Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Möglichkeiten und Grenzen der Leistungsbeurteilung

Möglichkeiten und Grenzen der Leistungsbeurteilung

Die Leistungsbeurteilung von Personen stellt eine zentrale Aufgabe sowohl in der Sport- wie auch in der Arbeitsmedizin sowie der Inneren Medizin im Allgemeinen dar. Entsprechend häufig werden Arbeiten zu diesem Thema publiziert, so auch beispielsweise von Funk et al. (2011). Diese Arbeit soll stellvertretend für viele andere zum Anlass genommen werden, einige grundsätzliche Probleme der Verfahren bewusst zu machen, unabhängig davon, ob sie zu Tauglichkeits-/Vorsorgeuntersuchungen, zu gutachterlichen Fragestellungen oder auch im Sport zur Anwendung kommen.

In ihrer Arbeit zur Laktatbestimmung zur Abschätzung des körperlichen Restleistungsvermögens von Patienten mit Atemwegs- und Lungenkrank-heiten werten die Autoren ihr umfangreiches Datenmaterial im Hinblick auf die Beurteilung der Patienten aus (Funk et al. 2011). Leider kommt es sowohl durch die Diktion als auch durch das verwendete statistische Auswerte-verfahren hier wie in vielen anderen Publikationen zu einigen Unschärfen, durch die weniger erfahrene Leser falsche Schlüsse ziehen könnten.

Schlüsselwörter: Leistungsbeurteilung – Tauglichkeits-/Vorsorgeuntersuchun-gen – Laktatbestimmung

Possibilities and limits of performance evaluation

Evaluating the performance of people plays a key role not only in sports medi-cine and occupational medicine, but also in internal medicine in general. This is reflected by the frequency of publications on the subject, for example by Funk et al. (2011). This paper is representative of many others and is to be taken as an opportunity to raise awareness of some fundamental problems with methods, irrespective of whether they are used in relation to aptitude tests/preventive examinations or expert assessments, or indeed in sport.

In their work on the measurement of lactate levels to estimate the functional residual capacity of patients with respiratory and pulmonary diseases, the authors analyse their comprehensive set of data with a view to assessing the patients (Funk et al. 2011). Unfortunately, however, as in many other publications the style of writing and the method used for statistical evaluation here are rather vague and less experienced readers could draw the wrong conclusions.

Keywords: performance evaluation – aptitude tests/preventive examinations – lactate measurement

T. Küpper

(eingegangen am 28. 03. 2015, angenommen am 27. 04.2015)

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2015; 50: 598–602

Leistungsbeurteilung – Verfahren und Probleme

Für die exakte Beurteilung der Dauerleistungsfähigkeit bzw. im Falle von Patienten der Restleistungsfähigkeit gibt es trotz 100 Jahre intensiver Forschung – beginnend mit den großen Physiologen des aus-gehenden 19. Jahrhunderts wie Nathan Zuntz in Berlin, aber auch seinen Kollegen Paul Bert in Paris und Alexandro Mosso in Turin, später dann die Gruppe Hollmann/Hettinger in Köln und viele an-dere – bislang kein Verfahren, das diese exakt misst – jedenfalls, wenn man vom nicht praxistauglichen Ausprobieren der realen Dauerleistungsfähigkeit einmal absieht. Selbst Letztere wäre keine Universalaussage, sondern aus ergonomischen Gründen nur für die jeweils getestete Tätigkeit gültig. Praktisch alle Verfahren wurden bislang ausschließlich bei gesunden Kollektiven mittleren Alters unter normalen Belastungsbedingungen und auf Meereshöhe etabliert und validiert. Weder finden sich in nennenswertem Umfang Untersuchungen zur Validierung der Verfahren an Patienten mit leistungsrelevanten Vorerkrankungen, noch solche in extremen Umweltbedingungen. Die Verfahren erlauben bislang also nur eine Aussage für die „standardisierte Normalperson unter Normalbedingungen“ – nicht mehr! Als erste untersuchten Gronimus et al. die Validität der Borg-Skala in mittlerer und großer Höhe (Gronimus 2011, internationale Publikation eingereicht). Weitere analoge Untersuchungen zu anderen Verfahren, Patientengruppen und Umweltbedingungen sind derzeit im Gange.

