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Zum Einsatz von Dolmetschern in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung von Geflüchteten

Einleitung

Das Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin (bzfo) setzt sich seit seiner Gründung 1992 national und international für Überlebende von Folter und (Bürger-)Kriegsgewalt ein. Im Zentrum ÜBERLEBEN, das die operative Tätigkeit des bzfo e.V. seit 2016 fortführt, suchen Menschen aus fast 50 Ländern Hilfe – vor allem aus Syrien, Irak, Afghanistan, Tschetschenien, der Türkei, dem Kosovo, Libyen und Eritrea. Innerhalb des Zentrums ÜBERLEBEN gibt es die Ambulanten Abteilungen für Erwachsene und Kinder und Jugendliche, den Wohnverbund für Migrantinnen, die Tagesklinik in Kooperation mit der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité Campus Mitte (bzfo/CCM), die Abteilung für Flüchtlingshilfen und Migrationsdienste sowie eine Forschungsabteilung und eine wissenschaftliche Spezialbibliothek. In dem multidisziplinären Team behandeln Fachärzte für Allgemeinmedizin, Psychiatrie und Psychotherapie, Psychologische Psychotherapeuten, Sozialarbeiter und Physiotherapeuten, Musik-, Kunst und Gestaltungstherapeutinnen sowie eine Körper- und Bewegungstherapeutin mit Unterstützung von speziell geschulten Dolmetschern jährlich etwa 500 Patientinnen und Patienten. Das Hilfsangebot umfasst neben medizinischer und psychiatrisch/psychologischer Diagnostik und Therapie auch psychosoziale Unterstützung, Rehabilitation und integrative Angebote.

Unter dem Namen Zentrum ÜBERLEBEN gGmbH bündeln das Behandlungszentrum für Folteropfer und das Zentrum für Flüchtlingshilfen und Migrationsdienste seit 2016 ihre Kompetenzen. Gemeinsam bieten die beiden Abteilungen umfassende Hilfe zur Rehabilitation und Integration für traumatisierte Opfer von Gewalt und für Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten. International ist das Zentrum ÜBERLEBEN u.a. als Kooperationspartner der Jiyan Foundation for Human Rights engagiert, einer unabhängigen Organisation mit Sitz im Irak, die am Schnittpunkt von Menschenrechtsschutz, Traumatherapie und Gewaltprävention arbeitet.

Traumatisierung durch Folter oder Bürgerkriegsereignisse

In der Regel waren die Patienten lang anhaltender, zum Teil auch mehrfacher, kumulativer Traumatisierung durch Folter oder Bürgerkriegsereignisse ausgesetzt. Das psychopathologische Spektrum psychisch reaktiver Extremtraumafolgen beschränkt sich daher keineswegs auf die im ICD-10 zur Verfügung stehenden Diagnosekategorien der posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1) und der Persönlichkeitsveränderung nach Extremtrauma (F62.0). Sie sind zwar spezifische, jedoch nur zwei von vielen möglichen anderen psychischen Folgereaktionen auf ein oder mehrere traumatische Ereignisse (Flatten 2011). Schwere Depressionen, Somatisierungs- und vor allem ausgeprägte dissoziative Störungen, vereinzelt emotional-instabile Persönlichkeitsstörungen oder auch reaktive Psychosen sind im Gefolge von Folter und Bürgerkriegserlebnissen bei den Patienten zu beobachten.

Sprachbarrieren überwinden – Rolle der Dolmetscher

Die wenigsten unserer Patienten verfügen über ausreichende Deutschkenntnisse, so dass in fast jeder Behandlungsstunde eine weitere Person zur Sprachvermittlung mit anwesend ist. Dabei kann in einer dolmetschergestützten Psychotherapie auch die Person des beteiligten Dolmetschers für den psychodynamischen Verlauf von großer Bedeutung sein (Haenel 1997). Ebenso wie an den Therapeuten können sich auch an ihnen Übertragungsphänomene der Patienten abbilden und ebenso wie die Therapeuten können auch sie in der psychotherapeutischen Behandlung einer Gegenübertragung unterliegen. Diese von uns gemachten Erfahrungen müssen berücksichtigt werden, soll der therapeutische Prozess nicht zum Erliegen kommen oder will man Dolmetscher nicht gleich wieder verlieren. Schließlich ist die kontinuierliche Mitarbeit ein und desselben Dolmetschers ebenso Grundvoraussetzung für den Verlauf einer interkulturell ausgerichteten Psychotherapie wie die Konstanz des Therapeuten.

