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Mentales Abschalten von der Arbeit als Erholungsindikator

Mentales Abschalten von der Arbeit als Erholungsindikator – Wirkungen, Einflussfaktoren und Gestaltungsansätze

Ziel: Erholung ist eine wesentliche Voraussetzung, damit arbeitsbedingte negative Beanspruchungsfolgen umfänglich abgebaut werden können. Als ein psychologischer Wirkfaktor für die Erholung von Beschäftigten wurde in den letzten Jahren das mentale Abschalten von der Arbeit während der Ruhezeit untersucht. Der Beitrag zielt darauf ab, den vorliegenden Wissensstand zu Wirkungen, Einflussfaktoren und Gestaltungsansätzen für dieses Konstrukt dazustellen.

Methode: Es werden Ergebnisse aus vorliegenden systematischen Überblicksarbeiten referiert und durch neuere Befunde ergänzt.

Ergebnisse: Das mentale Abschalten von der Arbeit hängt positiv mit berichteten Befindens- und Gesundheitsindikatoren sowie der selbstberichteten Arbeitsleistung zusammen. Arbeitsanforderungen (z.B. quantitative Anforderungen, emotionale Anforderungen) korrelieren im Mittel negativ und Arbeitsressourcen (z.B. soziale Unterstützung, Handlungsspielraum) im Mittel positiv mit dem mentalen Abschalten von der Arbeit. Psychologische (z.B. negative Affektivität und Neurotizismus, exzessive Arbeitsneigung), aber nicht demografische Personenmerkmale (Alter, Geschlecht) konnten als weitere negative Prädiktoren identifiziert werden. Effekte verhältnisorientierter Interventionen zur Verbesserung des mentalen Abschaltens wurden bisher kaum geprüft. Verhaltensorientierte Interventionen haben überwiegend förderliche Wirkungen.

Schlussfolgerungen: Das mentale Abschalten von der Arbeit ist ein bedeutendes Bindeglied zwischen Arbeitsbedingungen und Beanspruchungsfolgen und stellt damit einen erholungsrelevanten Frühindikator arbeitsbedingter Beeinträchtigungen dar. Die zukünftige Forschung sollte vor allem verhältnisorientierte Gestaltungsansätze zur Verbesserung der Erholung untersuchen.

Schlüsselwörter: Abschalten – Erholung – Rumination

Mental detachment from work as an indicator of recovery: Outcomes, antecedents and associated interventions

Objective: Recovery is an essential prerequisite in substantially reducing the negative work-related consequences of stress. In recent years, psychological detachment from work during after-work periods has been investigated as a psychological factor for the recovery of employees. This article aims to present the current state of knowledge about psychological detachment and its outcomes, antecedents and associated interventions.

Methods: Results from existing systematic reviews are reported and supplemented by more recent findings.

Results: Psychological detachment from work is positively correlated with the self-reported measures of health and well-being and work performance. Job demands (e.g. quantitative demands, emotional demands) correlate negatively with psychological detachment from work, while work resources (e.g. social support, job control) correlate positively. Psychological traits (e.g. negative affectivity and neuroticism, heavy work investment) were identified as additional negative predictors, but this is not the case for demographic characteristics (age, gender). Effects of organisational interventions to improve psychological detachment have thus far hardly been examined. Behavioural interventions have mainly beneficial effects on psychological detachment.

Conclusions: Psychological detachment from work is an important variable linking work-related factors with stress-related outcomes and thus represents an early indicator of work-related impairments relevant to recovery. Future research should focus on behavioural interventions for improving recovery.

Keywords: detachment – recovery – rumination

J. Wendsche1

A. Lohmann-Haislah2

A. Schulz3

I. Schöllgen3

Theoretische Einführung und Ziele

In unserer 24/7-Gesellschaft, in der teilweise der Einsatz von Mitarbeitern über 24 Stunden am Tag und 7 Tage pro Woche nötig sind, fühlen sich viele Beschäftigte durch ihre Arbeit sowohl körperlich als auch psychisch ermüdet und erschöpft (Lohmann-Haislah 2012). Erholung stellt eine bedeutende Ressource dar, durch die negative Beanspruchungsfolgen auf ein beeinträchtigungsfreies Niveau abgebaut werden können (Sonnentag et al. 2017).

