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Originalia

Arbeitszeitstruktur von Gymnasiallehrkräften im Tages- und Wochenverlauf

Arbeitszeitstruktur von Gymnasiallehrkräften im Tages- und Wochenverlauf – eine App-basierte Pilotstudie

Problem- und Zielstellung: In bisherigen Studien zur Arbeitszeit von Lehrkräften lag der Fokus vorrangig auf der quantitativen Ermittlung der Wochenarbeitszeit. Berufsspezifische und gesundheitsrelevante Besonderheiten in der täglichen Arbeitszeitstruktur wurden dagegen kaum erfasst. Ziel war es daher, die zeitliche Verteilung der Arbeitszeit von Gymnasiallehrkräften (GLK) im Tages- und Wochenverlauf mithilfe einer neu entwickelten Arbeitszeit-App (LaiW-App) zu untersuchen.

Methodik: Es wurde eine Software-Applikation für Android- und IOS-Smartphones bzw. Tablets entwickelt. Diese basiert auf vordefinierten, lehrerspezifischen Tätigkeitskategorien und ermöglichte die synchrone Erfassung des Arbeitsprofils, das über vier Schulwochen aufzuzeichnen war. In die Analyse der Studie gingen 48 vollständige Datensätze von GLK (53 % Lehrer, 47 % Lehrerinnen; 67 % Vollzeit; Durchschnittsalter 42 Jahre) ein.

Ergebnisse: Kennzeichnend für die Lehrtätigkeit waren lange Arbeitstage (Mo–Do: 11 Stunden) mit kürzeren Unterbrechungen durch „Inaktivitätsphasen“, regelmäßige „Spätarbeit“ (16–24 Uhr) und Wochenendarbeit. Diese Arbeitszeitstruktur entspricht einer Art „geteiltem Dienst“. Die Arbeitszeit verteilte sich von Montag bis Freitag zu 79 % und am Wochenende zu 59 % auf den Zeitraum von 07:00–16:00 Uhr; 21 % bzw. 41 % der Arbeitszeit wurde zwischen 16 und 24 Uhr geleistet. Zusammenhängende, längere Erholungsphasen oder arbeitsfreie Wochentage lagen nur selten vor; 75 % der GLK arbeiteten an allen sieben Wochentagen.

Schlussfolgerungen: Die Arbeitszeitstruktur im Lehrerberuf weist auf einen weiteren psychischen Belastungsfaktor hin, der eine effektive Erholung einschränkt und als ein gesundheitlicher Risikofaktor gesehen wird. Es bestehen berechtigte Zweifel, ob das Pflichtstundenmodell den gewandelten Anforderungen der Lehrerarbeit noch gerecht wird.

Schlüsselwörter: Lehrkräfte – Arbeitszeitstruktur – Arbeitszeiterfassung – LaiW-App

Working time structure of secondary school teachers in the course of the day and the week – an app-based pilot study

Introduction: In previous studies on teachers’ working hours, the focus was primarily on the quantitative determination of weekly working hours. However, virtually no record was made of job-specific and health-relevant features in the daily working time structure. The aim was therefore to examine the time distribution of the working hours of high school teachers (HST) during the course of the day and the week by using a newly developed working time app (LaiW app).

Methods: A software application for Android and IOS smartphones and tablets has been developed. It was based on predefined, teacher-specific activity categories and enabled the synchronous recording of the work profile, which was to be recorded over four school weeks. The analysis of the study included 48 complete HST data sets (53 % male, 47 % female, 67 % full-time, average age 42 years).

Results: The teaching activity was characterised by long working days (Mo.–Th.: 11 hours) with shorter interruptions in the form of “inactivity phases”, regular “late work” (16:00–00:00) and weekend work. This working time structure is a kind of “shared service”. 79 % of work was done between 07:00 and 16:00 from Monday to Friday and 59 % of it was done between these hours at the weekend; the remaining 21 % and 41 % of work was done between 16:00 and 00:00. Articulated, longer recovery periods or work-free weekdays were rare, and 75 % of the HST worked on all seven days of the week.

Conclusions: The working time structure in the teaching profession points to another psychological stress factor, which limits effective recovery and is seen as a health risk factor. There are legitimate doubts as to whether the compulsory hours model still meets the changed demands of teacher work.

Keywords: teachers – working time structure – timekeeping – LaiW app

C. Felsing1

R. Seibt1, 2

R. Stoll1

S. Kreuzfeld1

(eingegangen am 08.08.2018, angenommen am 29.10.2018)

Problem- und Zielstellung

Veränderte Arbeitsanforderungen sowie der technische und inhaltliche Wandel der Arbeit führen zu immer flexibleren Modellen des Arbeitens (Gärtner et al. 2016). Auch die Tätigkeiten und Arbeitszeiten der Lehrkräfte unterliegen diesem Wandel (Pabst u. Starke 2017; Rüschoff 2003). Es ist unbestritten, dass sich die Belastungen an den Gymnasien in den vergangenen Jahrzehnten verändert und ständig erhöht haben (Pabst u. Starke 2017). Beispielhaft seien hierfür die eigenverantwortliche Schule, die Aufgaben der inklusiven Beschulung und die besondere Förderung von Schülern mit Migrationshintergrund oder Korrekturzeiten für nationale und internationale Vergleichsarbeiten genannt. Eine Vielzahl von weiteren Aufgaben verdeutlicht den enormen Anspruch an die Berufsgruppe und den „nach oben offenen Arbeitsauftrag“ (Schönwälder 2001): Lehrkräfte sind nicht nur Fachleute für das Lernen, sondern auch Erzieher in enger Zusammenarbeit mit Eltern, Berater zu Ausbildungs- und Berufswegen, müssen sich permanent weiterbilden und pflegen Kontakte zu außerschulischen Institutionen sowie zur Arbeitswelt. Hinzu kommen neue Medien zur Text- und Bildverarbeitung oder zur Nutzung als Kommunikations- und Verwaltungsplattform bei meist unzureichender Grundausstattung. Diese Veränderungen im Schulsystem begründen es aktuell, die Arbeitszeit und Arbeitszeitstruktur von Lehrkräften genauer aufzuklären (dpa 2016; Herzig 2014; KMK 2014; Schoelles 2014; Starke et al. 2018).

