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Rezension

A. Weber, Dortmund

Im Jahr 2015 erfolgten in Deutschland etwa 43 % der rund 175 000 vorzeitigen Erwerbsminderungsrentenzugänge der gesetzlichen Rentenversicherung wegen einer psychischen Hauptdiagnose, wobei die relative Häufigkeit bei Frauen mit 49 % deutlich höher war als bei Männern mit 36 %. Dieser seit vielen Jahren beobachtete Sex/Gender-Unterschied in der statistisch dokumentierten Prävalenz psychischer, insbesondere depressiver Störungen, ist ebenso lang Gegenstand einer anhaltenden wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskussion. Als Erklärungsversuche werden dazu meistens angeführt: biologische/genetische Faktoren (chromosomale Ausstattung, Hormonhaushalt), Rollenverhalten (Bereitschaft, über psychische Probleme zu reden und Expertenhilfe in Anspruch zu nehmen), soziales Umfeld, (Doppel-/Dreifachbelastungen von Frauen in Beruf, Familie oder Pflege).

Im Zuge einer sich auch in Deutschland immer besser etablierenden Männergesundheit gewinnt auch das Thema „Psychische Erkrankungen bei Männern“ an Bedeutung. In diesem Zusammenhang wird u.a. die Tabuisierung, Unterdiagnostik oder Fehlklassifikation depressiver Erkrankungen bei Männern häufiger thematisiert („Männer haben keine Depression, sondern bringen sich um“). So widmete z. B. das ZEIT Magazin vom 15.08.2016 (der „therapierte Mann“) dem Sex/Gender-Aspekt depressiver Erkrankungen etliche Seiten.

Vor diesem Hintergrund präsentiert Anne Maria Möller-Leimkühler, Professorin für Sozialwissenschaftliche Psychiatrie an der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München, einen sehr informativen Überblick über Ursachen und (verborgene) Erscheinungsformen der männlichen Depression. Die Autorin beschreibt vor dem Hintergrund der aktuellen Depressions- und Männerforschung die vielfach verdeckten Erscheinungsformen männlicher Depression, ihre Ursachen und die typischen Bewältigungsstrategien. Sie plädiert für einen offeneren Umgang mit der Krankheit und zeigt konstruktive Wege der Prävention und Behandlung auf. Das vorliegende Buch versteht sich explizit nicht als Ratgeber (obgleich man es so auffassen könnte), sondern möchte beleuchten, warum Depressionen bei Männern schlechter erkannt werden und wie das „starke Geschlecht“ damit umgeht. Nach Erkenntnissen der Autorin sind u.a. traditionelle Leitbilder von Männlichkeit, die Architektur der männlichen Psyche, die biologische Ausstattung, männertypische Strategien der Stressverarbeitung sowie Kommunikationsdefizite mit den Ärzten potenzielle Gründe dafür. So geben Männer weniger konventionelle Depressionssymptome an als Frauen, zudem wird eine Externalisierung bevorzugt. Wenn die etablierten Depressionskriterien um externalisierende Symptome wie Aggressivität und emotionelle Kontrolle erweitert werden, wird deutlich, dass Männer verletzlicher sind als gemeinhin angenommen und Depression durchaus keine Frauenkrankheit ist.

Das Buch ist ausgesprochen gut lesbar. Der Autorin ist es sehr gut gelungen, dass Thema männliche Depression gleichermaßen gut verständlich wie seriös weiter zu enttabuisieren. Sie gewährt einen Einblick in die männliche Psyche und typische Denk- und Verhaltensfallen und berücksichtigt gleichermaßen die Rolle soziologischer, psychologischer und neurowissenschaftlicher Faktoren. Gerade auch für Arbeitsmediziner, die zunehmend mit psychischen Problemen von Beschäftigten konfrontiert sind, ist das Buch eine durchaus empfehlenswerte Lektüre.

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