In Deutschland sind zeitliche Organisationskriterien von Erholung im Arbeitszeitgesetz reguliert. Im Wandel der Arbeit ergeben sich für die Gestaltung von Erholung allerdings neue Spannungsfelder, beispielsweise durch die zunehmende Flexibilisierung und Selbststeuerung von Arbeits- und Erholungszeiten.

Insbesondere für die längste Erholungsphase des Arbeitstages, die Ruhezeit, ist daher zu fragen, welche Rolle ablaufende Erholungsprozesse zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit spielen. Einen zentralen Faktor stellt dabei das mentale Abschalten von der Arbeit (engl. „Psychological Detachment“) dar, das aktuell jedem zweiten bis dritten Beschäftigten in Deutschland schwerfällt (Seiler et al. 2013; Wohlers u. Hombrecher 2016; Wöhrmann et al. 2016). Nachfolgend soll dieses Konstrukt genauer vorgestellt werden.

Operationalisierung

Das Konzept des „Detachment“ wurde ursprünglich von Etzion et al. (1998) als „individual’s sense of being away from the work situation“ (S. 579) in die Literatur eingeführt. Der Begriff meint sowohl eine erfolgreiche mentale als auch physische Distanzierung von der Arbeit während einer Erholungsphase. Insbesondere die Entwicklung des standardisierten Recovery Experience Questionnaire durch Sonnentag u. Fritz (2007), in dem „Psychological Detachment“ mit vier Fragen als eine von vier typischen Erholungserfahrungen operationalisiert wird, führte nachfolgend zu regen Forschungsaktivitäten.

Wendsche u. Lohmann-Haislah (2016) zeigten, dass das Konzept des mentalen Abschaltens von der Arbeit durchaus komplex und vielfältig in der Forschung bearbeitet und operationalisiert wird. In  Abb. 1 sind mögliche Formen der Operationalisierung zusammengefasst.

Im Folgenden werden solche Studien vorgestellt, die das Abschalten als dynamischen („state“) Erholungsprozess während der täglichen Ruhezeit erfassen.

Theoretische Modelle

In der Literatur zu Einflussfaktoren und Wirkungen des mentalen Abschaltens von der Arbeit wird überwiegend auf vier Modelle zurückgegriffen.

Meijman u. Mulder (1998) nehmen in ihrem Effort-Recovery-Modell an, dass Arbeitsanforderungen und Arbeitsressourcen im Zusammenspiel mit Personenmerkmalen und Aufgabenbewältigungsstrategien zu unmittelbaren psychischen, körperlichen und verhaltensbezogenen Beanspruchungsreaktionen führen. Entsprechend dieser Theorie sollten negative Beanspruchungsfolgen vor allem dann zu Befindens- und Gesundheitsbeeinträchtigungen führen, wenn keine Erholung möglich ist und beispielsweise das mentale Abschalten von der Arbeit nicht gelingt.

Die Conservation-of-Resources-Theorie von Hobfoll (1989) nimmt an, dass Menschen bestrebt sind, bedeutsame individuelle Ressourcen zu schützen, zu stärken und auszubauen. Stressreaktionen treten dann auf, wenn ein Ressourcenverlust unabwendbar ist oder der Aufbau von Ressourcen beeinträchtigt wird. Entsprechend wird das mentale Abschalten von der Arbeit als energetische Ressource und damit als Schutzfaktor für die Entwicklung von Stresssymptomen (Halbesleben et al. 2014) betrachtet.

Eine Begründung für mögliche physiologische Folgen mangelnder mentaler Distanzierung bietet die Perseverative-Cognition-Hypothese von Brosschot und Kollegen (2005). Demnach können Stressoren zu wiederkehrenden stressbezogenen Gedanken führen und das mentale Abschalten von diesen erschweren. Über längere Dauer werden psychophysiologische Prozesse gestört, was in Folge das Risiko (psycho)somatischer Erkrankungen erhöht.

