Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Schwerpunkt

Arbeiten nach dem Burnout

Ausgangslage

Nach den aktuellen Zahlen des Robert Koch-Instituts wurde bei 4,2 % der repräsentativ befragten Deutschen bereits einmal im Leben ein Burnout von einem Arzt diagnostiziert. Die offizielle Diagnose lautet dabei „Erschöpfungsdepression“ oder „Anpassungsstörung“. Viele der Betroffenen sind für mehrere Wochen krankgeschrieben. Nach der akuten Krise regt sich bei fast allen der Wunsch nach einem beruflichen Neuanfang. Dabei drängen sich Fragen auf: Werde ich den Anforderungen im Beruf überhaupt wieder gewachsen sein? Wird das Unternehmen mich dabei unterstützen? Oder bin ich gebrandmarkt und bereits auf einer Art „Abschussliste“. Wie verhindere ich eine erneute Erschöpfung?

Neustart nach Burnout

Ob Manager oder Berufsberaterin (s. Fallbeispiele), ob Wiedereingliederung im bekannten Unternehmen oder Neustart in einer neuen Firma: Wer ein Burnout erlebte, muss sich beim Wiedereinstieg in den Beruf sowohl mit den Arbeitsstrukturen als auch mit seiner persönlichen Haltung zur Arbeit beschäftigen. Denn eines hat die Krise klar gezeigt: So wie zuvor können der Arbeitsalltag und berufliche Anforderungen aller Art nicht mehr angepackt werden. Der Stresspegel war zu hoch, die Erkrankung die Folge.

Auf der Seite der Persönlichkeit haben sich dabei verhaltenstherapeutische Maßnahmen als hilfreich erwiesen: „In der Therapie geht es vor allem darum, zu lernen, wie der Stress im eigenen Leben reduziert und die Fähigkeit zur Regeneration ausbaut werden kann“, erklärt Ulrike Peter, Diplompsychologin und Verhaltenstherapeutin (s. auch Peter u. Peter 2013). Vor dem Zusammenbruch dachten die meisten Betroffenen beispielsweise, der Stress käme von außen – und sie könnten nichts daran ändern, sie seien dem Druck hilflos ausgeliefert. Doch in der Therapie stellen sie fest, dass sie selbst es mit ihrem Verhalten und ihrem Arbeitsethos sind, die den Stressmotor ordentlich anheizen. Ein Schock – und ein Vorteil. Denn wer selbst sein größter Stressor ist, kann auch selbst viel dafür tun, dass das Leben ruhiger wird und der persönliche Rhythmus von An- und Entspannung wieder in die Balance kommt. Wichtig ist zu lernen, sich besser abzugrenzen und Fehler nicht mehr als Katastrophe zu werten. Die Entwicklung von übergeordneten Werten wie Fairness oder Beziehung halten davon ab, in Zukunft dem Wert „Leistung“ das gesamte Leben unterzuordnen.

Kraftquellen entdecken

Ein wichtiger Aspekt der Therapie sei die Besinnung auf Kraft- und Energiequellen, erklärt Psychologin Peter. Erholungsphasen sind im Vorlauf auf das Burnout oft völlig untergegangen. Die Erinnerung an das, was früher Spaß und Freude bereitet hat, und die Auswahl einer Tätigkeit, die während einer Übungswoche ganz praktisch geübt werden soll, sind wichtige Schritte einer Verhaltenstherapie. „Die Betroffenen sind zunächst häufig skeptisch. Dann berichten sie ganz erfreut, dass diese Aktivität ihre Stimmung für den gesamten Tag verbesserte“, sagt Peter. Dem Unternehmensberater und Manager Sebastian W. wurde im Rahmen seiner Genesung klar, dass Freundschaften für ihn Kraftquellen sind – dass diese aber nur zur Verfügung stehen, wenn ihnen Zeit gewidmet wird, um sie aufzubauen und zu pflegen. Die Berufsberaterin Sibylle H. erinnerte sich an ihre Liebe zu Kreativität und Natur. Waldspaziergänge und künstlerisches Tun haben seitdem einen festen Platz in ihrem Wochenplan.

Viele Betroffene entdecken Yoga und Meditation für sich. Diese Übungen helfen, ganz bewusst Abstand von einem gestressten inneren Sein zu nehmen und Ruhe zu erleben. „Das Wichtigste ist, das neue Verhalten dauerhaft einzuüben“, weiß Peter. Ehemals Betroffene, denen dies gelingt, erleiden seltener einen Rückfall.