Jedes einzelne der zahlreichen Verfahren stellt unabhängig von der unvollständigen Validierung hinaus eine Näherungslösung dar, die aufgrund ihres individuellen Ansatzes zu spezifischen und unterschiedlichen Ergebnissen führt. Die von Funk et al. (2011) dargestellten beschränkten Korrelationen sind bekannt, seitdem die Arbeitsgruppe um Knipping, Hollmann und anderen 1950 das Atemäquivalent in die Leistungsbeurteilung eingeführt haben, ein Parameter, den Knipping und Manerieff 1932 bereits in der Ruhe-Spirometrie etabliert hatten (Knipping u. Manerieff 1932; Hollmann u. Hettinger 2000). In den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde die Verlaufstendenz des ansteigenden Schenkels des Atemäquivalents als Beurteilungsparameter beschrieben, die weitgehend, aber eben nur weitgehend, parallel zum Atemminuten-volumen, dem arteriellen Laktatspiegel und des arteriellen pH-Wertes verläuft (Hollmann u. Hettinger 2000; Hollmann 1960; Draeger 1962; Keul et al. 1965, 1966; Hartung et al. 1966). Die Arbeiten berichten auch über die von Funk et al. beschriebenen Differenzen in den Ergebnissen. Bereits 1963 konnte gezeigt werden, dass eine Arbeits-insuffizienz des Herzens sich spiroergometrisch bereits früh, also im submaximalen Bereich, durch ein überhöhtes Atemäquivalent zeigt (Hollmann u. Hettinger 2000).

Zahlreiche weitere Verfahren zur Leistungsbeurteilung oder zur nichtinvasiven Bestimmung des aerob-anaeroben Übergangs wurden in der Folgezeit beschrieben, zumeist aus der Sportmedizin. In den meisten wird der Begriff der „Schwelle“ benutzt, der letztendlich irreführend ist, beschreibt der Begriff „Schwelle“ doch eine punktuelle Grenze, während es sich in der Realität um einen mehr oder weniger breiten Übergangsbereich handelt, der vor allem indivi-duell zu interpretieren ist.

Unschärfen liegen in jeder Methode aus physiologischen Gründen und sind unvermeidlich. So beträgt beispielsweise unter standardisierten Bedingungen die Schwankungsbreite der Herzfrequenz für eine gegebene Belastungsstufe im submaximalen Bereich +/–5 Schläge/min (Hollmann u. Hettinger 2000). Auch liegt bei individuell signifikant unterschiedlicher Laktattoleranz mit Mader-„Schwellen“ zwischen 3,5 und 5,0 mmol/l eine erhebliche Spannweite im inter-individuellen Vergleich. Die 4,0-mMol-Schwelle ist somit eine statistische Näherungsgröße, die nur für große Kollektive zutrifft. So gesehen ist ein Korrelationskoeffizient von 0,75, wie von Funke et al. (2011) angegeben, im Gegensatz zur Einschätzung der Autoren sogar relativ hoch. Allerdings ist die Aussagefähigkeit der von den Autoren verwendeten Methode begrenzt. Es wäre vorteilhaft gewesen, die Stärken von Bland-Altmann-Plots und des Maloney-Rastogi-Tests mit ihren im Methodenvergleich erheblich valideren Ergebnissen zu nutzen. Dessen ungeachtet kann von einem Ergebnis, das mit der Mader-Schwelle, also einem Verfahren, das nur für große Kollektive sichere Aussagen liefert, nicht auf ein Individuum rückgeschlossen werden. Ein solcher Rückschluss aus einem Kollektiv auf ein Individuum (und damit eine individuelle Leistungsbeurteilung) ist aus mathematisch-statistischen Gründen eigentlich sogar verboten!

Immer wieder, so auch von Funke et al. (2011), wird die Frage aufgeworfen, ob die Mader-Schwelle überhaupt für ein Patientenkollektiv anwendbar sei. Diese Frage ist aufgrund physiologischer Überlegungen in der Theorie leicht zu beantworten, indem man jeweils den vermutlich leistungslimitierenden Faktor identifiziert. Solche Überlegungen sollen natürlich nicht die noch ausstehenden Untersuchungen zur Methodenvalidierung ersetzen.

Im Falle, dass die kardiopulmonal oder hämatologisch bedingten Faktoren als leistungslimitierend erwartet werden, kann die Maderschwelle dann angewendet werden, solange die individuelle ischämische Schwelle bei Pulsfrequenzen von 140/min oder darüber liegt oder das Stadium NYHA II/CCS II nicht überschritten ist. Bei diesen Patienten liegen kardiopulmonal alle Voraussetzungen vor, dass in der Belastungsuntersuchung die Mader-Schwelle sicher überschritten werden kann.