Unabhängig davon unterscheiden sich Lage und Dauer der Arbeitszeiten im Lehrerberuf erheblich von anderen vergleichbaren Tarifbeschäftigten bzw. Beamten des öffentlichen Dienstes, die ihre Wochenarbeitszeit von 40 Stunden in Präsenzzeiten am Arbeitsplatz mit fest geregelten „Auszeiten“ an Wochenenden erfüllen. Die Arbeitszeitregelung von Lehrkräften basiert dagegen noch immer überwiegend auf dem „Pflichtstundenmodell“, in dem die Arbeitszeit lediglich durch die Anzahl der wöchentlich bzw. jährlich zu erteilenden Unterrichtsstunden und die Wochen- bzw. Jahresarbeitszeit geregelt ist (Dorsemagen et al. 2008; LehrArbzLVO M-V 2016). Vielfach wird von den festgelegten 23 bis 28 Unterrichtsstunden à 45 Minuten und den Ferientagen auf die wöchentliche Gesamtarbeitszeit geschlossen (Schoelles 2014). Nicht beachtet wird der „unsichtbare“ Arbeitszeitanteil (>50 %), der zu Hause am Schreibtisch (Unterrichtsvor-/-nachbereitung, Korrigieren/Benoten etc.) oder im Rahmen anwesenheitspflichtiger Tätigkeiten in der Schule (Konferenzen, Weiterbildungen etc.) zu leisten ist (Hardwig u. Mußmann 2018; Landert u. Brägger 2009). Nicht zuletzt entstand durch dieses Arbeitszeitmodell der Mythos, dass Lehrkräfte nachmittags frei hätten (Schaarschmidt 2005; Schönwälder 2001). Tatsächlich verteilen sich die Arbeitsaufgaben und -zeiten bei Lehrkräften über den gesamten Tages- bzw. Wochenverlauf (Krantz-Kent 2008; Schönwälder 2001). So ist für sie eine hohe Arbeitszeitbelastung zu sozial unverträglichen Tageszeiten sowie an den Wochenenden zu konstatieren (Schönwälder 2001; Krantz-Kent 2008; Mußmann et al. 2016). Regelmäßige Arbeit an Wochenenden und zu späten Tages- oder gar Nachtzeiten (atypische Arbeitszeiten) hat negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf der Betroffenen (Jentgens u. Ulber 2015).

Insgesamt existieren nur wenige Kenntnisse darüber, wann Lehrkräfte wie lange mit welchen Tätigkeiten beschäftigt sind, denn dazu liegen nur wenige, vorwiegend ältere und/oder regional sowie zeitlich begrenzte Studien vor (Hardwig u. Mußmann 2018). Diese basieren zudem auf retrospektiven Angaben aus Befragungen und Arbeitszeitprotokollen, die keine belastbaren Aussagen zur zeitlichen Arbeitsstruktur der Lehrerarbeit ermöglichen. Auch werden bei diesen Arbeitszeitermittlungen kürzere Nebentätigkeiten oft vergessen oder ungenau eingeschätzt (Lake et al. 2016; Schönwälder 2001). Valide Aussagen zur Struktur des „unsichtbaren“ Anteils der Lehrerarbeit setzen ein mobiles Zeiterfassungssystem voraus, das Zeitraum und Dauer der jeweiligen Tätigkeiten chronologisch, in Echtzeit und unabhängig vom Erfassungsort misst. Ein solches Zeiterfassungssystem existierte aber bisher nicht.

Davon ausgehend wurde im Rahmen der aktuellen bundesweiten Arbeitszeitstudie für Gymnasiallehrkräfte „Lehrerarbeit im Wandel!?“ (LaiW-Studie) eine Software-Anwendung (LaiW-App) zur differenzierten Arbeitszeiterfassung neu entwickelt und als Pilotprojekt in Mecklenburg-Vorpommern (M-V) erprobt. Diese App ist für mobile Endgeräte (Smartphones/Tablets) konzipiert und ermöglicht eine präzise Erfassung der täglichen bzw. wöchentlichen Arbeitszeitstruktur.

Im vorliegenden Beitrag sollen weiterführende Erkenntnisse zur zeitlichen Struktur der Lehrerarbeitszeit und damit Aussagen zu den tatsächlichen Arbeits- und Erholungsphasen der Berufsgruppe im Tages- und Wochenverlauf berichtet werden. Dieses Vorgehen wird als ein Beitrag angesehen, auch im Lehrerberuf zukünftig Arbeitszeitmodelle an die gewandelten Arbeitsanforderungen so anzupassen, dass die Qualität der pädagogischen Arbeit, aber auch die Gesundheit der Lehrkräfte gesichert werden kann.

Methodik

Ablauf und Inhalt der LaiW-Studie

Die deutschlandweite LaiW-Studie wurde vom Deutschen Philologenverband (DPhV) initiiert und durch das Institut für Präventivmedizin Rostock (IPM) konzipiert, wissenschaftlich betreut und ausgewertet. Ziel der LaiW-Studie ist es, die Arbeitszeit und -belastung von Gymnasiallehrkräften in Deutschland anhand aktueller Daten zu ermitteln. An der LaiW-Studie konnten alle Lehrkräfte an Gymnasien in staatlicher und freier Trägerschaft teilnehmen. Nicht teilnehmen durften Lehrkräfte an beruflichen Gymnasien, Gesamt- und Gemeinschaftsschulen, in Elternzeit, mit einer Langzeiterkrankung, Referendare sowie Honorarkräfte.

