Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Die Bundesagentur für Arbeit – ein straff geführter Ärztlicher Dienst

ASU: Sie sind Arbeitsmediziner und vertreten seit 2010 als Leiter des Ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit einen der großen Fachdienste für arbeitsmedizinische Begutachtungen von Eignung und Arbeitsfähigkeit bei der Beurteilung von Leistungsansprüchen und Arbeitsvermittlung. Damit bekleiden Sie eine bedeutende Funktion an zentraler Stelle. Welche generellen Aufgaben und Strategien sind damit verbunden?

Dr. Bahemann: Tatsächlich bin ich Arbeitsmediziner nach meiner Facharztweiterbildung in München. Die Begutachtung und Beratung zur Leistungsfähigkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt und zu vielen anderen auch leistungsrechtlichen Aspekten im Ärztlichen Dienst der Bundesagentur für Arbeit (BA) fordert aber in erster Linie umfassende sozialmedizinische Qualifikation. Die Ärztinnen und Ärzte in den Agenturen für Arbeit beraten und unterstützen die Fachkräfte bei der Entwicklung einer geeigneten Integrationsstrategie für Kundinnen und Kunden (wir sprechen hier nicht von Patientinnen und Patienten) mit geltend gemachten oder vermuteten gesundheitlichen Einschränkungen, um insbesondere Integrationen nachhaltiger zu gestalten.

Präventiv ist es besonders wichtig, den Jugendlichen die notwendige Hilfe bei der Orientierung zur Auswahl ihres Berufes im Bezug auf ihre gesundheitliche Eignung zu bieten, damit der Grundstein gelegt werden kann für ein Leben mit beruflicher Perspektive.

Bei Kundinnen und Kunden mit ein-geschränkter Leistungsfähigkeit beraten und begutachten wir zu Fragen der beruflichen Rehabilitation (Leistungen zur Teilhabe) auf dem Weg zurück in das Arbeitsleben. Entscheidend für die erfolgreiche Arbeit bei uns ist die gute Kooperation mit behandelnden Ärztinnen und Ärzten und mit den medizinischen Diensten der anderen Sozialleistungsträger, um die bestmögliche Förderung für die betroffenen Kundinnen oder Kunden im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten zu erreichen.

Neben der allgemeinen Beratung bieten wir gutachterliche Äußerungen und Gutachten nach Aktenlage sowie nach symptombezogener oder umfänglicher Untersuchung an.

Darüber hinaus können die Ärztinnen und Ärzte des Ärztlichen Dienstes auch bei Gruppeninformationen und Veranstaltungen zu allen Fragen rund um das Thema „Gesundheit und Arbeitslosigkeit“ beraten und/oder durch Vorträge aktiv mitwirken.

ASU: Wie ist der interne Ärztliche Dienst der BA strukturiert und in welcher Organisa-tionsform arbeiten Sie bundesweit?

