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Globale Gesundheitsinitiative “Hand aufs Herz“

Globale Gesundheitsinitiative „Hand aufs Herz“ – Kardiovaskuläre Prävention im Setting Arbeitsplatz in einem Großunternehmen der chemischen Industrie

Hintergrund: Kardiovaskuläre Erkrankungen sind weltweit die häufigste Todesursache. Lebens- und Arbeitswelten in Unternehmen sind ein wichtiges Setting für Verhaltens- und Verhältnisprävention. Inhalt der weltweiten Gesundheitsinitiative der BASF SE „Hand aufs Herz“ waren die Prävention von Herzinfarkt und Schlaganfall.

Methode und Kollektiv: Kernstück der Gesundheitsinitiative war ein internetbasierter Risikorechner auf Basis des PROCAM-Algorithmus zur anonymen Ermittlung des individuellen Herzinfarkt- und Schlaganfallrisikos sowie des „Herzalters“. Bei erhöhtem Risiko wurde dem Mitarbeiter ergänzend eine ärztliche Untersuchung angeboten. Am Standort Ludwigshafen waren rund 38 000 Mitarbeiter zur Teilnahme an der Gesundheitsinitiative berechtigt.

Ergebnisse: Im Aktionszeitraum wurden allein am Standort Ludwigshafen 12 789 vollständige Datensätze erstellt, was etwa einem Drittel aller Teilnahmeberechtigten entspricht. Bei 1642 (12,8 %) Teilnehmern wurde ein erhöhtes Herzinfarktrisiko ermittelt, bei 352 (2,8 %) ein erhöhtes Schlaganfallrisiko. Im Risikokollektiv betrug das durchschnittliche Alter 54,3 Jahre, das berechnete „Herzalter“ 62,1 Jahre. 27 % des Risikokollektivs (vs. 13 % aller Teilnehmer) arbeiten in Wechselschicht, 32 % in der Produktion (vs. 20 % der Teilnehmer).

Schlussfolgerung: Der Arbeitsplatz ist ein wichtiges Setting für Präventionsmaßnahmen. Erfolgsfaktoren für eine hohe Teilnahmerate sind die Niederschwelligkeit der Angebote sowie die Kunst, Ratio in Emotion zu übersetzen. Dies wurde mit „Hand aufs Herz“ erreicht. Die Ergebnisse zeigen, dass ein beträchtlicher Anteil aller Teilnehmer am Standort ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko aufweist. Erkenntnisse aus Gesundheitsinitiativen und arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen sind erforderlich, um auch künftig das betriebliche Gesundheitsmanagement noch besser auf die wichtigen Zielgruppen auszurichten und das Portfolio maßgeschneiderter Angebote auszubauen.

Schlüsselwörter: Prävention – Herzinfarkt – Schlaganfall – Setting Arbeitsplatz

Global health campaign “Take it to Heart” – Cardiovascular prevention in the workplace setting of a large chemical company

Background: Cardiovascular diseases are the number one cause of death in the world. The working environments of companies are an important setting for behavioural and environmental prevention. The BASF SE global health campaign “Take it to Heart” covered the prevention of heart attacks and strokes.

Method and study group: At the core of the health campaign was an internet risk calculator based on the PROCAM algorithm for anonymously calculating the individual risk of heart attack and stroke and the “heart age”. Employees with an increased risk were offered an additional medical examination. At the Ludwigshafen site, around 38,000 employees were eligible to participate in the health campaign.

Results: During the campaign period, 12,789 complete data sets were compiled at the Ludwigshafen site alone, corresponding to around one third of all those eligible. An increased risk of heart attack was found in 1,642 (12.8 %) of those who took part and an increased risk of stroke in 352 (2.8 %). In the at-risk group, the average age was 54.3 years and the “heart age” was calculated to be 62.1 years. Some 27 % of the at-risk group (vs. 13 % of all participants) worked in rotating shifts, 32 % in production (vs. 20 % of all participants).

Conclusion: The workplace is an important setting for preventive measures. Factors for a high rate of participation are the easy availability of the programs offered and the art of translating rationality into emotions. This was achieved in “Take it to Heart”. The results show that a considerable percentage of all those who participated at the site have an increased cardiovascular risk. Information from health campaigns and occupational medicine screening examinations is necessary to be able to direct operational health management toward the important target groups and develop a range of customised measures even more effectively in the future.

