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SCHWERPUNKT | Perspektive des Ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit

Langzeitarbeitslosigkeit und Gesundheit

Einleitung

Bei der Beratung und Begutachtung durch den Ärztlichen Dienst (ÄD) der Bundesagentur für Arbeit (BA) für die Auftraggeber in den Agenturen für Arbeit (AA; Sozialgesetzbuch III – Arbeitsförderung) und auf vertraglicher Grundlage für die Jobcenter (JC; Sozialgesetzbuch II – Grundsicherung für Arbeitsuchende [„Hartz IV“]) als „gemeinsame Einrichtungen“ geht es bei Weitem nicht nur um langzeitarbeitslose Kundinnen und Kunden. Zahlenmäßig spielen diese aber eine große und gesamtgesellschaftlich eine sehr bedeutende Rolle. Es geht nicht nur um Langzeitarbeitslosigkeit, sondern ebenso um Langzeitleistungsbezug. In besonderer Weise kann der ÄD Beiträge zur Kooperation der Sozialleistungsträger an Schnittstellen leisten, speziell zur Gesetzlichen Rentenversicherung.

Langzeitarbeitslosigkeit und Langzeitleistungsbezug werden als Begriffe unzutreffend synonym verwendet. Als Langzeitleistungsbezieher (LZB) gelten – kurz gesagt – erwerbsfähige Leistungsberechtigte (eLb), die in den vergangenen 24 Monaten mindestens 21 Monate eLb waren.

Der Begriff der Langzeitarbeitslosigkeit (LZ-Alo) orientiert sich an der gesetzlichen Definition. Danach gelten zunächst diejenigen Personen als arbeitslos, die vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, eine versicherungspflichtige Beschäftigung suchen und dabei den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehen sowie sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet haben (§ 16 Sozialgesetzbuch [SGB] III). Für die Kundinnen und Kunden der Jobcenter (JC) wird in § 53a SGB II auf das SGB III Bezug genommen.

Langzeitarbeitslose sind nach § 18 SGB III Arbeitslose, die ein Jahr und länger arbeitslos sind. Die Teilnahme an einer Maßnahme nach § 45 SGB III (zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung) sowie Zeiten einer Erkrankung oder sonstiger Nicht-Erwerbstätigkeit bis zu sechs Wochen unterbrechen die Dauer der Arbeitslosigkeit nicht. Auf Einzelheiten soll hier nicht weiter eingegangen werden. Wichtig bleibt aber: Nicht alle Langzeitarbeitslosen sind in der Zuständigkeit der JC und nicht alle eLb sind langzeitarbeitslos.

Dass langzeitarbeitslose Menschen früher sterben und „kränker“ sind als der Durchschnitt der Bevölkerung und sowohl Krankheit zu Arbeitslosigkeit führen kann als Arbeitslosigkeit in Krankheit, ist nicht der Schwerpunkt dieses Beitrags (allgemeinverständlich z. B. in Gündel et al. 2014).

Gesundheitsorientierung und Begutachtung in der Grundsicherung (SGB II)

Selbstverständlich kann auch in Deutschland heutzutage trotz aller präventiven Bemühungen speziell seitens des Arbeitsschutzes, der Arbeitssicherheit und der Arbeitsmedizin Erwerbsarbeit zu Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten führen. Insgesamt betrachtet stehen allerdings die gesundheitsförderlichen Aspekte der Arbeit weitaus im Vordergrund.

Diese positiven Auswirkungen gibt es in Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht. Die Integration einer Person aus Arbeitslosigkeit in eine angemessene sozialversicherungspflichtige Beschäftigung kann als solche schon als „gesundheitsförderliche Leistung“ betrachtet werden, ohne dass eine Begrifflichkeit aus dem SGB V (Gesetzliche Krankenversicherung) hier offiziell zu verwenden wäre.

Unter anderem im Zusammenhang mit der 2012 unterzeichneten Empfehlung zur Zusammenarbeit zwischen der BA und der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zum Thema „Arbeitslosigkeit und Gesundheit“ wird in der BA zum SGB II von „Gesundheitsorientierung in der Grundsicherung“ gesprochen.

Ohne Aufweichung von sozialrechtlichen Zuständigkeiten der Träger wird eine Zusammenarbeit zwischen den Krankenkassen und ihren Verbänden sowie der BA als Träger der Grundsicherung und Arbeitsförderung zum Thema Arbeitslosigkeit und Gesundheit empfohlen und zwischenzeitlich vertieft praktiziert (z. B. gemeinsam mit dem Berufspsychologischen Service der BA im Rahmen von Maßnahmen zu: Bedeutung einer gezielten Gesundheitsorientierung für die Leistungsfähigkeit, Ernährung und Konsumverhalten, Bewegungsberatung mit praktischen Übungen, Tagesstruktur, soziale Netzwerke, Stress und Stressbewältigung, Entspannung mit praktischen Übungen). Außer der fallbezogenen Arbeit leistet er zusätzlich im Rahmen der „Systemberatung“ wichtige Beiträge weit darüber hinaus, so durch Mitwirkung an der Weiterentwicklung in AA und JC.

