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Drogenprävention im Betrieb

Einleitung

Seit Jahrzehnten ist die betriebliche Suchtprävention Bestandteil moderner Personalpolitik. In Kooperation von Betriebsleitung, Betriebsrat, Betriebsärztlicher Dienst und ggf. auch dem Sozialdienst haben die meisten größeren Betriebe inzwischen Betriebsvereinbarungen „Sucht“ erarbeitet. Darin enthalten ist einerseits das Bekenntnis zur Prävention und zur Unterstützung therapiewilliger Suchtkranker, andererseits auch feste Regeln und gestufte Sanktionsmöglichkeiten im Umgang mit den Suchtmittelauffälligen. Begründet werden die Aktivitäten mit dem Interesse des Betriebs an Arbeitssicherheit und Arbeitsqualität und auch mit der Fürsorgepflicht des Unternehmers für seine Mitarbeiter.

Die Aufmerksamkeit und Akzeptanz einer allgemeinen Aufklärung z. B. über Grenzen des gesundheitsverträglichen Alkoholkonsums oder die Problematik der illegalen Drogen wird erhöht, wenn diese Informationen bzw. Veranstaltungen ein Thema im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung sind. Dabei gilt es jedoch auch, Mitarbeiter im Erkennen spezieller Auffälligkeiten, die auf ein Suchtproblem hinweisen, zu schulen, sinnvolle Interventionsmöglichkeiten vorzustellen, eine konsequente Umsetzung zu fördern und betroffene Mitarbeiter in ihrem Veränderungswillen zu unterstützen.

Epidemiologie und Auswirkungen des Suchtmittelkonsums

Welch große gesundheitliche Auswirkungen von Drogen ausgehen, zeigt die „Global Burden of Disease“-Studie der WHO: In den Ländern mit hohem Einkommen verursacht Tabak 12,9 % der gesamten Krankheitsbelastung, Hypertonie 9,3 %, Übergewicht 7,2 %, hohes Cholesterin 6,3 % und Alkohol 4,4 %. Damit sind diese Störungen die fünf größten Krankheitsverursacher in der Bevölkerung. Illegale Drogen stehen mit 1,4 % an Position 8.

Dabei liegt Deutschland im Tabak- und Alkoholkonsum weltweit in der Spitzengruppe: 26 % der Bevölkerung über 15 Jahren (31 % der Männer und 21 % der Frauen) bezeichnen sich als Raucher ( Abb. 1). Das Rauchen ist Ursache für 111 000 vorzeitige Todesfälle jährlich. Ein regelmäßiger Raucher verkürzt seine Lebenserwartung um durchschnittlich mehr als 10 Jahre (DHS 2013).

In der Arbeitsstättenverordnung ist inzwischen das Recht auf einen rauchfreien Arbeitsplatz verankert, um Nichtraucher von gesundheitsgefährdendem Passivrauch zu schützen. Erfahrungsgemäß nimmt die Rate der Nichtraucher zu und die Anzahl der gerauchten Zigaretten ab, wenn das Rauchen bei der Arbeit nicht mehr ohne weiteres möglich ist. So sehen sogar etliche Raucher das Rauchverbot am Arbeitsplatz positiv.

Missbräuchlicher und überhöhter Alkoholkonsum zählt zu den größten volkswirtschaftlichen Problemen in Deutschland. Auf € 20 Mrd. pro Jahr wird der wirtschaftliche Gesamtschaden geschätzt, das entspricht etwa 1 % des Bruttosozialprodukts. Etwa 12 % der erwachsenen Bevölkerung trinkt übermäßig viel Alkohol (5 % riskanter Konsum, 4 % Missbrauch, 3 % Abhängigkeit). Dabei ist der übermäßige Alkoholgenuss bei Männern 3- bis 4-mal häufiger anzutreffen als bei Frauen. Jährlich sterben ca. 74 000 Menschen an den Folgen ihres überhöhten Alkoholkonsums. Bei knapp 5 % der Deutschen besteht eine remittierte Alkoholabhängigkeit (Jahrbuch Sucht 2012)

