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Wissenschaftliche Datenlage zur BK-Nr. 1103 im Hinblick auf die kanzerogene Wirkung von Chrom(VI)-Verbindungen

Wissenschaftliche Datenlage zur BK-Nr. 1103 im Hinblick auf die kanzerogene Wirkung von Chrom(VI)-Verbindungen

Die BK-Nr. 1103 „Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen“ in der Anlage 1 zur deutschen Berufskrankheitenverordnung gehört zu den sog. „offenen“ Berufskrankheiten, in denen zwar ein einwirkendes Agens, nicht jedoch eine oder mehrere bestimmte Erkrankungen bzw. betroffene Organe genannt werden. In derartigen Fällen stellt sich immer die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Erkrankungen, hier insbesondere Bronchial-karzinome durch Chrom(VI)-Verbindungen, als Berufskrankheit (BK) anerkannt werden können.

Dieser Beitrag versucht, unter sorgfältiger Auswertung der Literatur hier-für Anhaltspunkte zu entwickeln. Es zeigt sich, dass aus den publizierten Daten zur Morbidität und Mortalität von Personen mit stattgehabter Exposition gegen Cr(VI)-Verbindungen keine stringenten Dosis-Wirkungs-Beziehungen ableitbar sind, die die Formulierung zweifelsfreier Kriterien für die Anerkennungsfähigkeit von Bronchialkarzinomen durch Cr(VI) erlauben würden.

Als Hilfestellung bei der Beurteilung von Bronchialkarzinomen im Rahmen der BK-Nr. 1103 wird unter Berücksichtigung der besten verfügbaren Daten eine kumulative Dosis im Bereich um 500 [µg/m3 x Jahre] i. S. eines Orientierungsmaßes vorgeschlagen, das im Rahmen der jeweiligen Einzelfall-prüfung Berücksichtigung finden kann.

Schlüsselwörter: Chrom – Chrom(VI) – Chromat – Bronchialkarzinom – Dosis-Wirkungs-Beziehung – Berufskrankheit

Scientific data on occupational disease no. 1103 with respect to the carcinogenic effect of chromium(VI) compounds

In the German list of acknowledged occupational diseases, no. 1103 refers to „diseases due to chromium or its compounds“. However, this concise wording does not specify the exposure criteria needed to meet the requirements of an occupational disease. As a result, it is unclear if and under which exposure conditions diseases, in particular lung cancer can be acknowledged as an occupational disease according to German regulations.

This article was therefore proposed as a measure to address this ambiguity. According to the available literature on the morbidity and mortality of persons exposed to Cr(VI), no strict dose-response relationship regarding lung cancer can be established.

Furthermore, based on the best available data, a cumulative exposure dose of 500 [µg/m3 x years] is recommended as the basis for individual case assessment.

Keywords: chromium – chromium(VI) – chromate – lung cancer – dose-response relationship – occupational disease

T. Brüning1

B. Pesch1

W. Zschiesche1

P. Welge1

O. Hagemeyer1

T. Weiß1

G. Schlüter1

E. Nies2

F. Bochmann2

R. Stamm2

S. Palfner3

D. Pallapies1

(eingegangen am 27. 03. 2015, angenommen am 30. 04. 2015)

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2015; 50: 666–676

Problemstellung

Die BK-Nr. 1103 „Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen“ in der Anlage 1 zur deutschen Berufskrankheitenverordnung gehört zu den sog. „offenen“ Berufskrankheiten, in denen zwar ein einwirkendes Agens, nicht jedoch eine oder mehrere bestimmte Erkrankungen bzw. betroffene Organe genannt werden. In derartigen Fällen stellt sich immer die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Erkrankungen, hier insbesondere Bronchial-karzinome durch Chrom(VI)-Verbindungen, als Berufskrankheit (BK) anerkannt werden können. Im Einzelfall ist dabei nach einer gründlichen retrospektiven Expositionsermittlung zu prüfen, ob die Einwirkungen bei der versicherten Tätigkeit die vorliegende Krankheit verursacht haben. Dieser Ursachenzusammenhang muss hinreichend wahrscheinlich sein.

Um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zu bejahen, muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden und nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang mit der beruflichen Exposition spricht (vgl. z. B. BSG Urt. v. 12. 09. 2012 – B 3 KR 10/12 R – juris Rn. 47 mwN; Urt. v. 09. 05. 2006 – B 2 U 1/05 R – juris Rn. 20 mwN; Beschl. v. 08. 08. 2001 – B 9 V 23/01 B – juris Rn. 4 mwN).

Anhand der aktuellen wissenschaftlichen Literatur sind dabei die Erkenntnisse zur Kanzerogenität der Noxe, ggf. differenziert nach dem jeweiligen Zielorgan, zu prüfen:

  • Welche Einstufungen durch nationale oder internationale Gremien gibt es aktuell?
  • Gibt es epidemiologische Erkenntnisse? Liegen dazu Meta-analysen vor?
  • Konnten Risikoerhöhungen quantifiziert oder sogar Dosis-Wirkungs-Beziehungen abgeleitet werden?
  • Besteht dazu im Wesentlichen Konsens oder wie sind ggf. wider-sprüchliche (epidemiologische) Erkenntnisse zu werten?

Bezüglich der Beurteilung der kanzerogenen Wirkung von Chrom(VI)-Verbindungen im Rahmen von Begutachtungen für die BK-Nr. 1103 liegt zurzeit folgender Erkenntnisstand vor:

International besteht Konsens, dass eine Exposition gegenüber hexavalentem Chrom (Cr(VI)) beim Menschen Krebs erzeugen kann. Chrom(VI)-Verbindungen wurden durch die MAK-Kommission der DFG und durch die IARC jeweils als Humankanzerogen eingestuft; auch in der Legaleinstufung der CLP-Verordnung sind Chrom(VI)-Verbindungen (mit Ausnahme nahezu unlöslicher Verbindungen wie z. B. Bleichromat) je nach Zusammensetzung als bekanntermaßen bzw. wahrscheinlich beim Menschen krebserzeugend (Carc. Cat. 1 A bzw. 1 B) eingestuft. Epidemiologische Studien haben ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko nach inhalativen Chromexpositionen an historischen Arbeitsplätzen in der Chromaterzeugung gezeigt (siehe z. B. Gibb et al. 2000; Mundt et al. 2002; Luippold et al. 2003).

Während die krebserzeugende Wirkung der Exposition gegenüber Cr(VI) qualitativ belegt ist, bereitet die Ableitung einer Dosis-Wirkungs-Beziehung (in diesem Fall eine Beziehung zwischen Exposition und kanzerogenem Risiko) erhebliche Probleme. Wegen der häufig gleichzeitigen Expositionen der Versicherten gegenüber verschiedenen weiteren Formen von Chrom (insbesondere dem stabileren dreiwertigen Chrom (Cr(III)) ist die eindeutige Zuordnung von spezieller Ursache und Wirkung anhand der epidemiologischen Daten kaum möglich.