Das von Sonnentag u. Fritz (2015) entwickelte Stressor-Detachment-Modell integriert und erweitert die vorher erläuterten Ansätze. Es fokussiert direkt auf das mentale Abschalten von der Arbeit und postuliert zwei mögliche Funktionen. Erstens können hohe Arbeitsstressoren mit einem reduzierten Abschalten von der Arbeit einhergehen, was in Folge das Wohlbefinden beeinträchtigt (Abschalten als Mediator). Zweitens kann das Abschalten auch einen Moderator darstellen, indem es als individuelle Bewältigungsressource die negative Beziehung zwischen Arbeitsstressoren und Wohlbefinden abschwächt. Aufgrund seiner spezifischen Annahmen war dieses Modell ein geeigneter Ausgangspunkt der nachfolgenden Untersuchungen.

Ziele

Ziel der Literaturanalysen war es, den vorliegenden Forschungsstand zu Wirkungen, Einflussfaktoren und Gestaltungsansätzen für das mentale Abschalten von der Arbeit während der täglichen Ruhezeit zusammenzufassen.

Methoden

Es werden vorwiegend Daten aus systematischen, quantitativen Überblicksarbeiten (Bennett et al. 2018; Lohmann-Haislah u. Wendsche 2016; Wendsche u. Lohmann-Haislah 2016, 2017 a, b) berichtet, die z.T. durch aktualisierte und spezifizierte Literatursuchen mit den publizierten Suchstrings ergänzt werden (z.B. Mediatoreffekte, Interventionsstudien).

Ergebnisse

Wirkungen des mentalen Abschaltens

Die metaanalytischen Ergebnisse zu den Wirkungen des mentalen Abschaltens von der Arbeit sind in  Tabelle 1 dargestellt.

Im Durchschnitt zeigen Beschäftigte, die besser von der Arbeit während der Ruhezeit abschalten können, weniger negative Beanspruchungssymptome. Sie berichten über weniger Ermüdungs- und Erschöpfungssymptome, ein höheres Erholungserleben, ein höheres Wohlbefinden, eine höhere Lebenszufriedenheit, weniger körperliche Beschwerden, einen besseren Schlaf und eine höhere Aufgabenleistung. Der schützende Effekt auf die Entwicklung von Erschöpfungssymptomen kann auch in prospektiven Studien abgesichert werden. Substanzielle Effekte auf die Vorbeugung physiologischer Stresssymptome sowie auf die selbstberichtete Arbeitsmotivation finden sich allerdings nicht, wobei hierzu allerdings nur wenige Studien vorliegen. Bemerkenswert sind die unerwartet negativen Beziehungen zu Indikatoren der Extrarollenleistung, z.B. Kreativität und Kontextleistung. Dies könnte darauf hindeuten, dass solche Leistungsfacetten, die über vereinbarte Aufgaben hinausgehen, sich schlechter auf die vorgegebene Arbeitszeit begrenzen lassen und daher mit leicht verminderten Erholungsprozessen einhergehen.

Die Zusammenhänge zwischen dem mentalen Abschalten und Indikatoren der Gesundheit sowie der Arbeitsmotivation schwanken zum Teil recht stark zwischen den Studien (Wendsche u. Lohmann-Haislah 2017a). Wendsche und Lohmann-Haislah (2016) fanden Hinweise, dass die emotionale Qualität der arbeitsbezogenen Gedanken hier einen Moderator darstellt. So geht das mentale Abschalten von der Arbeit eher dann mit weniger ermüdungsbezogenen Beanspruchungsfolgen (schlechter Schlaf, Ermüdung, Erschöpfung) einher, wenn das Distanzieren von negativen im Vergleich zu unspezifisch-neutralen Gedanken an die Arbeit gelingt.

In Bezug auf die diagnostische Aussagekraft des mentalen Abschaltens von der Arbeit (inkrementelle Validität) zeigten Wendsche u. Lohmann-Haislah (2017b) in ihrer Metaanalyse, dass das mentale Abschalten von der Arbeit auch dann Ermüdung und Erschöpfung vorhersagt, wenn die Beziehungen gleichzeitig für Arbeitsmerkmale (z. B. Arbeitsanforderungen) und Personenmerkmale (negative Affektivität/Neurotizismus) kontrolliert werden. Zusätzlich fanden Bennett und Kollegen (2018), dass das mentale Abschalten Ermüdungssymptome auch nach einer Adjustierung für andere Erholungserfahrungen, Arbeitsanforderungen sowie Arbeitsressourcen prädiziert.