Die LaiW-Studie bestand aus einem Online-Fragebogen (Online-FB) und einem Online-Arbeitszeitprotokoll (Online-AZP). Parallel dazu erfolgte in M-V eine Pilotstudie zur App-basierten Arbeitszeiterfassung. Hierfür wurden Gymnasien zufällig ausgelost, die anstelle des klassischen Online-AZP die neu entwickelte LaiW-App zur Dokumentation ihrer Arbeitszeit und -struktur verwenden konnten. Die Randomisierung der Gymnasien erfolgte mithilfe der Software „RITA“ (Randomization in Treatment Arms) unter Verwendung des sog. Biased Coin Designs (Pahlke et al. 2004), d.h. Online-AZP und „LaiW-App“ wurden gleich vielen Gymnasien zugelost.

Zur Ermittlung der inhaltlichen und zeitlichen Struktur der Lehrerarbeitszeit dienten in allen drei Instrumenten praktikable und hinreichend trennscharfe lehrerspezifische Tätigkeitskategorien (Beispiele s. Abb. 1). Diese wurden aus der Vielfalt der methodisch-didaktischen, pädagogischen und verwaltungstechnischen Einzeltätigkeiten von Lehrkräften abgeleitet und orientierten sich an vorangegangenen Lehrerarbeitszeitstudien (Seibt et al. 2012). Zuletzt wurden die Tätigkeitskategorien von Lehrkräften (Experten) evaluiert und im Oktober 2017 in einer Vorstudie an Gymnasien in vier Bundesländern getestet.

Während im Online-FB die unterrichtliche und außerunterrichtliche Arbeitszeit anhand der Tätigkeitskategorien für eine „Standardwoche“ zu schätzen war, wurde sie im Online-AZP anhand derselben Kategorien täglich über vier „Standardwochen“ dokumentiert. Die Zeiten für die einzelnen Tätigkeiten konnten in das Online-AZP entweder direkt elektronisch eingegeben oder zunächst als Papiervariante ausgefüllt und später in das Online-AZP übertragen werden. Berufsspezifische Aspekte (z.B. Beschäftigungsumfang, Fächer, Klassen, Schülerzahl, Anrechnungs-/Abminderungsstunden) und soziodemografische Angaben (z.B. Geschlecht, Alter, Familienstand etc.) wurden im Online-FB mit erhoben und in diesem Beitrag zur Charakterisierung der Stichprobe genutzt.

Für die Akquise der Studienteilnehmer wurden in M-V in den ersten beiden Februarwochen 2018 alle öffentlich registrierten Gymnasien durch den DPhV-Landesverband schriftlich zur Teilnahme an der LaiW-Studie eingeladen. Zudem wurde die Studie über Flyer und Plakate an den Gymnasien bekannt gemacht. Die Datenerhebung fand vom 26.02. bis 25.03.2018 statt. Dazu erhielt jede Lehrkraft des Gymnasiums ein Anschreiben des DPhV mit Hinweisen zum Datenschutz, zur Durchführung und Auswertung, sowie zu den Teilnahme- und Zugangsbedingungen der LaiW-Studie (Webadresse; TAN-Nummern etc.). Für die Gymnasien der Pilotstudie beinhalteten diese Anschreiben zusätzlich Download- und Nutzungshinweise (Bedienungsanleitung) zur LaiW-App sowie einen Link zum Internet-Forum, in dem häufig auftretende Fragen für alle Teilnehmer sichtbar beantwortet wurden.

Datenschutz und Anonymität

Sämtliche Daten des Online-FB und Online-AZP sowie der LaiW-App wurden durch zufallsgenerierte TANs und einen persönlichen Code anonymisiert und auf einem gesicherten Server gespeichert. Die Nutzung der LaiW-App wurde zusätzlich durch ein Passwort gesichert.

Stichprobe der Pilotstudie

Die Stichprobe der Pilotstudie setzte sich aus Lehrkräften der zufällig ausgelosten Gymnasien aus M-V zusammen. Insgesamt nutzten 60 Gymnasiallehrkräfte die LaiW-App, von denen 48 (53 % Lehrer, 47 % Lehrerinnen) mit einem Durchschnittsalter von 42 ± 11 Jahren in die Auswertung eingeschlossen werden konnten (Dropout: 20 %). Ihre Berufserfahrung betrug im Mittel 15 Jahre. Unter den Lehrkräften gab es 22 % Beamte bzw. 78 % Tarifbeschäftigte des öffentlichen Dienstes. Etwa zwei Drittel (67 %) von ihnen arbeiteten in Vollzeit. Durchschnittlich unterrichteten die Lehrkräfte in acht Klassen mit einer mittleren Klassenstärke von 24 Schülern. Die mittlere wöchentliche Unterrichtsstundenanzahl lag bei 24 ± 4, wobei zusätzlich von jeder Lehrkraft pro Woche eine Vertretungsstunde zu leisten war. 75 % der Lehrkräfte waren als Klassenlehrer eingesetzt. Zwei Drittel (66 %) der Teilnehmer gaben an, verheiratet zu sein (25 % ledig; 9 % geschieden); bei 71 % von ihnen lebten eigene Kinder im Haushalt. Im Vergleich zu dieser Pilot-Stichprobe bestand die Gesamtheit der 2560 Gymnasiallehrkräfte in M-V aus 69 % Lehrerinnen und 54 % Vollzeitkräften (Statistisches Bundesamt Destatis 2017).

