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Nachhaltige Sekundärprävention berufsbedingter Gonarthrose für Beschäftigte des Baugewerbes am Beispiel des Kniekollegs

Nachhaltige Sekundärprävention berufsbedingter Gonarthrose für Beschäftigte des Baugewerbes am Beispiel des KniekollegsKonzeptdarstellung und Ergebnisse der Phase 1

Zielstellung: Zur Verhinderung der Berufskrankheit 2112 (Gonarthrose) sowie zur Verhütung der damit assoziierten Gesundheitsgefahren wurde von der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) das Kniekolleg (KK) als ein sekundärpräventives, biopsychosoziales und auf Nachhaltigkeit ausgelegtes arbeitsplatzbezogenes Rehabilitationsprojekt konzipiert, dessen Konzept und Ergebnisse der Aufbauphase (Phase 1) dargestellt werden.

Methode: 524 männliche Beschäftigte aus dem Baugewerbe (50,3 Jahre ± 7,4; BMI: 29,1 ± 4,4) mit chronisch-rezidivierenden Kniegelenksbeschwerden wurden im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge anhand eines definierten Kriterienkatalogs rekrutiert und absolvierten die dreiwöchige Phase 1 des KK, die im Besonderen durch ein Aufbautraining der Oberschenkelmuskulatur und Ergonomieschulungen gekennzeichnet ist. Zur Sicherung von Nachhaltigkeitseffekten werden die Teilnehmer 12 sowie 24 Monate nach Phase 1 zu einwöchigen Auffrischungskursen eingeladen und von ihrem zugewiesenen Bezugstherapeuten motiviert, das Training zwischenzeitlich wohnortnah fortzuführen.

Ergebnisse: Nach Beendigung der Phase 1 verbesserten sich die Teilnehmer sowohl in allen motorischen Tests (Maximalkraft und Dehnfähigkeit der Oberschenkelmuskulatur, Beweglichkeit, Ausdauerleistungsfähigkeit und Gangsymmetrie) als auch bezüglich ihrer Lebensqualität, ihrer Kniegelenksbeschwerden sowie ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit statistisch signifikant (p < 0,01).

Schlussfolgerung: Da sich Inhalte und Organisation des KK an den evidenzbasierten Rahmenempfehlungen zur ambulanten muskuloskelettalen medizinischen Rehabilitation orientieren, ist trotz des nichtkontrollierten Untersuchungsdesigns zu vermuten, dass sich die Verbesserungen auf die therapeutischen Behandlungsformen der Phase 1 zurückführen lassen. Als Erklärungsansätze für die positiven Effekte sind der sekundärpräventive Ansatz sowie die damit verbundene sorgfältige Rekrutierung der Teilnehmer durch den Arbeitsmedizinischen Dienst (ASD) der BG BAU zu nennen. Die Wirksamkeit des KK als Gesamtkonzept wird allerdings an den Nachhaltigkeitseffekten in 12 und 24 Monaten zu bemessen sein.

Schlüsselwörter: Gonarthrose – Baugewerbe – Sekundärprävention – Kniekolleg – arbeitsmedizinischer Dienst

Sustained secondary prevention of work-related gonarthrosis for construction workers using the example of the knee collegeConcept presentation and results of phase 1

Objective: In order to prevent the occupational disease 2112 (gonarthrosis) and avoid its associated health hazards, the occupational insurance association of the building trade (BG BAU) created the knee college (KC) as a work-related rehabilitation project for secondary prevention. It has a biopsychosocial approach and has been designed with sustainability in mind. The concept behind it and the results of the start-up phase (phase 1) are duly presented.

Methods: 524 male employees from the building trade (50.3 years ± 7.4, BMI: 29.1 ± 4.4) with chronic recurrent knee problems were recruited as part of occupational health check-ups based on a defined set of criteria. They completed the three-week phase 1 of the CK, which has a particular focus on strength training to build thigh muscles and training in ergonomics. To ensure sustained effectiveness, participants are invited to one-week refresher courses 12 and 24 months after phase 1 and are motivated by their designated reference therapist to continue their training near home.

