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Wechselschichtarbeit und Diabetesprävalenz bei männlichen Beschäftigten eines großen Chemieunternehmens

Wechselschichtarbeit und Diabetesprävalenz bei männlichen Beschäftigten eines großen Chemieunternehmens

Ziel: Ziel des vorliegenden Beitrags ist die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Tätigkeit in vollkontinuierlicher Wechselschicht und Prävalenz von Diabetes mellitus bei Beschäftigten eines großen deutschen Chemieunternehmens.

Kollektiv und Methode: Die Querschnittstudie basiert auf Daten, die bei Gesundheits-Checks der BASF SE in Ludwigshafen zwischen dem 1. Januar 2011 und dem 31. Dezember 2014 erhoben wurden. Die Gesundheits-Checks ergänzen die arbeitsmedizinische Vorsorge und beinhalten u. a. eine Blutentnahme, eine körperliche Untersuchung und Anamnese durch den Betriebsarzt sowie einen Fragebogen. Der Diabetesstatus wurde per Selbsteinstufung der Beschäftigten erhoben. Angaben zum Schichtmodell wurden der Personalakte entnommen. Als Confounder wurde u.a. der FindRisk-Score verwendet, der sich aus verschiedenen diabetesbezogenen Risikofaktoren (z. B. Body Mass Index, BMI) zusammensetzt. Es wurden univariable und multivariable logistische Regressionsanalysen zum Zusammenhang zwischen Schichtmodell und Diabetes verwendet.

Ergebnisse: Insgesamt konnten Angaben von 10.126 männlichen Beschäftigten verwendet werden (davon 41,0 % Wechselschichtarbeiter), die durchschnittlich 44,2 Jahre alt waren (SD: 9,6). Die Diabetesprävalenz lag für Wechselschichtarbeiter bei 4,8 % und bei Tagarbeitern bei 3,0 % (p<0,001). Nach Adjustierung für soziodemografische Faktoren ergab sich ein Odds Ratio für Wechselschichtarbeit (Referenz: Tagarbeit) von 1,42 (95 %-KI: 1,12–1,80) in der Regressionsanalyse. Bei zusätzlicher Adjustierung für den Diabetes-FindRisk-Score war der Befund nicht mehr signifikant (aOR: 1,23; 95%-KI: 0,92–1,64).

Schlussfolgerungen: Die vorliegende Querschnittstudie fand eine im Vergleich zu Tagarbeitern höhere Diabetesprävalenz bei Wechselschichtarbeitern. Der Unterschied dürfte sich überwiegend durch die bei Mitarbeitern in Wechselschicht häufiger vorkommenden Risikofaktoren erklären lassen. Integrierte und niedrigschwellige Präventionsansätze im Setting Arbeitsplatz sollten deshalb die Früherkennung und zielgerichtete Intervention dieser Risikofaktoren beinhalten, um zukünftig den Erhalt der individuellen Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter zu unterstützen.

Schlüsselwörter: Diabetes mellitus – Schichtarbeit – Wechselschicht – Arbeitsmedizin – chemische Industrie

Shift work and prevalence of diabetes in male employees of a large chemical company

Aim: The aim of the present study is to investigate the association between rotating shift work and the prevalence of diabetes mellitus in male employees of a large chemical company.

Collective and Method: We used cross-sectional data, which was collected during routine health checks between 1 January 2011 and 31 December 2014 at BASF SE in Ludwigshafen (Germany). The health checks complement occupational medical care and include a blood sample, a physical examination and anamnesis carried out by the company medical officer, as well as a questionnaire. Diabetes status was assessed from information provided by employees themselves. Details of the shift model were taken from the personnel files. Among other things, the FINDRISC score, composed of several diabetes-related risk factors (e.g. body mass index, BMI), was used as a confounder. We used univariable and multivariable logistic regression analyses to assess the connection between the shift model and diabetes.

Results: Data on 10,126 male employees (41.0 % rotating shift workers) with a mean age of 44.2 years (SD: 9.6) could be used for analyses. Prevalence of diabetes was 4.8 % in rotating shift workers and 3.0 % in day workers (p<0.001). After adjustment for sociodemographic characteristics, regression analysis yielded an odds ratio for rotating shift work (reference: day work) of 1.42 (95%-CI: 1.12–1.80). After additional adjustment for the diabetes FINDRISC score this finding was no longer significant (aOR: 1.23; 95%-CI: 0.92–1.64).

