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Die DGAUM informiert

DGAUM und VDSI: 11 Thesen zur Gefährdungsbeurteilung

Stellungnahme von DGAUM und VDSI zu Grundlagen der Prävention und Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz

Das Arbeitsschutzgesetz fordert eine Beurteilung der Arbeitsbedingungen. Diese Beurteilung wird im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung durchgeführt.

1. Unter einer umfassenden Gefährdungsbeurteilung verstehen wir:

  • die Ermittlung aller physikalischen, biologischen, chemischen und psychosozialen Gefährdungen,
  • deren integrale Risikobeurteilung,
  • die Ableitung von Maßnahmen und
  • die Wirksamkeitskontrolle

Dies liegt im Verantwortungsbereich der Arbeitsgeber.

Das Arbeitsschutzgesetz spricht in § 5 „Beurteilung der Arbeitsbedingungen“ von der Ermittlung von Maßnahmen, die sich aus der für die Beschäftigten bei der Arbeit verbundenen Gefährdungen ergeben, um dem Streben nach Verbesserungen von Sicherheit und Gesundheitsschutz nach § 3 ArbSchG gerecht zu werden. Insofern besteht die Gefährdungsbeurteilung nicht nur aus der Ermittlung der mit der Arbeit verbundenen Gefährdung und deren Beurteilung, sondern auch in der Ableitung von Maßnahmen unter Berücksichtigung der Ressourcen der Mitarbeitenden. Nach Prüfung der Eignung auf Umsetzbarkeit müssen die Maßnahmen gemäß § 6 (1) ArbSchG auch auf ihre Wirksamkeit überprüft werden, was durchaus in einer neuen Gefährdungsbeurteilung münden kann.

2. Die Arbeitgeber sind verpflichtet, frühzeitig die Ursachen und Bedingungen zu ermitteln und zu beurteilen, die zu arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren oder zu Unfällen bei der Arbeit führen können.

Die Beurteilung der Arbeitsbedingungen ist Aufgabe von Betriebsärzten (ASiG § 3 Abs. 1 Punkt 1g) und Fachkräften für Arbeitssicherheit (ASiG § 6 Abs. 1e) und hat einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen, neben stofflichen und arbeitssituationsabhängigen Gefährdungen sind u.a. auch psychische Gefährdungen zu berücksichtigen (ArbSchG § 5). Besondere Beschäftigtengruppen müssen in der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt werden (ArbSchG § 4 Abs. 6). Eine Besonderheit ist hier das Mutterschutzgesetz, nach dem eine generelle Beurteilung der Arbeitsbedingungen mit Berücksichtigung der Belange Schwangerer und Stillender schon vor dem Vorliegen einer Schwangerschaft erfolgen und bei Eintritt einer Schwangerschaft konkretisiert werden muss (§ 10 MuSchG). Weitere Beispiele besonderer Beschäftigtengruppen können z.B. Jugendliche (JASchG), Schwerbehinderte (SGB IX) oder Ältere sein.

3. Die Gefährdungsbeurteilung ist das Instrument, um die am Arbeitsplatz gegebenen objektiven Belastungsfaktoren zu ermitteln und daraus Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes für die Beschäftigten abzuleiten.

Die spätestens 1974 mit dem Arbeitssicherheitsgesetz begründete Kultur der Gefährdungsanalyse und -beurteilung in den Betrieben zeigt sich mit einer herausragend niedrigen Zahl an Arbeitsunfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen als außerordentlich erfolgreich und effizient. Der Gesetzgeber hat erfreulicherweise die Anforderungen an die Ganzheitlichkeit der Gefährdungsbeurteilung mit dem Arbeitsschutzgesetz zuletzt 2015 weiter präzisiert und u.a. die Analyse psychischer Belastungen als Teil der ganzheitlichen Gefährdungsbeurteilung explizit erwähnt. Dieser Herausforderung haben sich Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte gestellt. So wird die Gefährdungsbeurteilung auch in Zeiten sich wandelnder Arbeitsbedingungen zu einer dienstleistungsorientierten Gesellschaft ein zukunftsfestes Instrument bleiben.

4. Die Gefährdungsbeurteilung ist Bestandteil des Risikomanagements eines jeden Unternehmens und Betriebes.

Die Gefährdungsbeurteilung ist die Basis allen Handelns im Arbeitsschutz. Sie ist sowohl für privatwirtschaftlich tätige Unternehmen als auch für Einrichtungen der öffentlichen Hand (Bund, Länder, Gemeindeverbünde, Gemeinden) verpflichtend. Ohne Gefährdungsbeurteilung können keine wirksamen Maßnahmen abgeleitet und erfolgreich umgesetzt werden. Mit der Gefährdungsbeurteilung werden die Risiken im Unternehmen ermittelt und bewertet und sie ist daher Bestandteil des Risikomanagements eines jeden Unternehmens. Das gilt nicht nur für größere und große Unternehmen, sondern insbesondere auch für kleinere und mittlere Unternehmen, die sonst kaum eine Möglichkeit haben, Risiken zu ermitteln, zu bewerten und Maßnahmen zur Risikominderung abzuleiten.

