Lagerung von Lebensmitteln, Reinigung von Geschirr sowie die Entsorgung von Müll und Exkrementen zum Problem. Erst wenn durch Geruchsbelästigung, Verweigerung des Zutritts für Handwerker oder aber die Hilferufe eines unter zusammengebrochenen Regalen und Stapeln verschütteten Bewohners Nachbarn oder Vermieter aufmerksam werden, tritt das Problem zu Tage.

Was steckt hinter der Wohnungsverwahrlosung?

Die Hintergründe für eine derartige Entwicklung sind vielfältig. Nicht in jedem Fall lässt sich eine psychische Störung feststellen. Chronisch überfordernde Lebensverhältnisse und eine Neigung zum Aufschieben unangenehmer Aktivitäten können eine Wohnungsverwahrlosung auslösen. Eine körperliche Behinderung oder eine chronische körperliche Erkrankung spielen dabei oft eine Rolle. Ab einem gewissen Ausmaß ist ohne Hilfe Dritter ein Aufräumen nicht mehr möglich. Wenn Schamgefühle dies verhindern, kann sich eine schwere Wohnungsvermüllung entwickeln.

Viele der in Selbsthilfegruppen aktiven Personen bezeichnen ihr Problem als „Organisationsdefizitsyndrom“ und ziehen Parallelen zum Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, bei dem eine Dysfunktion im Frontalhirn für die gestörte Planung von Handlungsabläufen verantwortlich gemacht wird.

Das amerikanische Diagnosesystem DSM-5 enthält die neue Diagnose „pathologisches Horten“. Die Diskussion darüber, ob diese diagnostische Kategorie ausreichend begründet ist, ist nicht abgeschlossen. Obwohl die Symptome eine gewisse Ähnlichkeit mit Symptomen bei Zwangsstörungen haben und auch oft, aber nicht immer, gemeinsam mit ihnen auftreten, sind die bei Zwangsstörungen wirksamen Therapieformen beim Horten nicht effektiv und es gibt auch keine gesicherten Erkenntnisse, dass andere Therapieformen helfen. In ICD-10 lässt sich pathologisches Horten bisher nur unter F63.8 „Sonstige abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle“ kodieren.

Welche Interventionen sind für wen sinnvoll?

Praktisch alle deutschsprachigen Publikationen zum Thema stammen aus den Sozialpsychiatrischen Diensten der Gesundheitsämter: Die erste Veröffentlichung stammt von Dettmering, der den Begriff „Vermüllung“ prägte, die neueren von Wustmann und Lenders.

In der Untersuchung von Lenders et al. vom Sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamtes Dortmund entfielen 85 % der Fälle auf die vier Diagnosegruppen Suchtkrankheiten (F1), Psychosen (F2), Depressionen (F3) und pathologisches Horten. Hirnorganische Störungen, Persönlichkeitsstörungen und Intelligenzminderung kamen jeweils unter 10 % vor. Bei den Diagnosen F1 und F3 handelte es sich in 80 % um die erste Vermüllung, während bei F2 und F63.8 häufiger schon früher wegen der gleichen Problematik interveniert werden musste. Die pathologischen Horter (12 % der Untersuchungsgruppe) nahmen nur in 13 % die Hilfen an, und im Weiteren waren die Ergebnisse bei ihnen am schlechtesten.

Der niedrige Anteil von hirnorganischen Störungen in der Dortmunder Untersuchung dürfte auf die dortige Organisation des Hilfesystems zurückzuführen sein, in Köln bezieht sich etwa die Hälfte der Meldungen über verwahrloste Wohnungen an das Gesundheitsamt auf hilflose Menschen in fortgeschrittenem Lebensalter.

In einer kleineren Studie von Wustmann am Klientel des SpDi in Halle zeigte sich das Vermüllungsverhalten bei Personen mit einer hirnorganischen Störung oder einer Intelligenzminderung als am besten zu beeinflussen. Besonders wirkungsvoll waren Umzug und Hauswirtschaftshilfen.

Um schnell eine realistische Einschätzung von der Mitwirkungsbereitschaft des Betroffenen bei der Wiederbewohnbarmachung der Wohnung zu bekommen hat sich der „Tütentest“1 als nützlich erwiesen: Am Ende des Hausbesuchs bietet man dem Betroffenen an, beim Verlassen des Hauses gleich eine Tüte Müll zum Mülleimer mitzunehmen. Reagiert die Person mit großer innerer Not und Ablehnung, spricht dies für eine ungünstige Prognose und für das Vorliegen eines „pathologischen Hortens“. Personen mit hirnorganischen Störungen, Abhängigkeitserkrankungen oder Depressionen nehmen das Angebot erleichtert, wenn auch manchmal schamvoll, an. So verhält es sich auch bei Personen mit schizophrenen Psychosen, außer wenn die zu entsorgenden Gegenstände im Wahnerleben eine Rolle spielen.