Conclusions: This cross-sectional study found a higher prevalence of diabetes among rotating shift workers compared to day workers. For the most part, the difference might be explained by the higher incidence of risk factors among rotating shift workers. Integrated and low-threshold prevention strategies in the workplace should therefore include the early detection of and targeted intervention in these risk factors: this will help ensure that individuals remain employable in the future.

Keywords: diabetes mellitus – shift work – rotating shift – occupational medicine – chemical industry

M. Claus

M. Schuster

C. Oberlinner

S. Webendörfer

(eingegangen am 03.01.2017, angenommen am 14.02.2017)

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2017; 52: 196–201

Einleitung und Ziele

In Deutschland arbeiten dem aktuellen Mikrozensus zufolge fast zwölf Millionen Menschen zumindest gelegentlich in Nacht- oder Wechselschicht. Dies entspricht einem Anteil von etwa 30 % an allen Erwerbstätigen (Statistisches Bundesamt 2016). Während Schichtarbeit in modernen Industriegesellschaften einerseits zur Aufrechterhaltung von Produktionsprozessen gerade auch in der chemischen Industrie unerlässlich ist, rücken gleichzeitig potenziell gesundheitsschädliche Auswirkungen in den Fokus nationaler und internationaler Forschungsanstrengungen. (Wechsel-)Schichtarbeit wurde dabei in mehreren Studien als Risikofaktor für Diabetes mellitus Typ 2 identifiziert (Suwazono et al. 2006; Pan et al. 2011; Gan et al. 2015; Vimalananda et al. 2015; Hansen et al. 2016). Als Gründe werden schichtarbeitsbedingte, anhaltende Störungen des zirkadianen Rhythmus (also der „inneren Uhr“) und damit verbundene kardiovaskuläre und metabolische Probleme angeführt (Scheer et al. 2009). Darüber hinaus werden negative Veränderungen des Lebensstils (z. B. schlechtere Essgewohnheiten, verminderte soziale Aktivitäten, verringerte physische Aktivität) aufgrund von Schichtarbeit diskutiert (Pan et al. 2011).

In Deutschland sind etwa 4,6 Millionen Menschen (7,2 %) zwischen 18 und 79 Jahren von einer Diabeteserkrankung betroffen, wobei die Prävalenz mit zunehmendem Alter ansteigt (Robert Koch-Institut 2016). Dabei lässt sich der eher seltene Typ-1-Diabetes, der überwiegend bei Kindern und Jugendlichen auftritt, von dem eher unter Erwachsenen üblichen Typ-2-Diabetes unterscheiden. Eine alternde Bevölkerung in Kombination mit einer Zunahme von Risikofaktoren können dabei als Erklärung für den Anstieg der Diabetesprävalenz v.a. in industrialisierten Staaten angeführt werden (Kolb u. Mandrup-Poulsen 2010; Robert Koch-Institut 2014).

Um diesem Trend etwas entgegenzusetzen, kann auch die Arbeitsmedizin einen wichtigen Beitrag leisten. Regelmäßige betriebsinterne Vorsorgeuntersuchungen können dabei helfen, Erkrankungen oder deren Vorstufen frühzeitig zu erkennen und zielgerichtete Maßnahmen zu einem möglichst frühen (Erkrankungs-)Zeitpunkt einzuleiten. Unter Verwendung von routinemäßig erhobenen Daten eines betriebsinternen Gesundheits-Checks bei einem großen deutschen Chemieunternehmen soll der vorliegende Beitrag dazu dienen, den Zusammenhang zwischen (Wechsel-)Schichtarbeit und Diabetesprävalenz zu untersuchen.

