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Sicherheits- und Gesundheitsaspekte beim Einsatz neuer Technologien1

Nutzung digitaler Assistenzsysteme

Digitale Assistenzsysteme unterstützen die Beschäftigten

Die weiter fortschreitende Digitalisierung der Arbeit 4.0, die man auch mit den Begriffen „vernetzt“ und „flexibel“ assoziiert, führt zur Zunahme des Einsatzes von digitalen Assistenzsystemen. Unter digitalen Assistenzsystemen versteht man eine Vielzahl von innovativen Informations- und Kommunikationstechnologien sowie Anwendungen, die Beschäftigte bei ihrer Arbeit z. B. in der industriellen Montage, bei komplexen Produktions- und Logistikprozessen, bei regelbasierten Planungsprozessen in der Fertigungsplanung oder bei der Instandhaltung und Wartung unterstützen.

Die Assistenzsysteme stellen dem Nutzer bei der Ausführung einer Tätigkeit arbeitsbezogene Informationen über die Bedienung von Geräten direkt vor Ort und bedarfsgerecht zur Verfügung. Sie erteilen Arbeitsanweisungen, bieten ihm Lösungen und Entscheidungsunterstützung. Außerdem können die digitalen Assistenzsysteme für die Ausbildung des Werkers als Wissensvermittler sowie für die individuelle Kompetenzentwicklung eingesetzt werden und somit helfen, die Fähigkeiten des Beschäftigten zu erweitern. Digitale Assistenzsysteme haben ein großes Potenzial zur Prozessoptimierung in Betrieben. Dabei soll aber für die Gestaltung guter, nutzerfreundlicher Assistenz die Arbeitsorganisation so strukturiert sein, dass sie die individuellen Kompetenzen sowie den persönlichen Handlungs- und Entscheidungsspielraum fördert.

Je nach Art, Grad und Zielsetzung der Unterstützung bzw. Spektrum der Anwendung können Assistenzsysteme wie in  Tabelle 1 aufgeführt klassifiziert werden.

Eine große Herausforderung und Neuerung beim Einsatz digitaler Assistenzsysteme stellt die Vermittlung von prozessrelevanten Informationen in Echtzeit dar. Dabei agieren die zunehmend lern- und anpassungsfähigen Systeme (z. B. Smartphone, Head Mounted Displays [HMD = auf dem Kopf getragene visuelle Ausgabegeräte, z. B. Datenbrillen] oder Tablets) auf kognitiver Ebene mit dem Nutzer und können das Sicherheitsgefühl der Mitarbeiter bei komplexen Arbeitsaufgaben erhöhen, jedoch auch Ängste verursachen (Cernavin et al. 2018).

Assistenzsysteme müssen vom Nutzer akzeptiert werden

Für die Akzeptanz von digitalen Assistenzsystemen sind arbeits- und motivationspsychologische Aspekte sowie die Beachtung und Gestaltung einer guten Softwareergonomie, Mensch-Maschine-Interaktion und eines humanzentrierten Designprozesses von Bedeutung.

Es ist essenziell, dass Beschäftigte das neue Assistenzsystem als Bereicherung ansehen und seinen Nutzen verstehen. Um dies zu erreichen, ist es wichtig, Mitarbeiter möglichst bereits bei dem Entwicklungsprozess des Assistenzsystems zu beteiligen, ihre Vorstellungen und Erwartungen zu berücksichtigen, sie an der Systemweiterentwicklung mitwirken zu lassen, über Sinn und Zweck des Einsatzes zu informieren und sie im Umgang mit neuartigen Technologien zu qualifizieren (BMAS o.J.).

Für die Gestaltung digitaler Assistenzsysteme existieren verschiedene Standards und Richtlinien, die bei der Entwicklung und beim Einsatz zu beachten sind ( Tabelle 2). Diese sind auf die Vermeidung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen und deren Folgen sowie die Optimierung der Benutzerfreundlichkeit von Arbeitsprozessen und Dialogen mit Assistenzsystemen bezogen.