5. Die Gefährdungsbeurteilung ist unteilbar, sie umfasst alle Belastungsfaktoren, wie beispielsweise physikalische, chemische und biologische sowie psychosoziale. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Erhebung einzelner Gefährdungen zunächst nicht sinnvoll wäre. Wichtig sind die abschließende integrale Bewertung aller einzelnen Gefährdungen einschließlich der Wechselbeziehungen untereinander und die daraus abzuleitenden Maßnahmen. Die Bedeutung der Gefährdung für die individuelle Beanspruchung auch unter Berücksichtigung besonderer Beschäftigtengruppen ist zu beachten.

Eine besondere Gewichtung bestimmter Gefährdungsarten ist dem Arbeitsschutzgesetz nicht zu entnehmen – daraus schließen wir, dass jede in § 5 ArbSchG genannte Gefährdungsart gleich wichtig ist. Aus unserer Sicht sind für die vorurteilsfreie Bewertung unterschiedlichster Gefährdungen und der daraus abzuleitenden Beratung der Arbeitgeber Generalisten erforderlich. Eine Zusammenarbeit zwischen mehr ingenieurwissenschaftlich orientierten Fachkräften für Arbeitssicherheit und humanwissenschaftlich orientierten Ärzten bringt dabei die Vorteile beider jeweils sehr breit aufgestellten Fachdisziplinen zur Geltung, sei es z.B. in der Mensch-Roboter-Kooperation oder bei psychisch/psychologischen Auswirkungen verstärkt technisierter Arbeitsgänge.

6. Die Gefährdungsbeurteilung ist ein grundlegendes Element des betrieblichen Gesundheitsmanagements und daraus abgeleiteter Maßnahmen der betrieblichen Prävention, inklusive der arbeitsmedizinischen Vorsorge und Maßnahmen der systematischen Gesundheitsförderung.

Mit der Gefährdungsbeurteilung werden im ersten Schritt Gefahren für die Gesundheit der Beschäftigten ermittelt. Daraus ergeben sich unmittelbar Ansätze für Maßnahmen des Gesundheitsmanagements, um sowohl eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten zu erreichen (s. § 3 Abs. 1 Satz 3 ArbSchG) als auch insbesondere die betriebliche Gesundheitsförderung (§ 20b SGB V) zu stützen.

7. Gezielt aus der Gefährdungsbeurteilung abgeleitete Maßnahmen können das Arbeitsumfeld gesundheitsförderlich gestalten und den steten Wandel in der Arbeitswelt wirtschaftlich erfolgreich bewältigen helfen.

Gesundheitsförderliche Maßnahmen sollten problembasiert, zielgerichtet und zielgruppenadäquat sein. Im betrieblichen Setting setzt dies eine Analyse der jeweiligen Situation und darauf basierender Auswahl der erfolgversprechendsten Aktionen voraus. Bei Ableitung aus der Gefährdungsbeurteilung kann die Maßnahmenauswahl nicht nur reaktiv auf bestehenden Beanspruchungen gründen, sondern auch proaktiv auf sich durch den Wandel von Arbeitsbedingungen ergebende Belastungen einstellen. Dies stärkt eine wirtschaftliche Auswahl ergriffener Maßnahmen und kann eine Grundlage für die Evaluation des Erfolges sein.

8. Eine sachgerechte und an dem Wohl des Unternehmens und seiner Beschäftigten ausgerichtete Gefährdungsbeurteilung braucht sowohl Experten, die ihr Handwerk wirklich verstehen, als auch vertiefende Kenntnisse in wirksamen bzw. empfohlenen Arbeitsschutzmaßnahmen.

Die Ermittlung von Risiken und deren Bewertung erfordert mehr als nur das bloße Erkennen von Gefahren. Nur gut ausgebildete und geschulte Experten, die ein entsprechendes Wissen und Know-How mitbringen, sind in der Lage, umfassend Risiken zu ermitteln und zu bewerten. Sie sind als professionelle Partner auch in der Lage zu erkennen, wann weitere Spezialisten hinzuzuziehen sind. Aus ihrem umfangreichen Erfahrungsschatz können die Experten auch Maßnahmen vorschlagen, von denen anzunehmen ist, dass sie wirklich wirksam sind und von den Beschäftigten akzeptiert werden. Nur so ist eine Gefährdungsbeurteilung zu erstellen, die sich am Wohl der Beschäftigten und des Unternehmens orientiert.

9. Fachärzte für Arbeitsmedizin und Ärzte mit der Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“, kurz „Betriebsärzte“, sowie Fachkräfte für Arbeitssicherheit sind für Fragen des Arbeitsschutzes die am umfassendsten qualifizierten Berater der Arbeitgeber. Sie unterstützen die Arbeitgeber dabei, die mit dem Arbeitsplatz verbundenen Gesundheits- und Unfallgefahren frühzeitig zu ermitteln, zu beurteilen, geeignete Maßnahmen abzuleiten sowie deren Wirksamkeit zu bewerten.