Für Neoplasien an den Atemwegen, insbesondere der Lunge, werden – neben dem Tabakrauch – zahlreiche einatembare Arbeitsstoffe, insbesondere kanzerogene Stäube, verantwortlich gemacht. In der Gesamtbevölkerung Deutschlands gibt es mit 7,0 % bei Män-nern und 3,2 % bei Frauen insgesamt ein hohes Erkrankungsrisiko für Lungenkrebs (Robert Koch-Institut und die Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e. V. 2013). Es ist daher gerade für Lungenkrebs besonders schwierig, die Frage zu beantworten, ob die diagnostizierte Erkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Folge der schädigenden Einwirkungen am Arbeitsplatz ist („haftungsbegründende Kausalität“).

Sofern Erkrankungen sowohl „schicksalsbedingt“ sowie durch außerberufliche Risikofaktoren (wie z. B. das Tabakrauchen) als auch arbeitsbedingt entstehen (und auch nicht durch ihre Charakteristik, z. B. histopathologisch, voneinander abgegrenzt werden) können, hat sich für die Differenzierung im Individualfall die Orientierung an der sog. Verdopplungsdosis etabliert. Darunter versteht man die Dosis der betreffenden Noxe, die im exponierten Beschäftigtenkollektiv doppelt so viele Erkrankungsfälle im Vergleich mit einer nicht am Arbeitsplatz exponierten Kontrollpopulation induziert. Bei Anwendung dieses Maßstabs liegt die Wahrscheinlichkeit für die arbeitsbedingte Verursachung der Erkrankung bei mindestens 50 %.

Allerdings fehlen für viele krebserzeugende Arbeitsstoffe, die in der deutschen BK-Liste aufgeführt sind, so auch für Chrom(VI)-Verbindungen, verlässliche Angaben zur Verdopplungsdosis, etwa in wissenschaftlichen Stellungnahmen des Ärztlichen Sachverständigenbeirats „Berufskrankheiten“ beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Der deutsche Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) stellt seit 2005 Exposition-Risiko-Beziehungen (ERBen) für krebserzeugende Arbeits-stoffe als Präventionsinstrument auf. Ziel ist, ein möglichst niedriges Risiko arbeitsbedingter Krebsfälle für alle versicherten Personen zu erreichen. Die ERBen dienen dazu, die Lebensarbeitszeitkonzentrationen abzuleiten, die einem zusätzlichen arbeitsbedingten „tolerablen“ bzw. „akzeptablen“ Erkrankungsrisiko von 4:1000 bzw. 4:10 000 (künftig 4:100 000) entsprechen. Während Akzeptanz- und Toleranzkonzentrationen dem kollektiven Arbeitsschutz verpflichtet sind, geht es in BK-Verfahren darum, zu entscheiden, ob im konkreten Einzelfall die festgestellte Einwirkung die Erkrankung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit verursacht hat.

In der TRGS 910 werden die ERBen beschrieben. Die dort angegebenen Toleranz- und Akzeptanzkonzentrationen können – wie in der Anlage 3 zur TRGS 910 dargestellt – nicht unmittelbar zur Ab-leitung eines stoffspezifischen Dosismaßes als Orientierungswert im BK-Anerkennungsverfahren genutzt werden:

„Entsprechend können […] Konzentrationswerte (Akzeptanz- und Toleranzkonzentrationen) sowie die ihnen zugrunde liegenden ERB auch nicht Grundlage des Berufskrankheitenrechts sein und haben damit auch keine unmittelbare Bedeutung in entsprechenden Berufskrankheiten-Verfahren. Die den abgeleiteten ERB zugrunde liegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und die auf der Homepage der BAuA veröffentlichten Begründungen (Begründungen zu Exposition-Risiko-Beziehungen) können aber bei der Prüfung im Hinblick auf eine Einzelfallentscheidung eines Berufskrankheiten-Verfahrens herangezogen werden. Sie sind dann im Rahmen des geltenden Berufskrankheitenrechts hinsichtlich des Einzelfalls gesondert zu würdigen.“

Für Chrom(VI)-Verbindungen hat der AGS beim Versuch der Ableitung einer ERB aufgrund unzureichender Datenlage keine Toleranz- oder Akzeptanzkonzentration, sondern einen Wert von 1 µg/m3 als Beurteilungsmaßstab (im Schichtmittel) verabschiedet.

Im vorliegenden Beitrag sollen für Chrom(VI)-Verbindungen die Erkenntnisse aus tierexperimentellen Untersuchungen, epidemiologischen Studien und Überlegungen zum toxikologischen Wirkmechanismus kurz dargestellt und ein Vorschlag für ein Orientierungsmaß für Einzelfallentscheidungen im BK-Verfahren begründet werden. Trotz der anerkannt schlechten Datenlage wird auch versucht, zu klären, inwiefern sich die Studien, die den vom AGS veröffentlichten spezifischen Krebsrisiko-Berechnungen zugrunde liegen, zur Ableitung einer Dosis-Wirkungs-Beziehung oder eines Orientierungsmaßes für die Beurteilung eines Lungenkrebses nach Chrom-Exposition am Arbeitsplatz im Hinblick auf die BK-Nr. 1103 nutzen lassen.

Krebsauslösung durch Chromverbindungen

Mechanismen der Krebsentstehung

Der Wirkungsmechanismus von Chrom(VI)-Verbindungen in Hinblick auf die Krebsentstehung ist z. B. in DFG 2012, ATSDR 2008, Salnikow et al. 2008, Pesch et al. 2008 und Beyersmann et al. 2008 ausführlich dargestellt. Für das kanzerogene Potenzial von Cr(VI) sind die im Vergleich zu Cr(III) leichtere Aufnahme in Körperzellen und nach Reduktion zu Cr(III) sowohl verschiedene gentoxische Mechanismen als auch die Deregulation der Zellproliferation zu berücksichtigen.

Unter physiologischen Bedingungen liegen Chrom(VI)-Verbindungen als eine Mischung aus Chromat (CrO42–) und Hydrogenchromat (HCrO4) vor (DFG 2012). Beide können leicht über unspezifische Anionen-Kanäle in die Zellen gelangen, reagieren aber wegen ihrer negativen Ladung nicht mit der DNA. Cr(III) tritt dagegen kaum in Zellen ein. Intrazellulär kann Chrom(VI) über die reaktiven Zwischenstufen Cr(V) und Cr(IV) zum stabilen Cr(III) reduziert werden, das an biologische Makromoleküle binden kann. Als Reduktionsmittel ist in menschlichen Zellen Ascorbat besonders relevant, In-vitro-Ergebnisse weisen auch auf eine wichtige Rolle von Glutathion und anderen Sulfhydrylverbindungen hin. Über welche Zwischenstufen die Reduktion erfolgt und welche gentoxischen Intermediate entstehen, hängt vom Reduktionsmittel ab.

Im Vordergrund der gentoxischen Wirkungen stehen die Induktion von oxidativem Stress und die Bildung von Chrom-DNA-Addukten mit Chrom(III). Es ist noch unklar, wie groß jeweils der relative Beitrag beider Mechanismen zur Gentoxizität von Chrom(VI)-Verbindungen ist. Die Bildung von stabilen Komplexen des Chrom(III)-Ions mit DNA wurde wiederholt nachgewiesen (Fornace et al. 1981; Miller u. Costa 1988; Salnikow et al. 1992). Dabei stehen ternäre Komplexe aus Chrom(III), DNA und kleinen Molekülen wie Ascorbat, Glutathion, Cystein oder Histidin im Vordergrund (DFG 2012). Die Addukte können die Genauigkeit der Basenpaarung bei der DNA-Replikation herabsetzen, Genmutationen verursachen und DNA-Doppelstrangbrüche und in der Folge Chromosomenbrüche sowie die Bildung von Mikronuklei bewirken (DFG 2012).