Aspekte einer sicheren und gesunden Arbeit

Einige der o.g. Punkte zur nutzergerechten ergonomischen Arbeitsgestaltung bei der Anwendung digitaler Assistenzsysteme sind nicht nur für die Nutzerakzeptanz, sondern auch für die Sicherheit und Gesundheit des Nutzers wichtig. So werden geringer Tragekomfort, hohes Gewicht des Assistenzsystems, die Hinderung bei der Ausführung der Tätigkeit, Aufmerksamkeitsablenkung (Böckelmann et al. 2015; Tümler et al. 2015), teilweise Verdeckung des Gesichtsfeldes (Darius et al. 2015) sowie Orientierungsschwierigkeiten (bei der Beendigung der mehrstündigen Arbeit mit einer VR-Datenbrille oder direkt sogar beim Einsatz von HMD durch die zeitliche Verschiebung der realen Bewegung und der Informationsdarstellung auf dem Display (Mehler-Bicher u. Steiger 2017) von der arbeitsmedizinischen Seite im Bezug auf Arbeitssicherheit kritisch betrachtet. So können die Nichtübereinstimmungen der visuellen Information der Augen mit den Informationen des Gleichgewichtsorgans Orientierungsprobleme, den Verlust der Koordinierungsbalance, Schwindelgefühl und Übelkeit verursachen, die dann zu Unfällen führen können. Auch die Einschränkungen des Gesichtsfeldes durch das vor dem Auge angebrachten Display können einen Arbeitsunfall verursachen. Auch kognitive Unterforderung und Monotonie bergen ein erhöhtes Unfallrisiko, da die Aufmerksamkeit der Beschäftigten sinken könnte.

Die neuen Entwicklungen in der Arbeitswelt haben Auswirkungen auf den technischen und medizinischen Arbeitsschutz in Betrieben. Die sicherheitstechnischen Aspekte von digitalen Assistenzsystemen sind in einem Kontext mit den veränderten Arbeitsbedingungen zu betrachten. Das bedeutet, dass bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung diese neuen und/oder veränderten Belastungen neben den üblichen physischen und psychischen Belastungen an diesen Arbeitsplätzen im Sinne einer Ganzheitlichkeit mit erfasst werden müssen. Ziel der daraus resultierenden Maßnahmen ist es, Arbeitsunfälle und die gesundheitlichen Folgen einer (Fehl)Belastung zu vermeiden.

Die Betrachtung des Einsatzes digitaler Assistenzsysteme kann unter verschiedenen Aspekten erfolgen:

  • Von digitalen Assistenzsystemen können neue bzw. veränderte Gefährdungen ausgehen.
  • Digitale Assistenzsysteme bieten die Möglichkeit einer verbesserten Arbeitssicherheit im Betrieb, wie z. B. intelligente persönliche Schutzausrüstung (PSA) (Bleyer 2013; Ashour 2015; Vanhoutte 2016; Schneider 2018) oder Sicherheitsassistenzsysteme (Burghart 2018).

Beim einem Weg werden die Gesundheit und die Arbeitssicherheit sogar gefördert. So können die physisch unterstützenden Assistenzsysteme Beschäftigte von physischen Gefährdungen (durch schweres Heben und Tragen oder durch Zwangshaltungen und Haltearbeiten) entlasten (Zittlau 2018). Bei allen Vorteilen der Exoskelette dürfen diese nicht selbst zur Belastung werden, sondern sollten in Bezug auf die Beanspruchung wirkungsfrei sein.

Insbesondere der andere Weg stellt eine neue und verändert Herausforderung an die Sicherheitskräfte und Betriebsärzte bei arbeitsorganisatorischen Fragen im Betrieb dar. Es wird dabei gefordert, dass das körperliche und geistige Leistungsvermögen der arbeitenden Menschen berücksichtigt und nicht beeinträchtigt wird. Wo früher bei der Zusammenarbeit von Mensch und Roboter die Gefährdungen durch eine Abgrenzung des Areals durch Sensortechnik und Lichtschranken vermieden wurden, in dem der Roboter gestoppt wurde, ermöglicht die Industrie 4.0 jetzt die interaktive Arbeit der beiden (Zittlau 2018). Inzwischen wurden integrierte Schutzmodelle (Kovshenin 2016) und Konzepte entwickelt, die die aktuelle Tätigkeit des Menschen registrieren, das Gefährdungspotenzial ermitteln und entsprechend auf den Menschen reagieren, um ihn durch verschiedene Sensorsysteme oder durch Ultraschall (Ostermann et al. 2011) zu schützen.

