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Schnittstelle zwischen Prävention und Kuration – Ergebnisse der Befragung von Thüringer Ärzten im Rahmen des Modellprojekts nach § 20 g SGB V

“Gesund arbeiten in Thüringen“

Die Projektziele gelten der Schnittstelle zwischen dem betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz, den Maßnahmen der Verhaltens- und Verhältnisprävention nach dem Präventionsgesetz sowie der Verbesserung der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) und des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) in kleinen und mittelständischen Betrieben in ländlichen und strukturschwächeren Regionen. Darüber hinaus soll die Zusammenarbeit zwischen präventiv und kurativ tätigen Ärzten, d.h. zwischen Arbeitsmedizinern und Betriebsärzten einerseits sowie Haus- und anderen niedergelassenen Fachärzten andererseits, verbessert werden. Die Schirmherrschaft über das Projekt hat Frau Heike Werner, Thüringer Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, übernommen. Das Projekt läuft seit April 2017 und ist auf 5 Jahre angelegt (s. ASU 3/2017).

Begonnen hat das Modellprojekt mit der Erhebung des Status Quo der arbeitsmedizinischen Versorgung in Thüringen, die sich aus drei Teilen zusammensetzt: Befragung von Arbeitgebern, Ärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit. Die Befragung der Arbeitsmediziner und Betriebsärzte sowie die Befragung der Fachkräfte für Arbeitssicherheit wurden auf ganz Deutschland ausgeweitet. Die ersten Ergebnisse der Arbeitgeberbefragung in Thüringen wurden auf den DGAUM Verbandsseiten im Juli 2018 vorgestellt. Wie in Thüringen die Zusammenarbeit zwischen Arbeitsmedizinern/Betriebsärzten und Ärzten anderer Fachrichtungen von den Akteuren selbst eingeschätzt wird, wird im Folgenden dargelegt.

Methoden

Auf der Grundlage von qualitativen Interviews wurden jeweils ein Fragebogen für Arbeitsmediziner/Betriebsärzte und ein Fragebogen für kurativ tätige Ärzte entwickelt. Ein Teil der Fragen zur Kooperation zwischen Arbeitsmedizinern/Betriebsärzten und Ärzten anderer Fachrichtungen baut auf einem Fragebogen der Eberhard-Karls-Universität Tübingen auf (vgl. Moßhammer 2016). Die Fragebögen wurden zunächst in einer Pilotstudie getestet und anschließend finalisiert. Die Befragung wurde online über LimeSurvey durchgeführt.

Der vorliegende Beitrag fokussiert ausschließlich auf Thüringer Ärzte. Für die Befragung wurden 4290 bei der Landesärztekammer Thüringen registrierte Ärztinnen und Ärzte aller Fachrichtungen angeschrieben. An der Befragung teilgenommen haben 73 kurativ tätige Ärzte aus Thüringen und 24 Betriebsärzte bzw. Arbeitsmediziner aus Thüringen. Wegen der geringen Teilnehmerzahl, einer relativen Überrepräsentation der Arbeitsmediziner/Betriebsärzte sowie einer Unterrepräsentation der kurativ tätigen Ärzte werden zur besseren Vergleichbarkeit in den Schaubildern Prozentzahlen verwendet; im Fließtext sind die jeweiligen Fallzahlen ergänzt. Trotz der geringen Rücklaufquote erlauben die klaren Ergebnisse die Ableitung von Handlungsoptionen zur Verbesserung der Zusammenarbeit an der Schnittstelle zwischen Prävention und Kuration.

Die Zusammenarbeit zwischen Betriebsärzten und kurativ tätigen Ärzten in Thüringen

Die Befragung der Thüringer Ärzte zur Kooperation zwischen Arbeitsmedizinern/Betriebsärzten und kurativ tätigen Ärzten brachte vor allem eines deutlich heraus: Zusammenarbeit ist sehr wichtig, aber die Qualität der Zusammenarbeit muss systematisch und nachhaltig verbessert werden.