Neben gentoxischen Mechanismen kann auch die Fehlregulation der Zellproliferation einen Beitrag zur Krebsentstehung leisten (DFG 2012). In vitro konnte gezeigt werden, dass Chrom(VI) eine Aktivierung von bestimmten mitogenaktivierten Proteinkinasen (Chuang u. Yang 2001; Kim u. Yurkow 1996) und eine Phosphorylierung von mitogenen Transkriptionsfaktoren (Ye et al. 1995; Samet et al. 1998) bewirken kann, die bei Entzündungsprozessen und Tumorwachstum eine Rolle spielen.

Die Mehrzahl der Gentoxizitätstests mit Chrom(VI)-Verbindungen war positiv. Auch in einigen Studien an beruflich exponierten Beschäftigten ergaben sich Hinweise auf eine Induktion von DNA-Strangbrüchen, Chromosomen-Aberrationen, Schwester-Chromatid-Austauschen, außerplanmäßiger DNA-Synthese und DNA-Protein-Vernetzungen (ATSDR 2008).

Tierexperimentelle Untersuchungen

Es liegen mehrere ältere Studien vor, in denen Ratten oder Mäuse inhalativ gegenüber Chrom(VI)-Verbindungen chronisch exponiert wurden (Glaser et al. 1986; Nettesheim et al. 1971; Adachi et al. 1986; Adachi 1987). Diese Studien sind aufgrund verschiedener Limitierungen oder Qualitätsmängel nicht für die Ableitung einer Dosis-Wirkungs-Beziehung geeignet. So wurde teilweise nur eine einzige Expositionsdosis eingesetzt (Nettesheim et al. 1971), Studiendesign und Dokumentation entsprechen nicht erforderlichen Mindeststandards (Nettesheim et al. 1971; Adachi et al. 1986, Adachi 1987), oder es wurden ausschließlich weibliche Tiere untersucht (Adachi et al. 1986; Adachi 1987). Eine Studie von Glaser et al. (1986) an Ratten wäre grundsätzlich für die Ableitung einer Dosis-Wirkungs-Beziehung geeignet, aber die Tierzahl ist mit 20 (statt heute geforderten 50) Tieren pro Gruppe zu klein, die Sensitivität für die Entdeckung einer tumorigenen Wirkung damit gering und die Dosis-Wirkungs-Beziehung nicht mit ausreichender Genauigkeit ermittelbar. In qualitativ guten aktuellen Studien an Ratten und Mäusen mit oraler Exposition (NTP 2008) treten Tumoren an oraler Mukosa, Zunge und verschiedenen Abschnitten des Dünndarms auf, also an Orten des ersten Kontakts des Chroms mit dem Organismus. Daher ist keine Übertragung auf den inhalativen Pfad möglich.

Weiterhin sind einige tierexperimentelle Studien mit Exposition gegenüber Schweißrauch publiziert worden. Allerdings liegen derzeit keine Standard-Kanzerogenese-Langzeitstudien an Nagern gemäß entsprechender OECD-Guideline mit Exposition gegenüber Schweißrauchen vor. Einzelne Untersuchungen einer Arbeitsgruppe mit kurzzeitiger Instillation (Pharynx) von Edelstahl-Schweißrauchen zeigten nur bei einem für Lungentumoren besonders empfindlichen Mäusestamm (A/J-Mäuse) erhöhte Inzidenzen und mehr Tumoren pro Lunge und deuten insgesamt auf ein geringes kanzerogenes Potenzial von Cr(VI) im Schweißrauch hin (Zeidler-Erdely et al. 2008). Die hier getestete Exposition entspricht jedoch nicht der des Beschäftigten am Arbeitsplatz, deshalb kann auf dieser Basis keine ERB abgeleitet werden. Auch wurden für diese Exposition die Schweißrauche in einer physiologischen Salzlösung gelöst, was ihre inflammatorische Aktivität im Vergleich zu „frischen“ Schweißrauchen verändern kann (Antonini et al. 1998). Eine Inhalationsstudie an Mäusen mit sehr kurzer Expositionsdauer ergab keine tumorigenen Effekte von Schweißrauch (Zeidler-Erdely et al. 2011a). In einem Initiations-Promotions-Modell zur Identifizierung des Mechanismus einer potenziellen kanzerogenen Wirkung wurden promovierende Effekte bei der Entstehung von Lungentumoren identifiziert (Zeidler-Erdely et al. 2013). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die vorhandenen Studien aufgrund des für die Ableitung einer Dosis-Wirkungs-Beziehung nicht adäquaten Expositionspfades oder zu kurzer Expositionsdauer für die Ableitung einer ERB nicht geeignet sind.

Epidemiologische Studien

In dieser Darstellung werden diejenigen epidemiologischen Studien betrachtet, in denen Informationen zur Frage der Beziehung zwischen quantitativen Daten zur Exposition (am Arbeitsplatz) und einem Krebsrisiko publiziert wurden, sowie nach unserer Kenntnis bisher nur eine Studie zum Lungenkrebsrisiko von Schweißern, bei der die Cr(VI)-Exposition abgeschätzt wurde (Gerin et al. 1993).  Tabelle 1 gibt eine Übersicht zu diesen Kohorten. Es handelt sich dabei insbesondere um die folgenden, voneinander unabhängigen Kohorten mit insgesamt etwa 300 Lungenkrebsfällen in der histori-schen Chromatproduktion:

  • Chromatproduktion Baltimore, Maryland, USA: Hayes et al. 1979, Gibb et al. 2000, Park et al. 2004, Park u. Stayner 2006;
  • Chromatproduktion Painesville, Ohio, USA: Mancuso 1997, Crump et al. 2003, Luippold et al. 2003, Proktor et al. 2004;
  • Chromatproduktion Texas und North Carolina (USA), Leverkusen und Uerdingen (Deutschland): „multi-plant study“, Mundt et al. 2002, in der die von Luippold et al. 2005 bzw. Birk et al. 2006 dargestellten Kohorten enthalten sind.

Diese Arbeiten sind nachfolgend unter der Überschrift des jeweiligen Beschäftigungsbereichs beschrieben.

Studien in der Chromatproduktion

„Baltimore-Kohorte“

Die sog. „Baltimore-Kohorte“ umfasst mehr als 4200 Beschäftigte in der Chromatproduktion mit Beschäftigungsbeginn von 1945 bis 1974, von denen etwa die Hälfte wiederholt für Risikoschätzungen analysiert wurden. Wie bereits zuvor dargelegt, haben Gibb et al. (2000) eine eingehende statistische Auswertung der Mortalität von 2357 Personen dieser Kohorte publiziert, die in dem Chromatwerk erstmalig in der Zeit von 1950–1974 beschäftigt waren.