Auch die Anforderungen an digitale Assistenzsysteme wie altersgerechte Gestaltung, ergonomisch orientierte Lösungen, Lern- und Trainingsfunktionen sowie Unterstützungsmöglichkeiten für Leistungsgewandelte tragen zu einer sicheren Arbeit bei.

Digitale Assistenzsysteme können helfen, Belastungen, die durch Zwangshaltungen, schweres Heben und Tragen oder beim Einsatz von Gefahrstoffen entstehen, zu minimieren. Außerdem können sie bei älteren Beschäftigten, Leistungsgewandelten und bei Beschäftigten mit körperlichen Beeinträchtigungen eingesetzt werden und diesen somit eine Beschäftigungschance auf dem Arbeitsmarkt bieten.

Mitbegleitend auf diesen beiden Wegen sind die Einhaltung der Datensicherheit (z. B. personenbezogene Daten von Mitarbeitern) und Fragen der technischen Zuverlässigkeit (z. B. bei Cyber-Angriffen von außen und gegebenenfalls dem Ausfall von Assistenzfunktionen).

Das Wissen über die physiologischen Prozesse und Vorgänge im Organismus ermöglicht, schon bei der Entwicklung der Assistenzsysteme ergonomische Fehler zu vermeiden und die Geräte optimal zu gestalten. Je nachdem, um welche Art von digitalem Assistenzsystem es sich handelt, können unterschiedliche Organe und Organsysteme des Nutzers beansprucht werden (Minow u. Böckelmann 2018a) ( Tabelle 3).

Studienlage zur Beanspruchung beim Einsatz von digitalen Assistenztechnologien

Beim Einsatz digitaler Assistenzsysteme kann die gesamte psychophysiologische Architektur des Menschen herausgefordert werden, da einige psychische Prozesse stark reduziert (Monotonie) und andere verstärkt belastet (Stress, psychischer Druck) werden (Schapkin u. Böckelmann 2018).

Die dauerhafte Nutzung neuartiger Systeme ist bisher nicht ausreichend untersucht. Nutzerbezogene Aspekte zum Gesundheitszustand oder zur Beanspruchung des Nutzers standen am Anfang der Forschungsansätze zu digitalen Assistenzsystemen selten im Fokus (Fritsche 2006; Schwertfeger et al. 2009; Darius u. Böckelmann 2018). In den letzten zehn Jahren beschäftigten sich einige Studien mit der Suche nach geeigneten Indikatoren für die Beschreibung der physischen und psychischen Beanspruchung des Nutzers. Andere analysierten die Beanspruchungen in einem Ansatz unterschiedlicher Dauer bzw. Folgen der möglichen Dauerbelastung (mehrstündiger Einsatz) oder verglichen unterschiedliche Assistenzsysteme (Tümler et al. 2008; Bade et al. 2009; Schwerdtfeger et al. 2009; Grubert et al. 2010; Schega et al. 2011; Darius et al. 2013).

Eine systematische Literaturrecherche (Minow u. Böckelmann 2018b) hat gezeigt, dass nutzerbezogene Aspekte beim Einsatz von digitalen Assistenzsystemen bisher kaum berücksichtigt werden. Erste wichtige Ergebnisse sind jedoch, dass deren Einsatz die subjektive Beanspruchung (z. B. visuelle Ermüdung) im Gegensatz zu herkömmlichen Unterstützungssystemen (z. B. Tablet-PCs) nicht erhöht (Wille et al. 2014). Ebenso lassen sich reduzierte Leistungszeiten (Stork u. Schubö 2010) und eine Verringerung der kognitiven Arbeitsbelastung (Bohren et al. 2016) beim Einsatz neuartiger Assistenztechnologien erkennen. Jedoch sollten stets auch die Kontextbedingungen und das Erfahrungsniveau der Mitarbeiter bei der Auswahl eines Assistenzsystems beachtet werden (Kröger u. Vierfuß 2016; Vernim u. Reinhard 2016).