Results: On completion of phase 1, participants showed statistically significant improvements (p < 0.01) in all motor tests (maximum strength and extensibility of the thigh muscles, mobility, endurance and gait symmetry) as well as their quality of life, knee conditions and physical performance.

Conclusions: Since the content and organisation of the KC are geared towards the evidence-based recommended guidelines for outpatient musculoskeletal medical rehabilitation, it can be assumed, despite the uncontrolled examination design, that the improvements can be attributed to the therapeutic treatments of phase 1. The explanatory approaches for the positive effects include the secondary prevention approach and the associated careful recruitment of the participants by the Occupational Health Service of the BG BAU. However, the efficacy of the KC as an overall concept has to be measured by its sustained effectiveness in 12 and 24 months.

Keywords: gonarthrosis – building trade – secondary prevention – knee college – occupational health service

S. Dalichau1

M. Giemsa2

T. Solbach3

M. Büschke3

D. Engel3

T. Möller1

A. Wahl-Wachendorf3

(eingegangen am 06.04.2018. angenommen am 05.07.2018)

Einleitung

Mit Aufnahme der Berufskrankheit (BK) 2112 in die Liste der Berufskrankheiten hat die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) präventive sowie rehabilitative Maßnahmen eingeleitet, um arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten und dem Auftreten der BK gemäß § 3 BKV mit allen geeigneten Mitteln entgegenzuwirken. Allein 11 der 17 im Merkblatt zur BK 2112 aufgeführten Berufe, in denen kniebelastende Tätigkeiten im Knien, Hocken, im Fersensitz oder im Kriechen wiederholt vorkommen, sind Berufe des Baugewerbes (BAUA 2009). Deshalb wurde im Auftrag der BG BAU ein sekundärpräventives Rehabilitationsprojekt zur Beschwerderemission, das Kniekolleg, entwickelt, dessen Schwerpunkt neben der ganzheitlichen und arbeitsplatzbezogenen Ausrichtung insbesondere auf der Sicherung positiver Nachhaltigkeitseffekte basiert. Im Folgenden werden sowohl das Konzept des Kniekollegs und die besondere arbeitsmedizinische Bedeutung hinsichtlich der Teilnehmerrekrutierung als auch die Ergebnisse der dreiwöchigen Phase 1 vorgestellt.

Konzept des Kniekollegs

Das Kniekolleg umfasst 5 Phasen:

Phase 1: Aufbauphase

Die Aufbauphase umfasst mit einer täglichen Nettotherapiezeit (NTZ) von 5–6 Stunden eine zeitliche Dauer von 3 Wochen (Mo–Fr). Ihre Inhalte gründen auf den definierten Rahmenempfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR 2005) und sind im Besonderen gekennzeichnet durch

  • einen biopsychosozialen Ansatz,
  • ein Aufbautraining der Oberschenkelmuskulatur,
  • berufsspezifisches Üben an Kulissenarbeitsplätzen ( Abb. 1),
  • eine ergonomische Beratung sowie durch
  • die Implementierung individuell abgestimmter Nachsorgestrategien unter Beachtung gesundheitspsychologischer Ansätze.

Phase 2: Trainingsphase 1

Zur Sicherung nachhaltiger mittelfristiger Effekte schließt sich der Aufbau- nun die Trainingsphase 1 über einen Zeitraum von zwölf Monaten an. Die Teilnehmer werden zu einem weiterführenden Training in einem wohnortnahen Fitness-Zentrum motiviert. Bei Ablehnung wird ein individuelles Heimprogramm vorgeschlagen. Die Teilnahme am Fitnesstraining sowie am Heimprogramm ist freiwillig.

Phase 3: Auffrischungsphase (Refresher) 1

Nach der 12-monatigen ersten Trainingsphase werden die Teilnehmer für einen einwöchigen Auffrischungskurs (5–6 h, NTZ Mo–Fr) erneut in die Rehabilitationseinrichtung eingeladen, um die Inhalte der Aufbauphase zu wiederholen und zu festigen. Des Weiteren wird der Trainingsplan überarbeitet.