Durch illegale Drogen kamen im Jahr 2012 in Deutschland insgesamt 944 Menschen ums Leben, dies ist die niedrigste Zahl seit 24 Jahren (im Jahr 2000 gab es 2010 Drogentote). Einen wesentlichen Anteil am Rückgang der Todesfälle spielt vermutlich die inzwischen weite Verbreitung der Substitutionsbehandlung. Die Mehrzahl der Drogentoten starb an den Folgen eines Opiatkonsums, oft in Kombination mit weiteren Drogen. Deutschland gehört mit geschätzten 4,0 problematischen Drogenkonsumenten pro Tausend Einwohnern zu den Ländern mit niedriger Prävalenz (in Großbritannien sind es 10,1 %, in Italien 10,0 %). Die Anzahl der Abhängigen von harten Drogen wird auf 0,2 % der Bevölkerung geschätzt. Opiatkonsum ist in den letzten Jahren tendenziell seltener geworden, demgegenüber hat die Anzahl derjenigen, die Cannabiserfahrungen haben, bis 2003 stetig zugenommen; seitdem zeigen sich parallel mit dem Rückgang der Raucherquote rückläufige Prävalenzzahlen. Die 12-Monats-Prävalenz der 12-bis 17-Jährigen reduzierte sich von 7,4 % in 2002 auf 4,9 % in 2012. Knapp ein Drittel der jungen Erwachsenen haben Cannabis schon einmal ausprobiert. Die meisten Cannabis-Raucher beenden ihren Konsum im Erwachsenenalter. Die Mehrzahl von ihnen konsumierte außer Cannabis keine andere illegale Droge.

Die Verbreitung von aufputschenden Drogen wie Ecstasy und Amphetaminen lag seit vielen Jahren relativ konstant bei 1 % (Gelegenheits)Konsumenten in der jüngeren Bevölkerung, ist 2012 jedoch angestiegen. Vor allem in den nahe Tschechien gelegenen Bundesländern Bayern, Sachsen und Thüringen wird in letzter Zeit ein massiver Anstieg des Crystalkonsums beobachtet (kristallines Methamphetaminhydrochlorid; diese Substanz war als Pervitin bis 1988 verkäuflich), Crystal wird überwiegend aus Tschechien bezogen – oft gestreckt mit anderen gesundheitsgefährdenden Substanzen. Die Droge wird in Deutschland meist gesnieft, seltener injiziert oder geraucht.

Illegale Drogen werden überwiegend von Auszubildenden und jungen Erwachsenen konsumiert. Daher muss die Prävention auf diese Altersgruppe abgestimmt werden.

Gelegentlicher Gebrauch in der Freizeit macht sich am Arbeitsplatz meist nicht bemerkbar, eine regelmäßige Verwendung gefährdet aber Gesundheit und Ausbildungserfolg. Doch auch der Gelegenheitskonsum birgt schon unkalkulierbare Risiken.

Kurzcharakteristik der gebräuchlichsten illegalen Drogen

Cannabis: Cannabis wird, vermischt mit Tabak, als Haschisch (getrocknetes Harz der weiblichen Pflanze, enthält 7–14 % THC) oder Marihuana (getrocknete Blätter und Blüten, 2–8% THC) geraucht. Seltener wird beim Kuchen- oder Keksebacken Haschisch zugegeben. Dann setzt die Wirkung erst nach 30–60 Minuten ein, der Rauschverlauf ist flacher und länger als beim Rauchen, wo die Wirkung schon nach 6–12 Minuten einsetzt (in dieser Zeitspanne liegt auch das Maximum des Blutplasmaspiegels) und 1–3 Stunden anhält. Als wesentliche Wirksubstanz wird das Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) gesehen, die Rolle der zahlreichen anderen Cannabinoide und der Abbauprodukte ist derzeit noch nicht endgültig geklärt. Die Cannabinoide sind lipophil, deshalb lagern sie sich bevorzugt im Gehirn und anderen fettreichen Organen ab und werden nur allmählich wieder freigesetzt. So sind die unwirksamen Abbauprodukte von Cannabis wie die THC-Carbonsäure bei seltenem Konsum bis zu 2 Wochen im Urin nachweisbar, bei regelmäßigem Konsum bis zu 2 Monaten nach Abstinenz.

