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2. ASU-Präventionskongress am 17.06.2016 in Stuttgart/Leinfelden-Echterdingen

Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen – mittlerweile im Betrieb etabliert?

Die Vortragsthemen und die unterschiedlichen Formate ermöglichten einen regen Austausch der Teilnehmenden des 2. ASU-Präventionskongresses über berufliche Schnittstellen hinweg. Im Think Tank „Gefährdungsbeurteilung“ tauschten sich die verschiedenen Akteure im Betrieb über hemmende und fördernde betriebliche Aspekte während des Prozesses zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung, Unterstützungsoptionen von internen und externen Fachlichkeiten und Professionen zum gegenseitigen Gewinn aus. Die Möglichkeit, aktuelle Erkenntnisse aus Wirtschaft und individuellem Erleben zu diskutieren, war mit dem Format deutlich intensiver als ein alleiniger Vortrag. Zudem konnten einige neue Ansätze für die betriebliche Praxis mitgenommen werden.

Gesetzliche Grundlagen und Gemeinsame Arbeitsschutzstrategie – Gefährdungsbeurteilung Psychische Belastung

Die gesetzliche Grundlage findet sich unter anderem im ASiG (Arbeitssicherheitsgesetz), ArbSchG (Arbeitsschutzgesetz), DGUV V1 (Grundsätze der Prävention), da die Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastung tatsächlich keine neue Anforderung an die Gefährdungsbeurteilung darstellt. Bei genauerer Betrachtung waren bereits vor der Überarbeitung des Arbeitsschutzgesetzes die psychischen Gefährdungen in den so genannten Gefährdungsfaktoren enthalten. Da dieser wichtige Themenbereich jedoch fast gar nicht beachtet und mit integriert wurde, hat der Gesetzgeber dieses zusätzlich thematisiert und im Arbeitsschutzgesetz nun explizit benannt. Die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA) als Initiative von Bund, Ländern und Unfallversicherungsträgern unterstützt im Arbeitsprogramm 2013–2018 unter anderem diesen Themenbereich durch Information, Aufklärung und Handlungshilfen für Akteure und Unternehmen mit dem Ziel, das Arbeitsschutzsystem in Deutschland zu modernisieren und Anreize für Betriebe zu schaffen sowie die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu stärken.

Diese Vorgaben werden von den Berufsgenossenschaften, Gewerbeaufsichtsämtern und Ämtern für Arbeitsschutz als weitgehend gesetzt und verbindlich angesehen und ein großer Augenmerk liegt auf der tatsächlichen Prozesshaftigkeit der Durchführung (vgl. auch Luick 2016).

Wie kann ich die Anforderungen umsetzen? Wie sieht ein solcher Ablauf aus?

Sicher ist, dass dieses Thema heutzutage einen immer höheren Stellenwert bekommt und sich im Zuge der weiteren Digitalisierung (Arbeiten 4.0) und den damit sich noch weiter und ggf. schneller verändernden Arbeitsbedingungen fortsetzen wird. Die direkten Folgen sehen oft symptomatisch anders aus und sind nicht immer auf den ersten Blick zu identifizieren. Oder wüssten Sie zum Beispiel, ob bei der Muskel-Skelett-Erkrankung (Verspannungen, Bewegungseinschränkungen, einem Bandscheibenprolaps etc.) eine psychische Beanspruchungssituation kausal zugrunde liegt oder eher fehlende geeignete Arbeitsmittel? Wo hat die aktuelle Symptomatik ihren Ausgang? Was hat sie verstärkt? In diesem Fall sollte der sprichwörtliche „Schlag in den Nacken“ nicht unbeachtet bleiben. Ursachen für körperliche Symptome wie auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Burnout, Stoffwechsel- und Atemprobleme etc. können vielfältig sein, dennoch können psychische Beanspruchungen nicht nur bei disponierten Personen zu Auslösern und Verstärkungen sowie zur Chronifizierung und Verankerung im Körpergedächtnis führen. Zudem sind die unternehmerischen Folgen bezüglich der Leistungsschwäche sowie Fehler- und Risikohäufigkeit ein weiteres Thema, das auch in diesem Zusammenhang Beachtung finden sollte. Gesunde und zukunftsfähige Unternehmen stehen auf zwei Beinen: gesunde Finanzen und gesunde Menschen.

Der Austausch der Teilnehmenden ist im Think Tank „Gefährdungsbeurteilung Psychische Belastung“ aktiv mit einbezogen worden durch Theorie-Input mit Begriffsklärung und aktiver gemeinsamer Erarbeitung von wichtigen Aspekten, Vielfalt der Möglichkeiten und tatsächlichen Erfahrungen. Wichtig war es, ein einheitliches Verständnis herzustellen, aus dem heraus Erfahrungen, Ideen und offene Fragen zusammengetragen werden konnten. Die Rückmeldungen aus den beiden Durchgängen zu diesem Thema waren sehr positiv hinsichtlich des Einbezugs der Teilnehmenden und des Austauschs der Erfahrungen, Fragen und auch Befürchtungen.

Eine wichtige Begriffsklärung ist nach wie vor die psychische Belastung, das heißt, wenn eine objektive Einwirkung von außen erfolgt. Unter einer Beanspruchung verstehen wir, dass der arbeitende Mensch eine von außen einwirkende Belastung mit einer individuellen „inneren Reaktion“, der Beanspruchung, erwidert. Jede Beanspruchung ist daher subjektiv. Bei gleicher Belastung reagieren Menschen aufgrund ihrer unterschiedlichen körperlichen und geistigen Eigenschaften mit einer individuellen Beanspruchung. Bei der Erkenntnis bzw. Vermutung einer Erkrankung sollte eine entsprechende betriebliche Organisation zu den Schnittstellen Therapie und Rehabilitation aufgebaut sein, um Hilfestellung geben zu können, da die Therapie für die Mitarbeiter nicht Aufgabe des Betriebes ist (Beispiele auf der 3. Fachtagung des IAG 07/2016 vorgestellt und diskutiert: Schnittstellen zwischen Arbeitsschutz und Reha, Psychotherapie).