92 Prozent (n = 22) der Arbeitsmediziner und Betriebsärzte sowie 64 Prozent (n = 47) der kurativ tätigen Ärzte messen der Kooperation große Bedeutung bei ( Abb. 1: Kategorie 1 und 2), so dass der Handlungsauftrag an alle beteiligten Akteure lautet: kooperiert!

Problematisch gestaltet sich jedoch aus Sicht der Thüringer Ärzte die Umsetzung der Zusammenarbeit ( Abb. 2). Hier zeigen die Befragungsergebnisse, dass die persönliche Einschätzung der Zusammenarbeit an der Schnittstelle zwischen Prävention und Kuration sehr unterschiedlich ist. Bei der Beurteilung der Qualität der Zusammenarbeit findet sich für beide Ärztegruppen eine annähernde Normalverteilung von „sehr gut“ (Kategorie 1) bis „sehr schlecht“ (Kategorie 6); allerdings unterscheiden sich die Gruppen dahingehend, dass die Zusammenarbeit von den Thüringer Betriebsärzten bzw. Arbeitsmedizinern etwas positiver eingeschätzt wird als von den Thüringer kurativ tätigen Ärzten. Auffallend ist auch, dass 16 % (n = 12) der kurativ tätigen Ärzte die Qualität der Zusammenarbeit als sehr schlecht (Kategorie 6) bezeichnen (Mittelwert kurativ tätige Ärzte: 3,81; Mittelwert Arbeitsmediziner/Betriebsärzte: 2,95; Median kurativ tätige Ärzte: 4; Median Arbeitsmediziner/Betriebsärzte: 3).

Dieser heterogenen allgemeinen Einschätzung zur Qualität der Zusammenarbeit steht die eindeutig positive Bewertung der Rolle von Betriebsärzten bzw. Arbeitsmedizinern im konkreten Fall gegenüber: Sowohl bei der Übermittlung von auffälligen Befunden als auch bei der Weiterleitung von Patienten mit pathologischen Befunden werden die Betriebsärzte von den kurativ tätigen Ärzten als wichtige Partner sehr geschätzt.

Rund 55 % (n = 40) der kurativ tätigen Ärzte, die an der Thüringer Befragung teilgenommen haben, gaben an, dass sie in den vergangenen 24 Monaten mehrfach pro Jahr von Patienten zur weiteren Abklärung von auffälligen Befunden aufgesucht wurden (z. B. Laborwerte, erhöhter Blutdruck, Hautbefunde, auffällige Audiometrie, EKG-Befunde), die vom Betriebsarzt erstmals erhoben worden waren. Die Übermittlung von auffälligen Befunden durch den Betriebsarzt/Arbeitsmediziner wurde dabei sehr positiv bewertet. Die Mehrheit der befragten kurativ tätigen Ärzte in Thüringen gab an, dass mit der Übermittlung von auffälligen Befunden durch den Betriebsarzt bzw. Arbeitsmediziner eine frühzeitige Abklärung und Therapieeinleitung erfolgen kann und die Befundübermittlung durch den Betriebsarzt eine sinnvolle Ergänzung zur kurativen Therapie ist ( Abb. 3).

Wissenslücken über das Tätigkeitsfeld von Arbeitsmedizinern bzw. Betriebsärzten

Wie lässt sich die Diskrepanz zwischen der Unzufriedenheit mit der fachübergreifenden Zusammenarbeit und der hohen Bedeutung, die der Zusammenarbeit zwischen kurativ tätigen Ärzten und Arbeitsmedizinern/Betriebsärzten zugeschrieben wird, erklären? Die Datenlage lässt die plausible Annahme zu, dass diese vor allem auf mangelndes Wissen über das Tätigkeitsspektrum von Arbeitsmedizinern und Betriebsärzten zurückzuführen ist.