Dr. Bahemann: Der Ärztliche Dienst ist bundesweit in allen Agenturen für Arbeit vertreten und für fast alle der weit über 300 Jobcenter tätig, die in Zusammenarbeit zwischen der Kommune und der Agentur für Arbeit Vermittlung in Arbeit und Berechnung der SGB II-Leistung in gemeinsamer Organisation als so genannte „Gemeinsame Einrichtung“ (gE) übernehmen. Der weitaus größte Teil unserer Aufträge wird durch hauptamtlich bei der BA beschäftigte Ärztinnen und Ärzte bearbeitet, wir kooperieren aber auch gut mit geeigneten Kolleginnen und Kollegen, die auf vertraglicher Basis nebenamtlich für uns tätig sind. In der Zentrale der BA besteht der Ärztliche Dienst nur aus einer Mitarbeiterin, meinem Stellvertreter und mir; verstärkt werden wir aber durch das Sozialmedizinische Kompetenzzentrum mit seinen Ärztinnen und Ärzten und nichtärztlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Service-Haus am selben Standort. Die Führung erfolgt über fünf Regionalverbundleitungen, die in Regionaldirektionen der BA ihren Sitz haben, und auf der nächsten Ebene über 30 ärztliche Agenturverbundleitungen mit Verantwortung für eine Zahl von Ärztlichen Diensten, die abhängt von regional unterschiedlichen Rahmenbedingungen. Etwa 330 Ärztinnen und Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen gehören zum Team. Sie haben arbeits- und sozialmedizinische Fortbildungen absolviert und werden von erfahrenen Fachkräften unterstützt. Wir greifen – wie bereits gesagt – bei Kapazitätsengpässen und aus fachlichen Gründen auf ausgewählte regionale Vertragsärztinnen und -ärzte und im Bedarfsfall auf fachärztliche Spezialistinnen und Spezialisten zurück. Durch ein ausgereiftes Qualitätsmanagement sichern wir ein gleichbleibend hohes Niveau unserer Dienstleistungen für beide Rechtskreise, also die Arbeitslosenversicherung nach dem Sozialgesetzbuch III und die Grundsicherung für Arbeitsuchende – „Hartz IV“ –nach dem Sozialgesetzbuch II.

ASU: Wie findet die Kundin/der Kunde den Weg zu Ihrem Dienst und auf welcher Grund-lage werden die Verantwortlichen tätig?

Dr. Bahemann: Der Ärztliche Dienst in den Agenturen für Arbeit wird gutachterlich ausschließlich von den Fachkräften der Agenturen und der Jobcenter beauftragt. An diese können sich Kundinnen oder Kunden wenden, wenn sie eine Begutachtung wünschen. Nur so können wir eine gute Steuerung garantieren, denn der Bedarf nach Nutzung des Ärztlichen Dienstes ist – bezogen auf die vorhandenen Ressourcen – sehr groß. Die rechtliche Grundlage für die Aktivität des Ärztlichen Dienstes bietet neben dem § 62 des Sozialgesetzbuches I speziell für uns das Sozialgesetzbuch III. Darin heißt es im § 32 sinngemäß, die Agentur für Arbeit soll Ratsuchende mit deren Einverständnis ärztlich untersuchen und begutachten, soweit dies für die Feststellung der Berufseignung oder Vermittlungsfähigkeit erforderlich ist.

ASU: Wie konkret läuft der Vorgang einer Beauftragung zur Untersuchung, die ärztliche Begutachtung und die Umsetzung des Gutachtenergebnisses ab?

Dr. Bahemann: Die Beauftragung des Ärztlichen Dienstes erfolgt über ein besonderes computergestütztes System. Der Auftrag wird zunächst vom nichtärztlichen Perso-nal bearbeitet, bevor ärztliche Entscheidungen getroffen werden. Dabei geht es dann um die fachlich gebotene Vorgehensweise. Wenn ergänzend zum Auftrag ausreichend aussagefähige ärztliche Befunde o. a. eingehen – natürlich im verschlossenen Umschlag unter Wahrung von Sozialdatenschutz und ärztlicher Schweigepflicht –, kann ggf. direkt nach „Aktenlage“ abgeschlossen werden. Ansonsten werden ggf. Unterlagen angefordert, die Kundin oder der Kunde eingeladen zum Gespräch, zur Untersuchung etc. Die Ergebnisse der Bearbeitung im Ärztlichen Dienst werden den Kundinnen und Kunden im Regelfall von den Fachkräften eröffnet und sie werden mit ihnen besprochen.

ASU: Es geht ja im Wesentlichen um zwei Fragestellungen: erstens der Anspruch auf eine Leistungserstattung, zweitens um Arbeitsvermittlung im konkreten Fall. Wie aufwendig sind die Entscheidungen und welche Einspruchsmöglichkeiten hat der Kunde/die Kundin?

