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Schwerpunkt | Beitrag der gesetzlichen Unfallversicherung am Beispiel von BEM

Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit chronisch Erkrankter

Verortung der chronischen Erkrankung im Leistungsspektrum der UV

Die gesetzliche Unfallversicherung (UV) hat in erster Linie den Auftrag, Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten (Prävention). Hierfür stellt die VBG ihren Mitgliedern und Versicherten ein umfassendes Beratungs-, Informations- und Seminarangebot zur Verfügung ( www.vbg.de ).

Ist ein Gesundheitsschaden eingetreten, so hat die UV die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Versicherten mit allen geeigneten Mitteln wiederherzustellen (Rehabilitation; § 1 SGB VII). Die Möglichkeiten der UV, die Beschäftigungsfähigkeit zu sichern, sind dabei gesetzlich geregelt, womit der Begriff der chronischen Erkrankung notwendigerweise leistungsrechtlich zu verorten ist.

Der Begriff der chronischen Erkrankung findet sich im Sozial- und Arbeitsrecht zwar des Öfteren, wird jedoch durch den Gesetzgeber nicht näher definiert (Deinert u. Welti 2014; Berchtold et al. 2015).1 Damit eine chronische Erkrankung die Leistungspflicht der UV auslöst, muss es sich zunächst um einen Versicherungsfall handeln. Das Leistungsgesetz der UV definiert als Versicherungsfall Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§§ 7 ff. SGB VII). Beiden Leistungsfällen kann eine Chronifizierung innewohnen, wenn die Folgen eines Versicherungsfalles eine über die Akutbehandlung hinausgehende, zunächst unbefristete ärztliche Behandlung eine Überwachung oder andere Maßnahmen erforderlich machen.

Ein weiteres für die UV wesentliches Leistungsgesetz ist das Recht der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Dieses Gesetz konkretisiert die Leistungsmöglichkeiten der UV im Versicherungsfall. Hier ist die Behinderung das leistungsauslösende Moment. Eine Behinderung ist jede Einschränkung für das Leben in der Gesellschaft, die voraussichtlich länger als sechs Monate anhält (vgl. § 2 SGB IX). Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung klargestellt, dass vom Begriff der Behinderung auch chronische Erkrankungen erfasst sind.

Demnach nähern wir uns den Leistungsmöglichkeiten der UV bei chronischen Erkrankungen zum einen über den Versicherungsfall, der die UV als Kostenträger identifiziert, und zum anderen über das Merkmal der Behinderung, das die Leistungsoptionen im Einzelfall konkretisiert. Die UV ist danach zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit aufgerufen, wenn eine Behinderung aufgrund eines Versicherungsfalles eingetreten ist.

Die Akteure beim Erhalt von Beschäftigungsfähigkeit

Die UV ist von Gesetzwegen beauftragt, die Teilhabe am Erwerbsleben mit allen geeigneten Mitteln herzustellen (§ 1 SGB VII). Die UV hat dabei verschiedenen Möglichkeiten, die Beschäftigungsfähigkeit nachhaltig zu sichern. Zunächst sind die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu nennen (§ 35 SGB VII, §§ 33 und 49 SGB IX). Der Leistungskatalog bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, Defizite in der Teilhabe entsprechend den Eignungen und Neigungen des Versicherten nach Möglichkeit zu beseitigen. Diese Leistungen umfassen je nach Einzelfall beispielsweise technische Arbeitshilfen, Umschulungen, psychologische Hilfen oder auch temporäre Arbeitsassistenzen (§ 33 Abs. 3, 6, Abs. 8 S. 1 Nr. 3,5 SGB IX, § 49 SGB IX). Hinzu kommen KFZ-Hilfen, um den Weg zur Arbeitsstätte zu ermöglichen (§ 39 Abs. 1 Nr. 1, § 40 SGB VII; § 33 Abs. 8 S. 1 Nr. 1 SGB IX).