LaiW-App

Die LaiW-App wurde von der Firma Partmaster GmbH aus Rostock eigens zur Dokumentation der täglichen Lehrerarbeitstätigkeiten programmiert und ist für Android- und IOS-Geräte (Smartphones/Tablets) nutzbar. In der Bedienungsoberfläche konnten die genannten Tätigkeitskategorien jeweils per „Touchscreen“ gestartet und beendet werden, d.h. die Dauer der jeweiligen Tätigkeit wurde mit Start- und Endzeitpunkt sekundengenau erfasst, gespeichert und ausgewertet ( Abb. 1). Nicht-Anwesenheit in der Schule (u.a. wegen Krankheit oder Exkursionen etc.) wurde ebenfalls dokumentiert. Die Datenerfassung war auch ohne Internetverbindung (offline) möglich. Der digitale Transfer zum Server erfolgte durch den App-Nutzer via W-LAN oder Mobilfunk. Die Arbeitszeitdaten waren täglich über vier Wochen aufzuzeichnen und wurden als wöchentlicher Durchschnittswert zusammengefasst.

Die Entwicklung der App wurde durch einen Gymnasiallehrer mit 8-jähriger Berufserfahrung begleitet. Im Vorfeld der Pilotstudie testeten 14 Gymnasiallehrkräfte über eine Woche die Handhabung und Akzeptanz der LaiW-App, Verständlichkeit und Benutzerfreundlichkeit wurden zusätzlich mit einem Evaluationsfragebogen überprüft.

Datenauswertung und -analyse

Vor dem Versenden an den, eigens für die LaiW-Studie eingerichteten, Server der Firma Partmaster, wurden die gemessenen Zeitdaten über eine Korrektur- bzw. Ergänzungsfunktion in der App durch die Teilnehmer geprüft. Datensätze mit krankheitsbedingten Abwesenheiten wurden ausgeschlossen. Sämtliche Zeitangaben der LaiW-App wurden durch ein „Servertool“ in Minuten zusammengefasst und mit jedem neuen Dateneingang aktualisiert. Für die primäre Ermittlung der Tätigkeitsprofile im Tagesverlauf ( Abb. 2) wurde jeder Tag mithilfe des „Servertools“ in vergleichbare 10-Minuten-Intervalle unterteilt und in einer Extradatei gespeichert. Es gingen nur die 48 vollständigen Datensätze in die Analysen ein.

Zur Analyse der Spätarbeit (drei Zeiträume zwischen 16 und 24 Uhr) wurde eine Korrelationsanalyse (Produkt-Moment-Korrelation nach Pearson) durchgeführt. Die deskriptive Auswertung zur Lage und Dauer der Arbeitszeiten und die Korrelationsanalyse erfolgten mithilfe von SPSS (Version 22) und Office Excel 2016.

Ethische Richtlinien

Diese Studie wurde in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Erklärung der World Medical Association (WMA) von Helsinki in der Fassung der 9th WMA Generalversammlung in Soul (Republik Korea) vom Oktober 2008 und den ethischen Grundsätzen der medizinischen Forschung mit Menschen durchgeführt. Von der Ethikkommission der Universität Rostock wurde die Studie genehmigt (A 2018-0031). Alle Studienteilnehmer stimmten zu, dass ihre anonymisierten Daten auf dem Server der Universität Rostock gespeichert und vom Institut für Präventivmedizin (IPM) ausgewertet und veröffentlicht werden dürfen.

Ergebnisse

Zur Betrachtung der Arbeitszeitstruktur der Lehrertätigkeiten sollen exemplarisch zunächst das Tagesprofil für „Unterricht“ und „Vor-/Nachbereitung“ sowie ein konkretes Fallbeispiel herangezogen werden. Ergänzend dazu sollen Aussagen zur Zeitspanne der Lehrertätigkeiten im Tages- und Wochenverlauf sowie zur „Spätarbeit“ zu atypischen Arbeitszeiten berichtet werden.

Tagesprofile ausgewählter Tätigkeiten

Um zu klären, wann die Lehrkräfte welche Tätigkeiten im Untersuchungszeitraum ausführten, wurde über vier Wochen täglich für jede Tätigkeitskategorie der Anteil „aktiver“ Lehrkräfte ermittelt und davon für die Tage Montag bis Freitag (Mo.-Fr.: 20 Tage) sowie Samstag und Sonntag (Sa-So: 8 Tage) der entsprechende Kategorien-Mittelwert mit Standardabweichung berechnet. Als typische Lehrertätigkeiten wurden „Unterricht“ und „Vor-/Nachbereitung“ ausgewählt und in komprimierter Form als 50-Minuten-Tagesprofile dargestellt (s. Abb. 2).

Es wird ersichtlich, dass die Zeitspanne für „Unterricht“ von ca. 07.00 bis 17.00 Uhr reicht. Üblicherweise finden die Unterrichtsblöcke von Vormittag bis Mittag und am frühen Nachmittag (40–60 %) statt und werden durch die Frühstücks- und Mittagszeit unterbrochen (22–30 %). Die „Vor-/Nachbereitung“ des Unterrichts erstreckt sich über fast den gesamten Tag von ca. 06:00 bis 24:00 Uhr (Mo–So). Unter der Woche lassen sich hier kleine „Aktivitätsspitzen“ vor den ersten beiden Unterrichtsblöcken (20 bzw. 15 %), am späten Nachmittag gegen 17 Uhr (15 %) und am späten Abend gegen 20:30 Uhr (15 %) erkennen. Am Wochenende (Sa–So) kann ein vergleichsweise erhöhter Anteil an „Vor-/Nachbereitung“ zwischen 14 und 16 Uhr bzw. 20 bis 21 Uhr festgestellt werden.