Zum einen erbrachte die Befragung in Thüringen, dass aus Sicht der kurativ tätigen Ärzte die Zusammenarbeit bei der Betreuung von erwerbstätigen Patienten durch den Betriebsarzt bzw. Arbeitsmediziner nicht mit der Übermittlung auffälliger Befunde an kurativ tätige Ärzte enden sollte. Vielmehr wäre aus Sicht der behandelnden Ärzte eine weiterführende und begleitende Unterstützung durch die Arbeitsmediziner/Betriebsärzte hilfreich etwa bezüglich

  • Informationen zu den jeweiligen Arbeitsplätzen,
  • der Unterstützung bei Verfahren zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM),
  • der Zugänglichkeit von Gesundheitsangeboten im Betrieb,
  • der Beratung bezüglich Mutterschutz-Entscheidungen und
  • der Unterstützung bei der Begleitung chronisch Kranker im Betrieb (z. B. durch Kontrollen von Blutzucker, Blutdruck, Lungenfunktion).

Ähnliche Antworten wurden auch als Freitext gegeben und überraschen, da sich der Unterstützungsbedarf der kurativ tätigen Ärzte auf das breite Spektrum klassischer Tätigkeiten von Arbeitsmedizinern bzw. Betriebsärzten bezieht, d. h. hier könnten die kurativ tätigen Ärzte den Unterstützungsbedarf einfach einfordern. Dies allerdings scheint nur wenigen Haus- und anderen niedergelassenen Fachärzten bewusst zu sein: Während in den vergangenen 24 Monaten alle an der Umfrage beteiligten Thüringer Arbeitsmediziner/Betriebsärzte wenigstens mehrfach pro Jahr, manche mehrfach monatlich (21 %; n = 5) oder gar wöchentlich (38 %; n = 9) „beruflich Kontakt zu hausärztlich tätigen Kollegen oder ärztlichen Kollegen anderer Fachrichtungen“ aufgenommen haben, gab über die Hälfte (52 %; n = 38) der an der Umfrage beteiligten kurativ tätigen Thüringer Ärzte an, in diesem Zeitraum keinerlei beruflichen Kontakt mit einem Arbeitsmediziner bzw. Betriebsarzt aufgenommen zu haben.

Zum anderen wurden bei der Frage „Durch welche Maßnahmen könnte die Zusammenarbeit zwischen kurativ tätigen Ärzten und Arbeitsmedizinern/Betriebsärzten verbessert werden?“ von Arbeitsmedizinern/Betriebsärzten und von kurativ tätigen Ärzten gleichermaßen folgende Antwortmöglichkeiten am häufigsten gewählt:

  • verbesserte Information aller Ärzte zum Tätigkeitsspektrum von Arbeitsmedizinern und Betriebsärzten,
  • gemeinsame Fortbildungsveranstaltungen,
  • Aufnahme arbeitsmedizinischer Inhalte in die Weiterbildung aller Fachärzte.

Aus Sicht der befragten Ärzte in Thüringen sollten folglich die Inhalte der Arbeitsmedizin intensiver (oder besser) vermittelt und die Kooperation über die Fachgrenzen hinweg gestärkt werden.