Phase 4: Trainingsphase 2

Zur langfristigen Sicherung der Interventionseffekte wird den Teilnehmern empfohlen, das Trainingsprogramm wohnortnah im Fitness-Zentrum für weitere 12 Monate fortzusetzen. Bei Ablehnung wird ein individuelles Heimprogramm angeboten. Die Teilnahme am Fitnesstraining sowie am Heimprogramm ist freiwillig.

Phase 5: Auffrischungsphase (Refresher) 2

Nach der zweiten Trainingsphase endet das Kniekolleg mit einem zweiten einwöchigen, inhaltlich dem Refresher 1 analogen Auffrischungskurs im Rehabilitationszentrum.

Die Therapieinhalte der Aufbau- und der Auffrischungsphasen 1 und 2 sowie die Maßnahmen zur Sicherung der Nachhaltigkeit in den einzelnen Phasen sind den   Tabellen 1 und 2 zu entnehmen.

Die BG BAU übernimmt die kompletten Kosten für die Aufbauphase sowie für die beiden Auffrischungskurse inkl. Bruttoverdienstausgleich und etwaiger Kosten für aufgrund der Kniegelenksbeschwerden erforderliche orthopädische Hilfsmittel (z.B. orthopädische Schuhversorgung, Kniegelenksbandagen) und bezuschusst die Trainingsphasen bei regelmäßiger Teilnahme im Fitness-Zentrum mit 20,– EUR monatlich.

Teilnehmerrekrutierung durch den arbeitsmedizinischen Dienst

Die Teilnehmer für das Kniekolleg werden im Rahmen der regelmäßigen arbeitsmedizinischen Vorsorge im Baugewerbe rekrutiert. Der arbeitsmedizinische Dienst prüft dabei regelhaft die folgenden verbindlichen Einschlusskriterien:

  • Vorliegen chronischer oder rezidivierender Kniegelenksbeschwerden in Verbindung mit klinischen Symptomen (Bewegungseinschränkung bzw. schmerzhafte Bewegungsbehinderung, retropatellarer Druckschmerz, Entzündungszeichen);
  • die Versicherten sind in einem als erhöht kniebelastend einzustufenden Beruf tätig (BAUA 2009);
  • in Abhängigkeit von der Dauer der Berufszugehörigkeit werden deutlich vor Erreichen des Renteneintrittsalters voraussichtlich 13 000 Stunden kniebelastender Tätigkeit erreicht oder sind bereits erreicht worden (BAUA 2009);
  • die Versicherten möchten ihre berufliche Tätigkeit auch zukünftig ausüben;
  • freiwillige Teilnahme.

Grundsätzlich werden alle Arbeitnehmer im Zuge der Voruntersuchungen bei Erfüllung der Einschlusskriterien auf die Teilnahme am Kniekolleg angesprochen und über die Inhalte der Maßnahme informiert. Bei Interesse des Beschäftigten benachrichtigt der arbeitsmedizinische Dienst die zuständige Verwaltung der BG BAU, die den Versicherten wiederum bei den das Kniekolleg durchführenden Rehabilitationszentren zur Terminierung anmeldet und den Arbeitgeber anschließend über die Teilnahme des Versicherten am Kniekolleg informiert.

In Ausnahmefällen können sich die Versicherten auch direkt bei der Verwaltung der BG BAU melden, die dann nach Aktenlage die Teilnahmefähigkeit durch ihren beratenden Arzt prüfen lässt.

Methodik

Patienten

Bis zum jetzigen Zeitpunkt wurden insgesamt 524 männliche Arbeitnehmer aus dem Baugewerbe im Lebensalter von 50,3 Jahren (± 7,4) und einem Body Mass Index von 29,1 (± 4,4) für die sekundärpräventive Maßnahme rekrutiert und absolvierten die dreiwöchige Phase 1 des Kniekollegs. Neben dem Dachdecker (21,9 %) zählen dabei der Pflasterer (14,8 %), der Fliesenleger (12,2 %), der Maler (8,7 %), der Installateur (7,6 %), der Fußbodenverleger (5,1 %) sowie der Betonbauer (4,4 %) zu den häufigsten Berufsgruppen. Das linke Kniegelenk war mit 54,2 % häufiger von Beschwerden betroffen als das rechte (45,8 %).