Erkenntnisse und Tipps für den Erfolg aus dem Think Tank Gefährdungsbeurteilung „Psychische Belastung“ (eine Auswahl)

Für die Planung einer Gefährdungsbeurteilung wurden unter anderem folgende Fragen als hilfreich bewertet: Wie soll der Prozess durchgeführt werden? Was kann und sollte in den bisherigen Prozess der Gefährdungsbeurteilung integriert werden? Wer ist im Prozess involviert?

Wie und mit welchen Inhalten erfolgt die Information der Mitarbeitenden allgemein und der Betroffenen? Welche Ressourcen müssen zur Verfügung gestellt werden? Wie ist der Datenschutz gewährleistet? Wie können die Betroffenen gut und ausreichend einbezogen werden? Wie und wann werden Externe benötigt? Wie erfolgt die Dokumentation und die Wirksamkeitskontrolle sowie eine Ableitung weiterer Maßnahmen?

Ziel der Planung und auch der Kommunikation darüber ist es, eine bessere Akzeptanz und Klarheit im Ablauf zu bekommen, um bestmöglichste Ergebnisse zu erzielen.

Was wird unbedingt benötigt und was unterstützt den Prozess?

  • Gründliche Planung der Analyse, der Erhebung, Integration in den bestehenden Prozess Gefährdungsbeurteilung und dessen Durchführung, Eingaben aus Begehungen oder Ähnlichem sowie der Kommunikation über den Prozess und dessen Ergebnisse, den Einbezug der Betroffenen bei hoher Akzeptanz der Maßnahmen und der Wirkkontrolle.
  • Ressourcenbereitstellung des Unternehmens: Zeit, Personen, Finanzen, Material.
  • Methodenauswahl und Vertrauen in das Verfahren: Hängen vom Vertrauen der Mitarbeiter und der Unternehmenskultur ab, Beteiligung der Betroffenen (keine Entscheidung am „grünen Tisch“ der Maßnahmen). Beachten Sie auch, das in das Verfahren und in die beteiligten Akteure gesetzte Vertrauen jederzeit zu rechtfertigen und zu bestätigen durch verlässliche, wertschätzende und transparente Kommunikation.
  • Einbezug von externen Experten: Sofern notwendig, hilfreich und unterstützend, um die bestmögliche Lösung für die Betroffenen und den Betrieb zu erlangen. So viel wie nötig und so wenig wie möglich. Im Vorfeld die Anforderungen klären, um daraufhin die Qualifikation und Kompetenz festzulegen und die Auswahl zielgerichtet zu gestalten.
  • Klares Bekenntnis, die Gefährdungsbeurteilung bezüglich psychischer Belastungen wirklich durchzuführen und keine „Alibi-Veranstaltung“ zu präsentieren; dies ist die größte Sorge der Betroffenen und der begleitenden internen und externen Fachexperten.
  • Lieber kleine und stetige Fortschritte, anstatt blinder Aktionismus, der möglicherweise viel anstößt und nicht auf Nachhaltigkeit ausgelegt ist. („Versandung“ von Prozessen und Projekten).

Doch wurden auch viele Stolpersteine und hemmende Faktoren berichtet. Dies zeigt den noch vorhandenen Bedarf an vermehrtem Austausch, der Befähigung und Unterstützung für sowohl fachliche Experten als auch für die Unternehmen selbst, um Ängste abzubauen und sich auf einen aktiven unternehmensförderlichen Prozess einlassen zu können. Es wurde festgestellt, dass ein Austausch von Erfahrungen bei hemmenden und förderlichen Faktoren und bei der weiteren Umsetzung der praktikablen und individuellen unternehmens-, branchen- und bereichsbezogenen Maßnahmen sowie der Wirkkontrolle hilfreich sein würde.

Hemmende Faktoren werden z.B. gefördert durch Ängste und Befindlichkeiten, ein nicht vorhandenes Projektmanagement (zu Beginn) und den Kampf zwischen Alltagsdringlichkeit der Geschäfte und der Bedeutung dieser Thematik in nicht resilienten Unternehmen.

Allerdings gab es auch einige Berichte von positiven Erfahrungen zu verzeichnen, die hoffnungsvoll stimmen.

Fazit

Der rege Austausch der zahlreichen Teilnehmenden ermöglichte die Gewinnung von positiven Erfahrungen, gleichzeitig wurden hemmende bzw. verhindernde Faktoren für einen Gefährdungsbeurteilungsprozess „Psychische Belastungen“ herausgearbeitet. Es zeigte sich ein großes Engagement der Anwesenden für eine gute und sinnvolle Integration der Gefährdungsbeurteilung mit dem Ziel von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit. Darüber hinaus wurde ein hohes Maß an Weitblick, Wertschätzung, Vertrauen, Verlässlichkeit und transparenter Kommunikation sichtbar.

Unterstützung und Hilfe sind zum Beispiel bei den verschiedenen beteiligten Verbänden des ASU-Präventionskongresses – Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA), VDSI, IAG, Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung – und weiterer Unfallversicherungsträger zu finden. Aus Gründen der Wettbewerbsfreiheit wird an dieser Stelle keine Liste von Ansprechpartnern und Namen aufgeführt.

Literatur

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin – BAuA (Hrsg.): Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen, Erfahrungen und Empfehlungen. Berlin: BAuA, 2014.

Luick R: Psychische Gefährdungsbeurteilung. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2016; 51: 486–489

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