Einflussfaktoren auf das mentale Abschalten

In den dargestellten Metaanalysen wurden zahlreiche Arbeits- und Personenmerkmale als Einflussfaktoren auf das mentale Abschaltens von der Arbeit untersucht ( Tabelle 2).

Es zeigt sich konsistent, dass sowohl hohe Arbeitsanforderungen als auch das Erledigen von Arbeitsaufgaben während der Ruhezeit mit einem geringeren Abschalten von der Arbeit einhergehen. Diese Wirkungen lassen sich z.T. auch in prospektiven Studien absichern (z.B. quantitative Anforderungen, lange Arbeitszeit). Als stärkste Prädiktoren zeigten sich quantitative sowie sozioemotionale Arbeitsanforderungen (z. B. hoher Zeitdruck, Erleben von Mobbing.

Auf der anderen Seite haben hohe Arbeitsressourcen auf das Abschalten von der Arbeit einen schützenden Effekt. Als stärkster Prädiktor konnte hier die soziale Unterstützung durch Kollegen und Vorgesetzte identifiziert werden. Mit Blick auf den Einfluss von Personenmerkmalen fällt auf, dass demografische Faktoren keine substanzielle Vorhersagekraft haben. Im Gegensatz dazu stehen solche Personeneigenschaften, die mit der Aufgabenbewältigung und Stressentwicklung zusammenhängen (negative Affektivität, Neurotizismus, exzessives Arbeitsengagement, berufliche Identifikation), in negativer Beziehung zum Abschalten von der Arbeit.

Erneut schwankte die Stärke der Effekte systematisch zwischen den Studien und die emotionale Qualität arbeitsbezogener Gedanken moderierte die Beziehungen zwischen dem Abschalten von der Arbeit und Arbeitsanforderungen sowie negativer Affektivität/Neurotizismus. So fanden sich stärkere negative Zusammenhänge, wenn in den Studien nach der Distanzierung von negativen Gedanken and die Arbeit gefragt wurde (Wendsche u. Lohmann-Haislah 2016).

Hinsichtlich der inkrementellen Validität fanden Wendsche u. Lohmann-Haislah (2017b), dass Arbeitsanforderungen über den Einfluss von negativer Affektivität/Neurotizismus sowie exzessivem Arbeitsengagement hinaus das mentale Abschalten von der Arbeit vorhersagen. Weiterführende Analysen zeigten, dass die Beziehung zwischen Arbeitsanforderungen und dem mentalen Abschalten von der Arbeit über eine häufigere Erledigung von Arbeitsaufgaben während der Ruhezeit vermittelt wird. Bennett et al. (2018) fanden weiterhin, dass verschiedene Formen von Arbeitsanforderungen einen eigenständigen prädiktiven Wert für das mentale Abschalten gegenüber Arbeitsressourcen haben.

Mentales Abschalten als Bindeglied zwischen Arbeitsstressoren und Beanspruchungsfolgen

Laut dem Stressor-Detachment-Modell stellt das mentale Abschalten von der Arbeit ein funktionales Bindeglied (Mediator) zwischen Arbeitsstressoren und Beanspruchungsfolgen dar. Hohe Arbeitsstressoren reduzieren demnach mentale Erholungsprozesse, was zu einer Kumulation negativer Beanspruchungssymptome führt.

Sowohl in Querschnittsuntersuchungen (Germeys u. de Gieter 2018; Wang et al. 2013), prospektiven Studien (DeArmond et al. 2014; Dettmers et al. 2017) als auch in Metaanalysen (Bennett et al. 2018; Wendsche et al. 2017b) finden sich recht konsistent hypothesenkonforme Befunde. Diese umfassen sowohl quantitative als auch sozioemotionale Anforderungen als Arbeitsbedingungsfaktoren sowie affektive und ermüdungsrelevante Beanspruchungsindikatoren. Dies unterstützt die Annahme, dass das mentale Abschalten von der Arbeit einen erholungsbezogenen Frühindikator für negative Beanspruchungsfolgen darstellt, der durch hohe Arbeitsanforderungen negativ beeinflusst wird (Geurts u. Sonnentag 2006; Sonnentag u. Fritz 2015).