Keywords: prevention – heart attack – stroke – workplace setting

T. Conzelmann

M. Carle

S. Webendörfer

(eingegangen am 22.02.2017, angenommen am 05.04.2017)

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2017; 52: 359–365

Hintergrund

Chronische Erkrankungen, allen voran kardiovaskuläre Erkrankungen, zählen zu den größten gesundheitlichen Herausforderungen unserer heutigen Zeit (World Health Organization 2016). Auch in Deutschland nimmt die Zahl chronisch Erkrankter stetig zu. Gründe sind zum einen die demografische Entwicklung mit zunehmendem Durchschnittsalter der Bevölkerung. Hinzu kommen durch den Lifestyle bedingte Risiken wie Bewegungsmangel und Rauchen mit entsprechenden Folgeerkrankungen wie Adipositas, Fettstoffwechselstörungen, Diabetes und Bluthochdruck. Vor diesem Hintergrund gewinnen Prävention und Gesundheitsförderung sowohl für den einzelnen Menschen als auch für die Gesellschaft im Gesamten eine zunehmende Bedeutung.

Lebens- und Arbeitswelten in Betrieben und Unternehmen bilden ein wichtiges Setting für Prävention sowohl im Rahmen der Verhaltens- als auch der Verhältnisprävention (Drexler et al. 2015). Die Prävention untergliedert sich in Primär- (Schadensverhütung), Sekundär- (Früherkennung und Frühintervention im Sinne einer Schadensbegrenzung) und Tertiärprävention (Schadensrevision). Bezogen auf die erwerbstätige Bevölkerung ist die Arbeitsmedizin die integrierende Schnittstelle zwischen präventiver Gesundheitsförderung, arbeitsmedizinischer Vorsorge und berufsfördernder Rehabilitation.

Die Abteilung Corporate Health Management der BASF SE am Standort Ludwigshafen stellt sich bereits seit Jahren dieser Verantwortung und verzahnt erfolgreich betriebsärztliche Vorsorge mit gezielter Prävention am Arbeitsplatz. Ein Beispiel für Primär- und Sekundärprävention ist der strukturierte BASF-Gesundheits-Check, der regelmäßig für alle Mitarbeiter angeboten wird. Dieser beinhaltet neben einem Fragebogen zur Anamnese einschließlich Work-Ability-Index, körperlicher Untersuchung und Labor u. a. ein Diabetesscreening (Neumann et al. 2015) sowie einen Test u. a. zur Darmkrebsfrüherkennung (Webendörfer u. Riemann 2014). Im Anschluss daran erhalten die Mitarbeiter individuell abgestimmte Empfehlungen, u. a. zu den Themen Bewegung, Ernährung oder Entspannung. Diese und andere können arbeitsplatznah im eigenen Fitness- und Gesundheitsstudio des Unternehmens wahrgenommen werden. Das ganzheitliche Gesundheitsmanagement der BASF wird mit einer jährlichen weltweiten Gesundheitsinitiative mit einem Schwerpunktthema abgerundet ( Abb. 1).

Von allen Todesfällen in Europa vor dem 75. Lebensjahr sind bei Frauen 42 % und bei Männern 38 % auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen (Hambrecht et al. 2017). Kardiovaskuläre Erkrankungen sind nach wie vor auch die häufigste Todesursache bei Frauen und Männern in Deutschland (Robert Koch-Institut 2015). Jedes Jahr sterben allein in Deutschland rund 21 000 Frauen und rund 27 000 Männer (11,1 % bzw. 18,3 % aller Todesfälle) an einem Herzinfarkt, an einem Schlaganfall rund 20 000 Frauen und rund 12 000 Männer (10,5 % bzw. 8,2 % aller Todesfälle; Statistisches Bundesamt 2017). Kardiovaskuläre Ereignisse machen auch vor dem größten Standort der BASF in Ludwigshafen mit über 35 000 Mitarbeitern nicht Halt. Bereits jetzt schon erleidet im Durchschnitt ein Mitarbeiter pro Woche einen Herzinfarkt bzw. etwa alle zwei Wochen wird von einem Schlaganfall berichtet. Es ist zu befürchten, dass die Fallzahlen ohne geeignete (sekundär-)präventive Maßnahmen künftig aufgrund der demografischen Entwicklung in unserer Belegschaft zunehmen werden.

