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Arbeitsmedizin im Wandel — DGAUM-Veranstaltung zur Novellierung der ArbMedVV

Die Bundesregierung hatte Ende April 2013 die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vorgelegte „Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge“, kurz ArbMedVV, verabschiedet. Ende September gab dann der Bundesrat ebenfalls seine Zustimmung dazu, so dass Mitte Oktober abermals das Bundeskabinett sich mit der novellierten Fassung der Verordnung mitsamt den Änderungsvorschlägen aus dem Bundesrat beschäftigte und die ArbMedVV endgültig verabschieden konnte. Damit ist das gesetzgebende Verfahren abgeschlossen und die Verordnung kann nach Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt zum 31. 10. 2013 in Kraft treten. Durch diese Änderungen wird die arbeitsmedizinische Vorsorge weiter gestärkt und die Bedeutung der Arbeitsmediziner und Betriebsärzte als Experten zur Beurteilung der individuellen Wechselwirkungen zwischen Arbeit und Gesundheit hervorgehoben. Arbeitsmedizinische Vorsorge sollte nicht nur bei den klassischen Gesundheitsgefährdungen wie Gefahrstoff- oder Lärmexpositionen eine wichtige Rolle spielen, sondern auch dann, wenn es um Fragen der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz geht. Wichtig ist dabei, dass Arbeitsmediziner und Betriebsärzte das Vertrauen der Beschäftigten genießen. Mit der Änderungsverordnung wird daher über eine neue Terminologie und durch Klarstellungen besser als bisher verdeutlicht, dass es bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge weder um den Nachweis der Eignung für berufliche Anforderungen geht, noch einen Untersuchungszwang gibt. Im Vordergrund stehen die individuelle Aufklärung und die Beratung, auch zu Fragen des Erhalts der Beschäftigungsfähigkeit. Das Recht der Beschäftigten auf informationelle Selbstbestimmung und der notwendige Datenschutz sind dabei zwingend zu beachten. Vor diesem Hintergrund hatten die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) e.V. sowie die Akademie für Arbeits-, Sozial-und Umweltmedizin (ASUMED) am Bayerischen Landesamt für Gesundheit Ende Oktober zum Fachgespräch über die Arbeitsmedizin im Wandel der novellierten ArbMedVV eingeladen. Knapp 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren zu diesem Termin nach München gekommen.

Frage nach der arbeitsmedizinischen Identität

Im Mittelpunkt der Fachvorträge und der Diskussion stand immer wieder die Frage nach der arbeitsmedizinischen und betriebsärztlichen Identität, was soll, was kann und was muss ein Arbeitsmediziner oder Betriebsarzt? In seinem Eröffnungsvortrag versuchte der Vizepräsident der DGAUM und Vorsitzende des Ausschusses für Arbeitsmedizin beim BMAS, Prof. Dr. Stephan Letzel, Mainz, eine umfassende Antwort: Zu den Aufgaben im Allgemeinen, der Beratung sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber sowie der sonst für den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung im Betrieb verantwortlichen Personen gehört im Besonderen die Durchführung individueller arbeitsmedizinischer Vorsorge. Seit 2008 werden diese in der ArbMedVV geregelt. Damit richtet diese Verordnung sich primär an den Arbeitgeber und beeinflusst wesentlich das arbeitsmedizinische und betriebsärztliche Handeln im Bereich der Prävention. Ziel ist, durch Maßnahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge arbeitsbedingte Erkrankungen einschließlich Berufskrankheiten frühzeitig zu erkennen und zu verhüten. Damit soll die arbeitsmedizinische Vorsorge zugleich sowohl einen Beitrag zum Erhalt der individuellen Beschäftigungsfähigkeit des einzelnen Arbeitnehmers als auch einen nachhaltigen Beitrag zur Fortentwicklung des betrieblichen Gesundheitsschutzes in toto leisten. Nicht zuletzt deshalb hatte das BMAS bereits im Jahr 2008 die Vorgaben zur arbeitsmedizinischen Vorsorge aus anderen Verordnungen, so etwa der Gefahrstoffverordnung oder der Biostoffverordnung, in der ArbMedVV zu einem einheitlichen Regelwerk zusammengeführt. Bei der Anwendung der ArbMedVV sind in der Vergangenheit bei einzelnen Punkten, etwa beim Untersuchungszwang der Beschäftigten oder der Mitteilungspflicht an den Arbeitgeber, Rechtsunsicherheiten aufgetreten.