Gestaltungsansätze

Aus den Befunden lassen sich zwei grundsätzliche Gestaltungsansätze zur Verbesserung des mentalen Abschaltens von der Arbeit ableiten. Aus Sicht des gesetzlichen Arbeitsschutzes sollte vorrangig mittels verhältnisorientierter Interventionen eine Reduktion beeinträchtigender Auslösefaktoren anvisiert werden: z.B. eine Begrenzung von Arbeitsanforderungen, eine Erhöhung von Arbeitsressourcen und eine zeitliche Begrenzung von Arbeit.

Im Gegensatz dazu versuchen verhaltensorientierte Interventionen über Trainings das mentale Abschalten der Beschäftigten von der Arbeit direkt (z.B. Trainings zur Vermeidung negativer Gedanken, Achtsamkeitstrainings) oder indirekt (z.B. Trainings zur Bewältigung von Arbeitsstressoren, Trainings zur Reduktion von negativen Beanspruchungsfolgen) zu verbessern. In  Tabelle 3 haben wir die Ergebnisse bisher vorliegender Interventionsstudien zu diesen Ansätzen zusammengefasst.

Verhältnisorientierte Interventionsstudien wurden bisher nur selten durchgeführt. Zur Gestaltung der Erholungsumgebung liegt eine Studie vor, die keinen Effekt auf das Abschalten finden konnte (Coffeng et al. 2014). Aus Sicht der Forschung wäre es daher wichtig, sich zukünftig auf die theoretisch vermutete und durch metaanalytische Ergebnisse unterstützte Rolle von Arbeits- und Organisationsfaktoren zu konzentrieren (z.B. Gestaltung der Arbeitsintensität, Begrenzung von Arbeit während der Ruhezeit).

Im Gegensatz dazu liegen zahlreiche Untersuchungen zu verhaltensorientierten Interventionen vor. Häufig belegt wurden förderliche Effekte von Stress-, Erholungs- sowie Achtsamkeitstrainings. Diese Effekte lassen sich damit erklären, dass hier sowohl der Umgang mit arbeitsbedingten Einflussfaktoren auf das mentale Abschalten trainiert wird (z.B. Zeitmanagementtrainings) als auch Techniken erlernt werden, die eine tiefe Entspannung erzeugen (z.B. Progressive Muskelentspannung) oder das Distanzieren von negativen Emotionen erleichtern (z.B. Achtsamkeitsübungen). Die förderlichen Wirkungen dieser Maßnahmen zeigen sich auch bei bereits beeinträchtigten Personengruppen (z.B. Schlaf- und Erholungsstörungen; Ebert et al. 2015). Es liegen daher auch Angebote zur sekundären bzw. tertiären Prävention vor. Die Wirkungen der aus der positiven Psychologie bekannten „3-gute-Dinge-Übung“ (positive Arbeitsreflexion) wurden bisher selten untersucht und erbrachten inkonsistente Ergebnisse. Auch die Effekte anderer Interventionen (z. B. Verbesserung der Grenzziehung zwischen Arbeit und Privatleben, kognitive Verhaltenstherapie, Implementationsintentionen unerledigter Ziele) sind aufgrund der schmalen Studienlage bisher nicht umfassend bewertbar.

Nur wenige Studien haben die Wirksamkeit kombinierter verhältnis- und verhaltensorientierter Interventionen untersucht. Niks et al. (2018) zeigten kürzlich, dass ein solches Vorgehen dann das mentale Abschalten von der Arbeit verbessert, wenn es zunächst auf Belastungsanalysen aufbauende zentrale Arbeitsgestaltungerfordernisse ableitet, diese dann partizipativ von den Mitarbeitern optimieren lässt und gleichzeitig psychosoziale Bewältigungsressourcen bei den Beschäftigten stärkt.