Zur Ermittlung der Exposition wurde zwar eine große Zahl unterschiedlicher Messdaten (ca. 70 000) in eine Job-Expositions-Matrix zur Bewertung von Cr(VI) überführt. Messwerte liegen allerdings nur für die Zeiträume von 1950–1956, 1960–1961 und 1971–1985 vor. Ab 1977 wurden Schichtmessungen nach einer NIOSH-Methode durchgeführt. Frühere Messungen waren stationäre Kurzzeitmessungen, teilweise in Nähe der Probanden. Gemessen wurden ent-weder die Massenanteile von Chrom oder Chromtrioxid (CrO3). Im Rahmen der Studie wurden alle Messungen in CrO3 konvertiert, so dass alle Messdaten schließlich als CrO3/mg3 vorlagen. Die kumulativen Belastungen gegenüber Cr(III) und Cr(VI) korrelieren stark miteinander. Eine Zuordnung von Wirkungen zu einer bestimmten Oxidationsform wird dadurch erheblich erschwert.

Die Aussagefähigkeit dieser Studie ist zusätzlich dadurch sehr eingeschränkt, dass die Beschäftigungsdauer im Median lediglich 0,39 Jahre war (also nicht einmal 5 Monate), d. h. weniger als 1 % der Lebensarbeitszeit ist dokumentiert. Der Rauchstatus wurde nur zu Beschäftigungsbeginn als Ja/Nein-Information abgefragt. Mehr als 80 % der Beschäftigten waren zu diesem Zeitpunkt Raucher. Außerdem traten bei 60 % der Beschäftigten Schädigungen des Nasenepithels auf, was evtl. auf hohe Cr(VI)-Expositionen schließen lässt; eine klare Assoziation zwischen festgestellten Reizsymptomen und späterem Lungenkrebs gab es nicht.

Von besonderer Bedeutung ist, dass insbesondere vor 1960 dem Produktionsprozess noch größere Mengen an Kalk zugesetzt wurden („high-lime process“). Die Verwendung von Kalk führte zu einer Exposition gegenüber schwerlöslichem Calciumchromat, dem im Vergleich zu den beim „low-lime process“ vornehmlich entstehenden leichtlöslichen Alkalichromaten ein höheres kanzerogenes Potenzial bei inhalativer Exposition zugeschrieben wird (Luippold et al. 2003, 2005).

Die Gesamtsterblichkeit der Kohorte im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung der USA war nur leicht und nicht signifikant erhöht (Standardisierte Mortalitätsratio (SMR) 1,06, 95 % CI 0,99–1,13). Das Lungenkrebsrisiko (SMR) betrug 1,80 (95 % CI 1,49–2,14), basierend auf 122 Fällen. Für interne Vergleiche wurden verschiedene Expositionsmaße, Entzündungen der Atemwege, Rauchstatus und ethnische Zugehörigkeit berücksichtigt. Nur vier von 122 Lungenkrebsfällen traten unter Nichtrauchern auf. Für eine zehnfache Erhöhung der kumulativen Cr(VI)-Belastung schätzten die Autoren ein relatives Risiko von 1,66 (p = 0,045). Die statistischen Modelle waren instabil, wenn Cr(III) berücksichtigt wurde. Kumulative Cr(VI)-Exposition blieb jedoch ein signifikanter Risikofaktor.

Aufgrund der extrem kurzen Beschäftigungsdauer in Verbindung mit erheblichen Schwächen in der Abschätzung der Exposition gegenüber Cr(VI) sowie der minimalen Informationen über Rauchen in Kombination mit der Tatsache, dass fast nur Raucher Lungenkrebs entwickelten, ist die sog. „Baltimore“-Kohorte für quantitative Expositions-Wirkungs-Abschätzungen nicht geeignet, um das Lungenkrebsrisiko bei langjähriger Exposition zu bewerten.

„Painesville-Kohorte“

Die „Painesville-Kohorte“ umfasst 493 Beschäftigte, die in den Jahren 1940–1972 exponiert waren (Luippold et al. 2003). Insgesamt traten 51 Lungenkrebsfälle bis 1997, 25 Jahre nach Schließung der Werke, auf (SMR 2,4, 95 % CI 1,8–3,2). Neben einer kumulativen Belastung wurden auch Peak-Expositionen analysiert, da bei kurzzeitig hoher Belastung die Reduktionskapazität der Lungen überschritten werden kann (De Flora 2000; Crump et al. 2003). Da auch hier personenbezogene Messungen fehlen, wurde eine Job-Expositions-Matrix aufgestellt, um die Exposition der Beschäftigten abzuschätzen. Deren mittlere kumulative Exposition betrug 1580 [µg/m3 x Jahre] und liegt damit sehr hoch. Das Risiko im Niedrig-Expositionsbereich kann mit dieser Kohorte nicht bewertet werden. Obwohl umfangreiche Anstrengungen unternommen wurden, die Expositionsdaten zusammenzustellen, bleiben ebenfalls Limitationen bestehen (Proctor et al. 2004). Die mittlere Cr(VI)-Exposition wurde mit 720 µg/m3 bis etwa 1950 angegeben, danach bis in die 1960er Jahre mit 270 µg/m3 unter weiterer Reduktion auf etwa 40 µg/m3. Etwa die Hälfte der Beschäftigten hat sechs Jahre oder länger in den Chromatwerken gearbeitet. Nur für 35 % konnte der Rauchstatus ermittelt werden.

Ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko wurde nur in den vor 1960 eingestellten Beschäftigten gefunden, als auch hier noch erhebliche Mengen an Kalk zugesetzt wurden. In den drei Expositionskategorien bis 1000 [µg/m3 x Jahre] wurde kein Exzessrisiko gefunden, weshalb die Autoren die Möglichkeit einer Wirkungsschwelle hinsichtlich Lungenkrebs diskutieren. Die geringe statistische Power der Studie muss einschränkend berücksichtigt werden, woraus so große Unsicherheiten in den Risikoschätzern entstehen, dass die Daten sowohl mit einer Wirkungsschwelle als auch mit einer linearen ERB vereinbar sind.

Wenngleich in dieser Kohorte eine längere Beschäftigungsdauer als in der „Baltimore-Kohorte“ vorliegt, ist auch in der „Painsville-Kohorte“ aufgrund der unpräzisen Cr(VI)-Expositionsabschätzung, der hohen Cr(VI)-Konzentrationen und insbesondere eines Confoundings durch Rauchen (Adjustierung nicht möglich) sowie durch den Zusatz von Kalk für eine quantitative Exposition-Risiko-Analyse mit Bewertung des Niedrig-Dosis-Bereichs nicht geeignet. Die Autoren beschreiben z. B. eine Erhöhung der SMR für Todesfälle aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen von 1,43 (95 % CI 0,96–2,04), die sie am ehesten auf Rauchen zurückführen.