Aber natürlich ist es mit der persönlichen Stressprophylaxe nicht getan. Ein Burnout entwickelt sich immer im Spannungsfeld zwischen Anforderungen von außen und den inneren Veranlagungen im Umgang mit Belastungen, Anforderungen, Unsicherheiten und Druck.

Unternehmenskultur ist für die Prophylaxe wichtig

Unternehmen mit einer Managementkultur, die stets das Höher, Schneller, Weiter proklamiert, schrauben den Stresspegel automatisch nach oben. Vor allem Personen, die von sich aus ein sehr starkes Leistungsmotiv mit sich bringen, lassen sich von solchen Managementmethoden leicht dazu verleiten, ständig über ihre Grenzen zu gehen – auch und sogar wider besseres Wissen. Der Arbeitswissenschaftler Andreas Krause von der Fachhochschule Nordschweiz prägte für dieses Phänomen den Begriff „interessierte Selbstgefährdung“ und erklärt: „Je mehr die eigene Arbeit am Erfolg gemessen wird, an der Erreichung von Zielen, an Kennziffern, an der Überbietung von Benchmarks, desto mehr kommt es zur interessierten Selbstgefährdung“ (Krause 2009).

Insofern kann der Arbeitgeber viel dafür tun, den Stresspegel der Beschäftigten nicht unnötig nach oben zu schrauben. Klare und realistische Zielvorgaben sowie eine Führungskraft, die ansprechbar ist und nötigenfalls bei der Korrektur von Zielen hilft, senken beispielsweise das Potenzial für Dauerstress. Eine Kultur der sozialen Unterstützung und das Sprechen über Belastung und Überlastung stärken die Mitarbeiter. Kurz: Eine partnerschaftliche Führungskultur, die Mitarbeitern Handlungsspielraum bietet, sie aber bei Problemen nicht alleine lässt, ist für die Psyche gesundheitsförderlich. Solch eine Arbeitskultur schützt auch Personen, die nach einer Krise in den Beruf zurückkommen, vor einem Rückfall. Wenn die Unternehmenskultur darauf ausgerichtet ist, dass alle gute Arbeit machen und durchaus auch hohe Anforderungen erfüllen, aber Dauerstress vermeiden, ist es sehr viel leichter, die neu gelernten persönlichen Verhaltensweisen im Arbeitsalltag zu leben. Es sollte beispielsweise normal sein, dass durch eine kurze Rücksprache mit dem Chef die Prioritäten geklärt werden können, wenn zusätzliche Aufgaben zu übernehmen sind. Und es ist sollte selbstverständlich sein, dass sich Teammitglieder gegenseitig unterstützen, statt in Konkurrenz zueinander zu arbeiten.

Herausforderung Rückkehr in den Beruf

Dennoch stellt auch im „perfekten“ Unternehmen die Rückkehr in den Beruf für alle Burnout-Betroffenen einen der größten Schritte auf dem Weg zurück in den Alltag dar. Spätestens hier befürchten sie, wieder in alte Muster zu verfallen – und auch von außen genötigt zu werden, wieder über ihre persönlichen Grenzen zu gehen. Die stufenweise Wiedereingliederung nach dem so genannten Hamburger Modell hat sich in den letzten Jahren als besonders günstig erwiesen. Die Rückkehrer können im Rahmen dieses Modells in den Wochen der Wiedereingliederung ihre Arbeitszeit stufenweise ausbauen und sich so Stück für Stück wieder ins Arbeitsleben einfügen. Während der Wiedereingliederung sind die Mitarbeiter offiziell noch krankgeschrieben. Dieser Status gibt ihnen die Freiheit der flexiblen Stundenwahl.