Messzeitpunkte und eingesetzte Assessmentinstrumente

Über einen Beobachtungszeitraum von 24 Monaten werden zu Beginn (T1) und nach Beendigung der 3-wöchigen Aufbauphase (T2) sowie 12 und 24 Monate später während der Auffrischungsphasen 1 (T3) und 2 (T4) folgende als Verlaufskontrollen dienende Assessment-Instrumente eingesetzt:

  • Erfassung der passiven Dehnfähigkeit der Mm. ischiocrurales (Dalichau et al. 2004) sowie der angulären Beweglichkeit des Kniegelenks in der Sagittalebene in Rückenlage durch die traditionelle Goniometrie (Gogia et al. 1987);
  • Analyse der dynamischen konzentrischen körpergewichtsbezogenen Maximalkraft der Oberschenkelmuskulatur des betroffenen und nichtbetroffenen Beins mittels Isokinetik (in Nm/kg) bei 60°/s (IsoMed 1000) (Froböse et al. 2003);
  • Physical Work Capacity-(PWC-)Test (Puls 180 minus Lebensalter) zur Quantifizierung der submaximalen Ausdauerleistungsfähigkeit auf dem Fahrradergometer nach WHO-Schema (Fiehn et al. 2003);
  • die plantare dynamische vertikale Druckverteilung (Mess-Sohlen im Schuh; max. 240 Sensoren/Sohle; Abtastfrequenz 200 Hz; Fa. T&T medilogic) während des Gehens zur Analyse der Gangsymmetrie im Links-/Rechtsvergleich bzgl. der Parameter mechanische Gesamtbelastung, Ganglinienbreite und Doppelschrittdauer;
  • der Western Ontario and McMaster Universities-(WOMAC-) Arthroseindex als etablierter Patientenfragebogen zur Erfassung von Symptomen und physischen Funktionseinschränkungen im Alltag aufgrund von Beschwerden und Erkrankungen der Knie- oder Hüftgelenke; bewertet werden die Parameter Schmerz, Steifigkeit und Funktionseinschränkungen anhand dreier Scores von „0“ („keine“) bis „10“ Pkte. („extreme“ Beschwerden) (Stucki et al. 1996);
  • der PACT (Performance Assessment Capacity Testing) zur Selbsteinschätzung der körperlichen Leistungsfähigkeit (Oesch et al. 2007);
  • Fragebogen SF-36 zur Bewertung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (Bullinger et al. 1998), dargestellt als Gesamtscore aus 8 Dimensionen;
  • Fragebogen (anonymisiert) zur subjektiven Bewertung des Kniekollegs durch die Teilnehmer.

Ergebnisse

An dieser Stelle werden die kurzfristigen Ergebnisse von T1 zu T2 der Gesamtstichprobe von n = 524 dargestellt ( Tabellen 3 und 4). Am Ende der dreiwöchigen Aufbauphase zeigen sich in allen untersuchten Parametern statistisch signifikante positive Effekte (p 

  1. Je höher die Maximalkraft, desto geringer zeigt sich der Kniegelenksschmerz in T1 (r = 0,55; p 
  2. Je größer der Kraftzuwachs der Oberschenkstreckmuskulatur von T1 zu T2, desto größer ist sowohl die Abnahme des Kniegelenkschmerzes (r = 0,73; p 

Von den insgesamt 524 Teilnehmern bewerteten 208 randomisiert selektierte Versicherte die dreiwöchige Aufbauphase des Kniekollegs anonym. 94,3 % der Befragten hat die Reha-Maßnahme „sehr gut“ bzw. „gut“ gefallen. Die Therapieinhalte (s. Tabelle 1) wurden von den Teilnehmern durchschnittlich mit 1,7, die Betreuung durch die Therapeuten mit 1,3 benotet. Der überwiegende Teil fühlt sich im Vergleich zum Beginn der Maßnahme „besser“ (99,6 %) und schätzt die eigene allgemeine körperliche Leistungsfähigkeit nach drei Wochen Aufbauphase als „besser geworden“ (90,4 %) ein. 97,1 % der Teilnehmer glauben, dass sie aufgrund der Aufbauphase „mehr auf ihren Körper achten“, und 92,5 % der Patienten würden gerne wieder an dieser dreiwöchigen Maßnahme teilnehmen.