Verlauf eines Arbeitstages am Fallbeispiel

Das Fallbeispiel verdeutlicht exemplarisch die Arbeitszeitstruktur einer Gymnasiallehrkraft ( Abb. 3). Arbeitszeitdauer und Arbeitstagspanne sowie Arbeitsbeginn und -ende der Arbeit dieses Beispielmontags sind jedoch repräsentativ für die Stichprobe. Sichtbar werden im Tagesverlauf die konkrete Abfolge und Dauer der einzelnen Lehrertätigkeiten mit Unterbrechungen der Arbeitsphasen durch „Pausen“ (inaktive Phasen). Auffällig bei diesem Beispiel ist, dass die erste längere Erholungsphase erst nach ca. sechs Stunden auftritt und nach dieser Unterbrechung noch mehrere kürzere Arbeitsphasen am späten Nachmittag bis zum frühen Abend erfolgen.

Zeitspanne der Arbeitstage im Wochenverlauf

Zur Bestimmung der Länge eines Lehrerarbeitstages wurden für jede Lehrkraft der tägliche Arbeitsbeginn und das -ende der letzten lehrerspezifischen Tätigkeit herangezogen ( Abb. 4). Als durchschnittlicher Arbeitsbeginn wurde für Montag bis Freitag 07:45 Uhr und als entsprechendes Arbeitsende 18:45 Uhr ermittelt. Samstags verteilte sich die Arbeitszeit durchschnittlich zwischen 12:10 Uhr und 16:30 Uhr und sonntags zwischen 13:26 Uhr und 19:00 Uhr. Auffällig sind die langgezogenen Arbeitstage von Montag bis Donnerstag mit einer mittleren Zeitspanne von 11 Stunden. Auch an Freitagen und Samstagen war ein Viertel der Stichprobe über einen Zeitraum von 11 bis 16 (Fr) bzw. 4 bis 10 (Sa) Stunden beruflich tätig (s. Abb. 4). Der sonntägliche Arbeitstag erstreckte sich durchschnittlich über fünf Stunden und war nur für wenige Lehrkräfte ein arbeitsfreier Tag. 75 % aller Lehrkräfte arbeiteten an allen sieben Wochentagen. Im individuellen Fall variieren der Beginn und das Ende der Arbeit und damit auch die tägliche Arbeitsdauer jedoch erheblich.

Spätarbeit nach 16 Uhr

Um die Besonderheit der „Spätarbeit“ in der Arbeitszeitstruktur von Lehrkräften weiter aufdecken zu können, wurde die Arbeitszeit analysiert, die nach 16 Uhr am späten Nachmittag bzw. Abend zu leisten war („aktive“ Lehrkräfte). Dazu wurden diese drei Zeitbereiche betrachtet: 16–18 Uhr, 18–21 Uhr und 21–24 Uhr.

Für die „Spätarbeit“ zwischen 16 und 24 Uhr ergab sich über den gesamten Untersuchungszeitraum für Montag bis Freitag ein durchschnittlicher Anteil an der Gesamtarbeitszeitdauer von 21 %; am Wochenende betrug dieser Anteil 41 %.

Betrachtet man den Anteil der Lehrkräfte, die im Untersuchungszeitraum zwischen 16 und 24 Uhr arbeiteten, für jeden Wochentag einzeln ( Abb. 5), so wird ersichtlich, dass von Montag bis Freitag 59–73 % der Lehrkräfte in der Zeit von 16 bis 18 Uhr und kaum weniger (54–68 %) von 18 bis 21 Uhr mit schulischen Arbeiten beschäftigt waren. Nach 21 Uhr erledigten immer noch 22–32 % der Lehrkräfte schulische Aufgaben. Am Sonntag war etwa die Hälfte der Teilnehmer zwischen 16 und 18 Uhr (48 %) bzw. 18 und 21 Uhr (53 %) und ca. ein Viertel (26 %) sogar nach 21 Uhr beruflich aktiv. Im Vergleich dazu sank am Freitag und Samstag der Anteil der spät Arbeitenden nach 16 Uhr deutlich (

Um die individuelle Anzahl der Tage mit Spätarbeit zu untersuchen, wurde an jedem Tag die Arbeitszeit jeder Lehrkraft den drei Zeiträumen zwischen 16 und 24 Uhr zugeordnet und eine entsprechende Korrelationsanalyse durchgeführt. Von Montag bis Freitag ergab sich zwischen der „Spätarbeit“ 16–18 Uhr und 18–21 Uhr ein geringer Zusammenhang (r=0,30); lediglich 9 % der Lehrkräfte arbeitete von 16–18 und auch 18–21 Uhr. Diejenigen, die von 16–18 Uhr beruflich beschäftigt waren, arbeiten ebenfalls eher nicht zwischen 21–24 Uhr (r=–0,20). 23 % der Lehrkräfte arbeiteten erst am frühen und späten Abend (18–21 Uhr und 21–24 Uhr: r=0,48). Für die Wochenendarbeit (Sa–So) wurden folgende Korrelationen ermittelt: 16–18 Uhr mit 18–21 Uhr: r=0,34; 16–18 Uhr mit 21–24 Uhr: r=0,03; 18–21 Uhr mit 21–24 Uhr: r=0,57. Danach scheinen die Lehrkräfte auch am Wochenende eher in aufeinander folgenden Zeiträumen zu arbeiten, wenngleich im individuellen Fall an diesen Tagen eine große Variabilität für den jeweiligen „Spätarbeitszeitraum“ bestand.