Kommt es zu einem Versicherungsfall, so läuft bei der VBG das Reha-Management an. Im Rahmen des Reha-Managements werden die Heilbehandlung und die im Einzelfall erforderlichen Reha-Leistungen bereits frühzeitig eruiert und so früh wie möglich veranlasst. Damit der VBG-Reha-Manager im Anschluss an die Heilbehandlung die Reintegration des Versicherten in das Erwerbsleben effektiv planen, umsetzen und begleiten kann, bedarf es der Zusammenarbeit mit mindestens zwei weiteren Akteuren, nämlich mit dem Arbeitgeber (AG) und dem Arbeitnehmer (AN). Gerade die kooperative Zusammenarbeit dieser Akteure hilft, die Beschäftigungsfähigkeit nachhaltig zu sichern. Aus diesem Grunde hat der Gesetzgeber zur Sicherung des Rehabilitationserfolges auch auf Seiten des AG und AN Pflichten etabliert.

Der AG hat den Auftrag, Beschäftigten mit längeren Ausfallzeiten ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anzubieten (§ 84 Abs. 2 SGB IX, § 167 Abs. 2 SGB IX). Das BEM verfolgt den Zweck, einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses aus gesundheitlichen Gründen möglichst frühzeitig zu begegnen, Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, Ausfallzeiten zu reduzieren, Rehabilitationsbedarfe zu erkennen und notwendige Maßnahmen einzuleiten. Diese Verpflichtung besteht unabhängig von der Betriebsgröße oder Art der Erkrankung.

Die Einleitung des BEM ist erforderlich, wenn der Beschäftigte ununterbrochen oder wiederholt innerhalb eines Zeitraumes von 12 Monaten sechs Wochen arbeitsunfähig ist. Die Ausfallzeiten können in unterschiedlichen Abständen auftreten. Eine zusammenhängende Erkrankung ist nicht erforderlich (§ 84 Abs. 2, § 167 Abs. 2 SGB IX). Dem AG obliegt die Initiativpflicht. Er muss dem Beschäftigten ein BEM anbieten, sobald die Voraussetzungen vorliegen. Auch wenn sich die Rechtsgrundlage im Schwerbehindertenrecht findet, so ist dennoch eine Schwerbehinderung ebenso wenig Voraussetzung wie eine bestimmte Krankheitsursache.

Ein BEM-Verfahren ist für den Arbeitgeber wirtschaftlich durchaus attraktiv, wie Modellrechnungen (Fassmann u. Steger 2009) und Studien (vgl. Sockoll et al. 2008; Niehaus et al. 2008; Herold u. Missal 2013) belegen. Zunächst ermöglicht es dem AG, Fachkräfte dauerhaft an sein Unternehmen zu binden (Riechert u. Habib 2017. Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat immer zur Folge, dass die Fachkraft dem Unternehmen verloren geht. Eine neue Person muss in den Aufgabenbereich eingearbeitet werden. Das ist zeit-, personal- und kostenintensiv. Außerdem entsteht der Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegenüber dem AG unter Umständen erneut (§ 3 Entgeltfortzahlungsgesetz), weshalb ein Wechsel von Krankheits- und Arbeitsphasen den Arbeitgeber wirtschaftlich belastet.

Den AN treffen im Rahmen seiner Rehabilitation ebenfalls bestimmte Mitwirkungspflichten. Er ist insbesondere bei der Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben grundsätzlich verpflichtet, an Integrationsmaßnahmen teilzunehmen. Dies gilt besonders, wenn unter Berücksichtigung seiner Eignung und Neigung zu erwarten ist, dass dadurch seine Erwerbsfähigkeit auf Dauer erhalten wird (§ 64 SGB I). Im Falle der fehlenden Mitwirkung können ihm Geldleistungen wie das Übergangsgeld entzogen werden. Gleichwohl besteht eine Verpflichtung zur Teilnahme an einem BEM nicht. Die Inanspruchnahme dieses konkreten Verfahrens ist dem AN freigestellt.

Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM)

Der Gesetzgeber hat dem BEM keine Strukturen verordnet. Es handelt sich um ein nicht formalisiertes Verfahren, das den Beteiligten jeden denkbaren Spielraum lässt, um so keine vernünftigerweise in Betracht zu ziehende Möglichkeit der Reintegration von vornherein auszuschließen. Es werden weder Weg noch Ziel vorgegeben. Es gibt lediglich Mindestanforderungen an diesen Prozess. Zu beteiligende Stellen, Ämter und Personen sind im Einzelfall einzubeziehen, keine vernünftigerweise in Betracht zu ziehende Anpassungs- und Änderungsmöglichkeit darf ausgeschlossen werden und die von den Teilnehmern eingebrachten Vorschläge sind sachlich und fair zu erörtern. Da der Gesetzgeber dem AG hier nur wenig Auflagen für ein BEM macht, ist es sinnvoll, das Verfahren durch eine entsprechende Verfahrensregelung ggf. in Abstimmung mit dem Personalvertretungsorgan zu konkretisieren (Balder u. Lepping 2005).

Die Prämissen des BEM-Prozesses

Ein erfolgversprechendes BEM sollte den folgenden fünf Prinzipien folgen: Zunächst ist das Verfahren für den AN freiwillig. Der AG bietet seinem Beschäftigten die Möglichkeit eines BEM an. Der AN kann das Angebot allerdings auch ablehnen. Die Freiwilligkeit zieht sich durch das gesamte Verfahren und soll so dem Beschäftigten die Verfahrenssteuerung ermöglichen. Er ist der Herr des Verfahrens. Das Verfahren muss transparent sein. Der AN ist in jeden Verfahrensschritt aktiv einzubinden. Dies trägt nicht zuletzt zur Bildung von Vertrauen bei, das als weiterer wesentlicher Baustein zu sehen ist. Wichtig ist, dass zu den Führungskräften und zwischen den Mitarbeitern eine hinreichende Vertrauensbasis besteht, um einen konstruktiven und offenen Umgang mit dem Potenzial und den Schwierigkeiten der Reintegration zu ermöglichen. Dies impliziert bereits die Offenheit als weiteres Kriterium. Für den Erfolg des Verfahrens ist es wichtig, dass alle Optionen, Hemmnisse und Bedürfnisse klar angesprochen werden können. Nur so ist eine ganzheitliche Sicht auf den Einzelfall möglich. Alle diese Prämissen werden getragen durch die fünfte Säule, dem Datenschutz. Der AN kann in diesem Verfahren, damit es für ihn eine bessere Möglichkeit der Reintegration bietet, auch sensible Daten preisgeben. Hierbei wird es sich dann möglicherweise um Daten von seiner persönlichen Wahrnehmung bis hin zu seiner gesundheitlichen, sozialen und finanziellen Situation handeln. Der AN gewährt dem AG und anderen Beteiligten einen tiefen Einblick in seine Privat- und Intimsphäre. Damit auch im Anschluss an ein BEM-Verfahren die dauerhafte Reintegration gelingen kann, muss der AN auf die Verschwiegenheit der Beteiligten vertrauen können (Riechert u. Habib 2017). Selbst die Weitergabe von Daten wie Namen und Fehlzeiten an Beteiligte des BEM-Verfahrens wie den Betriebs- oder Personalrat ist daher stets einer kritischen Prüfung zu unterziehen und sollte nach Möglichkeit nur mit Einwilligung des Betroffenen erfolgen.

Der BEM-Beauftragte

Zur Gewährleistung der Kontinuität des Verfahrens sollten Verantwortliche benannt werden. Seitens des AG wird deshalb häufig ein Fallmanager oder BEM-Beauftragter eingesetzt. Dieser Beauftragte übernimmt in der Regel die Initiativ- und Koordinierungsfunktion. Er fungiert als Schnittstelle zwischen den Akteuren. Für den VBG-Reha-Manager ist der BEM-Beauftragte eine wichtige Ansprechperson im Unternehmen. Der BEM-Beauftragte kennt das Unternehmen und dessen Betriebsabläufe, weshalb er als Schnittstelle fungiert. Er eruiert innerhalb des Unternehmens Optionen und sichert den Informationsfluss, so dass der VBG-Reha-Manager Leistungen sachgerecht planen und erbringen kann. Zusätzlich sollte eine Vertretungsperson benannt werden, damit das Verfahren nicht durch Abwesenheiten ins Stocken gerät. Möglicherweise bietet sich auch die Bildung eines BEM-Teams an (Riechert u. Habib 2017).

