Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Netzwerke zur Gesundheitsförderung für KMU

Einleitung

Innerhalb der letzten Jahre hat sich die Aufmerksamkeit für Themen der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) und des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) in Wissenschaft und Praxis stetig geschärft. Eine Vielzahl von Unternehmen engagiert sich auf diesem Gebiet und führt für ihre Belegschaft isoliert oder im Rahmen eines ganzheitlichen BGM Maßnahmen zur Gesundheitsförderung durch. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Zum einen werden Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit oftmals aus Überzeugung angeboten. Zum anderen möchten Arbeitgeber den Auswirkungen des demografischen Wandels sowie der zunehmenden Belastungen aufgrund von Arbeitsverdichtungseffekten positiv entgegenwirken oder sie setzen ihr Engagement auf diesem Gebiet ein, um sich bei der Suche nach Fachkräften von Mitbewerbern abzuheben („employer branding“). Es zeigen sich hier jedoch nach wie vor Unterschiede gemäß der Größe der Betriebe (Beck et al. 2015). Dabei existieren insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) spezifische Hürden und Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Nicht zuletzt erschweren mangelnde personelle, finanzielle und strukturelle Ressourcen oder auch fehlende Arbeitsschutzstrukturen die Implementierung eines umfangreichen und vor allem strukturierten, auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter zugeschnittenen und nicht zuletzt dadurch nachhaltigen Gesundheitsprogramms (Schäfer et al. 2016; DNBGF 2015, s. „Weitere Infos“). Häufig werden wenige spezifische Maßnahmen angeboten, die nicht dem tatsächlichen Bedarf der Belegschaft entsprechen und vielfach in Folge dessen auch nicht genutzt werden. Ursachen und Wirkzusammenhänge von Zielgrößen wie Teilnahmequote oder Erfolge bleiben dabei unklar und umfassende Interventionen auf Verhältnisebene kommen seltener zum Tragen.

Möglichkeiten zur zielführenden Unterstützung kleiner und mittelständischer Unternehmen werden auf Basis dessen wiederholt erörtert. Eine zentrale Empfehlung ist hierbei der Zusammenschluss zu Netzwerken der Betrieblichen Gesundheitsförderung (Pfannstiel et al. 2016; DNBGF 2015, s. „Weitere Infos“).

Netzwerke

Zahlreichen der oftmals ressourcenbedingten Probleme und Hürden kann mittels unternehmensübergreifender Zusammenschlüsse begegnet werden (Schäfer et al. 2016). Entsprechend ist seit vielen Jahren eine hohe Aktivität bezüglich verschiedenartiger Netzwerke zur Betrieblichen Gesundheitsförderung erkennbar. Neben orts- und zeitgebunden Netzwerken („analog“) existieren ebenso ungebundene „digitale“ Formen auf synchroner und asynchroner Ebene.

Netzwerke stellen eine attraktive Möglichkeit dar, sich Themenfeldern anzunehmen, die im Alleingang nur schwer stemmbar wären. Die hohe Aktivität auf diesem Gebiet stärkt zudem die Annahme, dass das Mitwirken in Netzwerken als attraktiv und zielführend erachtet wird. In einer Erhebung von Schäfer et al. (2016) begrüßten beispielsweise 65,5 % der 55 befragten Unternehmen mit BGF und 56 % der Unternehmen, die bisher noch keine Maßnahmen zur Gesundheitsförderung umsetzten (n = 25), die Zusammenarbeit in einem BGF-Netzwerk. Am häufigsten wünschten sich hierbei die Unternehmen gegenseitigen Austausch. Müller et al. (2018) kamen in ihrer Studie zu Netzwerken der betrieblichen Gesundheitsförderung auf ähnliche Ergebnisse: Im Rahmen von 42 Interviews, die in 26 Unternehmen geführt wurden, gaben 88,1 % „Erfahrungsaustausch“ als häufigsten Nutzen einer Netzwerkteilnahme an. Lediglich 2,4 % der befragten Betriebe sahen gar keinen Nutzen.

Als zentrale Erfolgsfaktoren für Netzwerke ergeben sich aus Sicht von Pfannstiel und Mehlich (2016) unter anderem Transparenz und Verbindlichkeit der Teilnehmer sowie der Austausch der Unternehmen untereinander.