Diskussion

Die Organisation und Inhalte der medizinischen Rehabilitation im stationären und ambulanten Setting sind in Deutschland klar definiert und induzieren generaliter indikationsübergreifend nachweislich kurzfristig positive Effekte auf die Erkrankung und die Gesundheit (Köpke 2005). Die Inhalte und Organisation des Kniekollegs basieren auf den Rahmenempfehlungen zur ambulanten medizinischen Rehabilitation bei muskuloskelettalen Erkrankungen (BAR 2005). Trotz des Fehlens einer Kontrollgruppe in der ersten Phase des Kniekollegs ist aufgrund der signifikanten Verbesserungen zu vermuten, dass sich die positiven Ergebnisse der drei Interventionsgruppen in der Aufbauphase auf die ganzheitlich ausgerichteten Behandlungsformen zurückführen lassen.

Da der Funktionszustand der Oberschenkelmuskulatur in der vorliegenden Untersuchung eine zentrale Bedeutung zu besitzen scheint, kann als Erklärung für die durchweg positiven Effekte der Aufbauphase wohl der relativ frühzeitige, sekundärpräventive Ansatz des Kniekollegs verantwortlich gemacht werden, der den, noch nicht von den typischen pathophysiologischen Symptomen der fortgeschrittenen Gonarthrose betroffenen Teilnehmern ermöglicht, ein effektives Muskeltraining ohne zeitliche Unterbrechungen aufgrund von auftretenden Entzündungsreaktionen regelmäßig zu absolvieren. Eigene vorangegangene Untersuchungen zur Effektivität von ganzheitlich ausgerichteter Rehabilitation im ambulanten Setting bei Patienten mit manifester, durch Klinik und Radiologie verifizierter Gonarthrose weisen diesbezüglich auf eine signifikant eingeschränkte Therapiefähigkeit mit konsekutiv geringen positiven Reha-Effekten hin (Dalichau et al. 2015 a,b). Somit erlaubt der im Rahmen des Kniekollegs verfolgte präventivere Ansatz die Applikation des notwendigen überschwelligen und die Progredienz der Kniegelenksarthrose günstig beeinflussenden Krafttrainings (Oiestad et al. 2015) mit ausreichend hoher Belastungsintensität zur Realisierung positiver Adaptationen der Oberschenkelmuskulatur, deren physiologischer Funktionszustand als wesentliche Voraussetzung für die Kompensation der teilweise hohen Kniegelenksbelastungen im Baugewerbe gilt (IFA 2010).

Zur Gewährleistung des sekundärpräventiven Ansatzes des Kniekollegs ist die Rekrutierung potenzieller Teilnehmer durch die sorgfältige Prüfung der Einschlusskriterien obligatorisch. Der Arbeitsmedizin kommt diesbezüglich eine Schlüsselrolle zu, denn die verantwortungsvolle Auswahl der geeigneten Versicherten als Voraussetzung für eine effektive Rehabilitation wird im Rahmen der routinemäßigen arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen unter spezieller Berücksichtigung der Belastungen des Muskel-Skelett-Systems realisiert. Dazu werden die Angaben zur beruflichen Situation des Beschäftigten (berufliche Vita, kniebelastende Tätigkeit in Stunden), zur eigenen Anamnese (Beschwerden, Arbeitsunfähigkeitszeiten, Behandlungen, Gefährdungsbeurteilungen) und zur ärztlichen Anamnese (Schmerzqualitäten und -ursachen) sowie die Ergebnisse der Screening- und Funktionsuntersuchung der Lendenwirbelsäule und der unteren Extremitäten (Hartmann et al. 2013) unter spezieller Berücksichtigung des Kniegelenks von den Arbeitsmedizinern als Befundbogen zusammengefasst, der den Versicherten bei der zuständigen Verwaltung der BG BAU zum Kniekolleg meldet. War zu Beginn des Projekts ausschließlich der arbeitsmedizinische Dienst der Region Nord der BG BAU für die Rekrutierung zuständig, ist das Verfahren mittlerweile aufgrund der positiven Erfahrungen auf die Regionen Mitte und Süd und somit auf das gesamte Bundesgebiet ausgeweitet worden.