Zur Wahrung der Interessen des AN ist es nicht sinnvoll, den BEM-Beauftragten aus den Reihen der Führungskräfte zu rekrutieren. Zum einen führt dies auf Seiten der Beauftragten zu Rollenkonflikten, da sie von ihrem Aufgabengebiet her nicht neutral sind. Dies läuft den Prämissen des BEM diametral entgegen. Zum anderen wird dies bei dem AN wahrscheinlich Barrieren erzeugen oder sogar zur vollständigen Ablehnung des Verfahrens führen. Der AN wird sich möglicherweise der Sorge um seine berufliche und damit auch wirtschaftliche Zukunft ausgesetzt sehen, wenn er sich dem Verfahren vertrauensvoll öffnet. Gerade aber die vertrauensvolle Zusammenarbeit ist essentiell für die erfolgreiche Reintegration. Nur so kann der Arbeitgeber seine Fachkraft zurückgewinnen, der Beschäftigte zurück in das Erwerbsleben finden und der Unfallversicherungsträger seinem gesetzlichen Auftrag nachkommen. Natürlich sollte die jeweilige Führungskraft möglichst frühzeitig in das Verfahren einbezogen werden, allerdings nur als Beteiligter. Insofern kann nur angeraten werden, eine Person zu bestellen, die weitgehend unbefangen das Verfahren anleiten kann. Diese Person wäre in ihrer Funktion möglichst unmittelbar der Unternehmensleitung zu unterstellen. Zudem sollte sie in ihrem Aufgabengebiet geschult werden. Hierzu gehört neben der Vermittlung der grundlegenden rechtlichen Kenntnisse idealerweise auch die Expertise im Umgang mit erkrankten Personen und deren besonderen Bedürfnissen. Eine andere Möglichkeit ist es, einen qualifizierten externen Fallmanager zu beauftragen (Riechert u. Habib 2017).

Das BEM-Verfahren

Es bietet sich ein dreigliedriger Verfahrensablauf an. Bereits mit Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen beginnt eine Phase des Kontakts (sog. Vorphase; Herold u. Missal 2013). In diesem Stadium werden die Voraussetzungen für die Durchführung eines BEM geprüft und der betroffene Mitarbeiter wird kontaktiert. Sein Einverständnis vorausgesetzt, wird Kontakt zu den im Einzelfall zu beteiligenden Stellen im und außerhalb des Unternehmens hergestellt. Neben dem AG und AN sind ggf. der Betriebsrat und der Betriebsarzt hinzuzuziehen. Weiter ist es sinnvoll, die zuständigen Sozialversicherungsträger zu beteiligen, um gemeinsam die Leistungsoptionen eruieren zu können. Zudem ließen sich an dieser Stelle auch noch weitere Träger wie das Integrationsamt involvieren. Außerdem muss bei Schwerbehinderten oder ihnen gleichgestellten Personen die Schwerbehindertenvertretung eingebunden werden. Diese Phase ist bereits die erste vertrauensbildende Maßnahme. Hier kommt es daher besonders auf die Maximen des Vertrauens, des Datenschutzes und der Freiwilligkeit an.