Der Arbeitsmediziner kann hier eine zentrale Rolle als Moderator und Aufklärer einnehmen, so Olaf Tscharnezki, Betriebsarzt bei Unilever Deutschland. Er weiß, dass es bei Führungskräften oft Unsicherheiten im Umgang mit psychisch erkrankten Mitarbeitern gibt. Er gibt seinen Führungskräften eine ganz einfache Faustregel an die Hand: „Mitarbeiter wünschen sich von einer Führungskraft etwas ganz Einfaches. Und sie wünschen sich die schlichte Frage: Was kann ich dafür tun, dass Dir Deine Arbeit leichter fällt? Also, dass die Führungskraft wirklich zuhört, mit dem Willen, zu verstehen, was los ist. Und dann eine Entscheidung zu treffen und diese Entscheidung auch mitzuteilen und dann auch darauf zu drängen, dass entsprechend gehandelt wird.“

Der richtige Zeitpunkt ist wichtig für den Erfolg der Wiedereingliederung

In Bezug auf die Sorge, dass solch ein Gespräch sehr schwierig sei, reagiert Tscharnezki ebenso erfrischend pragmatisch: „Eine gute Vorbereitung auf das Gespräch nützt. Es ist nützlich, innerlich vorher ein paar Szenarien durchzuspielen, sich Formulierungen zu überlegen, sich einen kleinen Plan zu machen. Und vor allem sich zu überlegen: Was will ich überhaupt in diesem Gespräch erreichen?“ (zit. aus Kleinschmidt et al. 2011).

Hans Dieter Gimbel ist systemischer Berater und begleitet seit vielen Jahren Menschen bei der Wiedereingliederung. Er checkt gemeinsam mit Klienten, die über eine Rückkehr in den Job nachdenken, wie kraftvoll sich sein Klient in Bezug auf einen beruflichen Alltag fühlt. Dazu bittet er seine Klienten im Coaching, sich einen Akku vorzustellen, an dem ein grünes Lämpchen für viel und ein rotes für wenig Energie leuchtet. Dazwischen gibt es alle Nuancen. „Die Menschen haben ein sehr gutes Gefühl dafür, was ihr Akku gerade anzeigt“, sagt Gimbel. Manchmal wird schnell deutlich, dass der richtige Zeitpunkt für eine Rückkehr in den Beruf noch nicht gekommen ist, sondern eher der Verstand mahnte, wieder loszulegen. Dann geht es darum zu überlegen: Wie komme ich weiter zu Kräften? Denn der erste Schritt zurück in den Betrieb macht erst Sinn, wenn der Energie-Akku im grünen Bereich liegt. Dann gilt allerdings ganz klar die Devise: Raus aus der Opferrolle. „Die Klienten müssen wissen: Was möchte ich? Und was kann ich selbst dafür tun, damit es so läuft, wie ich es mir wünsche?“, sagt Gimbel (zit. aus Kleinschmidt 2016).

Wege aus der Opferrolle

Dass die Gespräche mit der Führungskraft, der Personalabteilung, dem Arbeitsmediziner und später auch mit den Kollegen auf Augenhöhe stattfinden, ist die Basis für die gute Rückkehr in den Job. Denn nur so können Betroffene der Situation souverän begegnen, zugleich selbstbestimmt und kooperativ handeln. “Auf beiden Seiten gibt es Unsicherheiten, die nicht vorschnell als Ablehnung interpretiert werden sollten“ erklärt Gimbel. Nach der Wiederaufnahme der Tätigkeit gilt es, die eigene Energie im Blick zu behalten. Rutscht der Akku in den roten Bereich? Falls ja, hilft die Frage: Was könnte mir helfen, wieder in Richtung Grün zu kommen? Was belastet mich, und wie kann ich das verändern? Sind meine Schritte zu groß oder vielleicht zu klein? Wer könnte mir helfen? „Wenn der Klient wirklich in den Job zurück möchte und zugleich weiß, was er verändern muss, funktioniert die Wiedereingliederung oft gut“, sagt der Berater. Aus den anfänglichen Stunden oder halben Tagen werden nach und nach ganze Tage und volle Wochen. Nach zwei bis drei Monaten ist die Wiedereingliederung i.d.R. abgeschlossen.

Langfristige Veränderungen

Ob größere Veränderungen im Beruf nötig sind, d.h. der Job vielleicht wirklich nicht zu den eigenen Fähigkeiten und Veranlagungen passt, zeigt sich oftmals erst etwas später, beobachtet beispielsweise der Berliner Coach Thomas Hohensee, der viele Klienten auch noch Jahre nach der akuten Krise begleitet. „Besonders bei Menschen, die zuerst mit kleinen Anpassungen wieder in ihren alten Beruf oder Bereich zurückgingen, kann nach einer Weile das Bewusstsein entstehen: Die Strukturen hier passen nicht mehr zu mir. Es ist für mich zu kraftaufwändig, in diesem System ein gesundes Arbeiten zu verteidigen. Ich will hier raus“ (Hohensee 2015). Im besten Falle fühlen sie sich zu diesem Zeitpunkt bereits wieder so gesund, dass sie eine größere Veränderung nun in kleinen Schritten und mit einer gewissen Gelassenheit anstreben können. So kann die Krise – auf lange Sicht – der Anstoß zu einer sinnvollen beruflichen Neuorientierung werden (s. auch Fallbeispiel 3).