Dr. Bahemann: Die Integration in Arbeit hat immer im Vordergrund zu stehen. Entscheidend ist dabei ein ressourcenorientierter Ansatz auch im Ärztlichen Dienst. Gleichzeitig ist natürlich auch eine realistische Betrachtung bei der Erstellung der Leistungsbilder und der Einschätzung der Prognose gefordert. Hier wie auch bei allen leistungsrechtlich orientierten Fragen an uns ist wichtig, dass der Ärztliche Dienst ja nicht entscheidet sondern nur seine Expertise als Grundlage z. B. für Bescheide zur Verfügung stellt. Gegen diese Bescheide können die Betroffenen z. B. mit Widerspruch und dann ggf. auch mit einer Klage vor dem Sozialgericht reagieren. Der Aufwand im Ärztlichen Dienst hat sich immer an der Bedeutung der Fragestellung zu orientieren. Bei guter Vorbereitung des Auftrages durch die Fachkraft mit vorhandenen Unterlagen eines vorbehandelnden Arztes kann danach oft relativ schnell abgeschlossen werden. Bei komplexen Fallgestaltungen z. B. zur Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben mit der Notwendigkeit, zusätzlich externe Fachärzte einzuschalten, dauert die Bearbeitung natürlich länger.

ASU: Welchen Einfluss hat die Veränderung der gesundheitlichen Belastungen und Gefährdungen von den klassischen Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen hin zu den immer häufiger auftretenden psychischen Gesundheitsstörungen von Arbeitnehmern auf die Arbeit Ihres Dienstes?

Dr. Bahemann: Bei uns im Ärztlichen Dienst haben Berufskrankheiten ja schon immer eine zahlenmäßig untergeordnete Rolle gespielt, zumal dann ja auch die Zuständigkeit der Unfallversicherung gegeben wäre. Aber ganz unabhängig davon stehen fragliche und/oder tatsächliche Gesundheitsstörungen aus dem psychiatrischen Fachgebiet oft ganz im Vordergrund der Fragestelllungen, nicht nur bei Kundinnen und Kunden aus dem Bereich „Hartz IV“. Bemerkbar macht sich das auch bei Be-fundanforderungen und ganz speziell bei den notwendigen Facharzteinschaltungen zur Zusatzbegutachtung. Da sind wir immer auf eine gute Zusammenarbeit angewie-sen. Häufig verhindert der erschwerte oder stark verzögerte Zugang zu fachpsychiatri-scher Diagnostik und ggf. anschließend not-wendiger Psychotherapie eine erwünschte zeitnahe Klärung der Situation und dann natürlich oft auch die angestrebte Eingliederung.

ASU: Politisch immer wichtiger – auch wegen des demografischen Wandels – werden Strategien zur der Wiedereingliederung von chronisch kranken Arbeitsnehmern in den Beruf – Stichwort „Return to Work“. In welcher Weise wird die BA hier tätig?

Dr. Bahemann: Zum „Return to Work“ könnte man ein eigenes umfangreiches Gespräch führen. Hier möchte ich besonders betonen, dass der Ärztliche Dienst in der Zentrale und auf anderen Ebenen gut zusammenarbeitet mit dem Personalbereich, wenn es um die Beschäftigten der BA selbst geht. Im Geschäftsbereich mit Zuständigkeit für die Produktentwicklungen in der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II gibt es einen umfangreichen Schwerpunkt mit dem Thema „Gesundheitsorientierung“; dieser Begriff unterscheidet sich von dem der „Ge-sundheitsförderung“ mit Zuständigkeit insbesondere der Gesetzlichen Krankenversicherung.

ASU: In welchem rechtlichen Rahmen arbei-tet der Ärztliche Dienst?

Dr. Bahemann: Wie schon erwähnt ist die Grundlage unserer Arbeit das Sozialgesetzbuch III. Fragestellungen ergeben sich auch aus dem Sozialgesetzbuch II. Wichtig für den rechtlichen Rahmen sind aber natürlich auch die allgemeinen sozialrechtlichen Bestimmungen, ganz besonders zum angemessenen Umgang mit den Vorgaben zum Sozialdatenschutz und zur ärztlichen Schweigepflicht.

