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Aus der Wissenschaft für die Praxis

Interview: Der Diesel- oder Abgasskandal aus umweltmedizinischer Sicht - Welche Konsequenzen ziehen wir aus den wissenschaftlichen Daten?

Unser Interviewpartner ist Arbeitsmediziner bei der Austrian Workers Compensation Board (AUVA) und Umweltreferent der Österreichischen Ärztekammer sowie Autor des Appells des Weltärztebundes zur Reduktion von (Diesel-)Ruß vom Oktober 2014.[1]

ASU: Die öffentliche und mediale Debatte zum Thema Diesel- oder Abgasskandal ist allgegenwärtig. Was ist Kern des Problems?

HF: Kern ist, dass sich alles um NO2 dreht, weil hier von der EU der vorsorglich niedrige Grenzwert der WHO übernommen wurde  und an einigen Stellen überschritten wird. Durch Vortäuschung niedriger Emissionen am Prüfstand wurde von vielen Autoherstellern ein Betrug begangen. Das eignet sich zu Skandal, Wirtschaftskrieg, Schadenersatzklagen sowie ideologischer Nutzung. 

Gleichzeitig wird übersehen, dass die EU den - nicht einmal ausreichend schützenden - Grenzwert der WHO für Feinstaub 2,5-fach höher gesetzt hat.Einer hohen Feinstaubbelastung über dem WHO – Grenzwert, die im Unterschied zum NO2 auch abseits der Fahrzeugkabinen und Kreuzungen existiert, sind 82 % der EU – Bevölkerung ausgesetzt. Die schädlichsten Bestandteil des Feinstaubes, Dieselruß samt Metallabrieb und PAK (polycyklische Aromate), die sogar als krebserregend Kategorie 1 wie Asbest anerkannt werden, können so unbehelligt weiter emittiert werden.

ASU: Sind dann PKW-Fahrverbote gar nicht notwendig?

HF: Nein, wir brauchen PKW-Fahrverbote nicht. Wenn wirklich etwas für den Gesundheits- und Klimaschutz getan werden soll, dann muss woanders angesetzt werden. Es müssen die Betreiber von  Lastkraftwagen (LKW), Bussen und von Schwerfahrzeuge durch Verbote oder fiskalische Maßnahmen dazu gebracht werden diese Fahrzeuge mit Partikelfiltern nachzurüsten – wie  die Schweiz dies bereits umgesetzt hat.

ASU: Was ist an Partikeln in Dieselabgasen so bedrohlich?

HF: Dieselruß aus Motoren mit 2800 bar Druck erzeugt unlöslichen, elementaren Kohlenstoff in einer Größe, für die der Körper keine Abwehrsysteme hat. Für gröbere Stäube aus der Natur oder vom Reifenabrieb haben wir in Nase und Bronchien hingegen ein hoch effektives Reinigungssystem. Partikel von der Größe von 100 Nanometern gelangen aber nicht nur in die Lunge, sondern über das Blut in alle Organsysteme. So konnte im Februar 2018 nachgewiesen werden, dass sich Dieselpartikel in der Blut-Hirn-Schranke von Ungeborenen ablagern und diese schädigen – was die UNICEF zu einer Warnung vor lebenslangen mentalen Schäden veranlasst hat.

Diese winzigen Partikel dürfen nicht 1:1 mit Kondensaten aus Zigarettenrauch oder landwirtschaftlichen Gasen (Ammoniak etc.) verglichen werden. Genauso wenig stimmt ein Aufrechnen gegen schwere Partikel aus der Schifffahrt, deren schwefelreiches Öl zu stark wasserhaltenden[a1]  Partikeln führt, die auf einer PM10-Waage enorm ins Gewicht fallen. Natürlich führt auch dieser Ruß zu Klimaerwärmung vor allem in der Arktis, weswegen auch hier Partikelfilter die schnellste Lösung wären.

ASU: Was kann man nun den Menschen empfehlen?

HF: Halter von Personenkraftwagen müssen konsequent für die Funktionsfähigkeit des Partikelfilters sorgen. Sobald im dichten Verkehr gefahren wird, sollte unbedingt auf Umluft geschaltet werden. Asthmatiker sind hier sogar durch das Stickoxid wirklich gefährdet, weil sich die Schadstoffe in der Fahrzeugkabine anreichern. Luxuriöse Fahrzeuge haben Messgeräte in der Luftansaugung und schalten automatisch auf Umluft.

ASU: Fordern die Stickoxide auch Menschenleben?

HF: Die Sterblichkeit durch das Reizgas Stickoxid aus Dieselabgasen wird deutschlandweit auf jährlich etwa 12.000 Menschen geschätzt. Das ist unsicher und biologisch wenig plausibel – gesichert ist nur die Auslösung von Asthmaanfällen. Alle weiteren Effekte könnten auch durch die parallel zu NO2 emittierten ultrafeinen Partikel verursacht sein Die WHO spricht ebenso von NO2 als möglichem Marker für andere Luftschadstoffe.

Beim Feinstaub ist hingegen die Sterblichkeit gesichert: Weltweit sind es – laut The Lancet – jährlich 8,9 Millionen Tote. Für Deutschland wird die Zahl auf 66.000 Feinstaubtote geschätzt. Kausal mitverantwortlich könnten auch Metallabrieb und polyzyklische Aromaten sein, die mit einem Partikelfilter zu 80 bis 95 Prozent eliminiert werden.

ASU: Ihre Forderungen an die Politik?

HF: Aus Gründen des Gesundheits- und Klimaschutzes müssen Partikelfilter für alle LKW und Schwerfahrzeuge erzwungen oder mit fiskalischen Maßnahmen größtmöglich umgesetzt werden.

Betrugsstrafen sollten in die Förderung dieser Nachrüstung fließen. Mit etwa 5 Mrd. Euro könnten alle Schwerfahrzeuge und großen Maschinen in Deutschland nachgerüstet werden, während das Nachrüsten von PKWs mit Add-blue-Hardware zur Senkung der Stickoxide rund 30 Milliarden Euro kosten und für die Gesundheit viel weniger bringen würde.

ASU: Vielen Dank für das Gespräch.

 

[1] „ASU – Zeitschrift für medizinische Prävention“ hat im August 2018 einen Beitrag mit dem neuesten Stand der Kenntnisse zu dieser Thematik veröffentlicht. Er ist auf der ASU-Homepage frei zur Lektüre verfügbar (s.“Weitere Infos“).