Wesentlicher Bestandteil der arbeitsmedizinischen Vorsorge sind die individuelle Gefährdungsbeurteilung, die Beratung und – soweit erforderlich – eine ärztliche Untersuchung. Die arbeitsmedizinische Vorsorge untergliedert sich dabei gemäß der novellierten ArbMedVV in Pflichtvorsorge, Angebotsvorsoge und Wunschvorsoge (s. oben, Info).

Zur Durchführung der arbeitsmedizinischen Vorsorge nach ArbMedVV muss der Arzt oder die Ärztin zwingend die Gebietsbezeichnung „Arbeitsmedizin“ oder die Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“ führen. Zudem darf der Arzt oder die Ärztin selbst keine Arbeitgeberfunktion gegenüber dem oder der Beschäftigten ausüben. Dies bedeutet, dass ein niedergelassener Arzt, der Arbeitgeberfunktion ausübt, die arbeitsmedizinische Vorsorge gemäß ArbMedVV nicht bei seinen Angestellten durchführen darf. In diesem Fall muss ein Arzt oder eine Ärztin mit arbeitsmedizinischer Fachkunde beauftragt werden.

Prävention und Selbstbestimmung im Mittelpunkt

Die weiteren Vorträge und Diskussionen zeigten, was in der novellierten ArbMedVV besonders wichtig ist: Diese regelt ausschließlich die individuelle betriebsärztliche Vorsorge. Andere Untersuchungen im betrieblichen Umfeld wie etwa Einstellungsuntersuchungen bzw. personalärztliche Untersuchungen und Eignungsuntersuchungen sind nicht Gegenstand dieser Verordnung. Nach Auffassung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an dieser Tagung ist es dringend erforderlich, dass auch für diese Untersuchungen, insbesondere für die Eignungsuntersuchungen, so z. B. bei Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten, die dem Drittschutz dienen, für die Zukunft entsprechende einheitliche Regelungen getroffen werden. Denkbar sei, dass die gesetzliche Unfallversicherung entsprechende branchenspezifische Vorgaben macht.

Die novellierte ArbMedVV stellt, so der Tenor in den Vorträgen von Dr. Joachim Stork, Leiter Gesundheitswesen Audi AG, Ingolstadt, oder von Dr. Robert Trucken-brodt, Ltd. Arzt, IAS AG, München, die informationelle Selbstbestimmung, also das Recht des Einzelnen über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten selbst zu bestimmen, gegenüber dem Interesse des Arbeitgebers und dessen Fürsorgepflicht, besonders heraus. Die bisher geübte betriebsärztliche Praxis, dass bei Pflichtuntersuchungen der Arbeitgeber eine Kopie der ärztlichen Bescheinigung mit einer ärztlichen Beurtei-lung, ob und inwieweit bei Ausübung einer bestimmten Tätigkeit gesundheitliche Bedenken bestehen, ist damit nicht mehr zulässig. Der Arbeitgeber wird zukünftig nur noch darüber informiert, dass die Pflichtvorsorge stattgefunden hat, es sei denn, der Arbeitnehmer willigt über die Weitergabe weiterer personenbezogener Informationen ein. Ergeben sich generelle Anhaltspunkte, dafür, dass die Maßnahmen des Arbeitsschutzes für den oder die Beschäftigte oder andere Beschäftigte nicht ausreichen, so hat der Arzt oder die Ärztin weiterhin dies dem Arbeitgeber mitzutei-len und Schutzmaßnahmen vorzuschlagen. Auch hier gilt selbstverständlich das informa-tionelle Selbstbestimmungsrecht im Umgang mit den persönlichen Daten, so dass aus den Unterlagen keinerlei Informationen oder keine Rückschlüsse auf den konkreten Arbeitnehmer zu erhalten sind. Weiterhin ist wesentlich, dass die „neue“ ArbMedV dem Beschäftigten die Entscheidung offen lässt, ob und in welchem Umfang er sich Untersuchungen unterziehen möchte. Bei der Pflichtvorsorge muss der Beschäftigte zum entsprechenden ärztlichen Unter-suchungstermin erscheinen, Weiteres unterliegt dann dem individuellen Aushandlungsprozess zwischen Arzt/Ärztin und Beschäftigten. Zukünftig rückt damit die individuelle persönliche betriebsärztliche Beratung in den Mittelpunkt der arbeitsmedizinischen Vorsorge. Wichtige Aufgabe des Arztes bzw. der Ärztin wird es dabei sein, unter Kenntnis der Arbeitsplatzsitua-tion den Beschäftigten bzw. die Beschäftigte über die entsprechenden Gefahren für die Gesundheit zu beraten und ihm bzw. ihr die für eine gezielte individuelle Beurteilung einer Gesundheitsgefährdung erforderlichen Untersuchungen zu erklären, anzubieten und ggf. durchzuführen. Letztendlich entscheidet damit der bzw. die Betroffene über den Umfang der arbeits-medizinischen Vorsorge wesentlich mit.