„Multi-plant study“

Für die Expositionssituation bei der Chromatherstellung wird als bedeutend erachtet, ob dem Erz größere Mengen an Kalk („lime“) zugesetzt werden. Dies war früher üblich und wurde im Zeitraum 1960 bis 1980 geändert. Der Zusatz des alkalischen Kalks stabilisiert sechswertiges Chrom und verzögert die Reduzierung von Chrom(VI) zu Chrom(III), so dass von höheren Expositionen gegenüber Cr(VI) als ohne Kalkzugabe auszugehen ist. Diesem Umstand trägt ein umfangreicher Bericht von Mundt et al. (2002) Rechnung, der die so genannte „multi-plant study“ zusammenfasst. Sie betrachtet vier Betriebe der chromatherstellenden Industrie in den USA und Deutschland, in denen spätestens ab 1980 nur noch wenig oder kein Kalk mehr verwendet wurde. Der Zeitraum nach der Produktionsumstellung wird als „Post-change“-Ära bezeichnet, in der mit wesentlich geringeren Cr(VI)-Expositionen der Beschäftigten im Vergleich zur „Pre-change“-Ära gerechnet wird. Fragestellung der „multi-plant study“ von Mundt et al. (2002) war es zu untersuchen, ob sich für die Zeit nach Umstellung auf eine kalkfreie Chromaterzeugung noch ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko entdecken lässt. Deshalb wurden nur Personen eingeschlossen, die ausschließlich nach der Produktionsumstellung beschäftigt waren. Für den Bericht von Mundt et al. (2002) wurden die Einzelkohorten der 4 Fabriken zu einer Kohorte zusammengefasst.

Chromatproduktion Texas und North Carolina, USA (Luippold et al. 2005, Teil der „multi-plant study“ von Mundt et al. 2002): Luippold et al. (2005) berichten über den amerikanischen Teil der „multi-plant study“ von Mundt et al. (2002; s. oben). Es wurden nur Personen eingeschlossen, die ausschließlich nach der Produktionsumstellung (kalkfrei bzw. kalkarm) beschäftigt waren („no prior history of working in a high-lime chromium production process“). Die Autoren geben ferner an, dass ihr Kollektiv die „current US chromium chemical industry“ umfasst.

Die nicht erhöhte SMR in Höhe von 0,84 (95 % CI 0,17–2,44) für Lungenkrebs ist vor dem Hintergrund der kurzen Beobachtungsdauer (erst 4,4 % verstorben) und der relativ niedrigen kumulativen Exposition zu bewerten. Die Publikation von Luippold et al. (2005) enthält keine präzise Angabe zum Mittelwert der kumulativen Exposition, zu Kategorien der kumulativen Exposition oder zu mittleren Konzentrationen oder Expositionsjahren. Offensichtlich war die Exposition aber vergleichsweise niedrig; die Langzeitmittelwerte der Cr(VI)-Konzentrationen dürften zumindest für die Mehrheit der Kohorte unterhalb von 2 µg/m3 anzusetzen sein. Luippold et al. (2005) geben entsprechende Hinweise: „Exposures were typically less than 1.5 µg/m3 Cr(VI) for most years and the work areas with the highest annual average air measures generally sustained exposures less than 10 µg/m3 Cr(VI)“. Dabei lagen die Expositionszeiten gemäß Mundt et al. (2002) im Mittel bei 12 bzw. 8 Jahren und nur im Einzelfall bei maximal 28 Jahren. Aufgrund der kurzen Beobachtungsdauer und der damit geringen Fallzahl ist dieser Teil der „multi-plant study“ von Mundt et al. (2002) für quantitative Aussagen nur wenig hilfreich und wird im Folgenden nicht weiter betrachtet.

Chromatproduktion Leverkusen und Uerdingen, Deutschland (Birk et al. 2006, Teil der „multi-plant study“ von Mundt et al. 2002): Birk et al. (2006) berichten über den deutschen Teil der „multi-plant study“ von Mundt et al. (2002; s. oben). Es wurden nur Personen eingeschlossen, die ausschließlich nach der Produktionsumstellung (kalk-frei bzw. kalkarm) beschäftigt waren. Umfangreiche Biomonitoring-Daten zu Chrom im Urin vor einer Arbeitsschicht wurden zur Ermittlung der lebenslangen Exposition hinzugezogen. In diesen Betrieben war die Lungenkrebssterblichkeit (22 Fälle) gegenüber der deutschen Allgemeinbevölkerung zwar insgesamt erhöht (SMR 1,48, 95 % CI 0,93–2,25), allerdings nur in der höchsten Belastungskategorie (mehr als 200 [µg/L x Jahre]). Im Vergleich zum Erwartungswert aus der lokalen Bevölkerung ergab sich eine SMR von 2,09 (95 % CI 1,08–3,65), basierend auf 12 Fällen und ohne Berücksichtigung einer Latenzzeit zwischen Exposition und Diagnose der Krebserkrankung. Legt man verschiedene Latenzzeiten zugrunde, dann ist die Lungenkrebssterblichkeit in der höchsten Belastungsstufe ebenfalls ähnlich ausgeprägt erhöht, wobei die Konfidenzintervalle aufgrund der geringeren verbleibenden Fallzahlen deutlich weiter werden: bei 10 Jahren Latenz 8 Fälle mit einer SMR von 2,05 (95 % CI 0,88–4,04); bei 20 Jahren Latenz 4 Fälle mit einer SMR von 2,74 (95 % CI 0,75–7,03). Etwa 65 % der Beschäftigten waren Raucher. Rauchen wurde bei einigen Analysen berücksichtigt und scheint die Ergebnisse nicht wesentlich beeinflusst zu haben.

Diese Studie weist ebenfalls – neben der geringen Fallzahl – eindeutige Schwachpunkte auf: Insbesondere gibt es keine spezifische Expositionsabschätzung gegenüber Cr(VI), sondern nur eine Abschätzung der Cr(VI)-Exposition über Chrom-Messungen mittels Biomonitoring im Urin vor und nicht nach einer Arbeitsschicht. Um eine Kontamination zu vermeiden, waren unter der Annahme einer relativ langsamen Elimination die Urinproben jeweils zu Schichtbeginn gesammelt worden.

Cr(VI) wird bereits in den Atemwegen und im Blut zu Cr(III) reduziert, und im Urin wird lediglich Gesamt-Chrom bestimmt. Deshalb spiegeln die Chrom-Konzentrationen im Urin die Expositionen sowohl gegenüber Cr(VI) als auch gegenüber Cr(III) wider. Allerdings handelt es sich bei den beiden Betrieben, die in der Studie untersucht wurden, um Firmen in der Chromatproduktion, in denen Chrom vorwiegend als Cr(VI) vorgelegen hat. Da zusätzlich die Resorption von Cr(III) deutlich schlechter ist und die Werte zumindest in den höheren Expositionsgruppen um ein Vielfaches über der 95. Perzentile der deutschen Bevölkerung liegen, ist zu vermuten, dass die in dieser Studie im Urin gemessenen Chromkonzentrationen die Cr(VI)-Exposition am Arbeitsplatz näherungsweise reflektieren. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Chrom(VI)-Exposition durch die vor der Schicht erfolgte Urinprobennahme vor dem Hintergrund einer faktisch biphasischen Elimination von Chrom in den Urin (als Chrom(III) unterschätzt wird.

Da die Biomonitoring-Werte zunächst schief verteilt waren, wurden in der Job-Expositions-Matrix geometrische Mittelwerte innerhalb der einzelnen Matrixzellen mit ähnlicher Exposition gebildet. Für über 90 % der Studienteilnehmer war zumindest der Rauchstatus bekannt. Da die Prävalenz des Rauchens in den verschiedenen Expositionsgruppen ähnlich war, ist ein Confounding durch Rauchen wenig wahrscheinlich. Dennoch kann aufgrund unzureichender quantitativer Angaben zum Tabakkonsum ein Confounding nicht generell ausgeschlossen werden.