Wohnungsverlust vermeiden durch frühe Interventionen

Ist wegen Wohnungsverwahrlosung eine Wohnung verloren, ist es fast unmöglich, wieder einen Mietvertrag zu bekommen. Diese Personen leben dauerhaft in städtischen Notunterkünften, Notschlafstellen oder auf der Straße. Daher hat das Sozialamt der Stadt Köln in Kooperation mit dem Wohnungsamt, dem Gesundheitsamt und erfahrenen Trägern aus Wohnungslosenhilfe (§ 67 SGB XII) und psychisch Kranken Hilfe (§ 53 SGB XII) ein Projekt entwickelt, um bei drohender Räumung selbst aktiv Hilfe zum Wohnungserhalt anzubieten, bis hin zur Entrümpelung und sozialpädagogischer Unterstützung, um nach dem Wohnungserhalt eine Wiedervermüllung zu verhindern. Dem Sozialpsychiatrischen Dienst fällt dabei die Aufgabe zu, Erforderlichkeit und Umfang medizinischer Maßnahmen und die Kooperationsfähigkeit der betroffenen Person mit den Maßnahmen zum Wohnungserhalt einzuschätzen.

Literatur

Dettmering P, Pastenaci R: Das Vermüllungssyndrom, Theorie und Praxis, 4. Aufl. Magdeburg: Verlag Dietmar Klotz, 2004.

Lindstedt L: Wohnungsverwahrlosung als Symptom verschiedener Erkrankungen, Handreichung ZIK Berlin, Stand 2011 (zu beziehen unter: lothar.lindstedt@t-online.de).

Pritz A et al. (Hrsg): Das Messie-Syndrom – Phänomen, Diagnostik, Therapie, Kulturgeschichte des pathologischen Sammelns. Wien, New York: Springer, 2009.

Fußnoten

1Die Idee stammt von L. Lindstedt, ehem. Abteilung Sozialpsychiatrie Gesundheitsamt Augsburg

    Info

    Empfehlungen für das praktische Vorgehen

    1. Allgemein:

    Je nach Vermüllung und hygienischen Verhältnissen:

    • Verbleib in der Wohnung bis zum Abschluss von Entmüllung, Entwesung und Renovierung und aktive Mitwirkung?
    • Klinikaufenthalt erforderlich für Diagnostik und Behandlung? Entmüllung währenddessen

    2. Diagnosespezifisch:

    • Suchterkrankungen: Entgiftung, ggf. Entwöhnung
    • Depression: stationäre BehandlungBetroffene sind anschließend meist wieder in der Lage, Haushalt eigenverantwortlich zu bewältigen.
    • Demenzen:

    – oft Klinikaufenthalt zur Akutbehandlung nötig – Eilbetreuung

    – Pflegedienst + hauswirtschaftliche Hilfen Wohnsituation erhalten.

    – Heimunterbringung erforderlich?

    • Geistige Behinderung:

    – ambulante Hilfen zum selbständigen Wohnen („ambulant betreutes Wohnen“) + hauswirtschaftliche Hilfen Wohnungserhalt ohne Wiederauftreten von Vermüllung

    • Schizophrene Störungen:

    – akut aufgetretene Vermüllung: günstige Prognose, jedoch langfristige Begleitung sinnvoll.

    – langer Vorlauf: langfristige intensive ambulante Unterstützung durch ambulante Hilfen zum selbständigen Wohnen („ambulant betreutes Wohnen“) + hauswirtschaftliche Hilfen, ggf + häusliche Krankenpflege.

    – Probleme mit Zutritt von Reinigungspersonal? andere Wohnform erwägen

    • „Pathologisches Horten“:

    – lassen hauswirtschaftliche Hilfen kaum zu

    – akzeptieren keine gesetzliche Betreuung.

    – Entrümpelungen führen oft zu einer Eskalation, leere Wohnung wird schnell mit allem erreichbaren Gerümpel aufgefüllt.

    Vereinbarung zu partieller Entsorgung

    Anmietung von Lagerraum in Kellern oder Garagen

    Ziel: Mindestfunktionalität der Wohnung wiederherstellen.

    Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung:

    Bei Demenzen, manchen chronisch wahnhaften Verläufen bei schizophrenen Störungen und hirnorganisch veränderten chronisch Suchtkranken hilfreich, kommt ggf. auch bei Menschen mit geistiger Behinderung in Betracht

    Weitere Infos

    Wustmann T: Verwahrlosung, Vermüllung und Horten – eine katamnestische Studie in der Stadt Halle (Saale). Dissertation, 2006

    sundoc.bibliothek.uni-halle.de/diss-online/06/07H067/prom.pdf

    Lenders T, Kuster J, Bispinck R, Ullrich U: Wenn Wohnungen unbewohnbar werden. Vermüllung, Wohnungsverwahrlosung und pathologisches Horten. Hrsg.: Stadt Dortmund, Gesundheitsamt, 2014

    https://www.aekno.de/downloads/aekno/prekaere-2015-lenders.pdf

    Autor

    Dr. med. Matthias Albers

    Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie

    Stadt Köln, Gesundheitsamt

    Neumarkt 15–21 – 50667 Köln

    Matthias.Albers@stadt-koeln.de

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