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“Work Well“ — das globale Programm soll arbeitsbedingten Stress reduzieren

Hintergrund

Arbeitsbedingter Stress ist ein globales Phänomen und nimmt in allen Regionen der Welt zu. Da Mitarbeitergesundheit einen wichtigen betriebswirtschaftlichen Faktor darstellt, engagieren sich Unternehmen seit vielen Jahren für Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF), um das individuelle Verhalten von Mitarbeitern positiv zu beeinflussen. Nachhaltige Auswirkungen auf arbeitsbedingten Stress sind hierdurch jedoch schwer zu erreichen, da durch Maßnahmen zu den Themen „Bewegung, Ernährung und Stressbewältigung“ die Ursachen von Stress nicht adressiert werden. Höchstwahrscheinlich sind Maßnahmen Erfolg versprechender, die die Verhältnisse am Arbeitsplatz verbessern und sich auf die Reduzierung von psychosozialen Belastungen fokussieren. Aufgrund der potenziellen Auswirkungen sind Unternehmen gut beraten, einen Schwerpunkt im Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) auf gesundheitsförderliche Arbeitsverhältnisse zu legen, um die Arbeitsfähigkeit und Produktivität der Belegschaft langfristig zu erhalten.

Im Juni 2011 hat der Konzernvorstand der Allianz SE mit dem europäischen Konzernbetriebsrat eine Vereinbarung zum Umgang mit arbeitsbedingtem Stress geschlossen. Produktivität und Performance sind dabei gleichbedeutende Werte wie Mitarbeitergesundheit und Mitarbeiterwohlbefinden. Das definierte Ziel ist die nachhaltige Reduzierung von Stress am Arbeitsplatz. In der Folge wurde durch eine internationale Arbeitsgruppe ein gemeinsames Maßnahmenpaket erarbeitet, um den über 100 Konzerngesellschaften weltweit ein Werkzeug zur Umsetzung an die Hand zu geben.

Produkte

Das Work-Well-Programm hat vier zentrale Bestandteile. Zunächst führt jede Konzerngesellschaft den Minimum-Standard ein, bestehend aus 10 Basismaßnahmen. Dieser Minimum-Standard des Programms wurde nach den Konzernbedürfnissen von einem internationalen und interdisziplinären Projektteam entwickelt und durch den Konzernvorstand beschlossen ( Tabelle 1). Es handelt sich dabei im Einzelnen um Kommunikationsmaßnahmen zur Entstigmatisierung von Stress, Führungskräftequalifizierung, Verbesserung der Arbeitsorganisation (Regelungen zu E-Mail-Verkehr, Erreichbarkeit und flexiblen Arbeitsbedingungen) und das Angebot eines Employee Assistance Program (EAP). Unabhängig von speziellen Anforderungen in einer Ländergesellschaft sollen diese Maßnahmen die Grundbedürfnisse aller Mitarbeiter bezüglich Stress am Arbeitsplatz weltweit abdecken.

Spezielle Belastungen werden durch den Work Well Index (WWi) im Rahmen der jährlichen Mitarbeiterbefragung erhoben und danach systematisch bearbeitet. Der WWi, bestehend aus 10 Fragen, stellt ein orientierendes Verfahren zur psychischen Gefährdungsbeurteilung dar ( Abb. 1). Das Vorgehen wurde mit der Berufsgenossenschaft abgesprochen und mit dem Betriebsrat vereinbart. Der Index wurde in Zusammenarbeit mit Prof. Peter Angerer und Dr. Jian Li von der Universität Düsseldorf entwickelt. Durch eine Validierungsstudie mit ca. 1200 Teilnehmern aus vier Ländern wurde bestätigt, dass der WWi eine gute Aussage zu arbeitsbedingten Belastungen treffen kann. Er basiert auf den gängigen und mehrfach validierten Arbeitsstressmodellen wie dem Anforderungs-Kontroll-Modell nach Karasek (1998) und dem Gratifikationskrisenmodell nach Siegrist (2004). Höhere WWi-Werte hängen zudem eng mit besseren Gesundheitsparametern (Depression, Erschöpfung, subjektive Gesundheit, Absentismus, Präsentismus) zusammen (Mauss 2017).