Es existieren weitere umfangreiche Studien zum Einsatz von HMDs, die teilweise widersprüchliche Ergebnisse zeigen. Im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte wurde von der Magdeburger Arbeitsgruppe der beanspruchungsoptimale und für den Nutzer arbeitssichere Einsatz von Augmented-Reality-Technologien untersucht (Minow u. Böckelmann 2018a). In diesen Studien konnte gezeigt werden, dass der Einsatz eines HMDs bei zwei- bis vierstündigen Kommissioniertätigkeiten keine zusätzliche psychische Belastung und Beanspruchung verursacht (Schega et al. 2011; Darius u. Böckelmann 2018). Bei einer Untersuchung der BAuA (2016) fühlten sich Probanden von HMDs stärker beansprucht (z. B. durch Ermüdungserscheinungen wie Augenschmerzen) als von üblichen Tablet-PCs. Faktoren wie Technikinteresse und Alter der Probanden könnten hier einen Einfluss gehabt haben.

Bei einigen ersten Prototypen von HMDs handelte es sich um nichtgewichtsoptimale Modelle, die bei einer mehrstündigen Nutzung eine zusätzliche physische Beanspruchung hervorriefen, da das Tragen von diesen HMDs eine starre Kopfhaltung verlangte und im Nacken-Bereich zu einer leichten Erhöhung der muskulären Beanspruchung führte. Die Probanden berichteten von intensiveren Kopf- und Nackenschmerzen als bei der Arbeit mit stationären Displays (BAuA 2016), was zu einer Entwicklung leichterer HMD-Modelle führte. Die neuen Modelle der HMDs im langzeitigen Einsatz haben keine Auswirkungen auf die subjektive Beanspruchung und die Muskelaktivität der Schulter-Nacken-Muskulatur. Trotzdem ist es vorstellbar, dass das Komfortempfinden dabei beeinträchtigt wurde. Interviews der Forschungsgruppe zeigten, dass der Tragekomfort der HMDs durch eine störende Kopfhalterung (Kalibrierung, Fixierung am Kopf, Kabel) und die ungleiche Gewichtsverteilung negativ beeinflusst wurde und sich damit auch auf die Akzeptanz des neuen Systems auswirkte (BAuA 2016).

Auch in den Studien der Magdeburger Arbeitsgruppe zeigte der Vergleich bei der Tätigkeit mit verschiedenen Assistenzsystemen untereinander keinen signifikanten Unterschied körperlicher Beanspruchung (Darius u. Böckelmann 2018). Mithilfe der Herzfrequenzvariabilität als objektiven physiologischen Beanspruchungsparameter konnte im Rahmen mehrerer Untersuchungen gezeigt werden, dass der HMD-Einsatz nicht zu einer höheren Beanspruchung beim Nutzer führt (Stein et al. 2011; Böckelmann et al. 2015; BAuA 2016).

Der mehrstündige Einsatz von monokularen HMDs hat keine Auswirkungen auf die Empfindlichkeit des Gesichtsfeldes, die Sehschärfe und führt nicht zu Symptomen der Simulatorkrankheit (BAuA 2016). Die Nah- und Fernakkommodation der Augen sowie das Gesichtsfeld und die Lidschlussrate und -dauer blieben auch nach einer vierstündigen HMD-Anwendung unverändert. Damit lassen sich bisher keine objektiven physiologischen negativen Veränderungen durch HMDs auf die Augen und die Sehleistung nachweisen, obwohl diese Ergebnisse teilweise von den berichteten Ermüdungserscheinungen der Nutzer abweichen (BAuA 2016). Die höhere subjektive visuelle Ermüdung zeigte sich auch in der Studie von Tümler et al. (2008). Hier nahmen die Beschwerden im visuellen Bereich, wie „Augenbrennen“ und „Augenermüdung“, sowohl beim Arbeiten mit den verschiedenen HMDs als auch mit der Papierliste über die Dauer der Arbeitstätigkeit zu. In den Untersuchungen von Kampmeier et al. (2007) wurde über ein vermehrtes Druckgefühl in den Augen nach Arbeitsende berichtet.

