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Leistungsbeurteilung aus Sicht des Industrial Engineering

Die praktische Bedeutung der Leistungsbeurteilung

Sind der Akkord- oder Prämienlohn nicht anwendbar, weil die Arbeitsergebnisse nicht sicher und wirtschaftlich messbar oder zähl-bar sind, verbleibt lediglich die Möglichkeit, mit Leistungszulagen zu arbeiten. Diese kön-nen, stets unter Tarifvorbehalt, nach drei An-sätzen bestimmt werden:

  • Verzicht auf eine Leistungsbeurteilung: Es wird eine einheitliche, undifferenzierte Leistungszulage gezahlt.
  • Summarische Leistungsbeurteilung: Die Vorgesetzten nehmen auf der Basis von mehr oder weniger subjektiven Einschät-zungen eine pauschale Leistungsdifferenzierung vor.
  • Analytische Leistungsbeurteilung: Durch die Vorgesetzten wird eine methodische Leistungszulagen-Differenzierung nach einem tariflichen oder betrieblich verein-barten Leistungsbeurteilungsverfahren vorgenommen. Nur dieser Ansatz wird hier behandelt.

Anwendung der analytischen Leistungsbeurteilung

Bei der Leistungsbeurteilung (auch Leistungsbewertung) bewerten Vorgesetzte anhand ordinalskalierter Beurteilungsmerkmale (Schulnotenprinzip)

  • den Leistungserfolg (Arbeitsergebnisse) und
  • die Leistungsbereitschaft (Handlungsbereitschaft, Arbeitsverhalten)

der ihnen disziplinarisch unterstellten Personen über einen längeren Zeitraum. Als Be-urteilungsergebnis wird ein Punktwert bestimmt und aus diesem ein Zuschlag zum Grundentgelt abgeleitet, der als Leistungszulage bezeichnet wird.

Verbreitete Auffassung ist, dass die Leistungsbeurteilung immer dann anzuwenden ist, wenn Vorgaben oder Vereinbarungen von Erfolgsstandards ausscheiden. Die meisten Fachleute werden die Leistungsbeurteilung also nicht als das ansehen, was sie „eigent-lich anwenden wollten“, sondern als das, was verbleibt, wenn quantifizierte Erfolgsstandards gar nicht oder nicht wirtschaftlich zu ermitteln bzw. quantifizierte Arbeitsergebnisse nicht wirtschaftlich zu erfassen sind.

In den neueren Tarifverträgen sind für diese Fälle dort beschriebene Leistungsbeurteilungsverfahren vorgesehen. Diese tariflichen Lösungen können, sofern das tarifvertraglich nicht ausgeschlossen ist, über den Weg einer Betriebsvereinbarung durch betriebliche Leistungsbeurteilungs-Verfahren ersetzt werden.

Das methodische Prinzip der tarifvertraglich geregelten Leistungsbeurteilung

In den Tarifverträgen werden vier bis sechs Beurteilungsmerkmale verwendet. Jedem Beurteilungsmerkmal sind nach dem Schulnotenprinzip, also ordinalskaliert, meistens fünf Beurteilungsstufen zugewiesen. Es gibt Leistungsbeurteilungsverfahren, bei denen die Merkmale gewichtet, und andere, bei denen sie nicht gewichtet sind. In  Tabelle 1 sind die in den Entgeltrahmenabkommen (ERA) für die Metall- und Elektroindustrie der Tarifgebiete Bayern und Nordrhein-Westfalen vorgesehenen Verfahren mit je einem Anwendungsbeispiel gegenübergestellt.

Leistungsbeurteilungen werden, gemäß den tarifvertraglichen Vorschriften, zumeist einmal jährlich durchgeführt. Die Ergebnisse aus den dazu durchgeführten Beurteilungsgesprächen werden in Beurteilungsbögen protokolliert. Das Prozedere zur Beilegung von Konflikten aufgrund von Mitarbeitereinsprüchen ist im allgemeinen in den Tarifverträgen geregelt oder in Betriebsvereinbarungen zu regeln.

Betriebliche Regelungen zur Leistungsbeurteilung

Wie Tabelle 1 zu entnehmen ist, bestehen bei Beurteilungen deutliche Spielräume. Zum einen sind die Stufenbeschreibungen inter-pretationsfähig, z. B. wann Leistungsanfor-derungen „übertroffen“ und ab wann sie „in besonderem Umfang übertroffen“ werden. Um die Ermessensspielräume einzugrenzen, werden in den Unternehmen betriebliche Anwendungsrichtlinien verwendet, wie  Tabelle 2 beispielhaft zu entnehmen ist. Diese sind durch eine entsprechende Betriebsvereinbarung zu legalisieren.

