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Stress und seine Facetten

Die Arbeitswelt steht in einem dynamischen, sich immer schneller wandelnden Umfeld. Aus diesen Veränderungsprozessen resultieren vermehrt psychische Belastungssituationen, Befindlichkeitsstörungen, Stressprobleme und Konflikte. Die zunehmende Arbeitsdichte und immer komplexer werdende Arbeitsabläufe führen in Arbeitsbereichen wie Einzelhandel und Logistik – Bereichen mit traditionell eher physischen Belastungen – nun auch zu einer Zunahme der physischen Belastungen der Mitarbeiter und Führungskräfte.

Zusätzliche Handlungsfelder erwachsen aus dem demografischen Wandel der Gesellschaft und der gleichzeitigen Forderung nach einer insgesamt längeren Lebensarbeitszeit. Veränderungs- und Umstrukturierungsprozesse sowie fortschreitende Digitalisierung, die auch in Supermärkten und Warenlagern zum Alltag gehören, lösen Verunsicherungen, Ängste und Stress bei zunehmend älterer Belegschaft aus.

Beruflich und privat: keine sinnvolle Trennung

Beruflicher Stress ist die eine Seite – aber Stress kann so viele unterschiedliche Ursachen und Facetten haben. Gefühlt kommen mehr als 50 % der Probleme der Mitarbeiter aus dem Privatbereich, aber kein Unternehmen kann es sich heute mehr leisten, diese zu ignorieren. Vordergründig hier sind Probleme in der Beziehung oder Partnerschaft, finanzielle Probleme, Probleme mit den Kindern, Umgang mit Krankheiten oder Betreuung von erkrankten Angehörigen, Suchtproblematiken oder auch Einsamkeit.

Egal, welche Probleme dem Mitarbeiter Stress verursachen, die Folgen in Form von psychischen Störungen oder gar Erkrankungen gilt es zu vermeiden. Dies erfordert von jedem Unternehmen eine geeignete Handlungsstrategie. Im Mai 2013 initiierte das Gesundheitsmanagement der REWE Region Süd eine Stress-Sprechstunde – in Kooperation mit dem überbetrieblichen Betriebsärztlichen Dienst, der BAD GmbH. Der Name Stress-Sprechstunde wurde gut akzeptiert.

Gute Akzeptanz – denn Stress hat jeder einmal

Jede andere Bezeichnung wie „Psycho-Sprechstunde“ oder alle Namen mit dem Wortteil „Psych(o)“ hätten vielleicht eher abgeschreckt als eingeladen. Mindestens einmal im Monat findet dieses offene Angebot für alle REWE-Mitarbeiter – ob Lagermitarbeiter, Verkäufer/innen, Verwaltung oder Führungskräfte – in den Zentralstandorten mit festen Terminen statt. Diese Termine werden vorab an alle Mitarbeiter kommuniziert und jeder kann frei wählen, welchen dieser Termine er an welchem Ort wahrnehmen möchte. Manche Mitarbeiter, vor allem Führungskräfte, bevorzugen Termine außer Haus, was telefonisch mit dem jeweiligen Berater direkt verabredet werden kann.

Das Beratungsangebot umfasst folgende Themenfelder:

  • Partnerschaft und Familie
  • Führungsfragen
  • Stressproblematiken / Burnout-Situationen
  • Konflikten / Mobbing
  • Auswirkungen von Change-Prozessen
  • Befindlichkeitsstörungen
  • Krisen/Extremsituationen
  • Suchtproblematiken

Prävention individueller Beanspruchung

Wie immer all diese Belastungssymptomatiken sich auch auswirken, eines haben sie alle gemeinsam: Sie sind nachteilig für das Unternehmen. Ein Unternehmen tut daher gut daran, im Betrieblichen Gesundheitsmanagement nicht nur auf organisatorischer Ebene zu agieren und allgemeine gesundheitsfördernde Maßnahmen einzuführen, auch zielgruppengenaue Maßnahmen und individuelle Angebote sind nötig. Diese müssen darauf eingehen, wie die einzelnen Mitarbeiter jeweils mit den Arbeitsbelastungen umgehen. Denn Stressprävention ist für jeden anders richtig! Allein dabei den Fokus auf die jeweiligen Stressauslöser zu richten, ist ebenfalls nicht sinnvoll. Reaktion auf psychische Belastung mündet in individueller Beanspruchung, die abhängig ist von den individuellen Ressourcen des Beschäftigten, um Stress zu bewältigen.