Diskussion

Ziel war es den aktuellen Forschungsstand zu Wirkungen, Einflussfaktoren und Gestaltungsansätzen des mentalen Abschaltens von der Arbeit während der täglichen Ruhezeit als einem zentralen Erholungsprozess darzustellen.

Viele Studien zeigten, dass das mentale Abschalten von der Arbeit positiv mit dem Erholungserleben, dem Wohlbefinden und der berichteten körperlichen und psychischen Gesundheit von Beschäftigten zusammenhängt. Diese Beziehungsmuster konnten zum Teil auch in prospektiven Studien nachgewiesen werden. Die Ergebnisse belegen ebenso die inkrementelle Validität des Konstrukts zur Vorhersage von Beanspruchungsfolgen. Es lässt sich schlussfolgern, dass ein geringes mentales Abschalten von der Arbeit während der täglichen Ruhezeit einen geeigneten Frühindikator für die Diagnose beeinträchtigter psychologischer Erholungsprozesse von Beschäftigten darstellt. Mit dem Verfahren von Sonnentag und Fritz (2007) kann eine zuverlässige und valide Erfassung in der betriebsmedizinischen Praxis erfolgen. Normtabellen zu dieser Skala liegen bisher allerdings nicht vor. Alternativ kann hier der Einsatz der normierten Skala „Erholungsunfähigkeit und exzessives Arbeitsengagement“ aus dem FABA-Fragebogen (Rotheiler et al. 2009) erfolgen, deren Werte hoch mit der Skala von Sonnentag und Fritz (2007) korrelieren (r ~ –0,75; Richter et al. 2017). Die geringen Korrelationen des Konstrukts zu physiologischen Beanspruchungsindikatoren verweisen allerdings darauf, dass der Einsatz solcher Fragebögen die arbeitsmedizinische Diagnostik physiologischer Kennwerte zur Bewertung von Erholungsprozessen (Baur 2013) nicht obsolet macht, sondern diese nützlich ergänzt.

Wenngleich auch Persönlichkeitsmerkmale ca. 5–10 % Varianz im Konstrukt des mentalen Abschaltens binden, machen die bisherigen Befunde deutlich, dass vor allem Arbeitsbedingungsfaktoren diesen Erholungsprozess beeinflussen. Als stärkste Risikofaktoren erwiesen sich hohe quantitative und sozioemotionale Anforderungen, stark entgrenzte Arbeitszeiten und geringe Arbeitsressourcen. Da die Bedeutung dieser Arbeitsmerkmale im aktuellen Wandel der Arbeit zunimmt, sollte der Vorbeugung von Erholungsstörungen in der betriebsmedizinischen Arbeit vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Wirksamkeit einzelner verhaltensorientierter Interventionen ist teilweise nachgewiesen. Sie fokussieren allerdings oft auf die Aneignung palliativer Bewältigungsstrategien im Umgang mit ungünstigen Arbeitsbedingungen und negativen Beanspruchungsfolgen. Der gesetzliche Arbeitsschutz fordert dagegen vorrangig die Beseitigung risikobehafteter Auslösebedingungen im Arbeitssystem. Umso wichtiger wäre es deshalb zukünftig, genau solche Gestaltungsansätze in der Betriebspraxis zu entwickeln und zu prüfen.

Schlussfolgerungen

Das mentale Abschalten von der Arbeit ist ein bedeutendes Bindeglied zwischen Arbeitsbedingungsfaktoren und Beanspruchungsfolgen und stellt damit einen Frühindikator arbeitsbedingter Beeinträchtigungen dar. Die zukünftige Forschung sollte vor allem verhältnisorientierte Gestaltungsansätze zur Verbesserung der Erholung untersuchen.

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen. Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.

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Für die Verfasser

Dr. rer. nat. Johannes Wendsche

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

Gruppe 3.6 „Betriebliche Intervention und Transfer“

Fabricestraße 8

01099 Dresden

wendsche.johannes@baua.bund.de

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 25–31

Fußnoten

1Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Gruppe 3.6 „Betriebliche Intervention und Transfer“, Dresden

2 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Gruppe 3.5 „Psychische Belastungen“, Berlin

3Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Gruppe 3.4 „Mentale Gesundheit und kognitive Leistungsfähigkeit“, Berlin