Probleme bei der Leistungs-beurteilung

Als praktische Probleme bei der Leistungsbeurteilung gelten:

  1.  1. Die Objektivität und Reliabilität eines Leistungsbeurteilungsverfahrens wird signifikant von den Managementfähigkeiten der Vorgesetzten beeinflusst. Prak-tische Erfahrungen gehen dahin, dass in den Unternehmen die Beurteilungsergebnisse meist eine über die Jahre stei-gende Tendenz haben. Das liegt nicht ausschließlich an Anwendungsfehlern, sondern auch daran, dass Mitarbeiter über die Jahre zu steigenden Leistungen kommen und man sich schwacher Mitarbeiter bei passender Gelegenheit ent-ledigt. Diesem Sachverhalt müssen sich die Leistungsbeurteilungsverfahren je-doch, methodisch notwendig, verschlie-ßen. Um beispielsweise zu verhindern, dass Vorgesetzte, die Konflikte mit ihren Mitarbeitern scheuen, diese zu hoch bewerten, führen Unternehmen stichprobenhafte Anwendungs-Auditierungen durch.
  2.  2. Um zu verhindern, dass zwischen verschiedenen Organisationseinheiten unterschiedliche Beurteilungsniveaus entstehen, müssen diese koordiniert und abgeglichen werden. Selbst wenn die Mitarbeiter in einer Organisationseinheit überdurchschnittlich gut oder überdurchschnittlich schwach sind, werden sie dadurch mehr oder weniger stark „zwangsnivelliert“.
  3.  3. Betrieblich werden für die in einer Organisationseinheit erbrachten Leistungen zumeist Normalverteilungen unter-stellt. Diese können sich jedoch, wenn überhaupt, nur bei großen Personenkollektiven einstellen. Bei Organisationseinheiten mit weniger als 20 Personen ist diese Modellannahme als problematisch einzustufen.
  4.  4. Erfahrungsgemäß schaffen es nur we-nige Vorgesetzten, eine deutliche Differenzierung zwischen guten und schwachen Mitarbeitern herzustellen.

Konfliktregelungen bei der Leistungs-beurteilung und deren wesentlich Vorzüge

Für die Regelung von Konflikten ist in den meisten Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen in etwa folgender Prozess vorgesehen:

  • Mindestens einmal jährlich wird eine Beurteilung durch Vorgesetzte durchgeführt.
  • Dem Arbeitnehmer wird sein Beurteilungsergebnis mitgeteilt.
  • Er kann dem Beurteilungsergebnis zustimmen oder dagegen Einspruch einlegen.
  • Nach den tariflichen oder betrieblichen Vorschriften werden Einsprüche in einer paritätischen (betrieblichen) Kommission behandelt.
  • Wird dort keine Einigung erzielt, entscheidet eine Einigungsstelle über den streitigen Sachverhalt.
  • Wird auch dort noch keine Einigung er-zielt, steht der Rechtsweg offen.

Trotz aller immer wieder geäußerten Vorbehalte gegenüber der Leistungsbewertung sind ihr aber mindestens zwei Vorzüge beizumessen, nämlich dass sie

  1.  1. bei allen Einschränkungen, zu besseren Ergebnissen führt als methodisch nicht abgesicherte Verfahren, bei denen Vorgesetzte aus eigenem Ermessen bestimmte Leistungszulagen bestimmen – in der Praxis als „Nasenfaktoren“ be-zeichnet,
  2.  2. auf viele Vorgesetzte einen „heilsamen Zwang“ zu aktivem Führen ausübt. 

Literatur

Bokranz R: Leistungsbeurteilung. In: Bokranz R, Landau K: Handbuch Industrial Engineering. Produktivitätsmanagement mit MTM, Band 2, 2. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag, 2012, S. 703–706.

Dilcher B (Hrsg.): Leistungsorientierte Vergütung: Herausforderung für die Organisations- und Personalentwicklung. Umsetzung und Wirkung von Leistungsentgeltsystemen in der Betrieblichen Praxis. Wiesbaden: Gabler, 2010.

Ehlscheid C, Meine H, Ohl K (Hrsg.): Handbuch Arbeit – Entgelt – Leistung, 4. Aufl. Köln: Bund Verlag, 2006.

Eyer E, Webers T: Leistungsbeurteilung bei Gruppen-arbeit. In: Eyer E (Hrsg.): Entgeltsysteme für produzierende Unternehmen, 4. Aufl. Düsseldorf: Symposium Publishing, 2004, S. 371–384.

Kratzer N, Nies S: Neue Leistungspolitik bei An-gestellten: ERA, Leistungssteuerung, Leistungs-entgelt. Bochum: edition sigma, 2009.

Der Beitrag beruht auf dem Kapitel „Leistungsbeurteilung“ von R. Bokranz in Bokranz u. Landau 2012 (mit freundlicher Genehmigung des Schäffer-Poeschel Verlags).

    Autor

    Prof. Dr. rer. pol. Rainer Bokranz

    von-Ketteler-Straße 5b

    64319 Pfungstadt

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