Der ÄD der BA ist unabhängig davon allerdings hauptsächlich ein „Gutachterdienst“. Im Rahmen der fallbezogenen Arbeit geht es vorwiegend um Fragen zur Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 8 (1) SGB II. Danach ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Das bedeutet allgemein verständlich ausgedrückt, dass auch ein derzeit akut oder vielleicht prognostisch eingeschätzt noch für viele Wochen kranker Mensch, der aber innerhalb von sechs Monaten die genannte „Mindestleistungsfähigkeit“ aufweisen wird, als erwerbsfähig bezeichnet wird.

Bei langfristig erkrankten langzeitarbeitslosen Menschen, insbesondere bei einer Suchtproblematik, stellt die prognostische Einschätzung oft eine große Herausforderung dar. Dazu kommen noch weitere Folgen der leistungsrechtlichen Unterschiede zum SGB III. Wenn bei einer Suchterkrankung, speziell bei Alkoholabhängigkeit, noch keine schwerwiegenden Folgeschäden eingetreten sind, wird die sozialmedizinische Einschätzung zur „Leistungsunfähigkeit“ oft gut begründet für die Dauer von bis zu 6 Monaten formuliert, wenn damit gerechnet wird, dass durch therapeutische Maßnahmen mit Entgiftung und Entwöhnung die Leistungsfähigkeit gemäß § 8 SGB II (s. oben) innerhalb dieses Zeitraums erreicht werden kann.

Begutachtung in der Arbeitslosenversicherung (SGB III)

Anders als für Fragen zum SGB II geht es bei Leistungen nach dem SGB III grundsätzlich um Versicherungsleistungen mit anderem rechtlichen Rahmen, auch wenn die vorherige Zahlung von Beiträgen nicht immer die Voraussetzung für eine Leistung ist; dies gilt speziell für die Beratung.

Für die langzeitarbeitslosen Abhängigkeitskranken gilt im Rechtskreis SGB III, dass bei angenommener „Leistungsunfähigkeit“ für die Dauer von bis zu 6 Monaten die Arbeitslosengeldzahlung grundsätzlich eingestellt wird. Allgemeinverständlich dargestellt kann dann bei entsprechenden auch versicherungsrechtlichen Voraussetzungen unter bestimmten Bedingungen (angemessene Therapie, Suchtberatung, Entgiftung, ambulante oder stationäre Entwöhnungsmaßnahme) als Voraussetzung für die Zahlung von Krankengeld durch die Krankenversicherung Arbeitsunfähigkeit bescheinigt werden. Es gibt also einen rechtlichen Rahmen nach dem SGB III und dann durch das SGB V (Gesetzliche Krankenversicherung), der die „Mitwirkung“ bezüglich Therapie und Rehabilitation nachdrücklich unterstützen kann.

Der Anteil der „Begutachtungsprodukte“ des ÄD der BA für die Berufsberatung (das „Team U25“) war zuletzt unterhalb von 4 %. Sofern vor dem Hintergrund u.a. der demografischen und arbeitsmarktlichen Veränderungen künftig die „lebensbegleitende Berufsberatung“ flächendeckend angeboten wird, könnte auch der Personenkreis mit höherem Lebensalter einbezogen werden, so zum Beispiel auch schon präventiv zur Vermeidung des Eintretens von (Langzeit-)Arbeitslosigkeit. In Bezug auf die Vorbeugung von Langzeitarbeitslosigkeit/Langzeitleistungsbezug stehen die Dienstleistungen des ÄD der BA auch für den Personenkreis geflüchteter Menschen zur Verfügung.

Beratung und Begutachtung im Kontext rechtskreisübergreifender Zusammenarbeit an Schnittstellen etc.

Bei den Fragestellungen an den ÄD der BA steht für die Auftraggeber aus beiden Rechtskreisen die Integration in das Arbeitsleben und die dazu erbetene fachliche Unterstützung der Fachkräfte in Beratung und Vermittlung ganz im Vordergrund. Für das SGB III geht es aber auch in mindestens etwa einem Drittel der Aufträge um eine so genannte „Rechtskreisklärung“.

Auf der Grundlage des § 145 SGB III – Minderung der Leistungsfähigkeit – hat (textlich wegen des Verständnisses hier leicht gekürzt) Anspruch auf Arbeitslosengeld auch eine Person, die allein deshalb nicht arbeitslos ist, weil sie wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung ihrer Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen nicht unter den Bedingungen ausüben kann, die auf dem für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit üblich sind, wenn eine verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung nicht festgestellt worden ist.

