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MdE nach Prothesenversorgung

Urteil des LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 17.09.2014 – L 5 U 1/11 –

Sachverhalt

Der 1981 geborene Kläger erlitt 1998 einen von der Beklagten anerkannten Schulunfall, der u. a. zum Verlust des linken Beins im Bereich des Oberschenkels führte. Mit Bescheid vom 5. Juli 2001 stellte die Beklagte die Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v. H. fest. Als Folgen des Arbeitsunfalls erkannte sie an: nach Polytrauma mit unfallbedingtem Verlust des linken Beines im Bereich des Oberschenkels narbenbedingte Sensibilitätsstörungen im Bereich des Oberschenkelstumpfes, Phantomschmerzen nach Oberschenkelamputation sowie leichte Leistungseinschränkungen und Wahrnehmungsbeeinträchtigung nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma. Die unfallchirurgische Einzel-MdE betrug 60 v. H.

Versorgung mit C-Leg

Im März 2006 wurde der Kläger von der Be-klagten mit einer Oberschenkelprothese in Form eines mikroprozessorgesteuerten Knie-gelenk (C-Leg) versorgt. Der beratende Arzt der Beklagten wies in seiner Stellungnahme darauf hin, dass aufgrund der Versorgung des Klägers mit der C-Leg-Prothese eine Nachuntersuchung zu veranlassen sei. Träten keine Besonderheiten auf und sei das Ergebnis so wie dies das bisherige Testproto-koll erwarten lasse, sei die unfallchirurgische Einzel-MdE zu mindern, aus seiner Sicht mindestens um 10, wenn nicht gar um 20 Prozent. Die Begutachtung in der ge-setzlichen Unfallversicherung sei im Kern Funktionsbegutachtung. Somit seien Hilfsmittel jeder Art, sofern sie zu einer Funktionsverbesserung mit Auswirkungen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt führten, zu berücksichtigen. Dies gelte für Prothesen nach Gliedmaßenteilverlusten ebenso wie für Brillen, Kontaktlinsen, Hörgeräte und Medikamente. In den bindend anzuwenden-den sog. MdE-Tabellen seien bisher in allen Standardwerken die Werte nach Gliedmaßenteilverlusten im Bereich der unteren Gliedmaßen unter Berücksichtigung her-kömmlicher Prothesen aufgeführt. Die MdE-Erfahrungswerte bezögen sich also auf den Zustand eines Verletzten, der in der Lage sei, eine herkömmliche Unterschenkel- oder Oberschenkelprothese benutzen zu können. Es sei völlig unstreitig, dass die Versorgung mit einer C-Leg-Prothese zu einer ganz entscheidenden funktionellen Verbesserung des betroffenen Beines führe. Stand- und Gangsicherheit würden durch die Prothese enorm erhöht, so dass der Aktionsradius des Betroffenen mit dieser Prothese deutlich größer sei als mit einem herkömmlichen Kunstbein.

Neubegutachtung nach Versorgung

In ihrer erneuten Begutachtung vom April 2007 benannten die Chirurgen Prof. Dr. E./Dr. S. die Unfallfolgen auf ihrem Fachgebiet mit „Verlust des linken Beines im Bereich des Oberschenkels mit regelrechten Stumpfverhältnissen, mäßig hinkendes Gangbild bei Versorgung mit einer mikroprozessorgesteuerten Oberschenkelprothese, Verschmächtigung der erhaltenen Oberschenkelweichteile“. Die unfallbedingte MdE auf chirurgischem Fachgebiet schätzten sie weiterhin mit 60 v. H. ein. Gegenüber der letz-ten Begutachtung sei mit der Versorgung mittels C-Leg eine Situationsverbesserung eingetreten. Der Kläger könne jetzt weitest-gehend ohne Gehhilfen gehen, Mobilität und Koordination seien verbessert. Nach aktuellem Schrifttum werde weiterhin überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Höhe der MdE nach Amputationen ausschließlich nach der Höhe der Amputation bewertet werde, unabhängig von der Art der prothetischen Versorgung. Es handele sich bei den vorliegenden Richtwerten um „Mindest-werte“, welche bei vorliegenden zusätzlichen Schäden erhöht werden könnten. Eine Minderung durch verbesserte Prothesen sei derzeit nicht Standard der Begutachtung. Berücksichtige man den hier zusätzlich vor-liegenden Phantomschmerz wechselnder In-tensität, sei weiterhin die Beurteilung der MdE mit 60 v.H. gerechtfertigt. Unter Berücksichtigung der MdE auf neurologischem Fachgebiet betrage die Gesamt-MdE des Klägers weiterhin 70 v. H.