Diskussion

Die im Pilotprojekt in Mecklenburg-Vorpommern erprobte LaiW-App ermöglicht aufgrund ihrer chronologischen und präzisen Aufzeichnung der einzelnen Lehrertätigkeiten über den Tag bzw. die Woche neue Erkenntnisse zur Lage und Dauer der Arbeitszeit von Lehrkräften. Es wird bestätigt, dass sich ein Lehrerarbeitstag deutlich von dem anderer Tarifbeschäftigter bzw. Beamter des öffentlichen Dienstes unterscheidet: Eine Lehrerarbeitswoche erstreckte sich für 75 % der Studienteilnehmer von Montag bis Sonntag und war durch lange Arbeitszeiten gekennzeichnet, die durch zumeist kurze „Inaktivitätsphasen“ unterbrochen waren. Als durchschnittlicher Arbeitsbeginn wurde für Lehrkräfte von Montag bis Freitag 07:45 Uhr und als entsprechendes Arbeitsende 18:45 Uhr ermittelt, d.h. der Arbeitstag umfasste durchschnittlich 11 Stunden. Samstage und Sonntage waren für die meisten Lehrkräfte (75 %) ebenfalls Arbeitstage, an denen durchschnittlich über einen Zeitraum von etwa zwei bzw. fünf Stunden gearbeitet wurde. Das bestätigt, dass Lehrkräfte ihre freien Tage tatsächlich als Arbeitstage nutzen.

Der „unsichtbare“ Arbeitszeitanteil der Vor- und Nachbereitung des Unterrichts erstreckte sich von Montag bis Freitag durchschnittlich über den gesamten Tag (6–24 Uhr). Demnach scheinen Lehrkräfte ihre Unterrichtsvor- und -nachbereitung im individuellen Fall sehr unterschiedlich zu gestalten. Am Wochenende (Sa–So) ergab sich ein vergleichsweise erhöhter Anteil für „Vor-/Nachbereitung“ zwischen 14 und 16 Uhr bzw. 20 und 21 Uhr.

Montags bis freitags leisteten die Lehrkräfte 79 % ihrer Arbeit zwischen 7 und 16 Uhr, aber eben auch 21 % der außerunterrichtlichen Tätigkeiten in „Spätarbeit“ zwischen 16 und 24 Uhr. Am Wochenende betrug der Anteil der Arbeitszeit zwischen 7 und 16 Uhr 59 % und zwischen 16 und 24 Uhr 41 %.

Die Arbeitszeiten sind mit den Ergebnissen aus der Fragebogen-Erhebung im Schulbezirk Rotenburg/Wümme an Grundschullehrkräften aus dem Jahre 1991 vergleichbar (Schönwälder 2001). Dort wurden 57 % der Gesamtarbeitszeit am Vormittag, 18 % am Nachmittag und 25 % am Abend bzw. in den Nachtstunden geleistet. Knapp die Hälfte aller Teilnehmer gab an, regelmäßig oder häufig am Samstag und Sonntag zu arbeiten. Gegenüber den Ergebnissen des turnusmäßigen „American Time Use Survey“ (Fragebogen-Studie) bei amerikanischen Lehrkräften (Krantz-Kent 2008; Richwine u. Biggs 2016) war in der Pilotstudie der Arbeitszeitanteil von Montag bis Freitag am Nachmittag (9 %) und Abend (12 %) höher. Auch am Samstag und Sonntag war in der Pilotstudie für den Nachmittag bzw. Abend im Durchschnitt ein höherer Arbeitszeitanteil (41 %) zu verzeichnen, wenngleich durchschnittlich später (12:10 bzw. 13:26 Uhr) mit der Arbeit begonnen wurde.

Verglichen mit der Arbeitszeitstruktur der Normalarbeitszeit (Stock u. Zülch 2013) beinhaltet das „Arbeitszeitmodell des Lehrerberufes“ im besonderen Maße eine Vertrauensarbeitszeit, bei der die Lehrkräfte im Sinne einer Arbeitszeitsouveränität selbst entscheiden, wann und wie lange sie an einzelnen Tätigkeiten arbeiten (Gärtner et al. 2016; Mußmann et al. 2016; Schönwälder 2001). Der Vorteil dieser zeitlichen Flexibilität besteht zunächst darin, dass die Lehrkräfte ihre Arbeitsaufgaben zu physiologisch günstigen Zeiten erledigen (z.B. nach Ruhephasen am Nachmittag; Rutenfranz u. Graf 1963) und ihre „Work-Life-Balance“ positiv beeinflussen können (BMFSF 2016; Morganson et al. 2010; Allen et al. 2012). Als Nachteil wird der hohe Zeitdruck in Phasen von Zwischen- und Abschlussprüfungen oder Zeugnisausgaben gesehen (Philipp u. Kunter 2013), weil es in diesen Phasen oft zu sozial unverträglichen Überlagerungen von „home office“ und Familienpflichten kommt.

Die langen Arbeitstage mit einer Zerstückelung der Arbeits- und Erholungsphasen gleichen einer Art „geteiltem Dienst“. Hinzu kommt die ausgeprägte Wochenendarbeit. Eine solche Arbeitszeit kann wenig zur Erholung beitragen. Sie bedeutet stattdessen Daueranstrengung und zerrissene Freizeit, denn die beruflich inaktive Zeit ist nicht zwangsläufig mit Erholung oder Entspannung gleichzusetzen. Neuere Forschungsergebnisse betonen, dass der Erholungseffekt maßgeblich vom „Abschalten können“ abhängt (Sonnentag u. Fritz 2015) und durch eine ausgewogene „Work-Life-Balance“ positiv unterstützt werden kann.

Mangelnde Erholung über einen längeren Zeitraum gilt zugleich als Risikofaktor für die Gesundheit (Halbesleben 2008; Kivimaki et al. 2006; Vyas et al. 2012). Nur „optimale“ Beanspruchungs-Erholungs-Zyklen fördern die Gesundheit und Leistung, gestörte gefährden sie hingegen (Semmer u. Kottwitz 2011). Schon Rutenfranz und Graf (1963) kritisierten die „obligate Sonntagsarbeit“ für Lehrkräfte und warnten vor der gesundheitlichen Gefährdung durch fehlende Erholung an den Wochenenden. Regelmäßige „Spätarbeit“ und Wochenendarbeit ohne ausreichend Erholung beeinträchtigt nachweislich die Gesundheit und die „Work-Life-Balance“ (Arlinghaus u. Nachreiner 2012; Wirtz et al. 2011).