Auf Entlastung der an den Therapien beteiligten Dolmetscher muss daher unbedingt geachtet werden. Demzufolge bieten wir den Dolmetschern zu jedem Behandlungstermin Vor- und Nachgespräche an, um ihnen aus Vorgeschichte und aktueller Situation eines neuen Patienten Mitteilung zu machen oder auch in einem zehnminütigen Nachgespräch die Gelegenheit zu bieten, einige belastende Eindrücke aus der Therapiestunde mitzuteilen und zurückzulassen. Dabei haben die Dolmetscher, wenn sie aus dem gleichen Land wie die Patienten kommen, aber auch die Gelegenheit, dem Therapeuten wichtige Hinweise auf kulturelle Besonderheiten oder auch aktuelle geschichtliche, historische Bezüge aus der Herkunftsregion des Patienten mitzuteilen.

Die Beziehungstriade Therapeut – Dolmetscher – Patient

Patient, Therapeut und Dolmetscher bilden ein Beziehungssystem ( Abb. 1), in dem sich bewusste oder unbewusste Gefühle, Wertungen, Gedanken und Phantasien des einen zum anderen einstellen, die sich sowohl auf die aktuellen Personen, wie sie jetzt sind, und die augenblickliche Situation als auch auf ältere Beziehungserfahrungen aus den jeweiligen Biographien der Beteiligten beziehen können.

Die Konstellation dieser Triade ist während des therapeutischen Prozesses steten Veränderungen unterworfen, die – falls sie unberücksichtigt bleiben – zum vorzeitigen Bruch dieser therapeutischen Beziehungstriade führen kann, wie die  Fallvignette I zeigt.

Im Fallbeispiel wird die Distanz des Therapeuten zum Patienten – sei sie angemessen oder nicht – umschifft, indem der Dolmetscher sich in die Ansprüche des Patienten einbinden lässt und zu diesem in eine undistanzierte und überprotektive Haltung gerät, so dass die Grenzen seiner eigenen privaten Sphäre verletzt werden, was ihn ärgerlich auf den Therapeuten macht. Die Beziehungskonstellation ist nicht mehr symmetrisch wie in Abb. 1, sondern hat sich in der in  Abb. 2 grafisch veranschaulichten Weise verändert.

Bleibt sie so und wird nicht von Therapeut und Dolmetscher reflektiert und besprochen, stagniert der therapeutische Prozess oder wird beendet, indem Dolmetscher, der Patient oder beide gehen. Regelmäßige Nachgespräche nach jeder Behandlungssitzung zwischen Therapeut und Dolmetscher sind daher eine bedeutsame Voraussetzung für den Fortbestand des therapeutischen Prozesses. Wichtig dabei ist selbstverständlich für den Therapeuten sowie auch für den Dolmetscher die Einhaltung der Abstinenz hinsichtlich jeglicher Kontakte außerhalb des therapeutischen Settings.

In  Fallvignette II führt die zu große, hier biografisch begründete Identifizierung der Dolmetscherin mit der Patientin zu einer ähnlichen Beziehungskonfiguration wie im vorangegangenen Beispiel. Die geeignete Abhilfe hier ist das Angebot einer externen Supervision für Dolmetscher zur ihrer psychischen Entlastung. Besonders gilt zu berücksichtigen, dass ungeachtet der mitunter belastenden Dinge, die er übersetzen muss, der Dolmetscher fortwährend aufmerksam tätig ist, wogegen Therapeut und Patient während der Übersetzung pausieren.

In der  Fallvignette III hat die Nähe der Dolmetscherin zum Therapeuten derart viel Raum eingenommen und eine Dynamik entwickelt, vor der die Beziehung des Therapeuten zum Patienten ganz in den Hintergrund zu treten drohte. Im Patienten hatte die Dolmetscherin die Person ihres Bruders wiedererlebt, mit dem sie in ihrer Kindheit in eifersüchtigem Streit um die Gunst des Vaters rivalisiert hatte und den sie jetzt von der Therapiebank drängen wollte. Hier wäre die Einbeziehung der Dolmetscherin in die Fallsupervision am Platze, um das Problem zu lösen.  Abbildung 3 veranschaulicht grafisch die Beziehungskonfiguration dieses Beispiels.

Die drei Fallvignetten machen deutlich, wie wichtig es ist, dass Dolmetscher Interesse und Verständnis für psychotherapeutische Prozesse aufbringen. Die nach jeder Behandlungsstunde durchgeführten Nachgespräche der Therapeuten mit den Dolmetschern sowie monatliche Fortbildungen sollen zur Vermehrung ihrer Kenntnissen über Psychotherapie und damit zur auch Erhöhung ihrer Arbeitsmotivation dienen. Es ist nicht ausreichend und kann therapeutisch in Sackgassen führen, Dolmetscher rein auf das mechanische Übersetzen beschränken zu wollen. In den kontinuierlichen und regelmäßigen Therapiestunden können sie als Bezugspersonen für die Patienten ebenso wichtig wie die Therapeuten werden.