Allerdings muss sich der tatsächliche Benefit des Kniekollegs nach heutigem Verständnis von multidisziplinärer und biopsychosozial ausgerichteter Rehabilitation grundsätzlich an den langfristigen Effekten messen lassen. Jüngere Reviews bezüglich der Rehabilitation von Kniegelenksarthrose indizieren eine signifikante Remission der positiven Behandlungsergebnisse ohne weitere therapeutische Nachsorge nach 2–6 Monaten (Bartels et al. 2007; Fransen et al. 2015; Pisters et al. 2007). Zur Sicherung positiver Therapieeffekte gilt daher die Implementierung von Nachsorgestrategien in ganzheitlich ausgerichtete Nachbehandlungskonzepte zur Förderung von Empowerment und Selbstmanagement als Voraussetzung für die langfristige soziale und berufliche Teilhabe seit mehreren Jahren als Standard des heutigen Rehabilitationsparadigmas (BAR 2016). Mit dem Blick auf den Kanon zahlreicher aktuell verwendeter innovativer Nachsorgeverfahren gelten in diesem Zusammenhang Strategien als aussichtsreich, die die Bestimmung eines Bezugstherapeuten, die Installation regelmäßiger Telefonkontakte in standardisierter Form und die Durchführung von Auffrischungskursen beinhalten (Brauner et al. 2015; Deck et al. 2009, 2012; Ernst et al. 2012; Fuchs et al. 2010). Diese drei Nachsorgeelemente wurden in das Konzept des Kniekollegs in kombinierter Form aufgenommen (s. Tabelle 2). Die Follow-up-Untersuchungen nach 12 (T3) und 24 Monaten (T4) werden deren Wirksamkeit zu prüfen haben.

Schussfolgerungen

Die Ergebnisse des Prä/Post-Vergleichs im Rahmen der Aufbauphase (Phase 1) des Kniekollegs für Beschäftigte des Baugewerbes signalisieren bei aller notwendigen Zurückhaltung aufgrund des vorexperimentellen Designs eine positive Wirksamkeit sowie eine hohe Akzeptanz durch die Teilnehmer. Dafür scheinen die biopsychosoziale, multimodale und tätigkeitsbezogene Ausrichtung der Therapieinhalte, der sekundärpräventive Ansatz und insbesondere die sorgfältige Rekrutierung der Teilnehmer durch den arbeitsmedizinischen Dienst der BG BAU verantwortlich gemacht werden zu können.

Zur Sicherung der notwendigen Nachhaltigkeit des Projekts wurden die Bestimmung eines Bezugstherapeuten für jeden Teilnehmer, die Installation regelmäßiger Telefonkontakte sowie die Durchführung von Auffrischungskursen als Nachsorgeelemente in die einzelnen Phasen des Kniekollegs implementiert.

Die Folgeuntersuchungen nach 12 und 24 Monaten haben zukünftig deren Effektivität zu prüfen.

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Literatur

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Braunger C, Kubiak N, Müller G: Wirksamkeit von Nachsorgegesprächen via Telefon- und Face-to-Face-Kontakten nach der stationären psychosomatischen Rehabilitation. Rehabilitation 2015; 54: 290–296.

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Für die Verfasser

Prof. Dr. rer. nat. Stefan Dalichau

BG Ambulanz Bremen

Industriestr. 3

28199 Bremen

stefan.dalichau@bga-bremen.de

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53: 729–734

Fußnoten

1BG Ambulanz Bremen,

2BG Klinikum Hamburg Rehazentrum City,

3Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft – Hauptverwaltung Berlin