Dem schließt sich eine Durchführungsphase (sog. Hauptphase; Herold u. Missal 2013) an. In dieser Phase werden Fallgespräche geführt und Handlungsoptionen herausgearbeitet. Anschließend werden konkrete Maßnahmen mit dem Ziel festgelegt, eine nachhaltige Wiedereingliederung in den Erwerbsprozess zu ermöglichen. Diese Phase ist das Kernstück des BEM-Verfahrens. Hier wird die Reintegration des Betroffenen in den Erwerbsprozess konkret geplant. Je besser die Planung also ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Reintegration erfolgreich verläuft. Gerade hier kommt es besonders auf die Maximen der Transparenz und Offenheit an. Wichtig ist, dass in diesem Prozessschritt wiederholt Gespräche stattfinden können, damit letztendlich ein Konsens erreicht wird, der realistisch ist und von allen Beteiligten getragen werden kann. Ein Teilergebnis ist nicht selten die stufenweise Wiedereingliederung (sog. Arbeitserprobung). Allein dies wird für eine erfolgreiche Wiedereingliederung allerdings nicht genügen können, da nicht die Arbeitsstunden an sich gesundheitsgefährdend wirken, sondern eben auch deren Rahmenbedingungen.

Dem schließt sich eine Umsetzungsphase (sog. Nachbereitungsphase; Herold u. Missal 2013) an. In dieser Phase werden die erarbeiteten Maßnahmen umgesetzt und auf Ihre Wirksamkeit hin überprüft. Wichtig ist es, in dieser Phase eine gewisse Flexibilisierung vorzusehen. Natürlich geht es darum, die erarbeiteten Maßnahmen umzusetzen. Dennoch sollte ein dogmatisches und sachlich verfehltes Festhalten an den erarbeiteten Maßnahmen möglichst vermieden werden. In diesem Abschnitt zeigt sich nämlich, ob die Theorie von der Praxis abweicht. Stellt sich also in der Phase eine vorher nicht erkannte Umsetzungsschwierigkeit heraus, so muss ggf. erneut in die Hauptphase eingetreten und nachgebessert werden (Ciechanowicz 2015).

Das Unterstützungsangebot der VBG

Ein guter Kontakt zu den Reha-Trägern wie der UV hilft, Leistungsoptionen frühzeitig zu eruieren und so den Eingliederungsprozess effektiv zu steuern (Riechert u. Habib 2017). Da es sich bei der Verpflichtung des AG zur Bereitstellung eines BEM um eine Präventionsleistung handelt, kann die VBG, neben der jeweiligen konkreten Leistungserbringung, auf zweierlei Arten unterstützen. Zum einen berät die VBG ihre Mitgliedsunternehmen losgelöst von konkreten Krankheitsfällen zu den Strukturen des BEM. Hierzu gibt es in jeder VBG-Bezirksverwaltung besonders ausgebildete Ansprechpersonen, die die Mitgliedsunternehmen bei Bedarf persönlich vor Ort über die Möglichkeiten und Anforderungen an ein sach- und fachgerechtes BEM beraten.

Ist es zu einem Versicherungsfall gekommen, plant, koordiniert und veranlasst der VBG-Reha-Manager alle erforderlichen Maßnahmen. Die Reintegration des Versicherten in das Erwerbsleben unterstützt der AG mit der Durchführung eines BEM-Verfahrens. Fehlen im Einzelfall auf Seiten des AG Kenntnisse für die sachgerechte Durchführung eines BEM, so ist dieser Einzelfall Anlass, den Unternehmer im Rahmen dieses konkreten Wiedereingliederungsprozesses mit einer Einzelfallberatung zum BEM zu unterstützen. Hierbei kommen Vertreter des AG, der AN, der VBG-Reha-Manager und ggf. weitere zu beteiligende Stellen oder Personen zusammen, um über die Durchführung des BEM im konkreten Fall zu beraten. In diesem Gespräch können so bereits frühzeitig Leistungsoptionen eruiert werden.

Stellt der AG erst bei Eintritt einer Langzeiterkrankung fest, dass er in seinem Unternehmen die notwendigen Strukturen für ein BEM nicht vorhält, so kann der AG zunächst den Einzelfall nutzen, um eine BEM Struktur in seinem Unternehmen mithilfe der VBG zu implementieren. Besteht darüber hinausgehend noch Klärungsbedarf, so unterstützt die VBG auch über diesen Einzelfall hinaus mit ihrer Strukturberatung.