Liegt die Limitierung im Bereich des Sauerstofftransports (Hämo-globinmenge, z. B. bei Anämie), so kann die Mader-Schwelle in jedem Fall benutzt werden. Aufgrund der limitierten Sauerstofftrans-portkapazität und der dadurch eingeschränkten Leistungsfähigkeit wird die Schwelle deutlich schneller erreicht als bei Normalperso-nen, wobei allerdings weitere Einflussfaktoren, wie ein ausreichender Hydratationszustand der untersuchten Person, zu beachten sind: Bereits 2 % Verlust an Körperwasser führen zu einer signifikanten Leistungseinbuße und nur zwei Flaschen Bier am Vorabend führen zu einer Minderung der Ausdauerleistung am Folgetag (!) um 10–15 %.

Liegt die Limitierung in der Peripherie, so kann die Mader-Schwelle in jedem Falle benutzt werden, weil die periphere Ermüdung und damit der Laktatanstieg über 4 mmol/l vor der kardio-pulmonalen Leistungsgrenze oder der zentralen Ermüdung einsetzt. Vor diesem Hintergrund muss auch die Aussage von Funk et al. (2011), dass aufgrund von Trainingsmangel und muskulärer Erschöpfung die Dauerbelastungsgrenze nicht erreicht werden kann, hinterfragt werden. Es stellt sich die Frage, wie die Autoren hier die Dauerbelastung definieren, denn gerade bei Trainingsmangel und muskulärer Erschöpfung erreicht der Laktatanstieg in jedem Fall und zwar signifikant früher als bei normalem oder gutem Trainingszustand die Mader-Schwelle – und zwar völlig unabhängig von den von den Autoren diskutierten möglichen Limitierungen durch Atemwegserkrankungen (Übersicht in Hollmann u. Hettinger 2000). Die Dauerleistungsgrenze liegt bei derart schlecht trainierten Personen eben drastisch tiefer als bei Trainierten. Dessen ungeachtet muss betont werden, dass nach wie vor alle leistungsphysiologischen Studien und Verfahren praktisch ausschließlich die maximale Sauerstoffaufnahme im Fokus haben und die Ökonomie des peripheren Sauerstoffumsatzes weitgehend ignorieren. Hier sei insbesondere auf die bislang noch selten in die Betrachtungen einbezogene periphere Sauerstoffutilisation auf mitochondrialer Ebene aufmerksam gemacht. Diese Ebene, die natürlich ebenfalls ein Grund für eine Leistungslimitierung sein kann, wird aus methodischen Gründen aus fast allen Untersuchungen und Betrachtungen ausgeschlossen, denn es gibt aktuell vermutlich nur drei Personen weltweit, die Messungen zum Sauerstoffumsatz auf dieser Ebene, wo sich der pO2 schon physiologisch nahe Null bewegt, mit ausreichender Genauigkeit durchführen können.

Problematisch erscheint ebenfalls die Anwendung bei den zum Glück seltenen Rückenmarksleiden. Hier wird der Untersucher eine „zentrale“ (neurogene) Ermüdung registrieren, die vor der peripheren Ermüdung und vor Erreichen der Maderschwelle erreicht wird, wobei betont werden muss, daß kein einziges leistungsdiagnostisches Verfahren jemals auf seine Anwendbarkeit bei solchen Patienten validiert worden ist.