Das individuelle kardiovaskuläre Risiko wird neben Alter, Geschlecht und genetischer Disposition ebenso beeinflusst von der Verhaltens- und Lebensweise (Khera et al. 2016). Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel, Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck und Diabetes sind wesentliche Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie können – wenn sie rechtzeitig erkannt werden – durch eine Verhaltensänderung und ggf. medikamentöse Therapie entscheidend beeinflusst werden. Bei der kardiovaskulären Prävention kommt es nicht nur auf einzelne Risikofaktoren an, sondern das Gesamtrisiko als Summe der einzelnen Risikofaktoren und Lebensgewohnheiten ist entscheidend. Das Gesamtrisiko kann mit Hilfe von Risiko-Scores wie dem etablierten PROCAM-Score abgeschätzt werden (Assmann et al. 2002, 2007). Dadurch kann die Notwendigkeit einer Intervention gezielt, bedarfsgerecht und mit der richtigen Priorität der Maßnahmen empfohlen werden. Eine Lebens- und Verhaltensänderung kann mittels verständlicher Risikokommunikation sowie individueller Risikostratifizierung erfolgreicher gelingen (Hambrecht et al. 2017). Generell haben Maßnahmen der Gesundheitsförderung jedoch nicht nur das Ziel, Krankheiten zu verhindern (Sekundärprävention), sondern auch Gesundheitspotenziale und -ressourcen zu stärken (Primärprävention).

Thema der weltweiten Gesundheitsinitiative 2016 mit dem Titel „Hand aufs Herz“ war die Prävention von Herzinfarkt und Schlaganfall. Diese hatte zum Ziel, Mitarbeiter bezüglich kardiovaskulärer Risiken aufzuklären und zu sensibilisieren (Primärprävention). Gleichzeitig sollten bereits bestehende Risiken oder Erkrankungen frühzeitig erkannt (Sekundärprävention) sowie maßgeschneiderte Angebote arbeitsplatznah etabliert werden.

Methode und Kollektiv

Die Gesundheitsinitiative „Hand aufs Herz“ wurde von der Abteilung Corporate Health Management der BASF SE konzipiert und an allen BASF-Standorten weltweit, angepasst an die lokalen Gegebenheiten, angeboten. Ein wesentliches Kernstück der Aktion war ein internetbasierter Risikorechner zur anonymen Ermittlung des individuellen Herzinfarkt- und Schlaganfallrisikos sowie des „Herzalters“. Das „Herzalter“ bezeichnet das Alter eines Probanden aus der PROCAM-Studie, der das gleiche durchschnittliche Risiko aufweist und dient als Vergleichswert zum tatsächlichen Alter des Teilnehmers. Die Risiken wurden mittels eines Algorithmus der PROCAM-Studie berechnet, eine der weltweit größten Langzeitbeobachtungsstudien bezüglich Morbidität und Mortalität mit 50 000 Teilnehmern. Entsprechend des PROCAM-Algorithmus konnten Mitarbeiter anonym im Portal folgende Parameter eingeben: Alter, Geschlecht, Größe, Gewicht, systolischer Blutdruck, Raucherstatus, Familienanamnese bezüglich Herzinfarkt, Diabetes und Medikamentenanamnese bezüglich Bluthochdruck. Des Weiteren wurden folgende Angaben zum Arbeitsplatz erfragt: Land, Standort, Tätigkeit (Büro, Labor/Forschung, Produktion/Handwerk, Sonstige) und Tätigkeit in Wechselschicht. Ziel des Internetportals war es, den BASF-Mitarbeitern weltweit ein möglichst niederschwelliges Instrument zur individuellen Risikoeinschätzung für kardiovaskuläre Erkrankungen anzubieten. Aus diesem Grund wurde das Portal auch in 25 Sprachen übersetzt. Direkt nach Eingabe der Daten erhielten die Mitarbeiter je nach individuellem Risikoprofil automatisiert spezifische Informationen zu einem gesunden Lebensstil. Bei erhöhtem Risiko wurde den Teilnehmern zeitnah eine medizinische Beratung vor Ort angeboten. Ein erhöhtes Herzinfarktrisiko ist definiert als Wahrscheinlichkeit  10 % (mittleres Risiko 10–20 %, hohes Risiko > 20 %), in den nächsten 10 Jahren einen Herzinfarkt zu erleiden, ein erhöhtes Schlaganfallrisiko als Wahrscheinlichkeit  5 % innerhalb der nächsten 10 Jahre. Die Gesundheitsaktion fand in allen Gruppengesellschaften der BASF weltweit im Zeitraum März bis Dezember 2016 statt.