Radikale Veränderungen sind die Ausnahme

Entgegen den Geschichten vom großen beruflichen Umschwung nach dem Burnout, von denen in Magazinen und TV-Formaten so oft die Rede ist, sind jedoch solch radikale Wechsel eher die Ausnahme. Studien zeigen, dass beispielsweise in der Bankenbranche nur etwa zwei Prozent der Mitarbeiter, die von einem Burnout betroffen waren, die Branche wechseln. Einen Wechsel des Berufs oder der Branche empfinden viele als zu große Verunsicherung nach einer Krise, die ihnen wortwörtlich den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Die meisten Burnout-Betroffenen kehren in ihre vertraute Branche und ihren Betrieb zurück. Und wenn alles gut läuft, fassen die Mitarbeiter auch wieder Fuß im Job. Und so mancher ehemals Betroffene wird im Unternehmen auf lange Sicht zu einem wertvollen Impulsgeber für eine gesündere Unternehmenskultur. Der Unternehmensberater Sebastian W. gibt heute beispielsweise seine Erfahrung in Trainings für junge Führungskräfte weiter. Neben dem Job-Know-how vermittelt er den Young Professionals auch etwas über das Wesen einer wirklich guten Karriere: „Es geht im beruflichen Erfolg nicht nur darum, wie man den schnellsten Aufstieg hinlegt. Es läuft eher wie in der Formel 1: Man muss die richtige Mischung aus Gas geben und Bremsen raushaben. Sonst haut es einen irgendwann aus der Kurve. So wie mich damals.“

Literatur

Hohensee T: Gelassenheit beginnt im Kopf: So entwickeln Sie einen entspannten Lebensstil. München: Knaur MensSana HC, 2015.

Kleinschmidt C: Burnout – und dann? Wie das Leben nach der Krise weiter geht. München: Kösel, 2016.

Kleinschmidt C, Penzlin D: Stress, psychische Belastung, Burnout – handeln bevor der Job krank macht. Bertelsmann Stiftung 2011 (kostenloser Download: psyga.info/ueber-psyga/angebote/hoerbuch/ ).

Krause A: Interessierte Selbstgefährdung. Sonderdruck aus Persorama 2009; 2: 94–97.

Peter M, Peter U: Burnout-Falle Lehrerberuf?: Infos, Tests und Strategien zum Vorbeugen, Erkennen, Bewältigen. Mülheim: Verlag an der Ruhr, 2013.

Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

    Fallbeispiel 1

    Veränderung nach einer Erschöpfungskrise

    Der Unternehmensberater und Manager Sebastian W. erlebte vor zehn Jahren eine Erschöpfungskrise. Dem heute 50-Jährigen gelang nach einer Auszeit von sechs Monaten der Wiedereinstieg in den Beruf. Noch heute ist er in der Beraterbranche beschäftigt, arbeitet gerne intensiv an Projekten, hat häufig lange Arbeitstage. Doch er hat durch die Krise auch gelernt, klare Grenzen zu setzen: „Ich achte heute darauf, auch mal nicht zu arbeiten, Freundschaften zu pflegen.“, sagt W. und fügt hinzu: „Nach dem Burnout wird das Leben nicht einfacher. Es bedarf einer Menge Lebensenergie und selbstgewählter Einsamkeit mit der eigenen Meinung, dem eigenen Standpunkt, um einen Sonntag wirklich zu genießen anstatt in einem Projekt wieder Vollgas zu geben.“

    Früher gehörte der Manager selbst zu denen, die immer auf dem Gas stehen. Als Mitarbeiter einer angesehenen Beraterfirma jettete der Unternehmensberater wie seine Kollegen fast unablässig um die Welt. Er entwickelte Konzepte, betreute Projekte und verantwortete beachtliche Budgets. Er war ein sehr gut beschäftigter und sehr gut verdienender Mann. „Ich wollte damals genau dieses Leben. Wir fühlten uns alle als Gewinner“, erinnert sich Sebastian W.