Kollektiv und Methode

Studiendesign

Die vorliegende Querschnittstudie basiert auf Daten, die bei Gesundheits-Checks der BASF SE an ihrem Hauptstandort in Ludwigshafen zwischen dem 1. Januar 2011 und dem 31. Dezember 2014 erhoben wurden. Im Rahmen der arbeitsmedizinischen Betreuung bietet die BASF SE allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Ludwigshafen zusätzlich zu gesetzlich verpflichtenden Vorsorgeuntersuchungen seit 2011 die optionale Teilnahme an einem Gesundheits-Check zur Früherkennung chronischer Erkrankungen an, der alle drei Jahre in Anspruch genommen werden kann. Die Möglichkeit zur Teilnahme ist freiwillig und wird den Beschäftigten dabei über ein persönliches Einladungsschreiben mitgeteilt. Der konkrete Ablauf des Gesundheits-Checks wurde bereits in einer früheren Publikation näher beschrieben (Neumann et al. 2015). Zusammengefasst erfolgt neben einer venösen Blutentnahme eine ausführliche körperliche Untersuchung inklusive Anamnese und Dokumentation des Gesundheitsverhaltens durch den Betriebsarzt sowie die Teilnahme an einer schriftlichen Befragung. Von den insgesamt 40.275 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der BASF SE im Zielzeitraum nahmen 17.351 Personen (43,1 %) am Gesundheits-Check (inkl. ausgefülltem Fragebogen) teil. Aus weiteren Analysen ausgeschlossen wurden 312 Personen, die keine Angabe zum Diabetesstatus abgaben, 559 Beschäftigte, die weder Tag- noch 4×12-Stunden-Wechselschicht gearbeitet hatten oder bei denen eine fehlende Angabe diesbezüglich vorlag, 3525 Frauen (die nur sehr selten in Wechselschicht arbeiteten), 2780 außertarifliche Mitarbeiter (von denen keiner Schichtarbeit leistete) sowie 49 Auszubildende. Nach Anwendung der Ausschlusskriterien standen somit Angaben von 10 126 Personen für die nachfolgenden Analysen zur Verfügung.

Variablenkonstruktion

Der Diabetesstatus wurde per Selbsteinschätzung durch die Beschäftigten im Fragebogen durch die Frage „Haben Sie Diabetes mellitus?“ (Ja/Nein) erhoben. Angaben zum Arbeitszeitsystem (Tagarbeit/Wechselschicht) wurden direkt den Personaldaten entnommen. Bezüglich Wechselschicht werden in der BASF SE überwiegend 4×12-Stunden-Systeme verwendet. Die 4×12-Stunden-Wechselschicht beginnt um 6 Uhr morgens und endet um 18 Uhr abends mit einer anschließenden Freizeit von 24 Stunden. Die darauf folgende Schicht beginnt somit am Abend des Folgetages um 18 Uhr und endet um 6 Uhr morgens, mit einer anschließenden Freizeit von 48 Stunden. Dabei ist ein Urlaub von 24 Schichten pro Jahr vorgesehen und es können zusätzlich noch 4 Freischichten eingelegt werden. Alter (zum Untersuchungszeitpunkt), Familienstand (verheiratet bzw. eingetragene Partnerschaft, ledig, geschieden, verwitwet), berufliche Position (gewerblicher Mitarbeiter/tariflicher Mitarbeiter) sowie Dauer der Betriebszugehörigkeit (zum Untersuchungszeitpunkt) wurden den Personaldaten der Beschäftigten entnommen.

Darüber hinaus wurde beim Gesundheits-Check ein Teil der deutschen Version des „FindRisk“-Fragebogens eingesetzt, mit dem sich das Risiko berechnen lässt, innerhalb der kommenden zehn Jahre an Diabetes Typ-2 zu erkranken. Direkt aus dem FindRisk-Fragebogen übernommen wurden Fragen bzgl. des Ernährungsverhaltens („Wie oft essen Sie Obst, Gemüse oder dunkles Brot“ – jeden Tag/nicht jeden Tag), zur körperlichen Aktivität („Haben Sie täglich mindestens 30 Minuten körperliche Bewegung“ – ja/nein), zum Vorkommen von Diabetes in der Familie (ja, bei nahen Verwandten/ja, bei entfernten Verwandten/nein), zu bisher verordneten Medikamenten gegen Bluthochdruck (ja/nein), sowie zu bereits von Ärzten festgestellte einmalige zu hohe Blutzuckerwerte (ja/nein) (Lindstrom u. Tuomilehto 2003). Ebenfalls Bestandteil des FindRisk-Scores bilden BMI, Bauchumfang und Alter. Diese wurden allerdings nicht per Fragebogen erhoben, sondern wurden direkt von den Ärzten gemessen (Bauchumfang), durch die Befragten mündlich mitgeteilt (Gewicht und Größe) oder den Personaldaten entnommen (Alter). Je nach Antwort bzw. Messung wurden individuelle Punktwerte vergeben und aufsummiert. Ein FindRisk-Score von unter 7 Punkten korrespondiert dabei mit einem Risiko von 1 % (d. h., dass voraussichtlich 1 % aller Personen mit dieser Punktzahl in den nächsten 10 Jahren Diabetes Typ 2 bekommen), ein Score von 7–11 Punkten mit 4 %, 12–14 Punkte mit 17 %, 15–20 Punkte mit 33 % und über 20 Punkte mit 50 %.