Cannabis ist verhältnismäßig billig, leicht verfügbar und genießt als sog. „weiche Droge“ in der Szene den Ruf der Harmlosigkeit. Gerade junge Menschen mit einer problematischen Persönlichkeitsstruktur sind jedoch gefährdet, den Cannabiskonsum zu einem wesentlichen Bestandteil ihres Lebensstils zu machen. Die Persönlichkeitsveränderungen bei chronischem Konsum sind charakterisiert durch folgende Symptome: verminderte Lern- und Gedächtnisleistung, Antriebsverlust, Interessen- und Initiativelosigkeit, Verlust der Arbeitsmotivation, Verminderung der Kritik- und Urteilsfähigkeit und Aufmerksamkeitsstörungen. Die fehlende Zielstrebigkeit führt in Kombination mit der verschlechterten Lernleistung dann oft zum Scheitern in Schule und Berufsausbildung.

Probleme mit Cannabis stehen mit 14 % als Gründe für die Inanspruchnahme einer ambulanten Beratungsstelle an dritter Stelle nach Alkohol (54 %) und Opiaten (18 %). Inzwischen werden auch 5 % der stationären Suchtbehandlungen aufgrund einer Cannabisabhängigkeit durchgeführt.

Ob Cannabis auch eine Schizophrenie auslösen kann, wird in der Fachliteratur kontrovers diskutiert. Epidemiologisch ist das nicht sicher zu belegen. Sicher ist allerdings, dass Patienten mit Schizophrenie häufiger Cannabis rauchen (auch als Selbstmedikation gegen Depressivität und Lethargie) und dass die Schizophrenie bei Cannabiskonsumenten früher auftritt als bei Nichtkonsumenten. Somit spricht vieles dafür, dass der Cannabiskonsum bei vulnerablen Personen den Weg in die Erkrankung beschleunigt.

Heroin: Heroin (Diazetylmorphin) wirkt stärker als Morphin und überschreitet aufgrund seiner besseren Lipidlöslichkeit auch rascher die Blut-Hirn-Schranke. Die Substanz wird i.v. injiziert oder auch geraucht. Problematisch ist die starke Toleranzentwicklung, wodurch abhängige Konsumenten das 10- bis 20fache der anfänglichen Dosierung einnehmen, was dann in der Nähe der letalen Dosis liegt. Bereits wenige Sekunden nach Injektion kommt es zum Rauschzustand („Kick“), der 1030 Minuten anhält. Es folgt ein 2- bis 6-stündiger Zustand von Antriebsminderung, Lethargie und Somnolenz, der meist als angenehm erlebt wird. Die Opiatintoxikation ist vom Überwiegen des Parasympathikus geprägt (Miosis, Ateminsuffizienz bis Atemstillstand, Bewusstlosigkeit). Die engen Pupillen können einen diagnostischen Hinweis geben. Opiate lassen sich bis zu 4 Tage im Urin nachweisen.

Man rechnet in Deutschland mit ungefähr 100 000–150 000 Opiatabhängigen. Inzwischen sind 75 400 von ihnen in Substitutionsprogrammen eingebunden, womit ihnen die Möglichkeit der sozialen und gesundheitlichen Stabilisierung und der Weg aus der Illegalität ermöglicht werden soll. Nicht wenige der Substituierten sind wieder berufstätig, oft ohne dass der Betrieb über diese Behandlung Bescheid weiß. Eine Methadon- oder Subutexbehandlung schließt die Arbeitsfähigkeit und auch die Fahrtüchtigkeit nicht prinzipiell aus. Leider ist ein Beikonsum z. B. von Cannabis, Benzodiazepinen oder auch Straßenheroin häufig, was dann unkalkulierbare Risiken verursacht. Wenn ein solcher Beikonsum nachweisbar ist, ist der Betreffende nicht geeignet, Tätigkeiten mit Gefährdungspotenzial durchzuführen. Der Betriebsarzt sollte darauf dringen, dass der Betroffene seinen substituierenden Arzt von der Schweigepflicht gegenüber dem Arbeitsmediziner entbindet und mit diesem dann eng kooperieren.