So ist die Stress-Sprechstunde ein wichtiges Präventionsinstrument – der Mitarbeiter kann in wenigen Einzelstunden psychologisch beraten oder gecoacht werden. Um eine klassische Psychotherapie handelt es sich allerdings nicht; sollte diese von Nöten sein, ist eine schnelle und unkomplizierte Weiterleitung an geeignete Institutionen und Fachärzte möglich.

Die monatliche Stress-Sprechstunde wird sehr gut angenommen. Der Mitarbeiter plant seinen Termin fest ein und bespricht in einem eigens dafür vorgesehen Raum seine Problematik. Oder er verabredet sich in der Praxis des Psychologen oder trifft sich mit ihm im Café. Manche Mitarbeiter fassen selbst den Entschluss, die Sprechstunde zu besuchen, andere werden vom Vorgesetzten, vom Gesundheitsmanager oder den ausgebildeten Gesundheitsmultiplikatoren darauf angesprochen, dieses Angebot in Anspruch zu nehmen.

Es passiert allerdings auch, dass ganz unvorhergesehene Krisen und Extremsituationen zu meistern sind. Hier ist schnelle Hilfe von Nöten und ein gutes Netzwerk wichtig. Auch dafür hat sich die gewachsene Kooperation Stress-Sprechstunde bewährt.

Fallbeispiele aus der Praxis

Zusammenbruch im Supermarkt

Mittwoch früh: Der Marktleiter eines Supermarkts ruft die Gesundheitsmanagerin an. Eine 23-jährige Verkäuferin ist am Arbeitsplatz zusammengebrochen und weint sehr: Notfall! – „Können Sie kommen?“ Am Telefon erzählt der Marktleiter bereits, dass die junge Frau dunkle Gedanken äußert, „alles habe keinen Sinn mehr, wäre doch alle nur bald vorbei!“ Die Gesundheitsmanagerin fährt zum nahe gelegenen Supermarkt und erfährt von der verstörten Verkäuferin, dass sich deren Freund von ihr getrennt habe. Dies habe sie völlig aus der Bahn geworfen und sie wolle ihn unbedingt zurückhaben.

Es ist recht bald klar, dass sie dringend Hilfe braucht, und zwar professionelle Hilfe. Sie habe bereits einen Suizidversuch hinter sich, erzählt sie, und zudem sei sie bereits schon 3 Monate in einer psychiatrischen Einrichtung gewesen. Sie wolle das alles nicht mehr und schon gar keine Tabletten – sie will ihren Freund zurück, koste es, was es wolle. Während des Gesprächs sind sehr gut ihre Schnittverletzungen an den Unterarmen erkennbar.

Schnelle Hilfe ist notwendig. Hierbei zeigt sich das Netzwerk als sehr hilfreich. Der Ansprechpartner der Stress-Sprechstunde ist nach einem Anruf sofort bei der Betroffenen. Nach dem vertraulichen Gespräch mit dem Psychologen willigt die junge Frau nun doch ein, sich in ärztliche Obhut zu begeben, so dass alle weiteren Schritte eingeleitet werden können, um sie schnell und sicher unterzubringen.

Stress-Sprechstunde im Lager

Ein Lagermitarbeiter sucht die Stress-Sprechstunde auf. Er wurde von seinem Teamleiter geschickt. Seinem Vorgesetzten war aufgefallen, dass der Mitarbeiter sich immer mehr zurückzog, die Arbeitsleistung war nicht mehr zufriedenstellend und auch sonst wirkte er eher depressiv. Der Teamleiter bestellt den Mitarbeiter zum Gespräch. Die Führungskraft, die zuvor im Hinblick auf das Ziel und Wirksamkeit der Stress-Sprechstunde informiert und geschult worden ist, macht den Mitarbeiter auf das Angebot aufmerksam und rät ihm dringend dazu. Der Lagerarbeiter ist erleichtert über den für ihn unerwarteten Ausgang des Vorgesetztengesprächs und nimmt das Sprechstundenangebot dankend an.

