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Betriebsärztliche Impfungen – ein Haftungsrisiko?

Ein anschaulicher Sachverhalt

Der Sachverhalt war lebensnah und gut nachvollziehbar: Die Klägerin, eine Angestellte im Controlling, verlangte von ihrer Arbeitgeberin, die ein Herzzentrum betreibt, Schadensersatz wegen eines Impfschadens. Sie hatte im November 2011 an einer Grippeschutzimpfung, die im Betrieb stattgefunden hatte, teilgenommen und meinte, dass sie dabei einen Impfschaden erlitten habe, für den die Beklagte einzustehen habe.

In einer Mail vom 2. November 2011 wurden alle Beschäftigten der Beklagten zu einer Grippeschutzimpfung aufgerufen: „Wir bieten dieses Jahr für alle interessierten Mitarbeiter/Innen einen Impftermin vor dem Speisesaal an: Dienstag, 8. November von 12 bis 14 Uhr“. Der Aufruf war unterschrieben von der angestellten Betriebsärztin Dr. W. und der als freiberufliche Betriebsärztin tätigen Ärztin für Arbeitsmedizin Dr. B. Die Klägerin hatte allerdings nicht die Ärztinnen auf Schadensersatz verklagt, sondern die Arbeitgeberin. Mit diesem Klageantrag unterlag sie in allen drei Instanzen, zuletzt am Bundesarbeitsgericht.

Auf der Suche nach dem Behandlungsvertrag

Das Gericht prüfte zunächst, ob zwischen der Klägerin und ihrer Arbeitgeberin ein Behandlungsvertrag über eine Grippeschutzimpfung zustande gekommen sei. Dies wurde verneint, weil die beiden Ärztinnen den Aufruf im eigenen Namen veröffentlicht hatten und weil die Impfung keinen Bezug zu den Arbeitsschutzpflichten der Arbeitgeberin hatte. Auch eine Pflichtverletzung der Pflichten der Arbeitgeberin aus dem Arbeitsvertrag verneinte das Bundesarbeitsgericht (BAG), denn die Arbeitgeberin habe den beiden erfahrenen und fachkompetenten Ärztinnen die Gelegenheit einräumen dürfen, in ihrem Betrieb eine Impfung anzubieten und durchzuführen, die keinen näheren Bezug zum Arbeitsverhältnis hatte. Damit fehlten die vertragsrechtlichen Voraussetzungen für eine Haftung der Arbeitgeberin. Ob ein Fehlverhalten bei der Impfung erfolgt sei und ob sich daraus ein Impfschaden ergeben habe, wurde daher vom Gericht nicht mehr geprüft.

Auch wenn die Lösung dieses Falls damit eindeutig erscheint, zeigen die Hinweise des Bundesarbeitsgerichts, dass und unter welchen Umständen eine Haftung für fehlerhafte Impfungen eintreten kann. Wichtig ist vor allem die Aussage des Bundesarbeitsgerichts, dass auch ein Arbeitgeber einen Behandlungsvertrag abschließen kann, in dem er sich verpflichtet, dass der Betriebsarzt die Behandlung durchführt, die rechtliche Behandlungspflicht – und damit auch die Haftung – jedoch dem Arbeitgeber obliegt.

Arbeitgeberhaftung für arbeitsschutzbedingte Impfungen

In der langjährigen Diskussion über Haftung bei arbeitsmedizinischer Vorsorge ist sowohl in der Gerichtspraxis (Landgericht (LG) Paderborn Urt. v. 15.05.2001 – 2 O 42/01, MDR 2001, 1304) als auch in der juristischen Literatur (Gitter 1983; Bücker 2018; ArbMedVV Rn. 22) Einigkeit erzielt worden, dass Arbeitgeber für fehlerhafte Handlungen von Betriebsärztinnen und Betriebsärzten im Rahmen des Arbeitsschutzes, insbesondere des Arbeitssicherheitsgesetzes, einstehen. Dies wird einerseits vertragsrechtlich begründet, denn bei einer solchen Behandlung bzw. Begutachtung schließe ein Betriebsarzt mit den Beschäftigten keinen Vertrag, weil er mit der Behandlung seine vertragsrechtlichen Pflichten gegenüber dem Arbeitgeber erfüllen wolle und erfülle (Gitter 1983). Im Übrigen sei der Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis heraus verpflichtet, Arbeitsschutzpflichten, die vom Gesetz angeordnet sind, gegenüber den Beschäftigten zu erfüllen. Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte würden in diesem Fall als Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB handeln (Landgericht (LG) Paderborn MDR 2001, S. 1304). Für solche Personen hafte dann aber der Arbeitgeber selbst (Kohte 2018).