Statistische Auswertungen

Eine deskriptive Darstellung der Ergebnisse erfolgte mit Hilfe von absoluten und relativen Häufigkeiten sowie arithmetischen Mitteln und zugehörigen Standardabweichungen (SD) bei kontinuierlichen Variablen. Homogenität zwischen Schichtarbeitern und Nicht-Schichtarbeitern wurde mit Chi2-Tests überprüft, wobei p-Werte

Ergebnisse

Insgesamt lagen ausgefüllte Fragebogen von 10.126 männlichen Teilnehmern am Gesundheits-Check-up für die Analyse zur Verfügung. Die Befragten waren durchschnittlich 44,2 Jahre (SD: 9,6) alt und seit 24,2 Jahren (SD: 10,1) im Unternehmen tätig. Die Verteilung soziodemografischer Faktoren und des FindRisk-Scores für das gesamte Kollektiv sowie getrennt für Tag- und Wechselschichtarbeiter zeigt  Tabelle 1. Im Vergleich zu den Tagarbeitern sind Wechselschichtarbeiter durchschnittlich älter (45,3 vs. 43,5 Jahre), häufiger verheiratet (73,7 vs. 69,9 %), häufiger gewerbliche Mitarbeiter (73,4 vs. 34,8 %) und durchschnittlich weniger lang dem Betrieb zugehörig (23,3 vs. 24,8 Jahre).

In Bezug auf den FindRisk-Score zeigt sich, dass Wechselschichtarbeiter mit durchschnittlich 8,4 Punkten (SD: 5,0) einen höheren Wert aufweisen als Tagarbeiter mit durchschnittlich 7,5 Punkten (SD: 4,8).

Im Gesamtkollektiv ergab sich eine Prävalenz für Diabetes mellitus von 3,7 % (n=378). Bei Wechselschichtarbeitern lag die Prävalenz mit 4,8 % über derjenigen von Tagarbeitern mit 3,0 % (pAbb. 1).

Diabetesprävalenz von Tagarbeitern und Wechselschichtarbeitern stratifiziert nach Kategorien des FindRisk-Score ist in  Abb. 2 veranschaulicht. Die Grafik zeigt, dass die Diabetesprävalenz sowohl für Tagarbeiter als auch für Wechselschichtarbeiter mit zunehmendem FindRisk-Score zunächst leicht (bis 12–14 Punkte) und dann sehr stark ansteigt.

Die Diabetesprävalenz für Wechselschichtarbeiter liegt dabei ab einem Score von 12–14 Punkten über derjenigen von Tagarbeitern.

Die Ergebnisse der univariablen und multivariablen logistischen Regressionsanalysen sind in  Tabelle 2 veranschaulicht. Im univariablen Modell ist Wechselschichtarbeit signifikant mit Diabetes assoziiert (OR: 1,61; 95 %-KI: 1,31–1,98). Nach Adjustierung für soziodemografische Faktoren im multivariablen Modell M1 verringert sich der Effekt, bleibt jedoch signifikant (aOR: 1,42; 95 %-KI: 1,12–1,80).

Nach weiterer Adjustierung für den FindRisk-Score (Modell M2) schwächt sich der Effekt abermals ab und ist nicht mehr signifikant (aOR: 1,23; 95 %-KI: 0,92–1,64).

Diskussion

Ziel des vorliegenden Beitrags war es, den Zusammenhang zwischen Wechselschichtarbeit und Diabetes bei Beschäftigten eines großen deutschen Chemieunternehmens zu untersuchen. Es zeigte sich eine signifikant höhere Prävalenz von Diabetes mellitus bei Arbeitern in Wechselschicht im Vergleich zu Tagarbeitern. Da sich die beiden Kollektive hinsichtlich soziodemografischer Faktoren und bzgl. des Diabetes-FindRisk-Scores signifikant voneinander unterschieden (mit höheren FindRisk-Werten bei Arbeitern in Wechselschicht), wurden multivariable logistische Regressionsanalysen geschätzt. Nach Adjustierung für soziodemografische Charakteristika zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen Wechselschichtarbeit und Diabetes, der allerdings nach zusätzlicher Aufnahme des FindRisk-Scores in ein weiteres multivariables Modell verschwand. Im direkten Vergleich zu bevölkerungsrepräsentativen Befunden der DEGS1-Studie des Robert Koch-Instituts (Alterskategorien der vorliegenden Studie wurden dazu angepasst) zeigen sich insgesamt ähnliche altersspezifische Diabetesprävalenzen in unserer Stichprobe (0,8 % vs. 0,9 %