In diesem Beitrag wird explizit auf die Umsetzung und die Ergebnisse am Standort Ludwigshafen eingegangen. Hier wurde die Initiative im Aktionszeitraum März bis September 2016 durchgeführt. Mittels diverser Kommunikationskanäle wurden die Mitarbeiter zur Teilnahme eingeladen und motiviert. Im Rahmen einer Auftaktveranstaltung sowie mittels Print- und Filmmedien unterstützte Wolfgang Niedecken, Bandleader der Gruppe BAP, als Testimonial die Aktion. Er selbst hatte in der Vergangenheit eine kardiovaskuläre Erkrankung erlitten. Sollte ein Mitarbeiter auf Basis der eingegebenen Parameter ein erhöhtes Herzinfarkt- und/oder Schlaganfallrisiko aufweisen, konnte er sich direkt über einen Online-Kalender zu einer medizinischen Beratung mit ergänzender Blutuntersuchung bei der Abteilung Corporate Health Management anmelden. Dadurch konnte das individuelle Risiko noch genauer bestimmt und, wenn erforderlich, weitere Diagnostik und Therapie eingeleitet werden. In den Folgemonaten lag der Fokus in jedem Monat jeweils auf einem der wesentlichen Risikofaktoren wie Diabetes, Rauchen, Bluthochdruck, erhöhte Blutfette und Bewegungsmangel. Jeder Themenmonat wurde durch passende Aktionsangebote wie medizinische Vorträge, Workshops, Kurse und Events begleitet. Des Weiteren wurde die Aktion mittels Filmbeiträgen, Artikeln in der Werkszeitung, Intranet-Auftritten, Aktionen in den Betriebsgaststätten, Aushängen an Litfaßsäulen, bedruckten Werksbussen sowie den Sicherheits- und Gesundheitsbeauftragten der BASF kommuniziert und beworben.

In Ludwigshafen erhielten Mitarbeiter mit erhöhtem Risiko im Rahmen der medizinischen Beratung ein individuelles Sportangebot. Dieses wurde in Kooperation mit dem firmeneigenen Fitness- und Gesundheitsstudio eigens für die Initiative für die Zielgruppe „Risikopatienten“ konzipiert. Zur Verlaufskontrolle wurden für diese Mitarbeiter am Ende der Gesundheitsinitiative im September nochmals eine medizinische Untersuchung und Beratungen angeboten. Auch Mitarbeiter ohne erhöhtes Risiko konnten an der Gesundheitsinitiative teilnehmen. Diese engagierten sich im Team für die Gesundheit und konnten mit ihrer Teilnahme in jedem Themenmonat attraktive Preise gewinnen. Am Ende der Aktion wurden 100 Freikarten für ein Abschlusskonzert mit Wolfgang Niedecken und BAP verlost ( Abb. 2).

Am BASF-Standort Ludwigshafen waren rund 38 000 Mitarbeiter zur Teilnahme an der Gesundheitsinitiative berechtigt. Das Gesamtkollektiv der teilnahmeberechtigten Mitarbeiter sowie dessen soziodemografische Daten sind in  Tabelle 1 dargestellt. Diese Angaben wurden von der Personalabteilung der BASF bereitgestellt. Die Daten wurden in einer Datenbank anonym erfasst und durch die Einheit „Datenmanagement & Statistik“ der Abteilung Corporate Health Management ausgewertet. Nicht plausible Datensätze (Altersangabe >75 Jahre, Größe >220 cm) wurden ausgeschlossen.