Insofern kann die Studie von Birk et al. (2006) als die einzige angesehen werden, die einigermaßen verlässliche Angaben zu einer Quantifizierung einer ERB zwischen Cr-Exposition und Lungenkrebs liefert, jedoch nicht präzise zu Cr(VI) selbst.

Abschätzung des Lungenkrebsrisikos bei arbeitsbedingter Cr(VI)-Exposition durch den AGS

Wie schon einleitend dargelegt, stellt der deutsche Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) seit 2005 ERBen für krebserzeugende Arbeitsstoffe als Präventionsinstrument auf. Sie dienen dazu, die Lebensarbeitszeitkonzentrationen abzuleiten, die einem zusätzlichen arbeitsbedingten „tolerablen“ bzw. „akzeptablen“ Erkrankungsrisiko von 4:1000 bzw. 4:10 000 (künftig 4:100 000) entsprechen.

Aufgrund der Unsicherheiten in den vorliegenden epidemiologischen Studien wurde vom AGS keine ERB mit entsprechender Akzeptanz- oder Toleranzkonzentration für Chrom(VI) aufgestellt, sondern ein Wert von 1 µg/m3 als Beurteilungsmaßstab (Schichtmittel, Überschreitungsfaktor 8) festgelegt. In die TRGS 910 wurde in die Tabelle 1 der Anlage 1 lediglich der Stoffname ohne entsprechende Werte und mit Hinweis auf die TRGS Metalle aufgenommen. Ein Begründungspapier mit quantitativen Überlegungen zum Krebserkrankungsrisiko bei einer Lebensarbeitszeit-Exposition gegen 1 µg/m3 wurde auf der BAuA-Homepage (www.baua.de) veröffentlicht.

Während die tierexperimentellen Daten zu Chrom(VI) vom AGS (s. auch die Darstellung oben) als unzureichend für die Ableitung einer ERB beurteilt wurden, wurden die epidemiologischen Daten aus der Chromatproduktion vom AGS differenziert bewertet: Insgesamt wurde die epidemiologische Datenlage aufgrund der weiter oben skizzierten Mängel ebenfalls als unzureichend für die Ableitung einer ERB mit Angabe entsprechender Akzeptanz- oder Toleranzkonzentration für Chrom(VI) betrachtet. Vor diesem Hintergrund hatte der AGS die einzige Studie mit wiederholten individuellen Expositionsbestimmungen in Form von Biomonitoringdaten, die Studie von Birk et al. (2006) besonders berücksichtigt.

Aufgrund der weiter oben beschriebenen relativ geringen Fallzahl und Erhöhung des Lungenkrebsrisikos nur in der höchsten Expositionsgruppe lässt sich allerdings keine Aussage zur Form einer Dosis-Wirkungs-Kurve machen, sondern nur feststellen, dass eine Exposition gegenüber Chrom, die in einer Konzentration im Vorschicht-Urin von mehr als 200 [µg/L x Jahre] resultierte, ungefähr zu einer Verdopplung des Lungenkrebsrisikos (12 beobachtete Fälle gegenüber rund 6 erwarteten) geführt hat. Die Autoren interpretieren dies als Schwellenwert für eine kanzerogene Wirkung. Da nach persönlichen Angaben der Autoren die maximalen kumulativen Urin-konzentrationen bei 600 [µg/L x Jahre] lagen, wird für weitere Berechnungen ein Mittelwert von 400 [µg/L x Jahre] für die Gruppe mit einer Konzentration im Vorschicht-Urin von mehr als 200 [µg/L x Jahre] angenommen. Dividiert man den Wert von 400 [µg/L x Jahre] durch 40 Jahre, die Arbeitslebensdauer, so erhält man eine mittlere Urinkonzentration von 10 µg/L. Im Vergleich zum Vorschichturin ist im Nachschichturin von höheren Chromkonzentrationen auszugehen; dies wurde aufgrund fehlender quantitativer Daten aber bislang nicht entsprechend berücksichtigt und könnte zu einer Überschätzung des Cr(VI)-assoziierten Risikos führen.

Eine Umrechnung auf die potenzielle Luftexposition gegenüber Cr(VI) wurde anhand einer so genannten EKA-Korrelation (Exposi-tionsäquivalente für krebserzeugende Arbeitsstoffe, EKA) durchgeführt. Die DFG-Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe hat für Alkalichromate und Chromat aus Schweißrauchen eine Beziehung zwischen der Konzentration in der Luft am Arbeitsplatz (µg/m3) und der Konzentration in verschiedenen biologischen Matrices (Faktor von 0,77 für Urin in µg/L) bei rein inhalativer Exposition aufgestellt (DFG 1989; auch basierend auf den Daten eines der deutschen Werke). In dem ausführlichen Bericht über die Studie in Uerdingen und Leverkusen sind – auf Grundlage dort ebenfalls erfolgter Luftmessungen – für die beiden Werke Umrechnungsfaktoren von 0,92 und 0,85 ermittelt worden, so dass insgesamt unter Berücksichtigung der drei o. g. Werte und möglicher Unsicherheiten ein Faktor von 0,8 Verwendung finden kann: eine Konzentration in der Luft am Arbeitsplatz von 1 µg/m3 entspricht danach einer Konzentration im Urin von 0,8 µg/L bzw. 1 µg/L im Urin entspricht dann einer Konzentration in der Luft von 1,25 µg/m3 Cr(VI).

Eine mittlere Urinkonzentration von 10 µg/L (wie oben beschrie-ben mit einer Verdopplung des Lungenkrebsrisikos assoziiert) entspricht nach der EKA-Korrelation dann einer mittleren Luftkonzentration von 12,5 µg/m3 Cr(VI) am Arbeitsplatz bzw. einer Dosis von 500 [µg/m3 x Jahre] bei 40 Jahren Lebensarbeitszeit, die mit einer Risikoverdopplung für Lungenkrebs assoziiert wäre.

Vor dem Hintergrund der beschriebenen Unsicherheiten diente dieser Wert dem AGS als Ausgangspunkt zur Festlegung eines Beurteilungsmaßstabs. Obgleich epidemiologische Hinweise auf einen sublinearen Verlauf der Exposition-Risiko-Kurve vorliegen, fehlt die quantitative Datenbasis, einen solchen mit hinreichender Sicherheit zu modellieren. Diese Feststellung eines unbekannten Verlaufs im Niedrigdosisbereich wurde auch von OSHA getroffen (OSHA 2006). Deshalb musste hilfsweise eine lineare Extrapolation zur Ableitung des Toleranzrisikos vorgenommen werden. Setzt man das Lebenszeitrisiko für Lungenkrebs in der Allgemeinbevölkerung mit ca. 5 % an, wäre die oben berechnete Cr(VI)-Konzentration von 12,5 µg/m³, die bei 40-jähriger Exposition zu einer Risikoverdopplung führen könnte, entsprechend mit einem zusätzlichen Risiko von 5 % assoziiert. Bei linearer Extrapolation wäre ein zusätzliches Lungentumorrisiko von 4:1000 bei einer Exposition gegenüber 1 µg/m3 – dem so festgelegten Beurteilungsmaßstab – über die Lebensarbeitszeit zu erwarten.