Damit stellt sich bei Impfungen die Frage, inwieweit es sich hierbei um Arbeitsschutzpflichten handelt. Dies ist durch die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) im Jahr 2013 klargestellt und verdeutlicht worden. Nach § 6 Abs. 2 S. 3 ArbMedVV sind Impfungen Bestandteil der arbeitsmedizinischen Vorsorge und den Beschäftigten anzubieten, soweit das Risiko einer Infektion tätigkeitsbedingt und im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöht ist. Dementsprechend sind im Anhang zur ArbMedVV in den Katalog der Pflichtvorsorge und der Angebotsvorsorge Impfungen aufgenommen worden, wenn Beschäftigte z.B. in Einrichtungen zur medizinischen Untersuchung, Behandlung und Pflege von Menschen Tätigkeiten mit regelmäßigem direktem Kontakt zu Erkrankten oder krankheitsverdächtigen Personen hinsichtlich z.B. Masernvirus oder Mumpsvirus durchführen. Durch die ArbMedVV 2013 ist das Impfangebot erweitert und auf alle Formen der arbeitsmedizinischen Vorsorge – Pflichtvorsorge, Angebotsvorsorge und Wunschvorsorge – ausgedehnt worden. Das Impfangebot – eine Impfpflicht besteht im Arbeitsschutz nicht – ist allerdings auf die Fälle beschränkt, in denen das Infektionsrisiko der Beschäftigten tätigkeitsbedingt und im Verhältnis zur Allgemeinbevölkerung erhöht ist (Bundesrat – Drucksache 327/13, S. 21, 30).

Zur näheren Konkretisierung hat der Ausschuss für Arbeitsmedizin 2014 die arbeitsmedizinische Regel AMR 6.5 „Impfungen als Bestandteil der arbeitsmedizinischen Vorsorge bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen“ erstellt, die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) bekannt gemacht und zuletzt 2017 geändert und ergänzt worden ist (GMBl Nr. 23, 07. Juli 2017, S. 407). In dieser Regel wird verdeutlicht, wann ein solches Impfangebot zu erfolgen hat und wie die Impfung durchzuführen ist. Für die betriebsärztliche Praxis ist die Arbeitsmedizinische Regel (AMR) 6.5, die auch auf der Homepage der Bundesanstalt für Arbeitschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) dokumentiert ist, von großer Bedeutung (s. „Weitere Infos“).

Da es sich um Arbeitsschutzpflichten handelt. steht am Anfang die Gefährdungsbeurteilung, mit der die Feststellung eines tätigkeitbedingten, im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöhten Infektionsrisikos erfolgt. Die Erstellung der Gefährdungsbeurteilung ist eine Aufgabe des Arbeitgebers; er wird sich hierbei in der Regel durch den Arzt oder die Ärztin im Sinne des § 7 ArbMedVV beraten lassen. Die Gefährdungsbeurteilung muss erkennen lassen, dass für die Tätigkeit grundsätzlich, das heißt unabhängig vom einzelnen Beschäftigten, eine Impfung anzubieten ist. Als weiteres Hilfsmittel enthält die AMR 6.5 einen Anhang mit mehr als 30 Infektionserregern und Krankheiten.