Ergebnisse

Im Aktionszeitraum wurden insgesamt 31 454 vollständige Datensätze von BASF-Mitarbeitern weltweit erstellt. Durch die anonyme Dateneingabe ist nicht auszuschließen, dass einzelne Mitarbeiter mehrere Datensätze eingegeben haben (siehe unter Limitationen). In der Folge wird dennoch der Einfachheit halber der Begriff „Teilnehmer“ und die Anzahl eingegebener Datensätze synonym verwendet. Die Angabe von Teilnahmeraten ist somit nur orientierend möglich.

Allein am Standort Ludwigshafen wurden 12 789 vollständige Datensätze erfasst, entsprechend ca. 33 % aller teilnahmeberechtigten Mitarbeiter. Unter den Teilnehmern waren 9117 (71,3 %) Männer und 3672 (28,7 %) Frauen. 7701 (60,2 %) der Teilnehmer arbeiten im Büro, 1977 (15,5 %) in der Forschung/Labor und 2511 (19,6 %) in der Produktion/Handwerk. In Wechselschicht arbeiten 1698 (13,3 %) der Teilnehmer. Der Raucheranteil betrug 17,0 % (n = 2172), der durchschnittliche Body-Maß-Index lag bei 26,6 kg/m². Der Altersdurchschnitt der Teilnehmer spiegelte mit 45,0 Jahren den Altersdurchschnitt der Belegschaft wider. Die Altersstruktur der erreichten Mitarbeiter zeigt eine etwa gleichmäßige Verteilung über alle Altersklassen mit einem prozentualen Gipfel bei den über 60-Jährigen.

Bei 1642 (12,8 %) Teilnehmern wurde ein erhöhtes Herzinfarktrisiko ermittelt, davon bei 1026 (62,5 %) ein mittelgradig erhöhtes Herzinfarktrisiko von 10–20 %, bei 616 (37,5 %) ein hohes Herzinfarktrisiko über 20 % ( Tabelle 2).

Bei 352 (2,8 %) Teilnehmern ergab sich ein erhöhtes Schlaganfallrisiko. Bei den Risikokollektiven für Herzinfarkt und Schlaganfall gibt es wie zu erwarten eine Schnittmenge. Insgesamt hatten 1654 (12,9 %) aller Teilnehmer ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko (Herzinfarkt und/oder Schlaganfall), bei 340 (2,7 %) Teilnehmern war das Risiko für beide Erkrankungen erhöht.

Im Kollektiv mit erhöhtem kardiovaskulären Risiko (n = 1654), befinden sich 1593 (96,3 %) Männer und 61 (3,7 %) Frauen. Das durchschnittliche Alter in dieser Gruppe beträgt 54,3 Jahre, das berechnete „Herzalter“ 62,1 Jahre. Die Verteilung der Risikofaktoren in diesem Risikokollektiv im Vergleich zum Gesamtkollektiv ist in  Tabelle 3 dargestellt. Das durchschnittliche Gewicht beträgt 95,0 kg, der BMI 30,5 kg/m², der systolische Blutdruck 132 mmHg. 55 % dieses Risikokollektivs sind Raucher, 36 % geben eine familiäre Vorbelastung an, 20 % einen bekannten Diabetes und 52 % nehmen bereits blutdrucksenkende Medikamente ein.

27 % des Risikokollektivs arbeiten in Wechselschicht (vs. 13 % aller Teilnehmer), 48 % im Büro (vs. 60 %), 11 % in Forschung/Labor (vs. 15 %), 32 % in der Produktion (vs. 20 %). Die Altersverteilung des Risikokollektivs zeigt erwartungsgemäß einen deutlichen prozentualen Anstieg im Altersgang.

Diskussion

Ziel der Gesundheitsinitiative war es, Mitarbeiter möglichst niederschwellig bezüglich kardiovaskulären Risiken aufzuklären und zu sensibilisieren. Zur Abschätzung des individuellen Gesamtrisikos und Visualisierung der Risikofaktoren wurde ein internetbasierter Risikorechner bereitgestellt. Im Falle eines erhöhten Gesamtrisikos sollten in Verbindung mit arbeitsplatznaher Beratung beim Betriebsarzt die Motivation für Lebensstiländerungen oder weiterer Abklärung und Therapie gestärkt werden. Letzteres erfolgte in Kooperation mit externen Haus- und Fachärzten. Mitarbeiter mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko erhielten zudem maßgeschneiderte arbeitsplatznahe Angebote zur Gesundheitsförderung und Lebensstiländerung.