Die oben beschriebenen Studien zeigen im Ganzen, dass die Arbeit mit HMDs keine gravierende Mehrbelastung darstellt und nicht zu einer höheren Beanspruchung führt (Darius u. Böckelmann 2018).

Es gilt, die Potenziale digitaler Assistenzsystem zu optimieren und ihre Risiken zu minimieren

Die technologischen Entwicklungen sind unbestreitbar und bieten neue Chancen für die globalisierte Wirtschaft. Auch an dem einzelnen Nutzer gehen diese Veränderungen im Zuge des digitalen Wandels nicht vorbei. Durch den Einsatz der neuen Assistenzsysteme haben sich die Anforderungen an die Beschäftigten geändert. Mit dieser Änderung sind sowohl Chancen als auch Risiken für die Sicherheit und Gesundheit des Nutzers der digitalen Assistenzsysteme verbunden (s. Infokasten nächste Seite).

Neben den aufgeführten Chancen können digitale Assistenzsysteme eine psychische Fehlbeanspruchung oder auch kognitive Unterforderung und Monotonie der Nutzer hervorrufen. Diese Faktoren können bei den Beschäftigten einen großen psychischen Druck erzeugen. Die dirigistischen Systeme, die die Autonomie der Beschäftigten einschränken, können sich negativ auf die Psyche auswirken (Apt et al. 2018, s. „Weitere Infos“). Auch Probleme mit dem Datenschutz bei personengebundenen Daten können einen immensen psychischen Druck zur Folge haben (Hasselmann et al. 2018). Deshalb ist hier ein sensibler Umgang mit den Daten erforderlich.

Neue Aufgaben für die Arbeitsmedizin

Die präventiv ausgerichtete Arbeitsmedizin beschäftigt sich jetzt immer mehr mit Fragen zu Risiken, wie z. B. psychischen Fehlbelastungen durch die erhöhte Komplexität und Fertigungsprozessen und erhöhten muskulären oder visuellen Beanspruchungen.

Die Förderung sicherer und gesunder Arbeit ist insbesondere in der ständig veränderten Arbeitswelt mit dem demografischen Wandel, einem globalisierten Wettbewerb, der fortschreitenden Digitalisierung und der damit verbundenen zunehmenden Bedeutung mentaler Belastungen eine wichtige Aufgabe in der industriellen Produktion und Logistik, Montage und Wartung. Die praxis- und forschungsorientierte Arbeitsmedizin kann die Entwicklung der neuen digitalen Assistenzsysteme mitbegleiten, deren Verbreitung in Betrieben bei der Ausarbeitung von verbindlichen Gestaltungskriterien für digitale Assistenzsysteme unterstützen, Standards und Normen der menschengerechten Gestaltung mitentwickeln und arbeitsmedizinisch den Einsatz dieser neuen digitalen Technologien am Arbeitsplatz im Kontext der Analyse des Zusammenhangs zwischen Assistenzsystemen und gesundheitlichen Aspekten untersuchen. Die Arbeitsphysiologie strebt danach, Rahmenbedingungen für die gesundheitsförderliche Nutzung der neuen digitalen Assistenzsysteme zu erarbeiten und festzulegen.

Die Vereinbarkeit von wirtschaftlichen Interessen der Gesellschaft, Beseitigung bzw. Reduzierung negativer Belastung in Folge der Digitalisierung der Arbeitswelt, Prävention und Förderung der Gesundheit der Beschäftigten beschreiben die zukünftigen Zielsetzungen der präventiv ausgerichteten Arbeitsmedizin. Die Arbeitsmediziner sollten sich gemeinsam mit interdisziplinären Partnern um Lösungen bemühen, die Menschen in einer veränderten Arbeitswelt gesund und arbeitsfähig erhalten.