Auch ohne einen Versicherungsfall haben Mitgliedsunternehmen und Versicherte der VBG die Möglichkeit, sich über ein Betriebliches Eingliederungsmanagement im Allgemeinen zu informieren. Hierzu hat die VBG in jeder Bezirksverwaltung, als Nachfolge der Gemeinsamen Servicestelle für Rehabilitation (GSS), eine Verbindungs- und Koordinierungsstelle für Rehabilitation (VKS) eingerichtet. Diese fungiert als Ansprechstelle (vgl. § 12 SGB IX) nach dem am 01.01.2018 in Kraft getretenen Bundesteilhabegesetz. Die VKS informieren über die Leistungsmöglichkeiten der UV und beraten bei Bedarf auch in einem persönlichen Gespräch zum BEM.

Darüber hinaus bietet die VBG ihren Mitgliedsunternehmen ein vielfältiges Aus- und Fortbildungsangebot. Dazu gehören auch Seminare aus dem Themenbereich Gesundheit im Betrieb. Die Seminare richten sich an Multiplikatoren in den Unternehmen, wie beispielsweise BGM-Beauftragte, BEM-Beauftragte oder Führungskräfte. Diese Seminare sind ein weiterer wichtiger Baustein zum Erhalt von Beschäftigungsfähigkeit in Unternehmen.

Fallbeispiele

Im Folgenden soll die Zusammenarbeit der Akteure im BEM-Verfahren anhand zweier Beispiele, die sich an realen Fällen orientieren, verdeutlicht werden.

Der Schweißer im Büro

Der gelernte Schweißer stürzte während Schweißarbeiten an einer Hallenwand ab. Infolgedessen schlug ihm ein schwerer Stahlträger auf die Beine. Der linke Unterschenkel konnte nicht gerettet werden und wurde noch am Unfalltag amputiert. Trotz einer schweren Mehrfachtrümmerfraktur im rechten Unterschenkel gelang durch einen Knochensegmenttransport über 12 Monate dessen Erhaltung. Der Versicherte erhielt für den linken Unterschenkel eine prothetische Versorgung.

Mit Kenntnis des Versicherungsfalls lief bei der VBG das Reha-Management an. In diesem Verfahren wurden sowohl die Heilbehandlung als auch die anschließenden Teilhabeleistungen geplant, umgesetzt und begleitet. Ziel dieses Verfahrens ist die effektive Koordinierung aller in Betracht kommenden Maßnahmen, um so die Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Versicherten frühestmöglich wiederherzustellen. Gerade bei der Teilhabeplanung ist die VBG auf den AG als Partner bei der Reintegration des Versicherten in das Erwerbsleben angewiesen. Im Rahmen des VBG-Reha-Managements zeigte sich, dass dem Versicherten eine Aufnahme seiner bisherigen handwerklichen Tätigkeit aufgrund seiner Behinderung nicht mehr möglich sein würde.

Deshalb wurde bereits frühzeitig im Reha-Verfahren der AG kontaktiert, der ein BEM-Verfahren einleitete. Die Besonderheit dieses BEM-Verfahrens lag in der Beteiligung der verschiedenen Leistungsträger. Neben der UV musste aufgrund der Schwerbehinderung des AN auch das Integrationsamt involviert werden.

Ziel des Verfahrens war es, den AN in eine Tätigkeit zu bringen, die seinen Eignungen und Neigungen entsprach. Der AG war an der Rückgewinnung seiner Fachkraft sehr interessiert, da er seine Kompetenz aus ihrer bisherigen Zusammenarbeit schätzen gelernt hatte. Da der AG neben seinem handwerklich operativen Geschäft auch diverse administrative Aufgaben abzudecken hatte, bot er zeitnah eine Umsetzung in den Funktionsbereich der Kundenbetreuung an. Der VBG-Reha-Manager veranlasste auf Wunsch des AN die Umschulung des Versicherten zum Bürokaufmann und begleitete die Umsetzung engmaschig.