In der Verteilung und Länge der täglichen Arbeitszeit spiegelte sich eine hohe interindividuelle Variabilität der Arbeitszeitstruktur wider. Diese wird nicht nur durch eine Vielzahl schulbedingter Faktoren beeinflusst (u.a. Fächerkombination, Klassenanzahl, persönlicher Stundenplan), sondern auch durch familiäre Verpflichtungen (z.B. Kinderbetreuung) und persönliche Lebensgewohnheiten und Vorlieben (z.B. Arbeit am Abend). Zudem variieren die Arbeitsanforderungen der Lehrkräfte im Schuljahresverlauf (Mußmann et al. 2016), was sich zusätzlich auf die Arbeitszeitstruktur im Wochen- und sogar im Tagesverlauf auswirkt.

Für die Durchführung der Studie wurde in Absprache mit dem DPhV-Landesverband M-V ein Untersuchungszeitraum gewählt, in dem keine außergewöhnlichen Zusatzbelastungen auftreten sollten. So war der Untersuchungszeitraum von einer vergleichsweise „ruhigen“ Arbeitsphase geprägt; in den meisten Schulen fanden keine Klassenfahrten, Sozial- oder Betriebspraktika bzw. Zwischen- oder Abiturprüfungen statt, und er grenzte an die anschließenden Osterferien.

Limitationen der Studie: Kritisch ist anzumerken, dass die verwendeten Tätigkeitskategorien einen Kompromiss aus methodischen Anforderungen und einer praktikablen Annäherung an die Realität darstellen: Einerseits mussten sie eine detailreiche Untergliederung ermöglichen, um eine nahezu lückenlose, realitätsnahe Erfassung des umfangreichen Arbeitsspektrums der Lehrkräfte zu gewährleisten, andererseits bestand bei einer zu feinen Tätigkeitendifferenzierung die Gefahr von Mehrfacherfassungen und einer unübersichtlichen und wenig praktikablen Handhabung (Kischkel 1984; Mußmann et al. 2016).

Auch die Verwendung einer objektiven Arbeitszeiterfassungsmethode wie der LaiW-App setzt zwingend die zuverlässige und ehrliche Mitarbeit der Studienteilnehmer voraus, um die Validität und Reliabilität der Daten zu sichern. Das bedeutet, dass auch bei der Verwendung der LaiW-App bewusste oder unbewusste Falschangaben möglich sind. Es ist jedoch anzunehmen, dass durch die zeitnahe Dateneingabe in die App eine Erinnerungsverzerrung („recall bias“) weitgehend vermieden wird. Andererseits bietet die LaiW-App eine Möglichkeit, die in den zurückliegenden Studien unterrepräsentierte Gruppe der älteren männlichen Lehrkräfte (Hardwig et al. 2016) für zukünftige Arbeitszeituntersuchungen gewinnen zu können.

Da die Stichprobe aus 22 % mehr Lehrern und 13 % mehr Vollzeitlehrkräften als die Grundgesamtheit der Lehrkräfte in M-V bestand und nur 48 Teilnehmer umfasste, ist eine Übertragbarkeit der Ergebnisse auf alle Lehrkräfte in M-V nur unter Vorbehalt möglich. Diese Abweichung bedeutet jedoch nicht automatisch eine Irrelevanz der Ergebnisse. Inwiefern sich durch den Initiator der Studie, den DPhV, vermehrt gewerkschaftlich orientierte Lehrkräfte angesprochen oder zur Studienteilnahme verpflichtet fühlten, oder ob sich eher jene Lehrkräfte beteiligten, die grundsätzlich ein überdurchschnittlich hohes Arbeitspensum aufweisen, kann aufgrund der Anonymität der Datenerhebung nicht geklärt werden. Die Teilnahme an der Studie war freiwillig (Gelegenheitsstichprobe), sodass von Selektionseffekten auszugehen ist. Starke private und berufliche Belastungen führten möglicherweise zu fehlender Zeit für eine umfangreiche Arbeitszeiterfassung. Personen, die durch gesundheitliche Einschränkungen gar nicht erst erreicht werden, verfälschen zusätzlich das Abbild der Grundgesamtheit („healthy worker effect“).

Schlussfolgerungen

In dieser Pilotstudie konnten mit der neu entwickelten LaiW-App erstmals die vermuteten Aussagen zur zeitlichen Lage und Dauer der Arbeitszeit von Lehrkräften im Tages- bzw. Wochenverlauf bestätigt werden.

Die langen Arbeitstage mit häufig unterbrochenen Arbeitsphasen und „Inaktivitätsphasen“ repräsentieren ein wesentliches Merkmal der Lehrerarbeit.

Die Ergebnisse der Arbeitszeit-App geben einen klaren Hinweis darauf, dass neben den bekannten Belastungsfaktoren (Arbeitszeitdauer, Komplexität der Arbeitsanforderungen) die Arbeitszeitstruktur des Lehrerberufs als weiterer psychischer Belastungsfaktor gesehen werden könnte.

Im Vergleich zu üblichen Arbeitsverhältnissen mit festgelegten Arbeitszeiten wird deutlich, dass der hohe Anteil außerunterrichtlicher Lehrerarbeit individuell flexibel erledigt und zumeist über einen großen Tageszeitraum und alle sieben Wochentage verteilt wird. Zusammenhängende, längere Erholungsphasen oder arbeitsfreie Wochentage liegen – mit Ausnahme der Ferien – eher selten vor. Von Montag bis Freitag dürfte dieser Fakt durch die Bereitschaft für Vertretungsstunden eher noch verstärkt werden. Schulferien sind für Lehrkräfte wichtige Zeiten längerer, zusammenhängender Erholungsphasen. Allerdings werden auch die Ferienzeiten (mit Ausnahme des Großteils der Sommerferien) von vielen Lehrkräften für die Erledigung schulischer Aufgaben benötigt.