Vorteile

Die Grundgedanken und somit auch Vorteile dieser Netzwerke sind jedoch unabhängig vom Modus („analog“ versus „digital“) dieselben:

Zu nennen sind hier zunächst Synergieeffekte und Austauschebenen: Durch das Bündeln von personellen, zeitlichen und finanziellen Ressourcen werden einige Aktivitäten (z.B. das Einholen von Fachwissen bzw. Unterstützungsleistungen oder die Durchführung von Maßnahmen zur Gesundheitsförderung) einfacher oder sogar erst möglich. Auch Pfannstiel und Mehlich (2016) führen an, dass „im Netzwerk […] Gesundheitsmaßnahmen und -strukturen etabliert werden“ können, „für die das einzelne KMU keine Ressourcen aufbringen kann“. Neben den Synergieeffekten kommt es im Rahmen dieser Zusammenschlüsse nicht zuletzt auch zu einer reflektierten Auseinandersetzung und einem Erfahrungs- und Know-how-Austausch. Letzterer kann vor allem bei der Durchführung von Maßnahmen (Planung, Information, Organisation), aber auch zur Teilnahmemotivation von schwer erreichbaren Zielgruppen sehr gewinnbringend sein.

Aber auch der strukturelle Rahmen, der sich aufgrund einer regelmäßigen Netzwerkaktivität ergibt, ist ein Vorteil: Durch die regelmäßigen Termine oder Aktivitäten werden gesundheitsrelevante Themen automatisch in einen strukturellen Rahmen eingebettet, der sich wiederum positiv auf die Nachhaltigkeit, Stetigkeit und Effizienz von Prozessen und Aktivitäten auswirkt.

Weitere Vorteile ergeben sich im Bereich des „employer branding“: Durch gemeinsame Veranstaltungen oder Berichte über ein Netzwerk kann beispielsweise eine effiziente und breitenwirksame Öffentlichkeitsarbeit zugunsten einer stärkeren Sichtbarkeit der teilnehmenden Unternehmen erzielt werden.

Aufbau von Netzwerken

Die Erstinitiierung eines Netzwerks beinhaltet bereits verschiedene Entscheidungsprozesse:

  • Art der Durchführung („analog“ oder „digital“) im Hinblick auf den geplanten thematischen Zweck und die Teilnehmer des Netzwerks
  • Festlegung von Moderations- und Organisationsverantwortlichen
  • Definition der Teilnehmer bezüglich ihrer Heterogenität oder Homogenität
  • Bestimmung einer Zielgröße von Teilnehmern und deren Unternehmensvertretungen
  • Festlegung der thematischen Ausrichtung des Netzwerks
  • Grundüberlegungen bezüglich Finanzierungsmöglichkeiten
  • Definition des Turnus der Treffen im Falle „analoger“ Netzwerke

Den Aufbau und die Verstetigung von Unternehmenszusammenschlüssen sowie Hindernisse, Vorteile und Wege sollen die folgenden Forschungspraxisbeispiele genauer erläutern.