Kokain: Kokain wird durch Extraktion aus den Blättern des Coca-Strauchs gewonnen und kommt als weißes Pulver oder als Lösung auf den Markt. Es wird meist geschnupft, kann jedoch auch geraucht, geschluckt oder injiziert werden. Die Wirkung setzt nach 520 Minuten ein und hält ca. 4590 Minuten an, um dann langsam innerhalb von Stunden abzuklingen. Geringe Dosen führen zu Euphorie, Hypervigilanz und Selbstüberschätzung. Hunger und Schlafbedürfnis werden nicht wahrgenommen. Diese Phänomene führen zur Bewertung der Substanz als „leistungssteigernd“. Die Nachweisbarkeit von Kokain im Urin liegt bei etwa 3 Tagen.

Amphetamin, Ecstasy (inkl. Crystal): Amphetamine wirken sympathomimetisch. Ihr Wirkmechanismus gründet sich auf ihrer strukturellen Ähnlichkeit zu den körpereigenen Katecholaminen. Sie wurden anfangs als Appetitzügler und Kreislaufmittel vermarktet, bis ihr Missbrauchspotenzial offensichtlich wurde, sie unter das Betäubungsmittelgesetz fielen und verboten wurden.

Ecstasy ist ein Amphetaminderivat (3,4Methylen-dioxymethamphetamin/MDMA und strukturähnliche Substanzen), dessen Wirkung auf der Freisetzung von Katecholaminen im Gehirn beruht. Ecstasy ist in Tabletten- oder Kapselform erhältlich. Die Wirkung tritt nach wenigen Minuten bis ca. 30 Minuten ein, sie dauert dosis- und präparatabhängig 4–48 Stunden an. Stimmungssteigerung, Wohlgefühl, erhöhte Sensitivität, gesteigertes Kommunikationsbedürfnis, gesteigertes Gefühl von Intimität und Enthemmung machen die Substanz zur Partydroge. Häufige unerwünschte Wirkungen sind dabei neben der Steigerung von Herzfrequenz und Blutdruck Störungen der Thermoregulation. Auch drogeninduzierte Psychosen (die i. d. R. nach einigen Wochen Abstinenz abklingen) können auftreten. Die Metabolite von Ecstasy und Amphetamin sind noch ca. 3 Tage im Urin nachweisbar.

Drogennachweis

Im Verdachtsfall ist die Durchführung eines Drogenscreenings sinnvoll. Dabei ist das Einverständnis des Betroffenen erforderlich. Falls er diese verweigert, ist es bei deutlichen spezifischen Hinweisen allerdings statthaft, ihn als drogenbeeinträchtigt anzusehen und das disziplinarisch auch so zu werten.

Ein Drogenscreening ist auch möglich bei Bewerbern vor Einstellung in ein Unternehmen, falls sich Betriebsrat und Betriebsleitung darauf geeinigt haben. Allerdings muss auch hier das Einverständnis des Bewerbers vorliegen. Üblicherweise wird ein Bewerber jedoch im Bewerbungsverfahren nicht weiter berücksichtigt, wenn er sich dem Drogentest widersetzt.