Bei der Erstellung der Gefährdungsbeurteilung sind die Abstufungen aus der ArbMedVV zu beachten. Eine Pflichtvorsorge setzt nach § 2 Abs. 2 ArbMedVV voraus, dass es sich um bestimmte besonders gefährdende Tätigkeiten handelt; diese sind im Anhang Teil 2 zur ArbMedVV aufgeführt. Die Angebotsvorsorge nach § 2 Abs. 3 ArbMedVV ist bei bestimmten gefährdenden Tätigkeiten anzubieten; auch diese sind im Anhang zur ArbMedVV aufgeführt. Schließlich ist bei Tätigkeiten, bei denen ein Gesundheitsschaden nicht ausgeschlossen werden kann, die Wunschvorsorge den Beschäftigten zu ermöglichen. Die maßgebliche Weichenstellung zwischen diesen drei Kategorien erfolgt in der Gefährdungsbeurteilung.

Der Arzt oder die Ärztin ist im Einzelfall verpflichtet, die Vorsorge durchzuführen. Dazu ist festzustellen, welcher Impfstoff zu verwenden ist und ob medizinische Gründe gegen die Durchführung einer Impfung sprechen. Das Impfangebot umfasst die Information der Beschäftigten über den Nutzen der Impfung und die zu verhütende Krankheit. Die Beschäftigten können das Impfangebot annehmen oder ablehnen. Bei Ablehnung muss das Impfangebot anlässlich der nächsten arbeitsmedizinischen Vorsorge unterbreitet werden.

In dem vom BAG entschiedenen Fall bestand für die Angestellte, die im Controlling tätig war, in keiner Weise ein erhöhtes Infektionsrisiko. Es fehlte auch jeder Hinweis auf eine entsprechende Gefährdungsbeurteilung, so dass hier das Angebot der Impfung kein Bestandteil der arbeitsmedizinischen Vorsorge war. Damit haftet der Arbeitgeber auch dann nicht, wenn die Impfung fehlerhaft erfolgt ist und sich daraus ein Schaden ergeben hat. Entsprechende Fälle sind aus der Rechtsprechung allerdings nicht bekannt.

Ein Rückgriff des Arbeitgebers im Innenverhältnis gegenüber angestellten Betriebsärzten kann in der Regel nur dann erfolgen, wenn den Betriebsärzten grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden kann. Grob fahrlässig handelt, wer in besonders schwerem Maße seine Pflichten verletzt. Eine solche grobe Fahrlässigkeit müsste vom Arbeitgeber nachgewiesen werden; dies ist nur in Ausnahmesituationen der Fall.

Haftungsrisiko bei präventiven Impfangeboten

Eine solche Grippeschutzimpfung, wie sie hier vorgenommen worden ist, erfolgt regelmäßig präventiv zur Verbesserung der allgemeinen Gesundheit. Sie ist daher nach § 20i SGB V im Jahr 2015 durch das Präventionsgesetz als eine Maßnahme der allgemeinen Vorsorge normiert worden, die von den Krankenkassen zu finanzieren ist. Die Krankenkassen können mit Vertragsärzten gesonderte Verträge über die Durchführung einer solchen Impfung abschließen. Nach § 132 e SGB V können die Kassen solche gesonderten Verträge auch mit Betriebsärzten abschließen. In der Begründung des Präventionsgesetzes ist die Beteiligung der Betriebsärzte ausdrücklich hervorgehoben worden, weil auf diese Weise eine flächendeckende und betriebsnahe Impfpolitik realisiert werden könne (BT-Drs., 18/4282 S. 44).

In der Praxis sind bei der Umsetzung dieser Impfpolitik noch einige Probleme zu verzeichnen (Rose u. Nesseler 2018). Anfangs waren die Krankenkassen fehlerhaft davon ausgegangen, dass die Vergütung von Impfleistungen bei Betriebsärzten generell durch die Arbeitgeber zu erfolgen habe. Dies war nicht zutreffend, denn dies gilt nur für arbeitsschutzbezogene Impfungen, nicht jedoch für präventive Impfungen nach § 20i SGB V. Ebenso sind Fragen der Versorgungswege und der Abrechnungsmodalitäten noch nicht hinreichend geklärt. Eine gesetzliche Klarstellung, die durchaus wünschenswert wäre, ist bisher noch nicht erfolgt.