    Doch er erinnert sich auch an das abrupte Ende dieses Lebens. Bereits seit Monaten hatte er gespürt, dass etwas nicht stimmt. Die Kräfte ließen nach, er war ständig müde, fühlte sich erschöpft – und eines Tages fuhr er mit starken Brustschmerzen unter dem Verdacht auf einen Herzinfarkt in die Klinik. Diagnose: Überarbeitung und signifikante Erschöpfung. Erst nach sechsmonatiger Auszeit, vielen intensiven Gesprächen mit einem Coach und einigen Wochen im einsamen Outback Australiens fühlte er sich wieder innerlich stabil und gesund genug, um in seinen Beruf zurückzukehren. Allerdings wechselte er von dem Global Player zu einer mittelständischen Beratungsfirma. Doch bis heute bezeichnet er sich als latent gefährdet für einen Rückfall.

    Fallbeispiel 2

    Überlastung durch unrealistische Ziele

    Die Berufsberaterin Sibylle H. kostete die Krise sogar eineinhalb Jahre Berufsfähigkeit. In der Therapie erkannte die 47-Jährige, dass ihr großer Wunsch zu helfen sie in der Struktur einer Arbeitsagentur fast unweigerlich in die Überlastung geführt hatte: „Ich musste Selbstfürsorge üben, musste lernen, die Verantwortung für mich zu übernehmen und die anderen so zu lassen, wie sie sind“, erinnert sich die Berufsberaterin. Konkret bedeutet das: Sie musste lernen, Hilfe zur Selbsthilfe für ihre Klienten als das Ziel einer Beratung anzusehen. Und dass ihr Ziel, jeden in Arbeit zu bringen, unrealistisch ist. Zum einen aus Gründen der Struktur ihres Arbeitgebers, zum anderen aber auch aufgrund persönlicher Eigenschaften ihrer Klienten. Sie musste lernen, Pausen zu machen, wenn es für sie wichtig ist, auch wenn die Kollegen kein Verständnis haben. Sie musste erkennen, dass sie es nicht ändern kann, wenn manche Kollegen Handlungsspielräume nicht ausschöpfen: „Ich kann es nur selbst so machen, wie ich es richtig finde. Mir wurde und wird sehr viel Toleranz abgefordert. Das war die eigentliche ‚innere Arbeit’, die für meine Arbeitsfähigkeit ganz entscheidend war. Demut, Bescheidenheit und Dankbarkeit sind ganz wichtige Worte und Werte in meinem Leben geworden.“

    Die Berufsberaterin ist sich sicher, dass sie ohne die Unterstützung durch ihre Therapeutin und einen Coach des externen Beratungsservices, den ihr Unternehmen bezahlte, die Wiedereingliederung nicht geschafft hätte. Auf der anderen Seite war sie erstaunt, wie sehr ihr Arbeitgeber auf ihre Bedürfnisse einging. Im Wiedereingliederungsgespräch hatte sie sich für einen offenen Umgang mit ihrer Erschöpfungskrise entschieden: „Ich begann die Wiedereingliederung mit wenigen Stunden und wurde über zwei Monate wieder eingegliedert. Meine Teamleiterin hat außerdem dafür gesorgt, dass sich die Strukturen im Team ändern, damit ich einen anderen Kundenkreis und weniger Kunden bekomme. Das ist bis heute so. Davor muss ich meinen Hut ziehen. Ich hätte nie gedacht, dass man auf mich so eingeht und Rücksicht nimmt.“

    Fallbeispiel 3

    Maren M., 44, Marketingfachfrau und Mutter von drei Kindern, arbeitete Teilzeit in einer Agentur, als sie eine Erschöpfungsdepression erlebte. Als sie nach einigen Monaten wieder in die Firma zurückkehrte, merkte sie mit großer Deutlichkeit, wie sehr sie kreative Tätigkeiten im Job braucht, um arbeitsfähig zu bleiben. Aufgrund ihrer Teilzeitstelle hatte ihr Chef sie vor allem im organisatorischen Bereich eingesetzt. Sie versuchte ihn davon zu überzeugen, dass sie auch in Teilzeit interessante Projekte betreuen könne. „Aber ich musste sehen, dass er ganz zufrieden mit einer war, die für ihn die organisatorischen Dinge abarbeitet. Meine Kreativität war gar nicht gefragt.“ Maren M. wagte den Sprung in die Selbstständigkeit und hat heute ihre eigene kleine Agentur für Markenberatung. Der Psychocrash hat ihr gezeigt, dass sie vor allem auf sich selbst hören muss, statt sich an die Anforderungen von außen anzupassen. Heute arbeitet und lebt sie nach ihrem eigenen Rhythmus. Ihr Eigensinn hat sie in die gute Balance geführt.