In der BASF SE werden seit 2006 bei allen Neueinstellungen Drogenscreenings durchgeführt, die Betroffenen werden einige Wochen vorher schriftlich darüber informiert. Die Rate positiver Befunde liegt alljährlich deutlich unter 1 %, in manchen Jahren sogar bei 0 % (ca. 800 Tests/Jahr)

Da positive Befunde unter Umständen erhebliche arbeitsrechtliche Konsequenzen für den Betroffenen haben, sind bei positivem Ergebnis immer Bestätigungstests erforderlich

Der Nachweis von Drogen kann mit verschiedenen Messverfahren erfolgen. In der Praxis haben sich Schnelltests auf Teststreifenbasis mit Urin durchgesetzt, diese liefern qualitative Ergebnisse. Sie beruhen auf immunologischen Reaktionen mit immobilisierten Antikörpern, die sich auf einer Trägersubstanz befinden. Problem dieser Schnelltests sind die niedrigen Cut-off-Werte für den positiven Befund (der Verzehr eines Mohnbrötchens ergibt u. U. bereits einen positiven Opiatbefund, passiv Rauchen u. U. einen positiven Cannabisbefund). Zum anderen können matrixbedingte Störungen, Medikamente, stark tyraminhaltige Käsesorten oder Bedienungsfehler falsch-positive oder falsch-negative Befunde ergeben. Am zuverlässigsten und damit als Bestätigungstest geeignet sind flüssigkeits- oder gaschromatografische Verfahren, durch die in Verbindung mit einer Massenspektrometrie auch quantitative Ergebnisse gewonnen werden können.

Drogenprävention in Betrieben

Informationsveranstaltungen und Gesundheitsaktionen

Informationsveranstaltungen zum Thema Sucht verfolgen mehrere Ziele: Zum einen soll das allgemeine Wissen über Suchtmittel erweitert werden, Themen sind da z. B. die spezifischen Wirkungen und Gefährdungen bei illegalen Drogen, Grenzen des gesundheitsverträglichen Alkoholkonsums, die Abbaugeschwindigkeit von Alkohol im Organismus u. a. Zum zweiten soll die Aufmerksamkeit bezüglich der spezifischen Auffälligkeiten, die auf eine aktuelle Berauschtheit oder auch auf eine chronische Suchtproblematik hindeuten können, geschult werden, um ein frühzeitiges Reagieren des Umfelds zu erreichen. Zum dritten erfolgen genaue Informationen, wie auf diese Auffälligkeiten reagiert werden soll, sowohl im Interesse der Arbeitssicherheit als auch im Interesse der Mitarbeiter mit Suchtproblemen, denen frühzeitig und effektiv geholfen werden soll.

Hilfreich ist es, wenn dabei auf eine Betriebsvereinbarung Suchtmittel verwiesen werden kann, die von allen betrieblichen Verantwortungsträgern (Betriebsleitung, Mitarbeitervertretung und beratenden Fachleuten wie Betriebsärzten und Sozialberatern) gemeinsam verabschiedet worden ist. Dabei ist es besonders wichtig, darauf hinzuweisen, dass schon dann Handlungsbedarf besteht, wenn ein Mitarbeiter das erste Mal wegen Berauschtheit auffällt. Bei einem späteren Reagieren geraten Kollegen oder Vorgesetzte schnell in einen Erklärungsnotstand, warum sie gerade jetzt und gerade bei diesem Mitarbeiter aktiv werden. Zögern die betrieblich Verantwortlichen zu lange, wird die Problematik darüber hinaus auch unnötig verschleppt. Diese Botschaft ist einer der Kernpunkte in den verschiedenen Schulungen.

Wenn diese Regelungen gelebt werden sollen, ist es aber entscheidend, dass für jeden Kollegen bzw. Vorgesetzten eindeutig erkennbar ist: Eine einmalige derartige Auffälligkeit ist zwar ein Verstoß gegen die betrieblichen Regeln, auf den reagiert wird, aber nie Anlass zur sofortigen Kündigung. Andernfalls kann davon ausgegangen werden, dass sehr häufig aus Kollegialität eine betriebliche Verfolgung dieser Regelverstöße unterbliebe, das gilt v. a. für Alkoholauffälligkeiten. Ergibt sich ein Verdacht auf Drogenkonsum, wird das meist als gefährlicher eingeschätzt und rigoroser geahndet.