Für Datenschutzfragen sollte der Arbeitgeber beraten werden, Beschäftigte und Interessensvertreter (Personalräte, Berufsverbände, Gewerkschaften) frühzeitig über den geplanten Einsatz der neuen digitalen Assistenztechnologien informieren, mit ihnen über die Datenerfassung und -speicherung diskutieren und Wege erarbeiten, damit keine sensiblen personenbezogenen Daten an die Arbeitgeber gelangen.

Fazit und Ausblick

Die zunehmende Anwendung digitaler Assistenzsysteme in der heutigen Arbeitswelt birgt viele Möglichkeiten, um komplexe Tätigkeiten effizienter und sicherer durchzuführen, Arbeitsschritte für den Beschäftigten zu vereinfachen und ihm bei der Ausführung seiner Aufgabe zu assistieren, das Abrufen relevanter Daten zu ermöglichen, mit ihm zu kollaborieren, ihn physisch und psychisch zu entlasten und ihm seine Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Außerdem können die Informationen der digitalen Assistenzsysteme dem Nutzer in gebündelter Form gezielt zur Verfügung gestellt werden und auch leistungsgewandelte Personen unterstützen.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass es nicht „das eine“ und „richtige“ Assistenzsystem für alle Anwender und Unternehmen gibt. Bei der Auswahl, Gestaltung und Anpassung eines Systems müssen stets die anwendungsfallspezifischen, technischen und wirtschaftlichen Anforderungen beachtet werden. Dies schließt auch die Betrachtung von Rahmenbedingungen, Aufgabe, Technologie und Nutzer sein, da diese Faktoren aufeinander abgestimmt sein müssen. In diesem Bereich ist es schon heute und wird es auch zukünftig Aufgabe der Arbeitsmedizin sein, die verschiedenen Modalitäten digitaler Assistenzsysteme mithilfe von Belastungs- und Beanspruchungsuntersuchungen zu testen und auf ein beschwerdefreies Arbeiten des Nutzers zu achten (Tümler 2009; Rößler 2011; Darius et al. 2015; Darius u. Böckelmann 2018), damit keine zusätzlichen Belastungen und gesundheitlichen Risiken entstehen.

Voraussetzung dafür sind u. a. klare Ziel- und Fragestellungen in Forschungsprojekten und -studien sowie die Berücksichtigung der Gütekriterien von Fragebögen und den Qualitätskriterien bei der Messung und Analyse objektiv physiologischer Parameter. Nur so kann tatsächlich beurteilt werden, ob die Ergebnisse einen sicheren, ergonomischen und gesunden Einsatz digitaler Assistenzsysteme garantieren. Um eine menschzentrierte (statt früher eine technologiezentrierte) Entwicklung digitaler Assistenztechnologien voranzutreiben und den technischen sowie medizinischen Arbeitsschutz am Arbeitsplatz zu gewährleisten, ist es unabdingbar, nutzerbezogene Aspekte, die Usability und Nutzerakzeptanz heute und morgen bei Forschung und Anwendung zu berücksichtigen (Minow u. Böckelmann 2018b).

Arbeitsmedizin und Betriebssicherheit müssen von Anfang an in die Forschung und Entwicklung von Assistenzsystemen eingebunden werden, da durch ihren Einsatz die Erkennung und Beurteilung von Gefährdungen und Belastungen in der zukünftigen Arbeitswelt weiterhin nötig ist.

Interessenkonflikt: Die Autorinnen geben an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

Literatur

Cernavin O, Schröter W, Stowasser S (Hrsg.): Prävention 4.0. Analysen und Handlungsempfehlungen für eine produktive und gesunde Arbeit 4.0. Wiesbaden: Springer, 2018.

Merkel L, Schultz C, Braunreuther S, Reinhart G: Digitale Assistenzsysteme in der Kommissionierung. ZWF Zeitschrift für wirtschaftlichen Fabrikbetrieb 2016; 111: 687–690.

