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ASU EXKLUSIV

Handlungsfeld: Arbeit und Psyche

Psychische Erkrankungen haben eine zunehmende gesundheits- und gesellschaftspolitische Bedeutung, da sie steigende Quoten von Arbeitsunfähigkeit sowie partieller oder langfristiger Erwerbsunfähigkeit verursachen.

Die Gesundheitsberichte der Krankenkassen im Überblick der letzten Jahre sprechen eine deutliche Sprache: Psychische Erkrankungen sind bereits an zweiter Stelle der Hauptursachen für Arbeitsunfähigkeit und somit für Ausfall und Krankenstand in Unternehmen gerückt. Viel gravierender ist aber die Entwicklung im Laufe der letzten 15 Jahre. So haben sämtliche andere Ursachen für Arbeitsunfähigkeit, wie z. B. Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems, kaum bis gar keine Zunahme zu verzeichnen. Psychische Erkrankungen hingegen sind in den letzten 15 Jahren um 90 % angestiegen. Dies ist seit Jahren die auffälligste Entwicklung der Kennziffern der Krankenkassen und in höchstem Maße Besorgnis erregend ( Abb. 1).

Die Ausfallzeiten dieser Krankheitsgruppe sind extrem lang. Diese langen Krankheitsverläufe bedingen oftmals kaum eine Chance auf erfolgreiche, berufliche Wiedereingliederung. Die Folge ist häufig eine frühe vorzeitige Berentung durch Erwerbsunfähigkeit mit daraus resultierenden geringen Rentenbeträgen und drohender Verarmung. Insbesondere Frauen sind betroffen.

In einer Gesellschaft wie der unsrigen, in der das eigene psychische Leid aus eigenem Willen und eigener Motivation heraus offenbart wird, bedarf es enormer Kraftanstrengungen hin zu einer positiven Entwicklung der Behandlung psychisch erkrankter Menschen. Immer noch sind in Deutschland die derzeitige Versorgungslage und der entsprechende zeitnahe Zugang zu einer notwenigen Behandlung äußerst unzureichend.

Ebenso fehlt es an einer hinreichenden Sensibilisierung unserer Gesellschaft hin zur Akzeptanz psychischer Erkrankungen als „Krankheit“. Psychische Erkrankungen sind immer noch stigmatisiert, obwohl sich die Lage, auch durch die Aktivitäten des Aktionsbündnisses für Seelische Gesundheit, gegründet im Jahr 2006 und seither unterstützt vom Bundesgesundheitsministerium, deutlich verbessert hat. Ziel ist, dass professionelle Hilfe bei psychischen Erkrankungen genauso selbstverständlich in Anspruch genommen werden können sollte wie bei jeder anderen Erkrankung auch und das möglichst frühzeitig, denn viele dieser Erkrankungen sind heil- und sehr gut behandelbar.

Lange Ausfallzeiten mit geringer Chance auf berufliche Wiedereingliederung

Der Blick auf die Erwerbsunfähigkeitsquoten zeigt eine noch problematischere Entwicklung. Während die Berentungen durch Herz-Kreislauf- oder Muskel-Skelett-Erkrankungen deutlich sinken, verharrt die Quote der psychischen Erkrankungen auf hohem Niveau und steigt in den letzten Jahren dramatisch an ( Abb. 2).

Das ist nicht nur ein deutsches Phänomen. Psychische Erkrankungen haben dabei nicht nur einen Einfluss auf Lebensqualität, Leistungsfähigkeit und Lebenserwartung der Betroffenen, sondern auch einen erheblichen Einfluss auf Arbeitsausfälle.

Eine insbesondere bei Männern noch erheblich längere fallbezogene Arbeitsunfähigkeitsdauer zeigt sich bei Diagnosen von psychischen Störungen, die bei Männern und Frauen im Jahr 2015 zu Krankschreibungen über fallbezogen durchschnittlich 45 beziehungsweise 42 Tage führten (Gesundheitsreport 2016, s. „Weitere Infos“).