Um der Verbreitung von Diabetes auch am Arbeitsplatz etwas entgegenzusetzen, lassen sich verschiedene Möglichkeiten der Prävention diskutieren. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei Prävention um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt, die alle Lebensbereiche mit einbeziehen muss. Vor allem bei der Primärprävention und Früherkennung von Risikofaktoren und (chronischen) Erkrankungen müssen dabei innovative Wege beschritten werden. Dazu sollten die Menschen vor allem auch in den Lebenswelten (sog. „Settings“) angesprochen werden, in denen sie sich alltäglich bewegen bzw. in der Regel den größten Teil ihrer Zeit verbringen. Präventionsangebote am Arbeitsplatz sind Erfolg versprechend, da hier vor allem gewerblich tätige Arbeitnehmer in einem höheren Prozentsatz als es bei der kassenärztlichen Betreuung der Fall ist erreicht werden können.

Die BASF führt seit 1983 auf der Basis einer Betriebsvereinbarung speziell für Wechselschichtmitarbeiter regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen sowie zunächst zweiwöchige, später dann einwöchige Gesundheitsseminare durch. An diesen Gesundheitsseminaren nehmen seither jährlich etwa 1500 Mitarbeiter teil. Nach den kompakten Seminaren stehen den Mitarbeitern arbeitsplatznah sog. Anbindungskurse sowie eine Vielzahl von Angeboten des Unternehmens zur betrieblichen Gesundheitsförderung (Ernährungs- und Bewegungsprogramme, Stressmanagementkurse, Ergonomieschulungen usw.) zur Verfügung. In einer vorangegangenen Studie konnten positive Effekte dieser Seminare auf den allgemeinen Gesundheitszustand und in der Langzeitbeobachtung sogar auf die Mortalität gezeigt werden (Ott et al. 2010).

Dennoch zeigen die hier vorgestellten Ergebnisse am Beispiel des Diabetes mellitus, dass weniger die Arbeitsform der Schichtarbeit als vielmehr das häufigere Vorhandensein entsprechender Risikofaktoren in der Gruppe der Wechselschichtarbeiter für die Manifestation der Erkrankung ausschlaggebend ist. Mit Einführung einer regelmäßigen standardisierten Gesundheitsvorsorgeuntersuchung (BASF Gesundheits-Check) kann zukünftig in dem Kollektiv eine zuverlässige Aussage über das Vorliegen von Risikofaktoren sowie die Prävalenz von Prädiabetes und Diabetes bei den teilnehmenden Mitarbeitern getroffen werden. Dabei sollten entsprechende Laborparameter wie Nüchternglukose bzw. Randomglukose und HbA1c-Wert berücksichtigt werden.

Die Diagnose Diabetes mellitus wurde im Rahmen des BASF Gesundheitschecks bisher in vielen Fällen neu und erstmalig gestellt, so dass die weitere Diagnostik und Therapie über die Haus- und Fachärzte in der Region erfolgte. So konnten einige Mitarbeiter schon im Frühstadium der Erkrankung in ein Disease-Management-Programm aufgenommen werden, um Spätschäden und letztlich auch vermehrte Arbeitsausfallzeiten zu minimieren oder ganz zu vermeiden.

Beim Vorliegen eines metabolischen Syndroms oder eines Prädiabetes standen zunächst BASF-interne Empfehlungen zu gesundheitsförderlichen Maßnahmen mit einer Veränderung des Lebensstils im Vordergrund. Die sog. „Modulempfehlung Ernährung und Bewegung“ enthielt die betriebsinternen zu dem Themenkomplex angebotenen Kurse, Beratungen und Sportangebote. Zukünftig wird entsprechend dem Bedarf ein weiteres Modul „Prädiabetes“ angeboten. Hier stehen eine individuelle Ernährungsberatung und Bewegungscoaching im Vordergrund. Anschließend erfolgt eine Kontrolle, inwiefern sich Veränderungen relevanter Parameter (z. B. HbA1c) zeigen.

Für die in Wechselschicht arbeitenden Kollegen sind noch flexiblere Kursangebote und Zeiten in Planung, um die Teilnahme zu erhöhen. Viele Schichtarbeitende haben einen langen Arbeitsweg und nutzen Fahrgemeinschaften, so dass hier z. B. in Zusammenarbeit mit den Krankenkassen Kooperationen mit Gesundheitsanbietern am Wohnort der Mitarbeiter infrage kommen. Dieses Vorgehen rückt in Zukunft stärker in den Vordergrund, wenn es um die Umsetzung der Vorgaben des Präventionsgesetzes im beruflichen Setting geht.