Eine Toolbox mit zusätzlichen „Good-Practice“-Beispielen der einzelnen Gesellschaften hilft bei der gezielten Verbesserung einzelner Belastungen, die im Rahmen der jährlichen Mitarbeiterbefragung auffällig werden. Im Laufe des letzten Jahres konnten somit bereits ca. 100 verschiedene zusätzliche Maßnahmen mit detaillierten Beschreibungen allen Allianz-Gesellschaften zur Verfügung gestellt werden.

Ein zentrales Controlling unterstützt als vierte Säule die qualitätsgerechte Umsetzung des Programms. Maßnahmen können ihre volle Wirkung nur entfalten, wenn sie in einer adäquaten Qualität eingeführt und als nachhaltiges Investment gesehen werden. Das Verständnis hierfür kann in den verschiedenen Ländern und Gesellschaften durchaus unterschiedlich ausgeprägt sein. Eine Schulung der verantwortlichen Personen in den jeweiligen Ländergesellschaften sowie eine enge Betreuung durch interne Experten erscheint deswegen unerlässlich.

Ziel und angestrebter Nutzen

Ziel des globalen Programms ist die Reduzierung von arbeitsbedingtem Stress und damit letztendlich die Gewährleistung gesundheitsförderlicher Arbeitsplätze für die ca. 150 000 Mitarbeitenden der Allianz-Gruppe. Für den WWi wurde ein mittelfristiges Konzernziel bis 2018 definiert. Dieses Ziel ist weltweit auf alle Konzerngesellschaften heruntergebrochen. Je nach IST-Wert 2015 müssen die Gesellschaften unterschiedliche Verbesserungen des Indexes bis 2018 beitragen. Jeder Geschäftsführer und CEO hat in seinen bonusrelevanten 3-Jahres-Zielen eine Zielvereinbarung für den WWi. Damit ist die Unterstützung für ein vermeintlich „weiches“ Thema durch das Top-Management gewährleistet.

Vorgehen

Die Einführung des Minimum-Standards wurde zunächst in einigen Pilotbereichen getestet und danach Feedback eingeholt. Aufgrund der Rückmeldungen wurde das Roll-out-Konzept daraufhin überarbeitet. Drei Punkte sind beim Roll-out nun von höchster Bedeutung. Erstens müssen die operativen Bereiche bei der Umsetzung involviert werden, um die Maßnahmen zu priorisieren und vor allem an die lokalen Geschäftsbedürfnisse anzupassen. Zweitens hat jede Ländergesellschaft drei Jahre Zeit, um den Minimum-Standard einzuführen. Da es sich bei dem Programm in erster Linie um eine Veränderung der Arbeitskultur handelt, benötigt man Zeit, um nicht nur definierte Prozesse einzuführen, sondern tatsächlich die Unternehmenskultur und das Verhalten der Personen zu ändern. Drittens ist ein Austausch zwischen den einzelnen Ländergesellschaften wichtig, um Erfahrungen und gute Umsetzungsbeispiele zu teilen.

Das Umsetzungskonzept sieht vor, dass in regionalen eintägigen Workshops (z. B. Osteuropa, Lateinamerika, Asien, Westeuropa etc.) jeweils mindestens zwei verantwortliche Personen jeder Ländergesellschaft auf das Programm geschult werden: ein hochrangiger Business-Botschafter und ein Programmverantwortlicher aus dem Personalbereich (z. B. Personalleiter, Health & Safety Manager, Personalentwickler). Nachfolgend wird durch regelmäßige Telefonate mit den zentralen Work-Well-Beratern innerhalb der regionalen Gruppe sowie zu den einzelnen 10 Maßnahmen ein Erfahrungsaustausch gewährleistet. Alle Unterlagen zum Programm inklusive Toolbox, Infomaterial und Neuigkeiten sind in einer geschlossenen Intranetgruppe für alle Beteiligten abrufbar. Für die Umsetzung vor Ort ist es entscheidend, dass alle Interessenvertreter beteiligt werden (Personal, Betrieb, Kommunikation, Arbeitsschutz, Betriebsrat).

Steuerung und Nachhaltigkeit

Die zentrale Work-Well-Abteilung definiert die weltweiten Konzernstandards für dieses Programm, entwickelt Instrumente, um eine Einführung in hoher Qualität zu gewährleisten, fördert den Erfahrungsaustausch und unterstützt die einzelnen Ländergesellschaften bei der Umsetzung als Berater. Zur Steuerung existieren drei verschiedene Messinstrumente ( Abb. 2).