Eine Betriebsvereinbarung, die ein gestuftes Vorgehen vorsieht, dient auch als Hilfestellung für die Mitarbeiter, die das Ausmaß ihrer Suchtmittelproblematik nicht wahrhaben wollen. Wenn sie überzeugt sind, auch ohne therapeutische Unterstützung zur (Drogen)Abstinenz oder zu einem unauffälligen Trinkstil zurückzufinden, sollen sie die Chance erhalten, dies zu beweisen. Nur wenn ihnen das nicht gelingt und sie wiederholt am Arbeitsplatz auffällig werden, ist es gerechtfertigt, eine spezifische Behandlung zu verlangen, ggf. auch unter Androhung einer Kündigung.

Die Informationsveranstaltungen zur Suchtprävention erfolgen unter anderem im Rahmen von Sicherheitsunterweisungen der Mitarbeiter, bei Schulungen von Betriebsräten, Meistern und anderen Vorgesetzten und als ein Baustein im Rahmen von Gesprächsführungsseminaren.

Beratung

Die Ärztliche Abteilung ist, gemeinsam mit den Sozialarbeitern des Unternehmens und ggf. in Kooperation mit geschulten „Ex-Usern“ Ansprechpartner für Mitarbeiter, die Beratung suchen, und ebenfalls für Betriebe, die Suchtmittelprobleme bei Mitarbeitern vermuten und ihre Interventionen abstimmen wollen. Die ärztliche Schweigepflicht bezüglich Diagnose und Befund bleibt dabei in jedem Fall gewahrt. Aussagen macht der Arzt auf Anfrage des Vorgesetzten lediglich bezüglich der Einsetzbarkeit des betroffenen Mitarbeiters. Nach klarer Abstimmung mit dem Betroffenen kann jedoch beispielsweise auch über Behandlungsoptionen informiert oder der Hausarzt beziehungsweise die Familie miteinbezogen werden, was häufig hilfreich sein kann.

Durch ein aufmerksames betriebliches Umfeld können oft schon frühzeitig Anhaltspunkte für ein gesundheitsgefährdendes Konsumverhalten registriert werden. Gerade der Arbeitsplatz ist ein geeigneter Ort, um bei betroffenen Mitarbeitern Problembewusstsein und Änderungsbereitschaft zu erzielen, falls deren Leistungsfähigkeit suchtmittelbedingt beeinträchtigt erscheint. Damit kann die allmähliche Entwicklung von riskanten Konsummustern bis hin zur Abhängigkeit unterbrochen werden. Das alte Motto, der Abhängige müsse erst ganz unten landen, bevor er bereit sei, Hilfe anzunehmen, ist mannigfaltig widerlegt. Im Gegenteil: Wir sollten alles tun, um es bei Betroffenen nicht zum Fall ins Bodenlose kommen zu lassen, denn dabei entstehen irreparable Schäden. Mit geeigneten Gesprächstechniken ist es häufig schon bei ersten Auffälligkeiten möglich, wirkungs-voll zu intervenieren. Damit kann allen Beteiligten – dem Betrieb, dem Betroffenen und seiner Familie – viel Ärger und Leid erspart werden. Je früher die Intervention erfolgt, desto geringer ist meist der Bedarf an Unterstützung und Therapie. Für etliche Mitarbeiter sind vierteljährige Laborwertkontrollen mit Gesprächen im Sinne der motivierenden Gesprächsführung ausreichend, um nachhaltig zu unkritischen Konsummustern zurückzufinden. Bei Konsumenten illegaler Drogen vereinbaren wir freiwillige kurzzeitig anberaumte Drogenscreenings. Liegt schon eine ausgeprägte Abhängigkeit vor, ist allerdings nicht selten die Einleitung einer 12- bis16-wöchigen Entwöhnungstherapie erforderlich.