Konsequenzen für die Praxis

Bei aller sachlicher Kritik an der mehrfach zitierten Publikation von Funk et al. (2011), die nur als stellvertretend für zahlreiche andere Arbeiten an dieser Stelle heran gezogen wurde, muss eines jedoch ganz klar betont werden, nämlich die enorme Relevanz des Fazits der Autoren, der völlig uneingeschränkt zuzustimmen ist: In der arbeits- bzw. sozialmedizinischen sowie gutachterlichen Leistungsuntersuchung (z. B. zu gutachterlichen Fragestellungen zahlreicher Berufserkrankungen wie Bk 4101, Bk 4103 usw.) ist die Erfassung der kompletten leistungsphysiologischen Achse, beginnend bei den statischen und dynamischen Lungenfunktionsparametern über den Gasaustausch in der Lunge, den Sauerstofftransport (Hb-Wert) bis zum Sauerstoff- und Energiestoffwechsel in der Zelle und damit z. B. dem Laktat, absolut unabdingbar. Ergänzen sollte man jedoch, dass die Dateninterpretation einem erfahrenen Untersucher mit umfangreichen leistungsphysiologisch-internistischen Kenntnissen vorbehalten ist, der als Kliniker die gewonnenen Erkenntnisse in ein dem Betroffenen gerecht werdendes Gesamtbild zusammen fügen kann. Nur so kann erkannt werden, auf welcher Ebene eine mögliche Leistungslimitierung liegt und welche Konsequenzen – wenn überhaupt – diese für den Betroffenen hat. Nicht zuletzt kann auch nur so ein Rentenbegehren sicher von berechtigten Ansprüchen abgegrenzt werden! Umgekehrt können auch die Fälle erfasst werden, die unbedingt eine Tätigkeit weiter ausüben wollen, objektiv dazu aber nicht (mehr) in der Lage sind (z. B. Berufstaucher). Vor diesem Hintergrund ist die Aussagekraft der meisten entsprechenden Gutachten oder Leistungseinschätzungen allenfalls als unzureichend einzuschätzen.

Es muss ausdrücklich davor gewarnt werden, den Ergebnissen einer Leistungsuntersuchung ohne die notwendige kritische Distanz gegenüber zu stehen und dann möglicherweise allein darauf gutachterliche Empfehlungen abzugeben! Wie jeder andere Laborwert auch muss das Ergebnis unbedingt in ein klinisches Gesamtbild passen. Dazu müssen immer, also nicht nur bei unerwarteten Abweichungen (eine solche kann einen eigentlich „pathologischen“ Wert auch in Richtung Normbereich verschieben und damit Normalität vortäuschen!), sowohl die Messsituation an sich als auch der Patient bzw. Proband in seiner aktuellen Situation hinterfragt werden.

Zur Messsituation gehören vor allem bekannte – meist negative – Einflussfaktoren wie Raumtemperatur, Luftfeuchtigkeit, gleiches Un-tersuchungsverfahren (Vorsicht beim Vergleich von Ergebnissen, die mit verschiedenen Verfahren wie Laufband- und Fahrradergometrie ermittelt wurden, trotz der von Hollmann et al. 2000 publizierten Umrechnungsformel!), Tageszeit (zirkadianer Rhythmus!), Aufwärmen vor der Untersuchung, nicht angegebene Medikamente und Genussmittel (z. B. Drinks mit Koffein in hoher Konzentration) u. v. a. Aber auch der sachlich-kritischen Betrachtung des Probanden kommt eine erhebliche Bedeutung zu. Sie beginnt mit der Überlegung, wo denn die Interessenslage des Probanden liegen könnte. So wird ein Pilot oder ein Berufstaucher alles tun, um eine möglichst gute Leistung zu zeigen, auch wenn dies mit Mitteln erreicht wird, die eine höhere Leistungsfähigkeit vortäuschen, als eigent-lich erbracht werden kann. Ein optimaler Erholungsszustand, Auf-wärmen vor dem Test (möglicherweise vor Betreten der Praxis, also ohne dass es Arzt oder Personal bekannt ist) und „Karboloading“ durch entsprechend über mehrere Tage aufeinander abgestimmte Belastung und Ernährung wären noch „legale“ Methoden. Die Kandidaten schrecken aber auch vor „illegalen“ (diese Begriffe sind an dieser Stelle nicht im juristischen Sinne zu verstehen, ein Gesetz gibt es dazu nicht) Verfahren zurück, die im Leistungssport unter die Dopingregeln fallen würden. Dazu zählt im einfachsten Falle die kurzfristige Anwendung bestimmter Asthmasprays (z. B. Clenbuterol), die schon beim Gesunden eine mäßige, bei Vorerkrankungen aber eine erhebliche Leistungssteigerung ermöglichen können.