Das erste Instrument besteht aus einer Sammlung von qualitativen und quantitativen Indikatoren für die 10 Maßnahmen des Minimum-Standards, um die Auswirkungen jeder einzelnen Maßnahme messen zu können. Selbstverständlich wird diese Sammlung kontinuierlich erweitert. Das zweite Tool besteht aus dem Work Well Index, der genutzt werden kann, um spezifische Belastungen in einzelnen Organisationseinheiten zu ermitteln. Ein Reifegradmodell steht als drittes Instrument zur Verfügung, um den Umsetzungsgrad und die Verankerung in der Organisation im Rahmen eines Selbst-Audits zu bestimmen. Hierbei ist es wichtig, dass alle beteiligten Interessenvertreter inklusive des Betriebsrats oder anderer Mitarbeitervertreter teilnehmen, um ein möglichst breites Meinungsbild zu erhalten.

Herausforderungen und Risiken

Selbstverständlich bestehen bei diesem Programm auch gewisse Risiken und Herausforderungen. Beispielsweise kann sich abhängig von Verständnis, Motivation und Ressourcen in den einzelnen Gesellschaften eine Umsetzung der Maßnahmen in hoher Qualität oder eine nachhaltige Implementierung von Veränderungen als schwierig darstellen. Da die Qualität der umgesetzten Maßnahmen jedoch die Wirkung bestimmt, ist dieser Punkt ein unerlässliches Kriterium für den Erfolg. Zusätzlich besteht mancherorts eine gewisse Tendenz, Maßnahmen vorschnell als erledigt zu betrachten. Die Einschätzung und Messung der Wirkung ist deshalb von erheblicher Bedeutung. Die Definition von spezifischen Indikatoren sowie das Messen der Wirkung sind jedoch ebenso wichtig wie herausfordernd.

Umstrukturierungen sind in vielen Konzernen und größeren Unternehmen an der Tagesordnung. Dies erzeugt Unruhe und Unsicherheit und hat einen Einfluss auf das Wohlbefinden der Belegschaft. Es gibt demnach Veränderungen, die durch ein modernes BGM nicht oder zumindest nur schwer beeinflusst werden können. Als Gegenpol ist BGM dennoch in diesen speziellen Situationen extrem wichtig, um veränderungsbedingte Belastungen abzufedern.

Letztendlich ist ein globaler Ansatz mit einer Umsetzung in 70 Ländern für ca. 150 000 Mitarbeiter mit allen ihren kulturellen und individuellen Besonderheiten spannend und fordernd zugleich.

Ausblick

Das Work-Well-Programm ist einer der Schwerpunkte des Personalbereichs für die nächsten Jahre. Durch den partizipativen Ansatz bei der Entwicklung der Maßnahmen in der ersten Projektphase ist meist eine tatkräftige und emotionale Unterstützung der Ländergesellschaften gegeben. Zusätzlich wird ein vermeintliches Soft-Thema in Länder gebracht, in denen psychische Belastungen bisher nicht oder nur selten im Fokus standen. Das Programm trägt somit erheblich zum internationalen Arbeitsschutz bei.

In den nächsten Jahren sollen weitere unternehmensspezifische Kennzahlen entwickelt werden, die den Zusammenhang zwischen Mitarbeitergesundheit und Produktivität aufzeigen sollen (z. B. gesundheitsbezogener Produktivitätsverlust). Hierdurch soll der betriebswirtschaftliche Nutzen des Programms berechnet werden. Durch eine enge Zusammenarbeit mit universitären Einrichtungen werden zudem wissenschaftliche Studien zu aktuellen Themen vorangetrieben, die die Umsetzung des Programms unterstützen.

Interessenkonflikt: Der Autor erklärt einen gewissen Interessenkonflikt, da er innerhalb der vergangenen 3 Jahre Aktienanteile des Unternehmens Allianz SE gehalten hat.

Literatur

Karasek R et al.: The Job Content Questionnaire (JCQ): an instrument for internationally comparative assessments of psychosocial job characteristics. J Occup Health Psychol 1998; 3: 322–355.

Mauss D, Li J, Angerer P: Psychometric properties of the Work Well Index: a short questionnaire for work-related stress. Stress Health 2017; 33: 80–85.

Siegrist J et al.: The measurement of effort-reward imbalance at work: European comparisons. Soc Sci Med 2004; 58: 1483–1499.

    Autor

    Dr. med. Daniel Mauss

    Chief Medical Officer

    Allianz SE

    Königinstraße 28

    80802 München

    daniel.mauss@allianz.com

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