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Glosse

The Days After

Dr. Ironymus

Ein ähnliches Projekt hatte die Politik in der schwarz-roten großen Koalition bereits 2005 gestemmt, nämlich die Zusammenführung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe unter dem Dach von Hartz IV. Wie damals wurden die Folgen des neuerlichen Eingriffs in das System der sozialen Sicherheit erst allmählich sichtbar.

Zur Vorgeschichte: Prof. Dr. Breudorf, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (BUV), hatte sich große Verdienste um die Weiterentwicklung der gesetzlichen Unfallversicherung erworben. Man hatte das eigene arbeitsmedizinische Institut zu einer Großforschungseinrichtung mit mehreren hundert Wissenschaftlern ausgebaut. Dort wurde nicht nur die Epidemiologie, sondern auch die toxikologische und molekular-medizinische Erforschung der arbeitsbedingten Erkrankungen vorangetrieben. Das Regelwerk im Arbeits- und Gesundheitsschutz wurde ständig erweitert und verfeinert. Nur noch wenige Spezialisten blickten durch. Zahlreiche neue Berufskrankheiten wurden implementiert, darunter die kraniomandibuläre Dysfunktion bei Bläsern, die Varicosis cruris bei Verkäuferinnen und der stressbedingte Herzinfarkt nach mindestens dreizehnjähriger beruflicher Tätigkeit im öffentlichen Dienst. Die Berufsgenossenschaften mussten ständig neue Sachbearbeiter einstellen, um der Flut an neuen Berufskrankheitenverfahren Herr zu werden. Der gesamte Apparat blähte sich immer mehr auf.

Breudorf befand sich in einem Dilemma. Hätte er weniger Gas gegeben, dann wäre das als inhuman und sozial unausgewogen ausgelegt worden. Zu viel des Guten hingegen trieb die Kosten nach oben. Seine Wiederwahl in dem paritätisch von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzen Aufsichtsgremium hing entscheidend davon ab, wie er diese Gratwanderung hinbekam. Schließlich konnte er sich dem Weg der meisten Non-Profit-Organisationen nicht verschließen, die gesetzliche Unfallversicherung expandierte. Der Apparat ging weiter auf wie Hefeteig.

Die Gewerkschaften begleiteten diese Entwicklung mit großem Wohlwollen. Schließlich bedeutete das neue Arbeitsplätze und zusätzliche Einflussnahme in den Betrieben. Das Unternehmerlager hingegen wurde zunehmend sauer. Lange hatte man die Zeche klaglos gezahlt. Der soziale Friede im Betrieb war ja ein Wert an sich. Doch jetzt reichte es. Schleichend waren durch die gesetzliche Unfallversicherung immer mehr Gesundheitsrisiken aus dem Grenzbereich zwischen beruflicher und privater Sphäre übernommen worden. Sie hatten das Budget nach oben getrieben.

Und jetzt sollte dieses Finanzvolumen auch noch zur Rentenversicherung rübergeklappt werden. Die Unternehmer verlangten eine Kompensation für diese Lastenverschiebung im System der sozialen Sicherung. Sie erhielten im zähen politischen Ringen schließlich ihren Ausgleich im Unfallversicherungsintegrationsgesetz (UVIG) und zwar durch einen Paradigmenwechsel weg vom Kausalitätsprinzip hin zum Finalitätsprinzip. In anderen Ländern, speziell in Skandinavien, gab es das ja auch schon lange. Entscheidend für die Kompensation von Berufskrankheiten war nunmehr nicht, wodurch eine Erkrankung verursacht worden war, sondern dass sie überhaupt bestand. Die gefährdungsorientierte Unternehmerhaftpflicht wurde aufgegeben und durch einen pauschalen Finanzausgleich in die Rentenkassen abgelöst. …

Verehrter und vielleicht auch geneigter Leser, hiermit ergeht der Wunsch nach einer Fortsetzung dieser Geschichte. Gelingt es Prof. Breudorf, sein Lebenswerk doch noch zu retten? Was bedeutet der Paradigmenwechsel für den Arbeits- und Gesundheitsschutz, so wie wir ihn kennen? Stirbt damit die Arbeitsmedizin? Erfinden Sie andere Szenarien, Figuren oder Berufskrankheiten. Vielleicht hätte man den Systemwechsel auch verhindern können?

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