Im Rahmen des BEM-Verfahrens zeigte sich bei der Vor-Ort-Besichtigung zudem, dass der AN Schwierigkeiten hatte, sich im Betriebsgebäude ungehindert zu bewegen, da er die schwergängigen Türen nicht selbstständig öffnen konnte. Da grundsätzlich der AG für die barrierefreie Ausstattung der Betriebsgebäude verantwortlich ist (§ 3a Abs. 2 ArbStättV), kam eine Förderung durch die VBG hier nicht in Betracht. Allerdings bot das Integrationsamt dem AG eine Teilförderung von elektronischen Türöffnern an. Damit nicht das ganze Gebäude umfunktioniert werden musste, wurden zudem organisatorische Änderungen, wie die Verlegung des Büroarbeitsplatzes in das Erdgeschoss, vorgenommen. So konnte der AN letztlich seine Tätigkeit an anderer Stelle bei dem selben AG wiederaufnehmen.

Ein folgenschwerer Überfall

Während der Abendstunden kam es in einer Spielhalle zu einem Überfall. Mit vorgehaltener Schusswaffe wurde die Angestellte gezwungen, die Bargeldbestände herauszugeben. Nachdem sie den Räubern widerstandslos das Bargeld ausgehändigt hatte, schlug der eine Räuber ihr mit der Waffe auf den Kopf. Die Angreifer flüchteten unerkannt. Das Opfer erlitt eine Platzwunde und eine leichte Gehirnerschütterung. Die Versicherte wurde akut-medizinisch versorgt. Im Rahmen des persönlichen Kontakts zwischen dem zuständigen VBG-Reha-Sachbearbeiter und der Versicherten klagte diese über Angstzustände, Schlafstörungen und Niedergeschlagenheit. Sie konnte sich die Aufnahme ihrer bisherigen Tätigkeit keinesfalls mehr vorstellen.

Die VBG leitete umgehend im Rahmen des Reha-Managements eine fachpsychologische Betreuung ein, woraufhin eine unfallabhängige akute Belastungsreaktion diagnostiziert wurde. Die AN wurde auf Veranlassung des VBG-Reha-Managers psychotherapeutisch behandelt. Nach einer längeren Therapiephase wurde durch den VBG-Reha-Manager die Reintegration der Versicherten in das Erwerbsleben geplant und ein entsprechender Kontakt zum AG hergestellt.

Der AG leitete umgehend ein BEM-Verfahren ein. Dem AG war daran gelegen, seiner Beschäftigten auch nach diesem Schicksalsschlag eine sachgerechte Tätigkeit im Unternehmen bieten zu können. Neben ihrer Ausbildung zur Bürogehilfin verfügte sie über ein fundiertes Wissen der Betriebsabläufe in den jeweiligen Spielstätten, so dass sie für ihren AG vielfältig einsetzbar war. Da es sich um einen relativ großen AG handelte, bestand die Möglichkeit, die AN in eine Tätigkeit zu bringen, die sowohl ihren Wünschen als auch ihrer vorherigen Berufsausbildung entsprach. Der AG bot bereits frühzeitig im BEM-Verfahren an, seine AN in den Bereich Controlling und Organisation einzusetzen. Das Funktionsprofil ermöglichte ihr zum einen eine fachliche Auslastung und gab ihr zum anderen die Sicherheit, aufgrund des nur geringen Kundenkontakts unter keinen Umständen Gefahr zu laufen, wieder Opfer eines gewaltsamen Übergriffes zu werden. Die VBG begleitete dieses Verfahren im Rahmen des VBG-Reha-Managements auch mit einer einzelfallorientierten Beratung zum BEM.

Besonderes Augenmerk war hier auf den Datenschutz und die vertrauensvolle Zusammenarbeit zu legen, da bei der Betroffenen die große Sorge bestand, von ihrem Umfeld für ihren geistigen Zustand verantwortlich gemacht zu werden. Auch wenn dies, nicht zuletzt aufgrund des besonderen Engagements des AG, nicht der Fall war, so lag dennoch die besondere Herausforderung darin, die Bedürfnisse der AN zu respektieren. Die Beteiligten handelten innerhalb des BEM zudem aus, dass keine Daten über das Krankheitsgeschehen seitens des AG gespeichert werden würden. Die VBG organisierte die Reintegration der Versicherten und veranlasste, neben einer zeitweisen Fortzahlung des Verletztengeldes während der stufenweisen Wiedereingliederung, die regelmäßige psychotherapeutische Behandlung. Dies ermöglichte der AN letztendlich den Weg zurück in die Erwerbsfähigkeit.