In diesem Kontext erinnerte der Präsident der DGAUM, Prof. Dr. Hans Drexler, Erlangen, nochmals daran, welch wichtige Funktion dem arbeitsmedizinischen Biomonitoring als Teil der Heilkunst zukommt. Die schematische Handhabung von Grenzwerten, wie sie in den sog. BAT-Werten (Bio-logische Arbeitsstoff-Toleranzwerte) niedergelegt sind, sei mit der ärztlichen Kunst unvereinbar. Für eine arbeitsstoffbezogene Toxikologie sei ein hohes Maß an Kompetenz notwendig, um aus Messbefunden mittels ärztlicher Beurteilung zu verlässlichen medi-zinischen Befunden für die Gefährdungsbeurteilung von Arbeitnehmern zu gelangen.

Summa summarum: Durch die Novel-lierung der ArbMedVV wird die Verantwortung des Arztes bzw. der Ärztin für den individuellen medizinischen Arbeitsschutz deutlich gestärkt. Die unreflektierte Abarbeitung von Untersuchungsabläufen, wie diese z. B. in den Grundsätzen für die arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen der gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) vorgesehen sind, gehören damit der Vergangenheit an und widersprechen den rechtlichen Vorgaben. Für die DGUV sagte der bei der Veranstaltung an-wesende stellvertretende Hauptgeschäftsführer, Dr. Walter Eichendorf, eine an der novellierten ArbMedVV orientierte Überarbeitung der sog. G-Grundsätze zu, um die dort gefassten Handlungsempfehlungen den neuen rechtlichen Vorgaben anzupassen.

Dr. phil. Thomas Nesseler

Hauptgeschäftsführer der DGAUM

    Info

    Pflichtvorsorge ist arbeitsmedizinische Vorsorge, die bei bestimmten besonders gefährdenden Tätigkeiten veranlasst wer-den muss. (z. B. wenn eine wiederholte Exposition gegenüber krebserzeugenden Arbeitsstoffen der Kategorie 1 oder 2 nicht ausgeschlossen werden kann; bei gezielten Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen der Risikogruppe 4; Tätig-keiten mit Lärmexposition, wenn die obere Auslöseschwelle von Lex,8 h = 85 dB(A) erreicht oder überschritten wird.

    Angebotsvorsorge ist arbeitsmedizinische Vorsorge, die bei bestimmten gefährden-den Tätigkeiten angeboten werden muss. (z. B. Tätigkeiten mit Schädlingsbekämp-fungsmittel nach der Gefahrstoffverordnung; Tätigkeiten mit wesentlich erhöhten körperlichen Belastungen, die mit Gesundheitsgefährdungen für das Muskel-Skelett-System verbunden sind, z. B. durch Lasten-handhabung beim Heben, Halten, tragen, Ziehen oder Schieben von Lasten.

    Wunschvorsorge ist arbeitsmedizinische Vorsorge, die bei Tätigkeiten, bei denen ein Gesundheitsschaden nicht ausgeschlossen werden kann, auf Wunsch des oder der Be-schäftigten ermöglicht werden muss.

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