Da das aus der Gefährdungsbeurteilung sich ergebende Maßnahmenspektrum von sicherer Maschinengestaltung oder chemisch-physikalischer Gefährdungsreduktion über ergonomische Arbeitsgestaltung bis hin zum Coaching oder anderen geeigneten Maßnahmen reicht, um eine Verhaltensänderung zu erreichen, ist eine ganzheitliche Beurteilung der zugrunde liegenden Gefährdungen genauso unerlässlich wie die Auswahl der jeweils geeignetsten Profession für die Umsetzung. Dabei können Spezialisten wie Ergonomen, Arbeitsgestalter, Arbeitswissenschaftler, Pädagogen, klinische Psychologen, Arbeits- und Organisationspsychologen hinzugezogen werden. Dieser Aufwand lässt sich bei den Branchen und Tätigkeiten nicht mit bestimmten Stundenkontingenten abdecken, sondern ist bei der konkreten Situation abzuschätzen und qualitätsgesichert umzusetzen. Dabei übernehmen sowohl die Fachkräfte für Arbeitssicherheit als auch die Betriebsärzte eine Lotsenfunktion im Sicherheits- und Gesundheitsmanagement und kooperieren bei bestimmten Fragestellungen mit fachlich sich ergänzenden Professionen.

10. Unternehmen und Betriebe brauchen unbestreitbar eine qualifizierte und qualitätsgerechte arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Betreuung. Nur mit dieser Unterstützung lassen sich die Gefährdungsbeurteilungen sach- und fachgerecht durchführen.

Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit erlernen schon in ihren Fachausbildungen, welche möglichen Gefährdungen existieren können und welche Maßnahmen wirksam sein können, diesen Gefährdungen zu begegnen. Vor diesem Hintergrund sind insbesondere die Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit fachkundig, die den Betrieb betreuen. Sie bringen letztlich die betrieblichen Gegeben- und Besonderheiten mit den rechtlichen Anforderungen zusammen. Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit sind also die Experten, die mit ihrer qualifizierten und qualitätsgerechten Betreuung die Gefährdungsbeurteilungen zum Erfolg bringen können. Aus diesem Grund wird auch in immer mehr Rechtsnormen gefordert, dass Gefährdungsbeurteilungen fachgerecht zu erstellen sind (s. z.B. § 9 Abs. 5 MuSchG, § 3 Abs. 3 BetrSichV, Ziff. 4.1 (1) ASR V3) bzw. die Erfahrung dieser Partner genutzt wird (PrävG § 20b (1)).

11. Zur Umsetzung eines qualifizierten Arbeitsschutzes auf der Grundlage einer umfassenden Gefährdungsbeurteilung bedarf es neben der innerbetrieblichen Überprüfung von gesundheitlichen Gefährdungspotenzialen auch qualitativer und quantitativer Kontrolle durch die einschlägigen Aufsichts- und Beratungsorgane.

Bestehende Gefährdungspotenziale sollten nicht nur betriebsintern beurteilt werden. Aufsichts- und Beratungsorgane sind dazu aufgerufen, die Gefährdungsbeurteilungen und darauf fußende Maßnahmen auf Vollständigkeit, Maßnahmenableitung und Wirksamkeit zu überwachen.

Dabei soll sichergestellt werden, dass

  • die untergesetzliche Regulation der Betreuung nach dem ASiG,
  • die Überwachung der Umsetzung des ASiG in den Betrieben,
  • und ihre wissenschaftliche Evaluation

qualitätsgesichert und transparent erfolgen.

    Stellungnahme “Gebu“

    Die 11 Thesen zur Gefährdungsbeurteilung wurden als gemeinsame Stellungnahme von Vorstandsmitgliedern der DGAUM und des VDSI im Zeitraum von Herbst 2017 bis Herbst 2018 in einem intensiven Prozess entwickelt.

    Die Gefährdungsbeurteilung gehört zu den Grundlagen der betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz. Sie ist unteilbar und Hauptbestandteil des Arbeits- und Gesundheitsschutzen in Betrieben und Unternehmen. Verantwortliche dafür in der Beratung der Arbeitgeber sind die Betriebsärzte und die Fachkräfte für Arbeitssicherheit.

    Die vorliegende Stellungnahme akzentuiert diese Tatsachen nochmals, nicht zuletzt vor dem Hintergrund immer wieder vorgetragener Überlegungen und Diskussionen ganz unterschiedlicher Akteure der öffentlichen und veröffentlichten Meinung, ob und wie man die Gefährdungsbeurteilung auch an andere Berufsgruppen delegieren könne. Dazu beziehen DGAUM und VDSI gemeinsam eine klare Position.

    Dr. phil. Thomas Nesseler

    Hauptgeschäftsführer DGAUM

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