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Gesundheitsschutz und Politik II

Auf dem Firmengelände befanden sich noch andere Produktionseinrichtungen des Automobilausrüsters. Die Standortverwaltung oblag einem korpulenten Werksleiter, der mit der Batteriefertigung nichts direkt zu tun hatte. Der Mann ruhte in sich und empfand sich als gönnerhafter Patriarch. Seine Faulheit kompensierte er durch Intrige und Machtspielchen. Ganz besonders wichtig für ihn war der Betriebsratsvorsitzende. Der war nämlich Mitglied des Aufsichts-rates der Firma. Damit hatte er direkten Zugang zu Unternehmens-entscheidungen größter Tragweite, Informationen, die beim Werksleiter in der normalen internen Kommunikation erst sehr viel später oder auch gar nicht ankamen. Dieses Herrschaftswissen teilte der Betriebsratsvorsitzende bei abendlichen Plaudereien gelegentlich mit dem Werksleiter, der dann wieder vor seinen Abteilungsleitern mit brandneuen Informationen aus den Headquarters reüssieren konnte.

Bislang hatte Dr. Krämer gezögert, einen Relaunch des Untersuchungsprogramms vorzuschlagen, bis es ihm dann doch zu viel wurde. Diese unmotivierte Bauchdrückerei ging ihm auf den Senkel. Die ermittelten Blutbleiwerte der Batteriemitarbeiter lagen bis auf wenige Ausnahmen unterhalb des gültigen Grenzwertes. Man konnte also die Untersuchungsintervalle ohne Bedenken deutlich strecken. Dr. Krämer entschloss sich, zukünftig nur noch alle drei Monate zu untersuchen. Zuvor stimmte er sich mit den Verantwort-lichen aus der Batteriefertigung ab. Die waren hoch erfreut, deutete sich hier doch eine Produktivitätsverbesserung ab.

Dr. Krämer untersuchte jetzt nur noch im neuen Rhythmus. Es dauerte nicht lange, bis sich der Technische Aufsichtsbeamte zu Besuch anmeldete. Dem Werksarzt waren diese Treffen zuwider, weil der Mann immer furchtbar wichtig tat. Anstatt sich um die vielen Kleinstunternehmen seines Zuständigkeitsbereichs zu kümmern erschien der Kontrolleur übermäßig häufig im Großbetrieb. Er ließ sich halt gerne im Gäste-kasino bewirten.

Dieses mal war das Gespräch von Anfang an noch frostiger, als sonst. Seitdem Dr. Krämer zugange sei, würde der Gesundheitsschutz vernachlässigt werden, monierte die Aufsichtsperson. Krämer verwies auf die entsprechende Technische Regel für Gefahrstoffe. Danach mache er immer noch wesentlich mehr, als vorgeschrieben sei. Der Mann ließ sich jedoch nicht überzeugen und zog ungnädig ab.

Bis Dr. Krämer einige Wochen später zum Standortverantwortlichen gerufen wurde. Jovial bot ihm der einen Platz in seinem großräumigen Büro an, dessen finstere Einrichtung noch aus der grandiosen Vorkriegsära stammte, als hier ein Rüstungsbetrieb stand. Er habe da ungute Signale aus der Batterie empfangen, begann der Direktor das Gespräch. Der Betriebsrat habe ihm von Unruhe bei den Mitarbeitern berichtet. Seitdem der neue Werksarzt da sei, würde die Gesundheit der Mitarbeiter aufs Spiel gesetzt. Man habe sogar mit Einschaltung der Presse gedroht. Dr. Krämer wies darauf hin, dass alles mit der Leitung der Batteriefabrik abgesprochen sei. Man tue jetzt schließlich immer noch wesentlich mehr, als vorgeschrieben wäre. Egal, sagte der dicke Mann, er wolle Ruhe an der Front. Dr. Krämer solle sich was überlegen. Der Werksleiter fürchtete um die gute Beziehung zum Betriebsratsvorsitzenden, weil der soziale Besitzstand der Batteriearbeiter in Form der monatlichen Untersuchungen beschnitten worden war.

Dr. Krämer hatte seine erste Lektion über firmeninterne Politik gelernt. Er musste zurück rudern. Andernfalls wäre er schneller raus-geflogen, als ihm lieb sein konnte. Um aber sein ärztliches Selbstverständnis nicht zu sehr zu strapazieren, führte er eine Bestimmung der Delta-Aminolävulinsäure alle sechs Wochen ein. Dazu brauchte man Urin und kein Vollblut. Die Zusatzkosten von etwa 20 Euro pro Untersuchung, waren zweitrangig. Sie wurden von der Firma klaglos übernommen.

Soweit, so gut. Nach etwa einem halben Jahr wies der Werks-leiter Dr. Krämer darauf hin, dass im Sanitätsbereich mindestens zwei Stellen abzubauen seien. Der Hinweis des Arbeitsmediziners, dass dann aber die Bereitschaft des Assistenzpersonals nicht mehr garantiert werden könne, blieb ungehört. Sie machen doch jetzt weniger in der Batterie, sagte der Standortverantwortliche. Die Personalabteilung hätte bereits mit einer Schwester gesprochen. Die sei bereit, gegen Abfindung zu gehen. Und überhaupt, alle Abteilungen hätten Stellenstreichungen hinzunehmen. Da könne man in der Sanitätsstelle keine Ausnahme machen.

Was lernen wir daraus? Es gibt im Betrieb für den Arbeitsmediziner kein Monopol für Gesundheit.

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