Kritische Würdigung

Diese auf Chrom-Konzentrationen im Vorschichturin basierenden Rechnungen enthalten allerdings ebenfalls eine Vielzahl von Unsicherheiten. Bei plausibler Annahme einer 10-jährigen Latenzzeit für Lungenkrebs ist die beobachtete Risikoverdopplung in der höchsten Belastungsgruppe ( 200 [µg/L x Jahre]) aufgrund der geringen Zahl von 8 Lungenkrebsfällen jedoch nicht signifikant und unsicher (95 % Konfidenzintervall 0,88–4,04). Die im Urin vorhandenen Konzentrationen spiegeln sowohl die Exposition gegenüber Cr(III) als auch Cr(VI) wider. Weiterhin ist davon auszugehen, dass Chrom im Vorschichturin die Cr(VI)-Exposition während einer Arbeitsschicht unterschätzt.

In den USA hingegen hat im Jahr 2006 die Arbeitsschutzbehörde OSHA einen Grenzwert in Höhe von 5 µg Cr(VI)/m3 aufgestellt, der technisch machbar und wirtschaftlich vertretbar ist (OSHA 2006). In der detaillierten Darstellung ist auch eine quantitative Abschätzung des Exzess-Risikos enthalten, bei 45-jähriger beruflicher Exposition zusätzlich zum Basisrisiko der männlichen und weiblichen US-Bevölkerung im Jahr 2000 an Lungenkrebs zu erkranken. OSHA hatte ursprünglich unter Berücksichtigung des abgeschätzten beruflich bedingten Krebsrisikos 1 µg Cr(VI)/m3 vorgeschlagen.

Das US-amerikanische National Institute for Occupational Safety and Health (NIOSH) hat im Jahr 2013 ein sog. REL („recommended exposure limit“) in Höhe von 0,2 µg Cr(VI)/m3 für eine durchschnittliche Exposition über 8 Stunden in einer 40-stündigen Arbeitswoche publiziert. Die Einhaltung des REL soll das Lungenkrebsrisiko der Beschäftigten über eine 45-jährige Lebensarbeitszeit reduzieren. Das Exzessrisiko bei diesem Wert wurde mit 1 pro 1000 Beschäftigte abgeschätzt. Mit linearer Extrapolation ergäbe sich nach NIOSH eine Konzentration von 0,8 µg Cr(VI)/m3 für ein Risiko von 4:1000, also ein Wert in derselben Größenordnung wie in der Abschätzung des AGS von von 1 µg Cr(VI)/m3.

Tabelle 2 gibt eine Übersicht über die Schätzung von Exzessrisiken bei einer Exposition gegenüber 1 µg/m3 für die Chromatkohorten von Baltimore und Painesville in drei unterschiedlichen Auswertungen (OSHA 2006; Seidler et al. 2012; Goldbohm et al. 2006). Sie variieren zwischen 1,8:1000 und 29,7:1000 je nach Datenbasis bzw. Kohorte, statistischer Methode oder Vergleichsbevölkerung, also um deutlich mehr als eine Zehnerpotenz. Als bevorzugte Datenbasis („preferred cohorts“) der OSHA werden die Studien von Gibb et al. (2000) und Luippold et al. (2003) bezeichnet. OSHA gibt für die Konzentration von 1 µg/m3 Exzessrisiken von 9,1:1000 bzw. 2,1:1000 an. Dabei wurden 45 Jahre Exposition und das Lebenszeitrisiko für Lungenkrebs bei beiden Geschlechtern in den USA angenommen. Frühere Auswertungen derselben Kohorten führen jedoch zu wesentlich anderen Risikoschätzungen(1,8 statt 9,1 und 7,0 statt 2,1), was erneut die großen Unsicherheiten dieser Schätzungen illustriert. Seidler et al. (2012) haben entsprechende Risikoschätzungen mit diesen Kohorten für deutsche Männer vorgenommen. Bei 40 Jahren Exposition gegenüber 1 µg Cr(VI)/m3 wurden beruflich bedingte Exzessrisiken zwischen 1,6:1000 und 12,7:1000 geschätzt. Goldbohm et al. (2006) kommen zu höheren Exzessrisiken, wenn sie das wesentlich geringere Lebenszeitrisiko von Nichtrauchern zugrunde legen. Eine Darstellung der Unsicherheiten, aus diesen Kohorten präzise Akzeptanz- und Toleranzrisiken abzuleiten, geben Pesch et al. (2013).

Eine erhebliche Schwäche der US-amerikanischen Chromat-kohorten sind die historischen Luftmesswerte. Stationäre und Kurz-zeitmessungen mit ungeeigneten Instrumenten erschweren die Abschätzung der personenbezogenen Schichtexposition. Die Bestimmung von Cr(VI) ist auch heute noch eine analytische Herausforderung, um eine Umwandlung zwischen den Oxidationszuständen von Chrom zu vermeiden (Unceta et al. 2010).

Lungenkrebsrisiko von Schweißern

Epidemiologische Studien weisen auf ein möglicherweise erhöhtes Lungenkrebsrisiko bei Schweißern hin. Inwiefern dies auf eine Chrom-Exposition beim Schweißen zurückzuführen ist, ist bislang unklar. So haben Schweißer von Edelstahl, bei denen eine Exposition gegenüber Cr(VI) zu erwarten ist, kein eindeutig höheres Risiko als Schweißer von niedrig legiertem Stahl (z. B. Ambroise et al. 2006; Kendzia et al. 2013). Letztere haben in der Regel eine hohe Exposition gegenüber Partikeln, jedoch kaum Cr(VI)-Exposition.

Im Rahmen einer von der Internationalen Krebsforschungsagentur IARC initiierten Kohortenstudie wurde eine quantitative Abschätzung der kumulativen Exposition von Schweißern gegenüber Chrom als „Cr(VI)-Jahre“ durchgeführt (Gerin et al. 1993). In zwei Subkohorten von Schweißern von Edelstahl, die mindestens 5 Jahre lang beschäftigt waren, wurde die Lungenkrebsmortalität 20 Jahre nach der ersten Exposition analysiert. Dabei wurden nur 12 Lungenkrebsfälle bei Schweißern, die jemals Edelstahl geschweißt und personenbezogene Informationen über die Exposition hatten, beobachtet. Das nicht nach Rauchen adjustierte Lungenkrebsrisiko betrug als SMR 1,84 (95 % CI 0,95–3,21) und lag damit nicht niedriger als bei den Schweißern, die vorwiegend Edelstahl geschweißt haben (SMR 1,80; 95 % CI 0,90–3,23). In der Subgruppe, die mit einer geschätzten Cr(VI)-Exposition von mindestens 1500 [µg/m3 x Jahre] am höchsten exponiert war, war die SMR sogar geringer (1,33; 95 % CI 0,36–3,39). OSHA hat diese Studie nicht in die Grenzwertableitung einbezogen, da die Expositionsabschätzung in Form einer Job-Expositions-Matrix (JEM) nicht ausreichend durch Messwerte gestützt war (OSHA 2006).

Schlussfolgerungen und Vorschlag für das Berufskrankheitenrecht

1994 haben bereits Norpoth und Popp in einem grundlegenden Gutachten das Zehnfache der damals in Deutschland geltenden Technischen Richtkonzentration (TRK) (für Lichtbogenhandschweißen 200 µg/m3 auf Basis von CrO3, sonst 100 µg/m3) als Kriterium für die Annahme einer erheblichen inhalativen Cr(VI)-Dosis und Voraussetzung zur Anerkennung einer BK-Nr. 1103 vorgeschlagen.