Minow A, Böckelmann I: Beanspruchungsindikatoren mit neuen digitalen Assistenztechnologien. In: Kretschmer V, Spee D (Hrsg.): Der Mensch – eingebunden in die Logistik 4.0. München: Huss-Verlag GmbH, 2018a, S. 104–111.

Schega L, Hamacher D, Böckelmann I et al.: Wirkung unterschiedlicher mobiler Augmented-Reality-Systeme auf die Beanspruchung im industriellen Arbeitsprozess. Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2011; 46: 402–410.

Stein S, Fedrowitz C, Herfs W et al.: Nutzerbezogene Entwicklung und Untersuchung AR-basierter Werkerassistenzsysteme. In: Schreiber W, Zimmermann P (Hrsg.): Virtuelle Techniken im industriellen Umfeld. Das AVILUS-Projekt – Technologien und Anwendungen. Berlin, Heidelberg: Springer, 2011, S. 230–237.

Die gesamte Literaturliste kann bei der Online-Version des Beitrags auf www.asu-arbeitsmedizin.com heruntergeladen oder beim Verlag angefordert werden.

Fußnoten

1 Prof. Dr. rer. nat. Eberhard A. Pfister zum 75. Geburtstag gewidmet

    Info

    CHANCEN UND RISIKEN DURCH DIE NUTZUNG DIGITALER ASSISTENZSYSTEME

    Chancen

    – Technisch-arbeitsorganisatorische Flexibilität

    – Unterstützung im Arbeitsprozess der älteren, leistungsgewandelten oder behinderten Beschäftigten, Inklusion und Diversity

    – Reduzierung oder Beseitigung gesundheitsgefährdender Arbeiten

    – Entlastung und Unterstützung des Anwenders bei körperlich anstrengenden Tätig-keiten und einseitigen Belastungen

    – Individuelle Anpassung an Konstitutionsgrößen

    – Gesundheitsförderliche und präventive Wirkung

    – Bereitstellung der Hilfestellungen, tutorielle Funktion

    – Erwerb neuer Fähigkeiten des Anwenders

    – Qualitätssteigerung der Arbeit

    – Die Arbeit mit einem kollaborierenden Roboter bei bestimmten Aufgaben wird präzise und fehlerfrei.

    Risiken

    – Steigende Flexibilitätsanforderungen

    – Erhöhte Komplexität von Produkten und Fertigungsprozessen

    – Quantitative und qualitative Überforderung

    – Aufgabenverdichtung

    – Einseitige körperliche Belastungen

    – Physische Fehlbeanspruchung

    – Kognitive Unterforderung und Monotonie

    – Hohe Aufmerksamkeit trotz Monotonie (Vigilanz)

    – Übernahme von Kontroll-, Koordinations- und Entscheidungsfunktionen (Ängste der Beschäftigten wegen Kontrollverlust über die Maschine)

    – Geringer Handlungsspielraum

    – Datenschutz:

    – Sammlung personenbezogener Leistungsdaten;

    – Permanente Kontrolle von Bewegungen, Handgriffen sowie Überwachung der individuellen Leistungsdaten wie Geschwindigkeit und Fehlerquote durch den Arbeitgeber;

    – Kontroll- und Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Nutzern

    Weitere Infos

    Apt W, Bovenschulte M, Priesack K, Weiß C, Hartmann EA: Forschungsbericht 502. Einsatz von digitalen Assistenzsystemen im Betrieb. 2018

    www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/Forschungsberichte/fb502-einsatz-von-digitalen-assistenzsystemen-im-betrieb.pdf?__blob=publicationFile&v=1

    BAuA: Head-Mounted Display – Bedingungen des sicheren und beanspruchungsoptimalen Einsatzes. Physische Beanspruchung beim Einsatz von HMDs. Projekt F 2288. Berlin, 2016

    https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/F2288-2.pdf?__blob=publicationFile&v=12

    Für die Autorinnen

    Prof. Dr. med. habil. Irina Böckelmann

    Bereich Arbeitsmedizin

    Medizinische Fakultät

    Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

    Leipziger Str. 44

    39120 Magdeburg

    Irina.Boeckelmann@med.ovgu.de

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