Später im Gespräch mit dem Berater und Coach erzählt er, dass er bereits bei seinem Hausarzt war, dieser ihm ein leichtes Schlafmittel gab und ihn eine Zeitlang von der Arbeit befreien wollte. Dies lehnte der Mitarbeiter aber ab. Der Berater will sich ein Bild von der Problematik verschaffen und fragt ihn, wie es mit seinem Energiepegel denn ausschaue – auf einer Skala von 0–10 (0 = 0 Energie, 10 = volle Energie). Der Mitarbeiter selbst sieht sich bei der Bewertung im unteren Drittel: Seit langem plagen ihn Schlafstörungen, sein Akku sei leer und dann habe er auch noch Magen- und Darmprobleme. Er könne sich schwer motivieren und aufraffen, habe daneben auch noch private Probleme und häufig mache er sich traurige Gedanken.

Der Stress-Coach spricht mit dem Beschäftigten über seinen Verdacht auf eine depressive Verstimmung. Er rät ihn zu einer erneuten Vorstellung bei seinem Hausarzt, er selbst könne ihm auch weiterführende psychotherapeutische Hilfe vermitteln. Der Lagerarbeiter solle darüber nachdenken und sich zeitnah den nächster Termin in der Stressberatung vereinbaren. Der Mitarbeiter wirkt erleichtert und nimmt zufrieden die für ihn erst unerwarteten Hilfsangebote an.

Niedrigschwellige psychische Prävention

Die Stress-Sprechstunde zeigt, dass es wichtig ist, den Mitarbeitern Zeit und Raum zu geben, ihre individuellen Probleme oder ihren speziellen Stress zu schildern und die Auswirkungen zu beschreiben. Die meisten fühlen sich danach befreit und erleichtert. Sie zeigen es häufig auch durch ein tiefes „Durchatmen“. Oftmals genügen ein klärendes Gespräch oder ein paar Kriseninterventionssitzungen.

Ziel ist es, die Mitarbeiter dazu zu befähigen, ihre Probleme zu reflektieren und möglichst selbst zu lösen oder wenigstens in Angriff zu nehmen und sich professionelle Hilfe zu holen. Die Stressberater unterstützen sie dabei und ermutigen sie, sich selbst zu vertrauen. Das stärkt die Selbstkompetenz und kann vor negativen Stressfolgen wie psychischen Störungen bewahren. Vielleicht kann so auch eine Prävention von psychischen Erkrankungen mit langen Arbeitsausfällen gelingen.

Sensibilisierung und Schulung sind nötig

Die Sensibilisierung und Information aller Mitarbeiter und besonders der Führungskräfte zum Thema „Stress und psychische Belastungen“ ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg der Stress-Sprechstunde. Die Berater und Coaches schulen regelmäßig die Gesundheitsmultiplikatoren in den REWE-Supermärkten und halten Vorträge sowie Workshops bei Führungskräfte-Veranstaltungen, um für deren eigene Stressbelastungen und die der Mitarbeiter das Bewusstsein zu schaffen und kontinuierlich weiterzuentwickeln.

Alles in allem ist die Etablierung der Stress-Sprechstunde in der REWE Region Süd ein Gewinn sowohl für den Mitarbeiter, dem die helfende Hand gereicht wird, als auch für die Führungskraft, die in ihrer Fürsorgepflicht unterstützt wird. Und schließlich ist sie auch ein Gewinn für das Unternehmen, denn häufig kann die Stress-Sprechstunde gravierende Stressreaktionen der Beschäftigten abfedern und dann wohl auch lange Krankheitsausfälle verhindern.

    Autorin

    Inés Popp

    Gesundheitsmanagerin der REWE Region Süd

    REWE Markt GmbH

    Zweigniederlassung Süd

    Dieselstraße 21–27

    85386 Eching

    ines-popp@rewe-group.com

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