Fazit

Wie die Beispiele zeigen, ist das BEM-Verfahren ein wichtiges Instrument, den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit von Menschen mit einer chronischen Erkrankung zu sichern. Es ermöglicht den Beteiligten, die Eingliederung eines erkrankten Beschäftigten bedarfsorientiert abzustimmen. Außerdem unterstützt dieses Verfahren die Planung und Ausrichtung von Teilhabeleistungen. Die VBG bietet hierzu bedarfsorientiert eine Einzelfall- oder Strukturberatung zum BEM an.

Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

Literatur

Balder SF, Lepping C: Das betriebliche Eingliederungsmanagement nach dem SGB IX. Arbeits- und schwerbehindertenrechtliche Fragen. N Z Arbeitsrecht 2005; 854–857.

Berchtold J, Huster S, Rehborn M: Gesundheitsrecht. Bochum, Dortmund, Kassel: Nomos, 2015, § 2a SGB V Rn. 5.

Deinert O, Welti F: StichwortKommentar Behindertenrecht. Göttingen, Kassel: Nomos, 2014.

Herold S, Missal S: Betriebliches Eingliederungsmanagement in KMU – Eine manuelle Strategie in der Wirksamkeitsprüfung. Humboldt-Universität zu Berlin: 2013.

Kreis J, Bödeker W: iga-Report 3, Gesundheitlicher und ökonomischer Nutzen betrieblicher Gesundheitsförderung und Prävention, Zusammenstellung der wissenschaftlichen Evidenz. Essen, Dresden, 2003, S. 33.

Riechert I, Habib E: Betriebliches Eingliederungsmanagement bei Mitarbeitern mit psychischen Störungen. Hamburg: Springer, 2017.

Sockoll I, Kramer I, Bödeker W: Iga.Report 13, Wirksamkeit und Nutzen betrieblicher Gesundheitsförderung und Prävention, Zusammenstellung der wissenschaftlichen Evidenz 2000 bis 2006. Essen, Dresden, Bonn, Siegburg, 2008, S. 58 ff.

Fußnoten

1 Der Rechtscharakter der Definition einer chronischen Erkrankung nach § 3 Der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Umsetzung der Regelung in § 62 für schwerwiegende chronisch Erkrankte (Chroniker-Richtlinie) ist umstritten, von ihrer Qualifikation als untergesetzliche Norm wird jedoch ausgegangen werden müssen.

    Weitere Infos

    Ciechanowicz EK: Betriebliches Eingliederungsmanagement bei Lehrkräften in Sachsen-Anhalt. ASU 2016; 51: 730–736

    https://www.asu-arbeitsmedizin.com/originalia/betriebliches-eingliederungsmanagement-bei-lehrkraeften-sachsen-anhalt

    Faßmann H, Steger R: „Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) – Besondere Anreize für Unternehmen zur Umsetzung von BEM in die Praxis?!“. Erlangen-Nürnberg 2009, S. 7 ff.

    https://www.ifes.fau.de/…/FASSMANN_2009_IfeS-Materialienband_1-2009.pdf

    Niehaus M, Magin J, Marfels B, Vater EG, Werkstetter E: Betriebliches Eingliederungsmanagement. Studie zur Umsetzung des betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX. S. 99 ff.

    www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/f374-forschungsbericht.pdf?__blob=publicationFile

    " class="chapter-heading node-toc-item">Autor

    Assessor Florian Rüdiger Westphal

    Verwaltungs-Berufsgenossenschaft

    Versicherung & Leistungen

    Massaquoipassage 1

    22305 Hamburg

    florian.westphal@vbg.de

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