Ein gesunder Lebensstil ist mit einem signifikant niedrigeren kardiovaskulären Risiko assoziiert. Gerade Mitarbeiter mit einem hohen genetisch bedingten Risiko können durch Änderungen ihres Lebensstils das relative Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse nahezu halbieren (Khera et al. 2016). Je höher das Gesamtrisiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, umso größer ist der absolute Nutzen, der aus einer wirksamen Prävention resultiert (Hambrecht et al. 2017). Vor allem Personen mit hohem kardiovaskulären Risiko werden multimodale Ansätze mit Interventionen in mehreren Lebensbereichen empfohlen.

Mit 12 789 ausgefüllten Datensätzen allein am Standort Ludwigshafen, was etwa einem Drittel aller teilnahmeberechtigten Mitarbeiter entspricht, war die Resonanz für eine freiwillige Gesundheitsinitiative sehr erfreulich. Ein möglicher Erfolgsfaktor in dem gewählten Setting ist die Niederschwelligkeit des Angebots:

  • anonyme Dateneingabe,
  • geringer Zeitaufwand,
  • Online-Fragebogen mit nur wenigen erfragten Items,
  • arbeitsplatznahes Instrument, Bearbeitung am eigenen PC,
  • Nutzerfreundlichkeit,
  • ansprechendes Layout,
  • sofortige Ergebnismitteilung mit individuellen Empfehlungen,
  • konkretes Folgeangebot für Risikopatienten mit Anmeldung im Online-Kalender.

Ein weiterer Erfolgsfaktor für hohe Teilnahmeraten bei Gesundheitsinitiativen im betrieblichen Umfeld scheint die Kunst zu sein, Ratio in Emotionen zu übersetzen (Lang 2015). Ansätze hierzu waren bei „Hand aufs Herz“ die Zusammenarbeit mit einem bekannten deutschen Musiker als Testimonial, umfangreiche kommunikative Maßnahmen und eine Verlosung von Preisen unter allen Teilnehmern.

Die genannten Faktoren trugen erfolgreich dazu bei, dass Mitarbeiter aus allen Altersgruppen und allen Beschäftigungsbereichen teilnahmen. Auch Mitarbeiter aus dem gewerblichen Bereich oder in Wechselschicht arbeitende Mitarbeiter wurden erreicht. Gerade diese Mitarbeitergruppen weisen häufig vermehrt kardiovaskuläre Risikofaktoren auf und sind gleichzeitig schwerer für präventive Maßnahmen zugänglich. Der inverse Zusammenhang zwischen Prävalenz von koronarer Herzkrankheit und Sozialstatus wird auch in der Allgemeinbevölkerung beschrieben (Gößwald et al. 2013).

Die Ergebnisse zeigen weiterhin, dass ein beachtlicher Anteil der Teilnehmer am Standort Ludwigshafen ein erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt (12,8 %) oder Schlaganfall (2,8 %) in den nächsten 10 Jahren aufweist. Im Vergleich zum Teilnehmerkollektiv sind insbesondere gewerblich tätige Mitarbeiter aus Produktion/Handwerk (32 vs. 20 %) und in Wechselschicht tätige Mitarbeiter (27 vs. 13 %) anteilsmäßig im Risikokollektiv deutlich häufiger vertreten. Außerdem zeigten die Ergebnisse ein erhöhtes Gesamtrisiko bei den teilnehmenden Männern. Während im Teilnehmerkollektiv 71 % Männer registriert wurden, waren es im Risikokollektiv 96 %. Das hängt auch mit der Altersverteilung des Teilnehmerkollektivs zusammen. Männer erkranken früher als Frauen an kardiovaskulären Erkrankungen. Nach der Menopause ist die Inzidenz bei Frauen ähnlich (Tschaftary et al. 2014).

Die Ergebnisse unterstreichen den Bedarf an zielgruppenspezifischen Angeboten zur Gesundheitsförderung insbesondere für die genannten Zielgruppen, vor dem Hintergrund des demografischen Wandels jedoch für alle Mitarbeiter.