    Info

    • Ich sorge für mich!Burnout-Betroffene sind sehr unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Krankheitsgeschichten. Allen ist jedoch gemeinsam, dass sie aufgrund einer Phase von Dauerstress in die Erschöpfungskrise schlitterten. Zur Genesung gehört deshalb dazu zu lernen, zukünftig eine dauerhafte Stressbelastung zu vermeiden und aktiv für eine bessere Balance zwischen An- und Entspannung zu sorgen.
    • Aktionisten: „Stillstand ist das Schlimmste.“Wichtige Erkenntnis: Ich werde krank, wenn ich immerfort renne. Schlechte Laune, Kopfschmerzen, der Dauerblick aufs Handy und Multitasking sind typische Warnzeichen, dass man zu hoch dreht.So sorge ich für mich: Feste Pausenzeiten und Auszeiten.
    • Doppelbelastete: „Ich will allen gerecht werden.“Wichtige Erkenntnis: Nur, wenn es mir gut geht, habe ich die Kraft, die verschiedenen Rollen in meinem Leben auszufüllen und die Vielfalt zu genießen. Das Gefühl von Erschöpfung und dass alle zu viel von einem wollen, sind typische Warnzeichen.So sorge ich für mich: Sich immer wieder fragen: Wo übernehme ich zu viel Verantwortung für andere? Nicht warten, bis alle Verpflichtungen erledigt sind, um sich Zeit für sich selbst zu nehmen.
    • Helfer: „Einer muss doch helfen!“Wichtige Erkenntnis: Hinter dem großen Wunsch zu helfen, steht eigentlich der Wunsch, sich selbst besser zu fühlen, weil man anderen hilft. Der Wunsch immer noch mehr zu geben und Selbstzweifel sind typische Warnzeichen.So sorge ich für mich: Eher Hilfe zur Selbsthilfe als direkte Hilfe geben. Stimmiges Arbeitspensum. Starker Ausgleich. Sich täglich fragen: Was kann ich tun, damit es mir gut geht? Atemübungen, um sich selbst zu spüren.
    • Perfektionisten: „Nur perfekt ist gut“Wichtige Erkenntnis: Man sollte immer abwägen, wie viel Perfektionismus in der Realität wirklich gefordert ist – und sich danach richten. Jobphantasien in den frühen Morgenstunden statt Schlaf, sind ein typisches Warnzeichen.So sorge ich für mich: Welche Träume habe ich für mich, abseits von perfekter Leistung?
    • Erfolgsgetriebene: „Erfolg macht glücklich!“Wichtige Erkenntnis: Erfolg führt nicht automatisch zu einem glücklichen Leben. Wenn die Arbeit wichtiger als alles andere erscheint, sollten die Alarmglocken klingeln.So sorge ich für mich: Bewusst das Privatleben pflegen. Zu viel Ruhe stürzt Erfolgsgetriebene oft in innere Unruhe. Schlichte Tätigkeiten wie Kochen, Spazieren, Radfahren entspannen.

    Weitere Infos

    Blog: „Weniger Stress – mehr gesunde Balance

    blog.carolakleinschmidt.de

    Podcast-Kolumne: „Die sieben Säulen der Resilienz“

    die-ratgeber.info/arbeit/podcast-die-sieben-saeulen-der-resilienz/

    Autorin

    Carola Kleinschmidt

    Diplombiologin, Journalistin und Trainerin

    Glücksburgerstraße 3

    22769 Hamburg

    kontakt@carolakleinschmidt.de

    Jetzt weiterlesen und profitieren.

    + ASU E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
    + Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
    + Exklusive Webinare zum Vorzugspreis

    Premium Mitgliedschaft

    2 Monate kostenlos testen