Die früher praktizierte harte Konfrontation mit einer dramatisierenden Ausgestaltung der Auswirkungen des Suchtmittelmissbrauchs im Gespräch zwischen Arzt und Betroffenen ist inzwischen obsolet, da so Abwehr und Widerstand, nicht selten auch der Kontaktabbruch provoziert werden. Bewährt hat sich stattdessen die „Motivierende Gesprächsführung“: Der Arzt erfragt respektvoll die Aspekte der Ambivalenz bezüglich der Veränderungsbereitschaft und führt den Mitarbeiter dabei gezielt dazu, zum Fürsprecher seiner eigenen Veränderung zu werden. Dabei kommen auch die drohenden Konsequenzen bei weiteren betrieblichen Auffälligkeiten zur Sprache. In zahlreichen Studien erwiesen sich solche Kurzinterventionen als hochwirksam.

In dem Beratungsprozess wird gemeinsam erörtert, ob und wenn ja, welche sinnvolle Hilfestellung für den Betroffenen vorstellbar ist. Gegebenenfalls erfolgt die Kontaktierung von weitergehenden Beratungs- oder Behandlungseinrichtungen schon von der Sprechstunde aus. Kennt der Arzt die einzubindenden Fachleute persönlich, kann dies den Klienten die Entscheidung für eine Therapie erleichtern; solche Kontakte führen darüber hinaus oft auch zu verkürzten Wartezeiten.

In Kooperation mit den Betriebskrankenkassen können wir therapiewillige alkoholkranke Versicherte innerhalb weniger Wochen in einige Langzeittherapieeinrichtungen vermitteln, die ein sog. Qualifiziertes Entgiftungsprogramm im Vorfeld der Rehamaßnahme anbieten. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten für die ersten 3 Behandlungswochen in der Einrichtung. Währenddessen wird die Kostenzusage durch den Rentenversicherungsträger eingeholt, sodass eine nahtlose Weiterbehandlung möglich ist.

Berufliche oder private Belastungs- bzw. Überforderungssituationen, aber auch körperliche oder psychische Gesundheitsstörungen sind häufig Auslöser für einen gesteigerten Suchtmittelkonsum. Daher ist es zur Unterstützung der Betroffenen auch wichtig, dass individuelle Belastungsfaktoren erkannt und ggf. unter Einbeziehung des betrieblichen Umfelds (Betriebsleiter, Meister, Personalstelle, Betriebsrat, Betriebsarzt, Sozialdienst) an Lösungen gearbeitet wird.

Das Beratungs- und Behandlungsangebot in Deutschland ist einzigartig umfangreich und wurde in den letzten Jahren deutlich vielseitiger. So etablierten sich neben der klassischen 16-wöchigen Langzeit-Entwöhnungstherapie und den Sucht-Selbsthilfegruppen zahlreiche teilweise auch ambulante niedrigschwellige Behandlungsangebote mit unterschiedlich langen Therapiezeiten.

Problemfall Schweigepflicht

Fällt z. B. bei einer arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung eine Suchtproblematik auf, ohne dass zuvor ein Beratungsauftrag vom Betrieb kam, muss dem Betrieb gegenüber Stillschweigen gewahrt werden, solange kein rechtfertigender Notstand aufgrund einer akuten Gefahr im Verzug vorliegt. Unsere Aufgabe beschränkt sich dann darauf, Problembewusstsein beim Mitarbeiter zu fördern und ihn mit weiteren Beratungsangeboten einzubinden.

Eine kontinuierliche Betreuung bis zur Bewältigung des Suchtproblems bei einer ausweichenden Haltung des Mitarbeiters ist dann allerdings schwierig, manchmal sogar unmöglich, solange in dem Betrieb nichts aufgefallen ist oder man sich dort an die Thematik nicht herantraut.