Die Feststellung, ob eine verminderte Erwerbsfähigkeit vorliegt, trifft der zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Agentur für Arbeit hat die leistungsgeminderte Person unverzüglich aufzufordern, innerhalb eines Monats einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben zu stellen.

Stellt sie diesen Antrag fristgemäß, so gilt er im Zeitpunkt des Antrags auf Arbeitslosengeld als gestellt. Stellt die leistungsgeminderte Person den Antrag nicht, ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld vom Tag nach Ablauf der Frist an bis zum Tag, an dem sie einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben oder einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung stellt.

Kommt die leistungsgeminderte Person ihren Mitwirkungspflichten gegenüber dem Träger der medizinischen Rehabilitation oder der Teilhabe am Arbeitsleben nicht nach, so ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld von dem Tag nach Unterlassen der Mitwirkung bis zu dem Tag, an dem die Mitwirkung nachgeholt wird.

Das gilt entsprechend, wenn die leistungsgeminderte Person durch ihr Verhalten die Feststellung der Erwerbsminderung verhindert. Vereinfacht am Beispiel erläutert: Wenn ggf. – z. B. nach nicht ausreichend erfolgreicher medizinischer Rehabilitation – ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung beim Träger der Gesetzlichen Rentenversicherung bestehen kann (SGB VI) und der Langzeitarbeitslose entsprechend mitwirkt, kann das Arbeitslosengeld weiter gezahlt werden. Hier dient die Begutachtung im ÄD der AA der Vorbereitung einer Leistungsentscheidung bei der Bundesagentur für Arbeit. Der zuständige Rentenversicherungsträger soll anschließend die Entscheidung über die Rente wegen Erwerbsminderung treffen.

Wird der leistungsgeminderten Person von einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung wegen einer Maßnahme zur Rehabilitation Übergangsgeld oder eine Rente wegen Erwerbsminderung zuerkannt, steht der Bundesagentur für Arbeit ggf. ein Erstattungsanspruch zu.

Zugang zu Leistungen („Reha“, Rente) und Versorgung

Im SGB I – Allgemeiner Teil – geht es insbesondere in den §§ 60–67 um die „Mitwirkung des Leistungsberechtigten“. Es kann sich ergeben, dass vor der Bewilligung einer Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung geprüft wird, ob alle zumutbaren Möglichkeiten der ambulanten und/oder stationären medizinischen Therapie ausgeschöpft wurden. Wenn das nicht erwiesen ist, kann der Zugang bereits zur medizinischen Rehabilitation erschwert oder unmöglich sein und in der Folge ggf. auch der Zugang zu einer Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung.

Bei psychisch schwer belasteten/kranken Menschen kann es unter anderem auch krankheitsbedingt (fehlende Einsicht, verminderter Antrieb etc.) zu einer fehlenden Initiative bezüglich der notwendigen Aktivitäten wie Behandlung, Rehabilitation, Antragstellung, Mitwirkung etc. kommen.

Speziell bei Arbeitslosen, aber auch bei krankheitsbedingt langer Abwesenheit von einem vorhandenen Arbeitsplatz fehlen die auch bedeutende soziale Unterstützung aus dem Erwerbsleben, eventuell auch die Angebote aus einem „employee assistance program“ (mit z.B. Beratung bei psychischen Belastungen) sowie die möglichen positiven Folgen aus einer Gefährdungsbeurteilung „Psychische Belastung“ nach § 5 Arbeitsschutzgesetz.

Schlussbemerkungen

  • Trotz möglicher schädlicher Einwirkungen auf dem Arbeitsweg und am Arbeitsplatz ist Erwerbsarbeit in Deutschland gesundheitsbezogen in allererster Linie als Chance und nicht als Gefährdung anzusehen.
  • In Deutschland mit seinem gegliederten – und nicht immer leicht „durchschaubaren“ – System von Sozialversicherung und Versorgung können vielfach nur bei gelingender trägerübergreifender Kooperation im Sinne der Berechtigten angemessene Ergebnisse erzielt werden.
  • Dazu leisten der Ärztliche Dienst der Bundesagentur für Arbeit und andere sozialmedizinische Dienste entscheidende Beiträge.

Literatur

Gündel P, Glaser J, Angerer P: Arbeiten und gesund bleiben – K. O. durch den Job oder fit im Beruf. Berlin, Heidelberg: Springer, 2014.

    Weitere Infos

    Zu den rechtlichen Grundlagen, vollständig und auf jeweils aktuellem Stand siehe z. B.

    https://www.gesetze-im-internet.de

    Autor

    Dr. med. Andreas Bahemann

    Bundesagentur für Arbeit

    Leiter des Ärztlichen Dienstes

    Regensburger Str. 104

    90478 Nürnberg

    Andreas.Bahemann@arbeitsagentur.de

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