Netzwerkbeispiele

Im Rahmen von drei Forschungsprojekten wurden durch das Institut und Poliklinik für Sozial- und Umweltmedizin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zwischen 2005 und 2016 vier Netzwerke mit klein- und mittelständischen Unternehmen aus Bayern aufgebaut: „Bewegte Unternehmen“, „Vitale Unternehmen“, „RegioKMUnet Odenwald“ und „RegioKMUnet Mittelfranken“. Bei allen vier Netzwerken handelt es sich um „analoge“ Netzwerke, innerhalb derer Unternehmensvertreter sich einmal pro Quartal für etwa drei Stunden treffen und einen Austausch über Themen der Betrieblichen Gesundheitsförderung und des Betrieblichen Gesundheitsmanagements pflegen. Aufgrund des physischen Zusammenkommens konnte eine Vorstellung der einzelnen Teilnehmer – meist sogar in Form einer kurzen Betriebsbesichtigung – durchgeführt werden, wodurch eine Abbildung der potenziellen Erfahrungen, Bedarfe und Lösungsansätze wesentlich stärker möglich wurde. Während der Zusammenschluss der „Bewegten“ und „Vitalen Unternehmen“ allgemein unter der Zielthematik BGF stand, richteten sich die beiden „RegioKMUnet“-Netzwerke inhaltlich mit der Etablierung und Implementierung eines nachhaltigen BGM bereits spezifischer an KMU. Hinzu kamen in diesen beiden Netzwerken noch aktuelle Forschungsfelder der psychischen Belastungen am Arbeitsplatz, der Digitalisierung der Arbeit sowie auf Basis bisheriger Erkenntnisse ein intensiverer Einbezug der Betriebsärzte (Broding et al. 2010), die aufgrund ihres Fachwissens einen wichtigen Beitrag zu gesundheitlichen Themen leisten können (Fischmann et al. 2018). In allen Netzwerken gab es jeweils eine verantwortliche Person für Organisation und Moderation. Im Falle der „Bewegten“ und „Vitalen Unternehmen“ wurde diese Leistung von einer Krankenkasse übernommen. Die anderen beiden Netzwerke erhielten die Moderations- und Organisationsleistung durch die wissenschaftliche Leitung des Forschungsprojekts. Die jeweiligen Netzwerkinhalte wurden über Gastvorträge und im Falle von „RegioKMUnet“ durch die aktive Beteiligung der Teilnehmer abgedeckt, wobei im letzteren Fall stets eine vorherige Bedarfsabfrage die Relevanz von Vortrags- und individueller Arbeitsthemen sicherstellte. Aufgrund des Teilfokus „Rolle des Betriebsarztes im BGM“ kam im Gegensatz zu den anderen Netzwerken bei „RegioKMUnet Mittelfranken“ neben einem Vertreter aus den jeweiligen Unternehmen (zumeist Geschäftsleitung, Personalleitung oder BGM-Beauftragte/r) zudem der jeweilige Betriebsarzt zu den Treffen hinzu.

Der weitreichendste Vorteil von Netzwerkzusammenschlüssen zeigte sich über alle vier Netzwerke hinweg deutlich: Die teilnehmenden Unternehmen erhielten sowohl auf einfache Weise sehr viel Wissen und Fakten aus Wissenschaft und Praxis sowie bezüglich Prozessmöglichkeiten als auch einen schnellen Zugang zu potenziellen Angeboten oder Umsetzungsunterstützungen. Der tiefere Austausch, insbesondere zu Erfolgsfaktoren und Hürden bei der Umsetzung von Maßnahmen, war meist sehr befruchtend und generierte sofort Anregungen oder alternative Lösungswege zu den bisher existierenden. Oftmals zeigte dieser Austausch aber auch im Sinne einer erweiterten Sensibilisierung Relevanzen und unbedachte Bedarfe zu bestimmten Themenfeldern auf. Dies äußerte sich im Falle sensibler und schwierigerer Themen oftmals in einer Form der Entstigmatisierung. In der Regel geschahen in den KMU während ihrer Teilnahme an den Netzwerken bereits Veränderungen aufgrund eben dieser Teilnahme. Diese ersten und unter Umständen noch kleinen Schritte waren sehr entscheidend, wurden häufig jedoch von den einzelnen Unternehmen noch nicht wahrgenommen. Die Sicht von außen und die fachkundige Beurteilung dieser Schritte, die automatisch die hier geschilderten Netzwerke mit sich brachten, verstärkten die Wahrnehmung dieser wichtigen Fortschritte regelmäßig. Dabei waren die Ebenen, auf denen sich der jeweilige Fortschritt bewegte, nicht relevant. Der Blick von außen durch mehrere Augen war stets gewinnbringend in allen vier Netzwerken.

Die hier erwähnten Wirkmechanismen und Abläufe sind in dieser Form tatsächlich nur im Falle des orts- und zeitgebundenen („analogen“) Modus möglich. Ein reiner Austausch auf digitaler Ebene (z.B. Chat, Forum, Virtual Room etc.) würde diese Effekte nicht mit sich bringen. Auch die Kombination aus Wissensaustausch, Wissenserweiterung, Anleitung, Hilfestellung und Diskussion in dieser kompakten und effizienten Form wird durch die physische Anwesenheit aller Beteiligten am Besten ermöglicht. Dennoch muss ergänzt werden, dass nicht immer alle Themen gleichermaßen interessant und relevant sind. Jedoch liegt genau hier wiederum der Reiz der Netzwerke: indem Erfahrene ihr Wissen weitergeben oder ihre Einschätzung einbringen und so eine äußerst reflektierte Ebene mit allen Inhalten gesichert ist.