Wichtig ist, dass Patienten eine schnellere und evidenzbasierte Behandlung von psychischen Krankheiten benötigen. Das Angebot kurzfristig nutzbarer psychotherapeutischer Sprechstunden muss verbessert werden, denn immer noch existiert ein Ungleichgewicht von Therapieplätzen und Nachfrage.

Das Thema der psychischen Erkrankungen wird bei den Sitzungen des europäischen Netzwerks „Enterprise for Health“ diskutiert. Enterprise for Health ist ein Netzwerk internationaler Unternehmen, die sich für die Entwicklung einer partnerschaftlichen Unternehmenskultur und einer modernen betrieblichen Gesundheitspolitik engagieren. Dort werden Modelle einer erfolgreichen betrieblichen Prävention psychischer Störungen vorgestellt und diskutiert.

Frühe Prävention und Intervention im Betrieb

Studien zeigen, dass die Prognose der psychischen Erkrankungen umso besser ist, je eher diese diagnostiziert und adäquat behandelt werden können. Am besten ist es, dass Menschen bereits mit beginnenden psychischen Störungen wie Erschöpfungssymptomen und Burnout betreut werden, bevor die Menschen daran erkranken oder gar arbeitsunfähig werden. Wo ist das beste Setting, um solche frühen Störungen zu bemerken und anzugehen, wenn nicht im Betrieb?

Aber: Um eine psychische Erkrankung, gleich welcher Form, rechtzeitig und erfolgreich zu verhindern, bedarf es einer deutschlandweiten, flächendeckenden Versorgung, die den Betroffenen einen rechtzeitigen Zugang zu einer notwendigen Behandlung, sowohl im ambulanten als auch im klinisch-stationären Bereich, ermöglicht.

Betriebliche integrierte Versorgungsnetze können eine solche frühe Intervention und Hilfe möglich machen. Diese Netze können die Versorgungsgrenzen zwischen betriebsärztlicher und ambulanter oder stationärer psychiatrisch-psychotherapeutischer Betreuung überwinden. Dadurch kann es gelingen, die betroffenen Menschen früh in adäquate Diagnostik und Therapie zu bringen.

Neben der frühen seelischen Hilfe bei psychischen Problemen und beginnenden Störungen ist im betrieblichen Setting eine Prävention von psychischen Belastungen und Beanspruchungen sinnvoll und möglich. Das Erkennen krankmachender Strukturen und Förderung protektiver Verhältnisse sind Handlungsfelder einer primären Prävention, einer erfolgreichen Vorbeugung im Betrieb. Führungskräfte spielen dabei eine große Rolle. Es gilt, die Kompetenz der Führungskräfte für professionelles, gesundheitsförderndes Führungsverhalten zu erhöhen.

Der Betrieb ist ein wichtiger Ort für Prävention und frühe Intervention psychischer Störungen, ganz im Sinne des 2015 in Kraft getretenen Präventionsgesetzes, das Prävention und Gesundheitsförderung dort fordert und fördert, „wo Menschen leben, lernen und arbeiten“. Das Gesetz fordert dafür stärkere Zusammenarbeit der Sozialversicherungsträger, Länder und Kommunen. Betriebsärzten wird dabei eine besondere Rolle und Aufgabe zugeschrieben. Eine gute Vernetzung von Betriebsärzten, Psychologen und ambulant als auch stationär tätigen Psychotherapeuten sowie Psychiatern – wie in diesem Schwerpunktheft beschrieben – kann helfen, hinderliche Versorgungsgrenzen zu überwinden.

    Weitere Infos

    Techniker Krankenkasse: Gesundheitsreport 2016. Gesundheit zwischen Beruf und Familie

    https://www.tk.de/centaurus/servlet/contentblob/855594/Datei/3451/TK-Gesundheitsreport-2016-Zwischen-Beruf-und-Familie.pdf

    Europäisches Netzwerk „Enterprise for Health“

    www.enterprise-for-health.org/

    Autorin

    Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Rita Süßmuth

    Präsidentin des Deutschen Bundestages a.D

    Bundesministerin a.D.

    Platz der Republik 1

    11011 Berlin

    rita.suessmuth.ma01@bundestag.de

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