ASU: Die Agentur bietet auch einen Berufspsychologischen Service an. In welcher Struk-tur arbeitet dieses Service und was leistet er?

Dr. Bahemann: Der Berufspsychologische Service der Bundesagentur für Arbeit als interner Dienstleister richtet sein Angebot wie auch der Ärztliche Dienst an den geschäftspolitischen Zielen der BA aus und unterstützt dabei wesentlich die Vermittlungs- und Beratungsfachkräfte der operativen Bereiche beider Rechtskreise. Die Organisation ist zur Vertretung auf den verschiedenen Ebenen grob vergleichbar der des Ärztlichen Dienstes.

ASU: Wir sehen, dass Sie mit der Leitung des Dienstes, der ja mit vielen mitwirkenden Institutionen zusammenarbeiten muss, einen hohen Koordinierungsaufwand haben. Mit welchen Institutionen arbeiten Sie vorrangig und wie organisieren Sie die Zusammenarbeit?

Dr. Bahemann: Neben der vielfältigen Tätigkeit innerhalb der BA konnte ich mitarbeiten im Drogen- und Suchtrat der Bundes-regierung. Ich vertrete die BA bzw. den Ärzt-lichen Dienst im Sachverständigenrat der Ärzteschaft in der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR), im Fachbereich II der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) und in anderen Gremien und Arbeitsgruppen. So arbeite ich mit in der Arbeitsgruppe „Psy-chische Gesundheit bei der Arbeit“ der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) unter Lei-tung von Prof. Angerer, Institut für Arbeits-medizin und Sozialmedizin der Universität Düsseldorf. Besonders intensive Kontakte hat es seit vielen Jahren gegeben beim Deut-schen Netzwerk für betriebliche Gesundheitsförderung als Koordinator im Forum „Arbeitsmarktintegration und Gesundheits-förderung“. Seit September darf ich auch als Vorsitzender des Vorstands gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen Verantwortung im Berufsverband der Sozialversicherungsärztinnen und -ärzte Deutschlands e.V. (BSD) übernehmen; daraus ergeben sich auch interessante Kontakte in die europäische Sozial- und Sozialversicherungsmedizin.

ASU: Sind Sie neben all den Aufgaben auch noch betriebsärztlich tätig?

Dr. Bahemann: Seit meinem Wechsel zur Zentrale der BA im Sommer 2010 bin ich selbst nicht mehr aktiv betriebsärztlich tätig. Für diese Aufgaben gibt es einen eigenen Bereich im Verwaltungszentrum am Standort der Zentrale.

ASU: Sie sind auch Redaktionsmitglied dieser Zeitschrift sowie Autor und Referent in anderen Bereichen unseres Verlags. Dafür sind wir Ihnen sehr dankbar. Welche Rolle spielt für Sie persönlich und für die Bundes-agentur für Arbeit diese Zeitschrift für Arbeits-medizin?

Dr. Bahemann: Auch wenn die Kolleginnen und Kollegen – wie schon erwähnt – im Ärztlichen Dienst der BA nicht primär im klassischen Sinn arbeitsmedizinisch tätig sind, benötigen wir doch Kenntnisse auch aus diesem Gebiet. Dafür und speziell natürlich für die bei uns tätigen Fachärztinnen und -ärzte benötigen wir die entsprechenden aktuellen Informationen.

ASU: Vielen Dank für dieses Interview!

    Das Gespräch führte:

    Gernot Keuchen

    Gentner Verlag, Stuttgart

    Jetzt weiterlesen und profitieren.

    + ASU E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
    + Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
    + Exklusive Webinare zum Vorzugspreis

    Premium Mitgliedschaft

    2 Monate kostenlos testen

    Tags