Für die meisten Lehrkräfte geht die Zeitsouveränität mit einer Art „geteiltem Dienst“ sowie mit Wochenend- und sogar Nachtarbeit zu physiologisch und sozial unverträglichen Arbeitszeiten einher (§ 7 Abs. 5 TVöD 2016; Jentgens u. Ulber 2015). Diese Arbeitszeitstruktur kann bei unzureichender Erholung als gesundheitsgefährdend angesehen werden. Eine ausgewogene Balance zwischen Belastungen und Ressourcen kann jedoch negative gesundheitliche Folgen reduzieren oder sogar verhindern und das Wohlbefinden steigern (Sonnentag u. Frese 2012). Weiterführend wäre für den Lehrerberuf neben dem Zusammenhang zwischen Arbeitszeitstruktur und dem individuellen Belastungserleben auch die Frage zu klären, welche Gründe es für diese berufsspezifische Verteilung der Arbeitszeiten gibt. Denkbar sind nicht nur ein defizitäres persönliches Zeitmanagement oder der Wunsch nach flexibler Arbeitsgestaltung, sondern vielmehr das Fehlen geeigneter Arbeitsplätze in den Schulen. Durch die Ergebnisse dieser Pilotstudie wird der Mythos des freien Nachmittages bei Lehrkräften (Schaarschmidt 2005) widerlegt. Die Organisation, Bemessung und Vergütung von Lehrerarbeitszeit nach dem Pflichtstunden- bzw. Deputatsmodell erfährt nach wie vor eine kritische Kommentierung (Combe u. Riecke-Baulecke 1997; Dorsemagen et al. 2008; Hamburger Lehrerarbeitszeitkommission 2003).

Fazit für die Praxis

  • Die LaiW-App ermöglicht durch ein fortlaufendes „Arbeitszeit-Monitoring“ erstmalig eine chronologische Dokumentation der Lehrertätigkeit. Als wesentliche Merkmale der Arbeitszeitstruktur offenbaren sich lange Arbeitstage mit wechselnden Arbeits- und „Inaktivitätsphasen“ sowie einer regelmäßigen „Spätarbeit“ zu physiologisch ungünstigen Arbeitszeiten über den gesamten Wochenverlauf, einschließlich Wochenendarbeit.
  • Neben den bekannten Belastungsfaktoren (Arbeitszeitdauer, Komplexität der Arbeitsanforderungen) ist die Arbeitszeitstruktur im Lehrerberuf künftig als ein weiterer psychischer Belastungsfaktor zu sehen, da sie kaum eine effektive Erholung und nur ansatzweise eine ausgewogene „Work-Life-Balance“ ermöglicht und damit als ein gesundheitlicher Risikofaktor anzusehen ist.
  • Durch die neuen Erkenntnisse zur Arbeitszeitstruktur der Lehrkräfte bestehen berechtigte Zweifel, ob das Pflichtstundenmodell den gewandelten Anforderungen der Lehrerarbeit noch gerecht wird. Im Kontext der aktuellen beruflichen Arbeitsanforderungen sollten zukünftig die Verteilung, Lage und Dauer der Arbeitszeit im Tages- und Wochenverlauf und eine gerechte Verteilung der Aufgaben berücksichtigt werden, um die Gesundheit aller Lehrkräfte langfristig zu erhalten.
  • In modifizierter Version kann die LaiW-App einerseits zur Arbeitszeiterfassung von Lehrkräften anderer Schulformen und andererseits zur räumlichen Lokalisation beruflicher Tätigkeiten genutzt werden.

Interessenkonflikt: Christoph Felsing ist seit 2010 Gymnasiallehrer für Biologie und Sport an einem Privatgymnasium in Mecklenburg-Vorpommern und externer Promovend am Institut für Präventivmedizin Rostock. Reingard Seibt, Regina Stoll und Steffi Kreuzfeld arbeiten am Institut für Präventivmedizin Rostock in der Forschung und Lehre. Alle Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

Beiträge der Autoren: Einen substanziellen Beitrag bei der Konzeption, dem Design, der Durchführung, Datenerhebung, Datenanalyse oder Interpretation hatten die Autoren C. Felsing und R. Seibt. Der schriftliche Entwurf der Publikation, die kritische Durchsicht inklusive Einbringung wichtigen intellektuellen Inhalts erfolgte durch C. Felsing, R. Seibt und S. Kreuzfeld. Abschließende Zustimmung zur eingereichten und veröffentlichten Version des Manuskripts durch C. Felsing, R. Seibt, S. Kreuzfeld und R. Stoll. Bereitschaft und Zustimmung, sich für alle Aspekte der Arbeit mitverantwortlich zu zeichnen und dazu beizutragen, dass Fragen zur Akkuratesse oder Integrität angemessen untersucht und gelöst wurden, erfolgten durch C. Felsing, R. Seibt, S. Kreuzfeld und R. Stoll.

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Für die Verfasser

Christoph Felsing

Universitätsmedizin Rostock

Institut für Präventivmedizin (IPM)

St.-Georg-Straße 108

18055 Rostock

christoph.felsing@uni-rostock.de

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 54: 47–55

Fußnoten

1Institut für Präventivmedizin (Direktorin: Prof. Dr. med. habil. Regina Stoll), Universitätsmedizin Rostock

2Center for Life Science Automation (CELISCA), Universität Rostock