Fazit

Bei jeder Reflexion des therapeutischen Prozesses muss nicht nur die Beziehung zwischen Therapeut und Patient, sondern das gesamte Beziehungssystem aller drei Beteiligten Berücksichtigung finden. Wie unserer Erfahrung nach die beste räumliche Sitzanordnung aller drei zueinander in einem annähernd gleichseitigen Dreieck besteht, so ist auch immer wieder darauf zu achten, dass sich dieselbe Geometrie auch auf der Beziehungsebene abbildet (s. Abb. 1). Die anhand der Fallbeispiele dargestellten Veränderungen in den Beziehungen der drei Beteiligten zueinander sollten zeigen, wie das im Idealfall gleichseitige Beziehungsdreieck im therapeutischen Prozess ständigen dynamischen Veränderungen in Richtung auf die in den Abb. 2 und 3 skizzierten Asymmetrien unterworfen sein kann. Derartige Asymmetrien sollten geklärt und aufgelöst werden; bleiben sie bestehen oder verfestigen sie sich sogar, stagniert der therapeutische Prozess.

Literatur

Flatten G et al.: Leitlinien in der Psychotraumatologie. Trauma & Gewalt 2011; 5: 202–210.

Haenel F: Spezielle Aspekte und Probleme in der Psychotherapie mit Folteropfern unter Beteiligung von Dolmetschern. Systhema 1997a; 2: 136–144.

Haenel, F. 1997b. Aspects and problems associated with the use of interpreters in psychotherapy of victims of torture. Torture 1997b; 7: 68–71.

    Info

    Fallvignette I

    Dolmetscher B. stammt aus demselben Land wie der Patient und lebt schon seit 10 Jahren in Deutschland. Zufällige Begegnungen mit dem Patienten auf dem Weg zum oder vom Behandlungszentrum führen dazu, dass der Dolmetscher mit dem Patienten außerhalb der therapeutischen Sitzungen in näheren Kontakt kommt. Der Therapeut weiß davon nichts. Der Patient ist unzufrieden und ärgerlich, weil der Therapeut nach seiner Auffassung in sozial unterstützenden Dingen zu wenig für ihn tut. Statt seiner Verärgerung in den Therapiestunden Ausdruck zu geben, wendet sich der Patient an den Dolmetscher. Dieser begleitet den Patienten zu Behörden, hilft mit bei dessen Wohnungsumzug, besorgt ihm gebrauchte Möbel und wird einmal gar nachts um 2 Uhr vom Patienten telefonisch aus dem Bett geholt. Jetzt ärgert sich der Dolmetscher über den Therapeuten, der in den Augen des Dolmetschers nicht bereit ist, ausreichend für den Patienten zu sorgen.

    Info

    Fallvignette II

    Die Dolmetscherin I., eine junge Frau aus Kurdistan, klagt seit einiger Zeit über Kopfschmerz, Schlaflosigkeit, Depressivität, Alpträume und Konzentrationsstörungen. In den Therapiesitzungen wirkt sie abwesend, so dass vieles zweimal gesagt werden muss. Anlass dafür ist das Schicksal einer jungen, gleichaltrigen Patientin aus derselben Region, die schwere psychische und körperliche, auch sexuelle, Folter erlitten hatte und körperlich und seelisch schwer geschädigt ist. Die an der Therapie beteiligte Dolmetscherin ist darüber derart erschüttert und hat sich mit dem Schicksal ihrer Landsfrau so sehr identifiziert, dass sie jegliche Distanz zu ihr verloren und an denselben Symptomen wie diese zu leiden begonnen hat.

    Info

    Fallvignette III

    Dolmetscherin G. ist ganz beeindruckt vom Therapeuten, bewundert ihn, macht daraus auch keinen Hehl und beginnt, ihm in den Besprechungen im Anschluss an die Therapiestunden sukzessive ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Unter der Woche macht sie sich viele Gedanken über ihn und bringt ihm kleine Geschenke mit. Gleichzeitig wird in den Therapiestunden durch Wortklang und Gestik ihre abfällige Haltung zum Patienten erkennbar.

    Autor

    Dr. med. Ferdinand Haenel

    Zentrum ÜBERLEBEN gGmbH

    (vormals Behandlungszentrum für Folteropfer)

    Turmstraße 21 – 10559 Berlin

    f.haenel@bzfo.de

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