Gewisse Themenausschnitte, wie z.B. das Initiieren von gemeinsamen Veranstaltungen, bedienten sich in diesen Netzwerken oftmals der Erweiterung um einen digitalen Netzwerkmodus. Hier wurden über Kommunikationsplattformen entsprechende ergänzende Wege genutzt, um unter anderem auch weitere Verantwortliche zu involvieren und untereinander zu vernetzen.

Fazit

Die Synergie- und Effizienzeffekte von Netzwerken können sehr hoch sein. Die Teilnahme an Netzwerken zur Gesundheitsförderung ist also ideal für eine begleitende und ressourcenschonendere Unterstützung bei der Durchführung von Maßnahmen, Implementierung und Verstetigung von Prozessen und Methoden, zur einfachen und niederschwelligen Erweiterung von Wissen und Erfahrungen sowie dem Erkennen von interessanten Themenfeldern. Speziell für gesundheitliche Themen ist der Betriebsarzt hierbei von hohem Wert.

Allerdings muss das eigene Ziel bzgl. Netzwerkform und -inhalt stets berücksichtigt werden. Die Abwägung, ob „digital“ oder „analog“, ob bedarfsorientierte oder vorgegebene Themeninhalte, ob vorwiegend partizipativ oder vorwiegend rezeptiv muss individuell getroffen werden.

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Literatur

Beck D, Lenhardt U, Schmitt B Sommer S: Patterns and predictors of workplace health promotion: cross-sectional findings from a company survey in Germany. BMC Public Health 2015; 15: 343.

Broding HC, Kiesel J, Lederer P, Kötter R, Drexler H: Betriebliche Gesundheitsförderung in Netzwerkstrukturen am Beispiel des Erlanger Modells – „Bewegte Unternehmen“. Gesundheitswesen 2010; 72: 425–432.

Fischmann W, Amler N, Drexler H: Prävention in der Arbeits- und Betriebsmedizin – Die Rolle des Betriebsarztes im betrieblichen Gesundheitsmanagement. Public Health Forum 2018; 26: 144–146.

Müller E, Fischmann W, Kötter R, Drexler H, Kiesel J: Nutzen und Nachhaltigkeit von Netzwerken zur betrieblichen Gesundheitsförderung in kleinen und mittleren Unternehmen – Am Beispiel der KMU-Netzwerke „Bewegte Unternehmen“ und „Vitale Unternehmen“. Gesundheitswesen 2018; 80: 458–462.

Pfannstiel MA, Mehlich H (Hrsg.): Betriebliches Gesundheitsmanagement. Konzepte, Maßnahmen, Evaluation. Wiesbaden: Springer Fachmedien; 2016.

Schaefer E, Drexler H, Kiesel J: Betriebliche Gesundheitsförderung in kleinen, mittleren und großen Unternehmen des Gesundheitssektors – Häufigkeit, Handlungsgründe der Unternehmensleitungen und Hürden der Realisierung. Gesundheitswesen 2016; 78: 161–165.

    Koautoren

    Mitautoren des Beitrags sind Elisabeth Wischlitzki und Prof. Dr. med. Hans Drexler, beide Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

    Weitere Infos

    Deutsches Netzwerk für Betriebliche Gesundheitsförderung (DNBGF). Positionspapier KLEIN – GESUND – WETTBEWERBSFÄHIG: Betriebliche Gesundheitsförderung in Kleinbetrieben stärken

    www.dnbgf.de/fileadmin/downloads/foren/kmu/Positionspapier_DNBGF_KMU_2015.pdf

    Für die Autoren

    Wolfgang Fischmann, M.A.

    Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin

    Leiter des Bereichs Public Health

    Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

    Schillerstraße 29

    91054 Erlangen

    wolfgang.fischmann@fau.de