Schlussfolgerung und Ausblick

Über den Beitrag der Arbeitsmediziner bzw. Betriebsärzte in Deutschland zur gesundheitlichen Versorgung der berufstätigen Bevölkerung ist wenig bekannt, da diese Leistungen in der Regel nicht im Gesundheitssystem erfasst werden. Wie die Thüringer Ergebnisse der Ärztebefragung zeigen, ist eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit von kurativ tätigen Ärzten mit Betriebsärzten bzw. Arbeitsmedizinern nicht nur sinnvoll und von beiden Seiten gewünscht, sondern diese Zusammenarbeit wird bereits praktiziert. Die Qualität der Zusammenarbeit könnte jedoch noch verbessert werden. Hierfür bedarf es insbesondere weiterer Informationen zu den Aufgaben und Möglichkeiten der Arbeitsmediziner/Betriebsärzte und geeigneter Plattformen für Wissensaustausch und Kommunikation. Besonders wichtig ist es, das Berufsbild des Arbeitsmediziners bzw. des Betriebsarztes besser bekannt zu machen und arbeitsmedizinische Inhalte bei der Fort- und Weiterbildung der kurativ tätigen Ärzte mit zu berücksichtigen. Am effektivsten sind unseres Erachtens gemeinsame Fortbildungsangebote und der Aufbau bzw. die Förderung regionaler Netzwerke. Die Krankenkassen könnten hier vor dem Hintergrund des Präventionsgesetzes eine wichtige moderierende Rolle übernehmen.

Aber auch die DGAUM e. V. will einen Beitrag dazu leisten: Im Rahmen der neu ins Leben gerufenen interdisziplinären Fortbildungsreihe „FORTBILDEN UND VERNETZEN“ werden in regelmäßigen zeitlichen Abständen Fortbildungen zu Schnittstellenthemen angeboten, die sowohl für Arbeitsmediziner als auch für kurativ tätige Ärzte relevant sind. Die erste Veranstaltung dieser Reihe findet am Mittwoch, den 26. September 2018, in Erfurt statt (siehe Infokasten).

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

Literatur

Letzel S et al.: Gesund arbeiten in Thüringen – Ein Modellvorhaben nach § 20 g Präventionsgesetz bzw. SGB V. In: Prävention von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren und Erkrankungen – Dokumentation der 24. Erfurter Tage, 2018.

Moßhammer D, Michaelis M, Mehne J, Wilm S, Rieger MA: General practitioners’ and occupational health physicians’ views on their cooperation: a cross-sectional postal survey. Int Arch Occup Environ Health; 2016; 89: 449–459.

Nesseler T: Ein Kooperationsprojekt von DGAUM und BARMER. „Gesund arbeiten in Thüringen“ – Das Präventionsgesetz in der Praxis gestalten: Konzeption zu einem Modellvorhaben nach § 20 g SGB V. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2017; 52: 162–165.

BARMER/DGAUM: Kooperationsprojekt von DGAUM und BARMER: Thüringen wird Modellregion für betriebliche Gesundheitsförderung. Ärzteblatt Thüringen 2017; 6: 361–362.

    Koautoren

    Mitautoren des Beitrags sind Dr. rer. soc. Christine Quittkat, Dr. rer. pol. Nadja Amler, Dr. phil. Thomas Nesseler, Prof. Dr. med. Monika A. Rieger, Prof. Dr. med. Hans Drexler und Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Stephan Letzel.

    Info

    Interdisziplinäre Fortbildungsreihe „FORTBILDEN UND VERNETZEN“

    Die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V. (DGAUM) und die BARMER laden Sie sehr herzlich ein zur interdisziplinären Fortbildung

    „Das neue Mutterschutzgesetz – praktische Umsetzung“

    26. September 2018, 14:30 bis 16:45 Uhr, BARMER, Johannesstraße 164, 99084 Erfurt-Altstadt

    Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Stephan Letzel, Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

    Themen: 

    • Vorstellung Mutterschutzgesetz: Was ist neu? 
    • Mutterschutzgesetz: Gefährdungsbeurteilung – aber wie? mit Fallbeispielen und Diskussion 
    • Gesund arbeiten in Thüringen – Ergebnisse aus der Ärztebefragung

    Für die Teilnahme an dieser Veranstaltung werden von der Thüringer Landesärztekammer 3 CME-Punkte vergeben.

    Anmeldung: bis zum 18. September 2018 per E-Mail an sedlaczek@dgaum.de

    Für die Autoren

    Dr. med. Sabine Sedlaczek

    DGAUM – Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V

    Schwanthaler Straße 73b

    80336 München

    sedlaczek@dgaum.de

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