Viel effektiver für eine akute Messsituation (kaum effektiv für einen länger dauernden Wettkampf, weil die Halbwertszeit zu kurz ist) ist das in arbeitsmedizinischen Kreisen noch kaum, in der Sport-medizin dafür um so besser bekannte „Soda-Loading“ („Bikarbonat-Loading“), das auch noch nicht von den WADA-Antidopingregeln erfasst wird: Die einmalige Aufnahme von 0,5 g/kg KG Natriumbikarbonat etwa 90 Minuten vor einer Maximalbelastung führt zu einem Leistungszuwachs von bis zu 27 % – und das bei minimalem Risiko von Nebenwirkungen (leichte Übelkeit, Durchfall, Reizbarkeit)! Ein ähnlicher Effekt wird erzielt, wenn eine gleiche Dosis in 4 Einzeldosen über 6 Tage eingenommen wird. Auch wenn, was ja nicht immer der Fall ist, bei der Leistungsuntersuchung eine Blut-gasanalyse auf jeder Belastungsstufe durchgeführt wird, ist ein sol-ches Soda-Loading nur ganz schwer zu erkennen, weil die Alka-lose unter Belastung metabolisch kompensiert wird. Allenfalls die kritische Betrachtung der Ausgangswerte – insbesondere des Bikarbonats – durch einen sehr erfahrenen Untersucher kann hier Hinweise liefern.

Bewusste oder unbewusste kurzfristige Umstellung der Ernäh-rung kann einen erheblichen Einfluss auf die Messergebnisse der Belastungsuntersuchung haben. So ist die leistungssteigernde Wir-kung von Koffein seit Jahren bekannt, auch wenn die Substanz kürz-lich von der WADA Dopingliste wieder gestrichen wurde. Hält sich die Aufnahme durch einigermaßen übliche Mengen an Kaffee und damit der Einfluss auf leistungsphysiologische Untersuchungen noch in Grenzen, so ist eine massive Aufnahme durch sog. Nahrungsergänzungsprodukte ein Leichtes ( Abb. 1). Eine ähnliche Wirkung auf die Leistungsphysiologie wäre mit Theophyllin zu erzielen, wobei dieser Effekt schon in Dosen erreicht wird, die noch keine Tachykardie, Diurese und andere bekannte Nebenwirkungen der Substanz verursachen.

Ähnlich leicht ist es, bei entsprechender Interessenlage eine kurz-fristige erhebliche Leistungssteigerung durch die orale Aufnahme von Kreatinphosphat herbei zu führen. Dieses ist ebenfalls Bestandteil zahlreicher Nahrungsergänzungsmittel und bei deren Aufnahme würde sich ein Kandidat noch nicht einmal eines Betrugsversuches z. B. im Rahmen einer Begutachtung schuldig machen, denn derartige Nahrungsergänzungsmittel werden von keinem staatlichen oder nichtstaatlichen (z. B. NADA/WADA) Verbot erfasst. Allerdings muss aufgrund der relativ kurzen Halbwertszeit der Substanz die Einnahme zeitnah zur Leistungsuntersuchung erfolgen, was denjenigen, der manipulieren will, vor logistische Probleme stellt. Da derzeit noch kein valides Verfahren allgemeinverfügbar ist, derartige Manipulationen zu erfassen, ist hier der erfahrene Kliniker und Diagnostiker umso mehr gefordert, ein widerspruchsfreies klinisches Gesamtbild zu erarbeiten. Gelingt dies nicht, kann es ein Hinweis auf eine Manipulation sein.

Interessierten Kandidaten stehen detaillierte Informationen zur Leistungsbeeinflussung durch diverse Medikamente auf einschlägigen Homepages jederzeit zur Verfügung. So sind Phosphordiesterasehemmer wegen ihrer leistungssteigernden Wirkung „in“. Dieser Effekt macht sich in Normoxie/Meereshöhe bei gesunden Probanden zwar nur wenig bemerkbar, ist gerade bei kardiopulmonalen Erkrankungen jedoch von enormer Effektivität. Es gibt „Spezialisten“ unter den Probanden, die vom zumeist benutzen Sildenafil auf Tardalafil ausweichen. Da ihnen im Einzelfall nicht genau bekannt ist, wann die Belastungsuntersuchung am Untersuchungstag stattfindet und die Substanzen wegen der Anflutungsphase mindestens 15–30 Minuten vor der gewünschten maximalen Wirkung eingenommen werden müssen, ist die 11-stündige Halbwertszeit von Tardalafil im Vergleich zur 4-stündigen des Sildenafils hinsichtlich der Zeitplanung bei dieser Art des Missbrauchs ein „Sicherheitspolster“.

