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Tut gut

„Schon gesehen?“, fragt er einen Kollegen und reicht die Broschüre rüber.

„Kenne ich schon“, sagt der. „Haben Sie denn auch schon mal reingeschaut?“

„Nicht so richtig.“

„Sollten Sie aber. Die Veranstaltung wird als Tagung für Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte annonciert. Liest man das Referentenverzeichnis durch, findet man 64 Vortragende, darunter überwiegend Referenten und Dozenten ohne Angaben über deren fachliche Qualifikation. Aufsichtspersonen, Physiotherapeuten, Präventionsberater, BK-Sachbearbeiter, Gesundheits-Coaches, Ergonomietrainer und Sportwissenschaftler sind auch dabei. Eine Party der Gesundheitsberater. Es lässt sich aber nur ein Arbeitsmediziner und eine Arbeitsmedizinerin im Referentenverzeichnis identifizieren. Ist das wirklich was für uns?“

„Na ja, das Schwerpunktthema sind immerhin Muskel-Skelett-Erkrankungen“, gibt Dr. Reck zu bedenken.

„Stimmt, ein gravierendes Problem speziell für den Bereich der Gesundheitsberufe. Die ständige Plackerei mit Bettenmachen, Patienten umlagern, Bettpfanne unterschieben usw. Ich betreue selbst ein Krankenhaus. Kreuzschmerzen sind neben den psychischen Krankheiten der häufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit.“

„Dann ist es doch ganz vernünftig, mal über die Möglichkeiten der Prävention zu informieren.“

„Kann man machen. Rückenschule, Hebetraining, Physiotherapie, Pausengymnastik, Entspannungstechniken, alles ganz gut und schön, nur muss es auch passieren. Was man in Imagebroschüren liest, das ist überwiegend nur Sound und repräsentiert nicht die tatsächliche Umsetzung in der Praxis. Wenn überhaupt jemand mitmacht, dann meist nur diejenigen, die sich eh schon gesundheitsbewusst verhalten. Was in dem Tagungsprogramm weitgehend fehlt, das sind Implementierungsstrategien. Wie bekomme ich möglichst viele Leute dazu, auch mitzumachen und zwar nachhaltig?“

„Das ist aber die ganz hohe Schule. Das hat was mit internem Marketing und auch mit Motivation zu tun. Der Arbeitsmediziner ist dabei doch nur die Schmeißfliege“, stellt Dr. Reck resignierend fest.

„Eben. Es macht richtig Arbeit. Mit ein paar Seminar-angeboten ist das noch nicht getan. Und außerdem: Der Unternehmer muss mit ins Boot, der hat die Veranstaltungen zu bezahlen. Sag das aber mal einem Verwaltungsdirektor aus einer der vielen Kliniken, die rote Zahlen schreiben.“

„Aber was soll denn die Berufsgenossenschaft tun. Sie hat mit allen geeigneten Mitteln der Gefahr des Entstehens von Berufskrankheiten entgegenzuwirken. Das steht, glaube ich, in § 3 BKV.“

„Richtig. Dazu drei Bemerkungen. Erstens werden in diesem Paragraphen lediglich bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS als Berufskrankheit gemäß BK-Nr. 2108 angesprochen. Zweitens, wo sind die gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass die angepriesenen Maßnahmen derartige Berufskrankheiten verhindern können, dass sie tatsächlich eine geeignete Prävention im Rechtssinn darstellen? Und schließlich drittens: Wir haben so geringe Inzidenzen an entschädigungspflichtig anerkannten Berufskrankheiten nach Nr. 2108, da fragt man sich, ob flächendeckende Kampagnen den richtigen Ansatz darstellen?“

„Über die BK 2108 brauchen wir uns nicht zu streiten. Das ist eine politische Berufskrankheit. Trotzdem haben viele Menschen Kreuzbeschwerden.“

„Für mich stellt sich immer wieder die Frage des messbaren präventiven Outcomes. Die angepriesene Methodik jedenfalls hat keinen nachgewiesenen nachhaltigen Gesundheitseffekt. Es handelt sich überwiegend um Wellness. Der Anbieter hat ein gutes Gefühl und der Teilnehmer auch.“

„Aber da gibt es doch auch noch den erweiterten Präventionsauftrag für die Berufsgenossenschaften nach § 14 SGB VII. Die Unfallversicherungsträger sollen auch arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren mit allen geeigneten Mitteln bekämpfen. Hier kann man die Krankenversicherungen mit ins Boot holen.“

„Das sollte man schon genau lesen. Es heißt arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren und nicht arbeitsbedingte Erkrankungen. In Dresden werden überwiegend Maßnahmen vorgestellt, mit denen man nicht die Arbeitsbedingungen verbessert, sondern am Symptom herumdoktert. Damit macht die BGW dasselbe, wie die Krankenkassen: Wohlfühlmaßnahmen. Die Kassen setzen das im Kampf um die Versicherten ein. Nur hat die BGW als gesetzliche Unfallversicherung ja keine Konkurrenz. Die versuchen, der Epidemie der Rückenleiden irgendetwas entgegen zu setzen, ohne wirkungsvolle Instrumente dafür zu besitzen.“

„Und, fahren Sie nach Dresden?“

„Ja, ich nehme meine Frau mit. Dresden ist schließlich immer eine Reise Wert, speziell im Wonnemonat Mai. Und das Tagungshotel ist ordentlich und relativ preiswert.“

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