Aus dem Vorschlag von Norpoth und Popp für Lichtbogenhandschweißen ergab sich ein kumulativer Wert von 2000 [µg/m3 x Jahre] für CrO3 (200 µg CrO3/m3 x 10 Jahre) bzw. 1000 [µg/m3 x Jahre] für Cr(VI). Dieser Wert fand nachfolgend weitgehend Anerkennung. Für andere Tätigkeiten ergäben sich dementsprechend 1000 [µg/m3 x Jahre] für CrO3 bzw. 500 [µg/m3 x Jahre] für Cr(VI).

Die Annahme eines Kausalzusammenhangs zwischen der inhalativen Einwirkung von krebserzeugenden Gefahrstoffen am Arbeitsplatz und einer Krebserkrankung im Einzelfall setzt die Erfüllung und Bewertung verschiedener allgemein anerkannter Kriterien voraus (siehe Seite 1092–1093 in Schönberger et al. 2010). Wichtige Grundlage ist dabei eine belastbare Dosis-Wirkungs-Beziehung.

Für Cr(VI)-Verbindungen lassen die oben dargestellten Bewertungen der epidemiologischen Erkenntnisse nach Auffassung des AGS die Ableitung einer belastbaren Dosis-Wirkungs-Beziehung, vor allem im Niedrigdosisbereich, nicht zu. Angesichts der beschriebenen Unsicherheiten lässt sich auch kein exakter Wert angeben, der mit einer Risikoverdoppelung assoziiert ist. Die vorhandene Datenlage liefert für höhere Expositionen, die zu einer Risikoverdopplung führen können, jedoch gewisse Anhaltspunkte für einen korrespondierenden kumulativen Dosiswert. So weisen aus unserer Sicht die vorliegenden Daten in ihrer Gesamtheit darauf hin, dass in einem Bereich um 500 [µg/m3 x Jahre] von einer Risikoverdoppelung ausgegangen werden kann, wenn man die Ergebnisse aus Chromatkohorten zugrunde legt und eine prinzipielle Übertragbarkeit auf Schweißer annimmt.

Wir schlagen daher den Wert von 500 [µg/m3 x Jahre] im Sinne eines Konsenses vor, ab dem die Cr(VI)-Exposition als wesentliche Teilursache einer Lungenkrebserkrankung in der Regel angenommen werden kann. Der Wert von 500 [µg/m3 x Jahre] ist dabei als Orientierungsmaß zu betrachten. Weder ist der Wert als starres Abschneidekriterium zu benutzen, noch sollte er als alleiniges Entscheidungskriterium im Berufskrankheitenverfahren nach BK-Nr. 1103 herangezogen werden. Es ist die Aufgabe eines qualifizierten arbeitsmedizinischen Gutachters, unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände die Plausibilität eines Kausalzusammenhangs zu beurteilen.

Grundsätzlich können nach den Kriterien der TRGS 910 abgeleitete ERBen bei BK-Anerkennungsverfahren nicht ohne Weiteres herangezogen werden, wenn geklärt werden soll, ob ein Tumor mit hoher Hintergrundrate in der Allgemeinbevölkerung im untersuchten Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Folge einer schädigenden Einwirkung am Arbeitsplatz ist. Zur Orientierung in Bezug auf eine Risikoerhöhung können ERBen trotzdem dienen. Voraussetzung dafür ist aber, dass eine belastbare ERB primär aus validen epidemiologischen Daten abgeleitet wurde. Die Auswertung rein tierexperimenteller Literaturangaben in Ermangelung quantifizierbarer epidemiologischer Erkenntnisse ist zwar ein anerkanntes Präventions-instrument, zur Begründung einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit (z. B. Verdoppelungsrisiko) im Sinne des deutschen Berufskrankheitenrechts können solche Erkenntnisse aber nicht genügen. Eine generelle Übertragbarkeit von Risiken, die nach dem ERB-Konzept des AGS errechnet wurden, auf Verdopplungsrisiken im Berufskrankheitenrecht und umgekehrt lässt sich mithin nicht ableiten.

Zur Übertragbarkeit des Orientierungsmaßes auf Chrom-exponierte Schweißer

Die an Arbeitsplätzen in Deutschland derzeit vor allem gegenüber Chromverbindungen Exponierten sind Schweißer und Arbeitnehmer, die Schweißarbeiten und mit dem Schweißen verwandte Verfahren (thermisches Schneiden und Beschichten) durchführen. In Abhängigkeit von den Verfahren und der Zusammensetzung der Werkstoffe (Grundwerkstoff, Zusatzwerkstoff wie z. B. abschmelzende Elektroden oder zugeführten Stäben) können hierbei in unterschiedlichem Ausmaß Chromverbindungen freigesetzt werden. Einzelheiten zu der Bildung und Freisetzung von sechswertigen Chromverbindungen in Schweißrauchen in Abhängigkeit von der eingesetzten Schweißverfahren und verwandten Verfahren sollen in einem zweiten Artikel zu der Thematik von Berufskrankheiten durch Cr(VI)-Verbindungen dargestellt werden.

Grundsätzlich werden Chrom-haltige Rauche beim Schweißen und verwandten Verfahren freigesetzt, wenn die Grund- bzw. die Zusatzwerkstoffe Chrom-legiert sind. Der Anteil an Cr(VI)-Verbindungen variiert erheblich in Abhängigkeit von den eingesetzten Verfahren. Der vorgeschlagene Wertebereich um 500 [µg/m3 x Jahre] kann auch bei Schweißern Anwendung finden. Wir empfehlen daher, nach individueller Fallbeurteilung Lungenkrebserkrankungen als BK-Nr 1103 auch bei Versicherten anzuerkennen, die gegenüber Cr(VI)-Verbindungen beim Schweißen sowie verwandten Verfahren exponiert waren und eine kumulative Dosis im Bereich eines Orientierungsmaßes um 500 [µg/m³ x Jahre] aufgenommen haben.

Ausblick

Eine ausführliche Darstellung der Chrom-Expositionsbedingungen in verschiedenen Tätigkeitsbereichen ist nicht Gegenstand dieser Arbeit; in einer weiteren Publikation wird eine Handlungshilfe für die retrospektive Erhebung der Arbeitsanamnese zur Anwendung eines Orientierungsmaßes für die BK-Nr. 1103 vorgelegt werden. Hierzu sollen analog zur wissenschaftlichen Begründung der BK-Nr. 1318 „Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol“ bestimmte Expositionsszenarien für Chrom(VI) herausgearbeitet werden, insbesondere auch für die exponierten Schweißer und Anwender verwandter Verfahren.

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Für die Verfasser

Prof. Dr. med. Thomas Brüning

Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Institut der Ruhr-Universität Bochum (IPA)

Bürkle-de-la-Camp-Platz 1, 44789 Bochum

bruening@ipa-dguv.de

Fußnoten

1 Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Institut der Ruhr-Universität Bochum (IPA) (Direktor: Prof. Dr. med. Thomas Brüning)

2 Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA), Sankt Augustin

3 Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), Berlin