Natürlich kann der Proband bei entspre-chend umgekehrter Interessenslage seine Leistungsfähigkeit in der Untersuchung auch in seinem Sinne negativ beeinflussen. Eins der einfachsten Verfahren wäre eine möglichst ausgedehnte Belastung im Bereich der aktuellen persönlichen Belastbarkeit möglichst kurz vor der Untersuchung. Hierdurch werden die Kohlenhydratspeicher geleert, die Pufferkapazität vermindert und – wenn auch mit geringerem Effekt – die Blutviskosität erhöht. Letzteres kann besonders effektiv gestaltet werden, indem man noch einen Saunabesuch ergänzt. Alle diese Faktoren wirken dann synergistisch im Sinne des Probanden und sind nur für den erfahrenen Untersucher überhaupt zu erkennen. Zahlreiche andere „legale“ wie „illegale“ Verfahren stehen dem informierten Probanden zur Einflussnahme leicht zur Verfügung.

Nicht zuletzt sollte in Betracht gezogen werden, dass Probanden unbewusst zu ihrem Nachteil die Leistungsuntersuchung beeinflussen. Es ist bekannt, dass etwa 40 % der Medizinstudenten unter Betablockereinnahme ins Examen gehen, um den Stressfaktor zu senken. Aus diesem Grund ist diese Substanzgruppe für bestimmte Sportarten (z. B. Schützen) als Dopingmittel verboten. Nun steht aber auch ein Proband, der gutachterlich untersucht werden soll, je nach Interessenslage unter massivem Stress. Zahlen gibt es keine, aber es wäre zumindest denkbar, dass er analog zu den Studenten vorgeht und gerade dadurch die Leistungsuntersuchung indirekt mit beeinflusst. Das wäre im Falle, dass er unbedingt gute Leistung erbringen will, wegen der signifikanten Reduktion der maximalen Herzfrequenz zu seinem Nachteil und umgekehrt – was in der Praxis viel häufiger anzutreffen sein dürfte – von Vorteil, wenn eine niedrigere Leistung für ihn einen Vorteil beispielsweise bei Rentenbegehren bedeuten würde. Dieser „klassische“ sportmedizinisch-leistungsphysiologische Ansatz ist aber noch weitaus komplizier-ter: Sollte es sich um einen älteren Patienten mit – möglicherweise dem Untersucher (noch) nicht bekannter oder klinisch (noch) nicht relevanter – koronarer Herzerkrankung handeln, würde die Einnahme von Betablockern wegen der Optimierung des myokardialen Sauerstoffumsatzes für diesen Probanden eine Leistungssteigerung bedeuten – die er je nach Interessenslage vermutlich nicht einkalkuliert hat.

Der Blick in die WADA Liste der verbotenen Substanzen, die natürlich auch jedem Probanden ebenso zur Verfügung steht wie einschlägige Internetseiten, bietet auch für die kurzfristige Leistungsbeeinflussung zahlreiche weitere Möglichkeiten. Man sollte als Gutachter nicht so naiv sein zu glauben, dass diese Verfahren, die oft spezifische Sachkenntnisse erfordern, bei entsprechender Interessenlage nicht im Einzelfall zur Anwendung kommen! So ist das parenterale Karboloading mit einer Kombination aus Kohlen-hydraten und Insulin – natürlich als Doping im Sport verboten – ein zwar nicht ungefährliches, jedoch ziemlich einfach durchzuführendes Verfahren, sogar für den „engagierten“ medizinischen Laien! Gleiches gilt für Substanzen aus der Amphetamingruppe, die, wie die Metamphetaminproblematik als eines der inzwischen häufigsten Suchtmittel zeigt, relativ leicht zu beschaffen sind und die durchaus auch kurzfristig signifikante Einflüsse auf die Leistungsfähigkeit haben. Die Betroffenen fallen dem aufmerksamen Untersucher am ehesten durch die psychischen Nebenwirkungen auf. Bereits bei geringstem Verdacht sollte ein Drogenscreening in das Untersuchungsverfahren eingeschlossen werden.

Schlussfolgerungen

Es sollte allen Untersuchern und insbesondere Gutachern bewusst sein, dass die korrekte, faire Leistungsbeurteilung eines Menschen ein höchst diffiziler, in mancher Hinsicht „filigraner“ Prozess ist. Eine Ergometrie durch die Helferin in Abwesenheit des Arztes, und weil man Angst vor Zwischenfällen hat, nur bis zu Pulsfrequenzen von 130/min oder nur bis 100 W – alles in jüngerer Vergangenheit in Gutachten vorgefunden! – ist fernab vom Goldstandard! Eine korrekte Leistungsuntersuchung muss den Probanden in jedem Falle an eine objektive Grenze eines zuvor definierten objektiven Abbruchkriteriums bringen, sonst ist eine korrekte Aussage nicht möglich.