Gleichwohl ist der sozialpolitische Zweck einer allgemeinen Gesundheitsvorsorge deutlich, so dass Betriebsärzte, die nach §§ 20i, 132e SGB V tätig werden, nicht zum Zweck des Arbeitsschutzes, sondern zu allgemeinen präventiven Zwecken tätig werden. In einem solchen Fall schließen sie den Behandlungsvertrag mit den Beschäftigten, die an einer solchen Impfung teilnehmen. Daraus ergibt sich, dass etwaige Haftungsfälle ihnen zur Last fallen und eine Absicherung durch die eigene Berufshaftpflichtversicherung geboten ist. Gleichwohl ist auch insoweit darauf hinzuweisen, dass seit Einführung von § 20i SGB V einschlägige Entscheidungen und Haftungsfälle noch nicht bekannt geworden sind.

Das Präventionsgesetz hat auch zum Zweck, Arbeitgeber für zusätzliche freiwillige gesundheitsfördernde Maßnahmen zu mobilisieren. Impfangebote können daher auch Gegenstand eines betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) sein. In ASU 5/2018 ist berichtet worden, wie die Influenza-Impfquote bei medizinischem Personal durch die individualisierte Kampagne „Stop–Influenza“ in einem Universitätsklinikum deutlich erhöht werden konnte (Roggendorffet al. 2018). Nach diesem Bericht war eine generelle Kampagne im Klinikum erfolgt, die sowohl arbeitsschutzbezogene Impfungen als auch präventive Impfungen umfasste. Dies ist typisch für ein betriebliches Gesundheitsmanagement, das als verbindendes Element zwischen Arbeitsschutz und betrieblicher Gesundheitsförderung fungiert. In einem solchen Fall ergibt sich daraus wiederum die Haftung des jeweiligen Arbeitgebers. Da solche Haftungsfälle relativ selten sind und ein effektiver Grippeschutz auch der betrieblichen Gesundheitspolitik dient, wäre es aus Sicht des Autors verfehlt, nur wegen der Möglichkeit relativ seltener Haftung auf ein solches Impfangebot in einem BGM zu verzichten.

Fazit

Impfungen können im Arbeitsverhältnis und im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis unterschiedlichen Zwecken dienen. Es kann sich um Maßnahmen des Arbeitsschutzes handeln, es kann aber auch eine Maßnahme präventiver allgemeiner Gesundheitsvorsorge erfolgen. In jedem Fall ist es geboten, bereits bei der Einladung zu einer solchen Grippeschutzimpfung klarzustellen, welchem Ziel die jeweilige Maßnahme dient. Eine solche Aufklärung ist auch geboten, um eine höhere Teilnahme an solchen freiwilligen Impfungen sicherzustellen.

Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

Literatur

Bücker A: Kommentierung zur ArbMedVV. In Bücker A, Feldhoff K, KohteW (Hrsg.): Handkommentar Arbeitsschutzrecht, 2. Aufl. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, 2018.;

Gitter W: Zur Haftung des Betriebsarztes. RdA 1983; 156.

Kohte W: Grippeschutzimpfung durch Betriebsarzt: Keine Haftung des Arbeitgebers bei Impfschaden des Arbeitnehmers? Juris-Praxisreport Arbeitsrecht 2018; 43: Anm. 1.

Roggendorf H, Morscheck F, Sprave T, Roggendorf M: Verbesserung der Influenza- Impfquote bei medizinischem Personal durch die individualisierte Kampagne „STOP–Influenza“ in einem Universitätsklinikum. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53: 329–333.

Rose D-M, Nesseler T: Schutzimpfungen durch Betriebsärzte. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53: 429 431.

    Weitere Infos

    AMR Nr. 6.5 Impfungen als Bestandteil der arbeitsmedizinischen Vorsorge bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen

    https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regelwerk/AMR/AMR-6-5.html

    Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV)

    https://www.gesetze-im-internet.de/arbmedvv/

    Autor

    Prof. Dr. Wolfhard Kohte

    Gründungsprofessur Zivilrecht II

    Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg

    Universitätsplatz 5

    06108 Halle (Saale)

    wolfhard.kohte@jura.unihalle.de

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