Neben dem großen untersuchten Kollektiv als Stärke der vorliegenden Untersuchung lassen sich auch einige Schwächen anführen, die nachfolgend diskutiert werden sollen. Zunächst muss erwähnt werden, dass es sich um eine Querschnittstudie handelte, so dass keine Aussage über einen potenziellen kausalen Zusammenhang zwischen Diabetes und Schichtarbeit getroffen werden kann. Falls eine Diabeteserkrankung der beruflichen Exposition vorausging, wurde dies nicht berücksichtigt. Eine weitere Limitation besteht darin, dass die Einstufung als Diabetiker lediglich auf der Selbsteinschätzung der Befragten beruhte und nicht, wie z. B. von der American Diabetes Association (ADA) vorgesehen, auf dem HbA1c-Wert und/oder der Nüchternglukose (American Diabetes Association 2016). Missklassifikationen im Outcome sind dadurch wahrscheinlich, da bisher unentdeckte und somit unbekannte Diabeteserkrankungen zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht berücksichtigt wurden. Dies hätte zur Folge, dass die Diabetesprävalenz in unserem Kollektiv unterschätzt wäre. Weiterhin kann es als Limitation angesehen werden, dass keine Möglichkeit zur Unterscheidung von Diabetes Typ 1 und Diabetes Typ 2 vorhanden war. Da allerdings Schätzungen zufolge weniger als 5 % aller Diabetiker an Diabetes Typ 1 leiden, sollte dies weniger ins Gewicht fallen (Giania et al. 2004; Heidemann et al. 2013). Darüber hinaus sind Missklassifikationen im Expositionsstatus denkbar, falls Befragte im Laufe ihrer beruflichen Tätigkeit von der Wechselschicht in die Tagarbeit gewechselt sind oder umgekehrt. In einer früheren Validierungsstudie an 324 Tag- und 597 Schichtarbeitern konnte jedoch gezeigt werden, dass im Verlauf des Berufslebens lediglich 4 % von der Schichtgruppe in die Tagarbeit gewechselt sind und 1 % von der Tagarbeit in die Wechselschicht (Yong et al. 2014).

Schließlich soll auch die Möglichkeit einer Selektionsverzerrung angeführt werden. Es ist einerseits denkbar, dass Personen mit einem schlechten Gesundheitszustand eher dazu bereit waren, an der Untersuchung teilzunehmen, als solche ohne gesundheitliche Einschränkungen oder umgekehrt besonders gesundheitsbewusste Beschäftigte für berufliche Gesundheitsvorsorge eher empfänglich waren als solche, die auch sonst nicht allzu viel Wert auf ein gesundheitsbewusstes Verhalten legen.

Schlussfolgerung

Neben der Sekundärprävention durch Früherkennung bei Untersuchungen wird vor allem der Primärprävention durch Information und Aufklärung bei Jugendlichen in der Schule oder bei Auszubildenden am Arbeitsplatz vermehrt Bedeutung zukommen. Bezüglich der Prävention von Diabetes mellitus lässt sich ein Return on Investment auf gesamtgesellschaftlicher (z. B. Senkung von Therapie- und Behandlungskosten) und betrieblicher Ebene (z. B. geringere Arbeitsausfallzeiten) erwarten. Hier kann die Arbeitsmedizin im beruflichen Setting eine wertvolle Ergänzung zur haus- und fachärztlichen Versorgung leisten. Aus methodischer Sicht sollte in zukünftigen Studien ein prospektives Studiendesign verwendet werden und die Diabetesdiagnose wie von der ADA vorgeschlagen auf Grundlage des HbA1c-Wertes, der Nüchternglukose (FPG) und/oder der 2-h-Plasmaglukose nach einem Glukosetoleranztest (OGTT) erfolgen.

Interessenkonflikt: Alle Autoren sind bei der BASF SE in Ludwigshafen beschäftigt. Die Autoren erklären, dass ansonsten kein Interessenkonflikt vorliegt.

Literatur

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Für die Verfasser

Matthias Claus

Arbeitsmedizin und Gesundheitsschutz/Epidemiologie und wissenschaftliche Evaluation

FEH/CS – H308

BASF SE

67056 Ludwigshafen am Rhein

matthias.claus@basf.com

Fußnoten

Arbeitsmedizin und Gesundheitsschutz/Epidemiologie und wissenschaftliche Evaluation, BASF SE, Ludwigshafen