Limitationen

Bei der hier vorgestellten Auswertung sind auch einige Limitationen zu nennen. Es handelt sich um anonyme Daten, die im Rahmen einer Gesundheitsinitiative vom Teilnehmer selbst eingegeben wurden. Eine „medizinische Qualitätskontrolle“ der eingegebenen Daten war deshalb nicht möglich. Nicht plausible Datensätze wurden wie unter Methoden erwähnt nicht berücksichtigt. Ein im Internetportal eingegebener Datensatz war nach Berechnung und Mitteilung des Ergebnisses an den Teilnehmer schreibgeschützt, um die Eingabe von fiktiven Daten sowie Mehrfacheingaben möglichst zu verhindern. Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass einzelne Mitarbeiter sich mehrfach angemeldet und somit mehrere Datensätze erstellt haben. Aufgrund der Anonymität der Daten war eine Selektion von möglichen Doppel- oder Mehrfacheingaben nicht möglich. Des Weiteren gab es durch die Anonymität der Daten auch keine klar definierte Studien- bzw. Kontrollgruppe. Darüber hinaus gibt die PROCAM-Studie einen vordefinierten Wertekorridor vor (Alter 20–75 Jahre, Größe 140–210 cm, Gewicht 40–120 kg, systolischer Blutdruck 100–225 mmHg). Dies liegt in der Zusammensetzung der Teilnehmer der PROCAM-Studie begründet. Lagen Eingabewerte außerhalb des jeweiligen Korridors, wurden dennoch das Herzalter, Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko berechnet. Die Berechnung erfolgte dann bei Wertunterschreitung auf Basis der Min-Korridor-Werte oder bei Überschreitung auf Basis der Max-Korridor-Werte. Allerdings wurden die Teilnehmer darauf hingewiesen, dass in diesem Fall ihr tatsächliches Risiko über- oder unterschätzt wurde. Trotz umfassender Kommunikation im Unternehmen wurden naturgemäß nicht alle Mitarbeiter erreicht. Somit handelt es sich bei der Auswertung um ein Teilkollektiv. Der direkte Vergleich der Teilnehmer und der Nichtteilnehmer war nicht möglich.

Schlussfolgerung

Kardiovaskuläre Erkrankungen sind weltweit nach wie vor die häufigste Todesursache mit zunehmender Prävalenz im Alter. Um Personengruppen mit erhöhtem Gesamtrisiko zu identifizieren, ist eine Risikostratifizierung von hohem Nutzen (Hambrecht et al. 2017), denn die Eliminierung von gesundheitsgefährdendem Verhalten könnte mindestens 80 % der kardiovaskulären Erkrankungen verhindern (Schlimpert 2016).

Der Arbeitsplatz ist ein wichtiges Setting für Präventionsmaßnahmen. Im Rahmen von Gesundheitsinitiativen, aber auch von regelmäßig stattfindenden arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen oder Gesundheitschecks, können alle Mitarbeitergruppen erreicht werden. Erfolgsfaktoren für eine hohe Teilnahmerate sind die Niederschwelligkeit der Angebote sowie die Kunst, Ratio in Emotion zu übersetzen und den Mitarbeiter durch Spaß, Wettbewerb oder Anreize dazu zu motivieren, sein Verhalten nachhaltig zu verändern.

Eine Veränderung des Gesundheitsstatus der Belegschaft kann nur durch ein langfristig angelegtes umfassendes betriebliches Gesundheitsmanagement gelingen. Maßnahmen der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention müssen dabei eng verzahnt sein. Der Betriebsarzt spielt hier eine entscheidende Rolle, ebenso ist eine enge Kooperation mit den Haus- und Fachärzten in der Region wichtig.

Zur Sicherung der Nachhaltigkeit wurden die Erkenntnisse der Gesundheitsinitiative sowie der kardiovaskuläre Risikoscore in den regelmäßig angebotenen BASF-Gesundheitscheck integriert. Darüber hinaus steht den Mitarbeitern auch nach Ende von „Hand aufs Herz“ der Risikorechner im Intranet zur Verfügung.

Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist noch von einer Zunahme kardiovaskulärer Erkrankungen bei zunehmendem Durchschnittsalter der Belegschaft auszugehen. Eine konkrete Datenlage ermöglicht die Planung zielgruppenspezifischer Angebote, z.B. für Mitarbeiter in Wechselschicht. Erkenntnisse aus Gesundheitsinitiativen und arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen sind erforderlich, um auch künftig das Betriebliche Gesundheitsmanagement der BASF noch besser auf die wichtigen Zielgruppen auszurichten und das Portfolio maßgeschneiderter Angebote auszubauen.

Die Gesundheitsinitiative „Hand aufs Herz“ ist ein erfolgreiches Praxisbeispiel zur Primär- und Sekundärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen im Setting Arbeitsplatz.

Interessenkonflikt: Alle Autoren sind bei der BASF SE in Ludwigshafen beschäftigt. Die Autoren erklären, dass ansonsten kein Interessenkonflikt vorliegt.

Literatur

Assmann G, Cullen P, Schulte H: Simple scoring scheme for calculating the risk of acute coronary events based on the 10-year follow-up of the prospective cardiovascular Muenster (PROCAM) study. Circulation 2002; 105: 310–315.

Assmann G, Schulte H, Cullen P, Seedorf U: Assessing risk of myocardial infarction and stroke: new data from the Prospective Cardiovascular Münster (PROCAM) Study. Eur J Clin Invest 2007; 37: 925–932.

Drexler H, Letzel S, Nesseler T, Stork J, Tautz A: ARBEITSMEDIZIN 4.0 Thesen der Arbeitsmedizin zum Stand und zum Entwicklungsbedarf der betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland. Eine Sonderpublikation von DGAUM und ASU. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2015; 50 (10).

Gößwald A, Schienkiewitz A, Nowossadeck E, Busch MA: Prävalenz von Herzinfarkt und koronarer Herzkrankheit bei Erwachsenen im Alter von 40 bis 79 Jahren in Deutschland; Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1). Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 2013; 5/6.

Hambrecht R, Albus C, Halle M, Landmesser U, Löllgen H, Schuler GC, Perings S: Kommentar zu den neuen Leitlinien (2016) der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) zur kardiovaskulären Prävention der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz und Kreislaufforschung e.V. Berlin: Springer, 2017.

Khera Amit V et al.: Genetic risk, adherence to a healthy lifestyle, and coronary disease. N Engl J Med; 2016; 375: 2349–2358.

Lang S: Konzepte betrieblicher Gesundheitsförderung am Beispiel eines Großunternehmens in der Chemischen Industrie – BASF. In: Maehrlein K (Hrsg.): Soul@Work – Kraftvolle Unternehmen, kraftvolle Führungskräfte, kraftvolle Mitarbeiter. Offenbach: GABAL Verlag, 2015, S. 95–104.

Neumann S et al.: Diabetes-Screening und Prävention in einem Großunternehmen der chemischen Industrie. Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: e94–e100.

Robert Koch-Institut (RKI): Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Berlin: RKI, 2015, S. 37 ff.

Schlimpert V: Zwischen Lebensstil und Pharmakotherapie – Neue ESC-Leitlinie: Kardiovaskuläre Prävention auf individueller Basis, 2016 ( https://www.kardiologie.org/leitlinien/neue-esc-leitlinie-kardiovaskulaere-praevention-auf-individuelle/10703202 ).

Statistisches Bundesamt (Destatis): Die 10 häufigsten Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Jahr 2015. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt, 2017.

Tschaftary A, Oertelt-Prigione S: Geschlechterunterschiede in der kardiovaskulären Prävention. Dtsch Med Wochenschr 2014; 139: 2541–2545.

Webendörfer S, Riemann JF: Darmkrebsfrüherkennung im betriebsärztlichen Umfeld Umstellung vom Guajak-basierten auf einen immunologischen Test auf okkultes Blut im Stuhl; Dtsch Med Wochenschr 2014; 139: 79–83.

World Health Organization (WHO): World Health Statistics 2016: Monitoring health for the sustainable development goals (SDGs). Geneva: WHO, 2016.

Für die Verfasser

Dr. med. Tobias ConzelmannCorporate Health Management

BASF SE, FEH/AS – H306

67056 Ludwigshafen am Rhein

tobias.conzelmann@basf.com

Fußnoten

Corporate Health Management, BASF SE, Ludwigshafen am Rhein