Das Ergebnis einer solchen Untersuchung muss höchst sorgfältig im Rahmen des Gesamtbildes unter Berücksichtigung der Interessenlage des Probanden und seiner möglichen bewussten oder unbewussten Einflussnahme und unter Berücksichtigung der Limits und der teilweise fehlenden Validierung der Verfahren interpretiert werden.

Es sollte im Einzelfall überlegt werden, verschiedene Verfahren geschickt miteinander zu kombinieren, um die jeweiligen Schwächen aufzufangen. In jedem Fall ist eine detaillierte Anamnese, durchaus auch mit „versteckten“ Fragen zum Substanzkonsum und anderen oben beschriebene Vorgehensweisen, die Einfluss auf das Untersuchungsergebnis haben könnten, geboten. Dabei ist der detailliert, geschickt und hartnäckig fragende Untersucher im Vorteil – man vergesse nicht, dass ein Gutachten durchaus auch als mentaler Wettkampf zwischen Proband und Untersucher interpretiert werden kann.

Genügt es für die „übliche“ klinische Situation (z. B. G 26, Diagnostik der koronaren Herzkrankheit usw.) durchaus, über erweiterte Grundkenntnisse in Belastungsuntersuchungen zu verfügen, so reichen solche Kenntnisse weder zur Betreuung im Leistungssport noch für gutachterliche Fragestellungen – beides Situationen bei denen erhebliche finanzielle Konsequenzen von der Untersuchung abhängen! – nicht aus. Wie zahlreiche Gutachtenakten der letzten Jahre gezeigt haben, ist diese Forderung flächendeckend nicht erfüllt und bis es soweit ist, ist der Autor optimistisch, dass es ihm ein Leichtes wäre, eine eigene Begutachtung nahezu beliebig in seinem Sinne beeinflussen zu können. Es wäre zu wünschen, dass sowohl die individuellen Kenntnisse als auch die Verfahren an sich mit der gebotenen Bescheidenheit und kritischen Distanz betrachtet würden.

Literatur

Draeger H: Über das Verhalten der Milchsäure im arteriellen Blut im Bereich der Dauerleistungsgrenze bei Gesunden. Köln: Deutsche Sporthochschule, 1962

Funk M, Arhelger R, Brandt-Younis S, Schneider J: Laktatbestimmungen zur arbeits- und sozialmedizinischen Abschätzung des körperlichen Restleistungs-vermögens bei Patienten mit Atemwegs- und Lungenkrankheiten. Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2011; 46: 656–661.

Gronimus B:. Validierung der Borg Skala zur subjektiven Belastungseinschätzung in mittlerer und großer Höhe. Aachen: Institut für Arbeits- und Sozialmedizin, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH), 2011.

Hartung M, Ventrath H, Hollmann W, Isselhardt W, Jaeckner D: Über die Atmungsregulation unter Arbeit. Köln-Opladen: Westdeutscher Verlag, 1966.

Hollmann W: Arbeitsbericht über das Institut für Kreislaufforschung und Sport-medizin. Köln, 1960.

Hollmann W, Hettinger T: Sportmedizin, Grundlagen für Arbeit, Training und Präventivmedizin. Stuttgart: Schattauer, 2000.

Keul J, Doll E, Steim H, Fleer U, Reindell H: Über den Stoffwechsel des Herzens bei Hochleistungssportlern. Z Kreislaufforsch 1966; 55: 477–488.

Keul J, Doll E, Steim H, Fleer U, Reindell H: Über den Stoffwechsel des mensch-lichen Herzens III. Der oxydative Stoffwechsel des Herzens unter verschiedenen Arbeitsbedingungen. Pflugers Arch Gesamte Physiol Menschen Tiere 1965; 282: 43–53.

Knipping HW, Manerieff A: Ventilatory equivalent for oxygen. Quart J Med 1932; 1: 17.

Verfasser

Prof. Dr. med. Thomas Küpper

Institut für Arbeits- und Sozialmedizin

RWTH Aachen – Pauwelstraße 30

52074 Aachen

tkuepper@ukaachen.de

Fußnoten

Institut für Arbeits- und Sozialmedizin, RWTH Aachen (Direktor: Prof. Dr. med. Thomas Kraus)