Erscheint ein Mitarbeiter jedoch zu einem Untersuchungstermin alkoholisiert oder drogenintoxikiert, muss der Betriebsarzt reagieren. Er hat auf der Grundlage der Berufsgenossenschaftlichen Vorschriften und des Arbeitssicherheitsgesetzes darauf zu bestehen, dass der Betroffene nicht weiterarbeitet, sondern auf sicherem Weg nach Hause kommt. Der Mitarbeiter kann das Angebot erhalten, die aktuelle Arbeitsunfähigkeit vom Sprechstundenzimmer heraus gleich selbst in seinem Betrieb zu melden. Den Grund muss er dabei natürlich nicht angeben.

Leichter ist es, wenn der Betroffene aus eigenem Antrieb oder auf Empfehlung des Vorgesetzten zur Beratung kommt. Dann ist es einfacher möglich, verbindliche Regelungen und Untersuchungsintervalle (ggf. auch spontane Einbestellungen) zu vereinbaren und darauf dann auch zu dringen.

Wenn in dem Betrieb schon mehrmals ein suchtmittelbedingtes Fehlverhalten aufgetreten ist, wünscht sich manche Betriebsleitung und Personalabteilung, dass der Betriebsarzt mitteilt, ob eine Suchterkrankung vorliegt, oder man wünscht, umgehend informiert zu werden, sobald sich Blutwerte ändern. Dies ist mit der Schweigepflicht nicht vereinbar. Allerdings wird der Betriebsarzt auf eine Eignungsanfrage hin (Fahr- und Steuertätigkeiten, Tätigkeiten mit besonderem Gefährdungspotenzial etc.) in seiner Stellungnahme das Risiko durch einen überhöhten Alkoholkonsum berücksichtigen, ohne dass der Grund für die eventuelle Nichteignung erwähnt wird. Damit trägt er der Schweigepflicht Rechnung.

Eine gemeinsame, klare und konsequente Haltung aller betrieblich Involvierten, insbesondere Betriebsleiter, Betriebsarzt und Betriebsrat trägt wesentlich dazu bei, die nötige Veränderungsbereitschaft beim Betroffenen zu fördern. Dabei bewährt sich die Betriebsvereinbarung als gemein-samer Handlungsleitfaden. Der Arzt als Experte und Vermittler in der regionalen Therapielandschaft kann mit dem Betroffenen klären, welche die dem Störungsbild und der Persönlichkeit angemessene Behandlung ist, und diese gemeinsam mit ihm in die Wege leiten ( Abb. 2).

Fazit

Es ist lohnenswert, Zeit und Energie in eine umfangreiche betriebliche Suchtprävention zu investieren. Je früher Probleme erkannt und thematisiert werden, desto geringer ist der entstandene Schaden und desto weniger intensiv ist der notwendige Behandlungsumfang.

Die bewährten Instrumente beim Umgang mit alkoholauffälligen Mitarbeitern können in ähnlicher Weise bei drogenauffälligen Mitarbeitern eingesetzt werden. 

Literatur

Hupfer K: Suchtmittelproblematik. In Letzel S, Nowak D (Hrsg.): Handbuch der Arbeitsmedizin. Landsberg am Lech: ecomed, 2011.

Ziegler H, Brandl G: Suchtprävention als Führungsaufgabe. Lösungsorientierte Strategien für den Betrieb. Wiesbaden: Universum, 2004.

    Inhalte der Betriebs- vereinbarung Suchtmittel

    • Koordination von betrieblichen Präventionsmaßnahmen
    • Stufenplan für die Intervention bei suchtmittelbedingten Auffälligkeiten
    • Regelung, wie vorgegangen wird, wenn ein Mitarbeiter berauscht am Arbeitsplatz erscheint
    • Regelung der Reintegration Betroffener nach Therapie
    • Regelung zur Alkoholverfügbarkeit am Arbeitsplatz; ein Alkoholverbot ist empfehlenswert!

    Weitere Infos

    European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction

    http://www.emcdda.europa.eu

    Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen

    http://www.dhs.de

    Autorin

    Dr. med. Kristin Hupfer

    BASF SE, GUA/AP – H308

    Occupational Medicine and Health Protection, 67056 Ludwigshafen

    kristin.hupfer@basf.com

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