In seiner weiteren Stellungnahme vom Juni 2007 vertrat der beratende Arzt der Be-klagten die Auffassung, dass nach Versorgung des Klägers mit der C-Leg-Prothese eine wesentliche Verbesserung des funktionellen Ergebnisses eingetreten sei, was auch durch die eigenen Angaben des Klägers belegt werde. Der Aktionsradius des Klägers sei durch die neuartige Prothese größer und insbesondere sicherer geworden. Dies betreffe Gehstrecken z. B. auf ebenem Gelände aber auch das Gehen und Stehen auf ebenem Gelände sowie auf abschüssigem oder ansteigenden Gelände und insbesondere das Treppensteigen und Treppabgehen. Anteile des allgemeinen Arbeitsmarktes, die dem Kläger bisher verschlossen gewesen seien, stünden ihm jetzt offen, sodass es in den Unfallfolgen zu einer wesentlichen Änderung im Sinne einer Besserung gekommen sei. Die MdE auf chirurgischem Fachgebiet sei daher nur noch mit 50 v. H. einzuschätzen, die unfallbedingte Gesamt-MdE betrage jetzt 60 v. H. Der oberste Grundsatz sei die Gleichbehandlung aller Versicherten. Dieser Grundsatz wäre verletzt, wenn ein Oberschenkelamputierter, der lediglich eine herkömmliche Prothese trage, nur eine MdE von 60 v. H. erhalte, während ein Verletzter mit einer C-Leg-Prothese ebenfalls 60 Prozent MdE bekomme. Abschließend weise er darauf hin, dass Phantomschmerzen beim Kläger nicht gesichert seien und sich auch nicht begründen ließen.

Wesentliche Verbesserung durch C-Leg?

Nach Anhörung des Klägers hob die Beklagte mit Bescheid vom 5. Juli 2007 den Bescheid vom 5. Juli 2001 wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse gemäß § 48 SGB X mit Wirkung ab dem 1. August 2007 teilweise auf und teilte dem Kläger mit, dass Verletztenrente nur noch nach einer MdE um 60 v. H. gewährt werde. Zur Begründung führte sie aus, nach der Versorgung des linken Beines mit einer C-Leg-Prothese im März 2006 sei eine deutliche Funktionsverbesserung des linken Beines eingetreten. Dies zeige sich nunmehr durch ein flüssiges Gangbild und eine Erhöhung der Stand- und Gangsicherheit. Dem Kläger sei jetzt das sichere Gehen und Stehen auf un-ebenem sowie auf abschüssigem oder ansteigendem Gelände als auch das Treppauf- und Treppabgehen weitestgehend ohne Gehhilfen möglich. Insgesamt sei es zu einer Verbesserung der Mobilität einschließlich des Wirkungsbereiches aufgrund der neuartigen Prothesenversorgung gekommen.

Den hiergegen vom Kläger eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. November 2007 zurück. Auch Prof. E. und Dr. S. hätten anlässlich der Begutachtung des Klägers in dem tatsächlichen Befund der Unfallfolgen eine Änderung im Sinne einer Besserung festgestellt. Die mikroprozessgesteuerte Pro-these biete nachweislich erhebliche Gebrauchsvorteile im Vergleich zu der bisher getragenen herkömmlichen mechanischen Prothese. Das C-Leg ermögliche ein nahezu physiologisches Gangbild, das kaum von dem eines Nichtamputierten zu unterscheiden sei. Durch die elektronische Steuerung werde die Sturz- und Stolpergefahr erheb-lich reduziert, was insbesondere beim Trepp-abgehen sowie beim Überwinden hügligen Geländes eine Rolle spiele. Bei herkömmlichen mechanischen Prothesen komme es häufiger zu Blockierungen, die zu Stürzen führten. Bei dem mikroprozessgesteuertem Kniegelenkssystem werde der Kraftaufwand beim Gehen reduziert, die maximal zurücklegbare Wegstrecke vergrößert und auch die Belastung von Wirbelsäule, Becken und dem gesunden Bein vermindert. Diese Gebrauchsvorteile bewirkten eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, sodass die Herabsetzung der Verletztenrente nach einer MdE von nunmehr nur noch 60 v. H. gerechtfertigt sei.

Keine Berücksichtigung des Schadensausgleichs durch C-Leg?

Die hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich. Das SG Stralsund verneinte die Voraussetzungen für eine Rentenherabsetzung und hob den Herabsetzungsbescheid auf. Nach § 73 Abs. 1 SGB VII sei eine Verletztenrente neu festzustellen, wenn sich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Voraussetzungen für die Höhe der Rente nach ihrer Feststellung änderten. Dabei sei nach § 73 Abs. 3 SGB VII eine wesentliche Änderung der für die Rentenhöhe entscheidende MdE nur dann als wesentliche Änderung im Sinne von §48 Abs. 1 SGB X zu berücksichtigen, wenn die Änderung mehr als um 5 v. H. betrage. Zwar sei der Beklagten zuzugeben, dass die Einschätzung der MdE in der gesetzlichen Unfallversicherung entsprechend der Regelung des § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII unter Berücksichtigung der unfallbedingten verbliebenen Funktionsminderungen mit deren Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit und die Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vorzunehmen sei. Dabei seien die verbliebenen Funktionsminderungen im Vergleich zu einem nicht unfallgeschädigten Versicherten zu bewerten. Insoweit sei auch von Bedeutung, ob und in welchen Umfang die Unfallfolgen durch Hilfsmittel gebessert oder die verbliebene Funktionsminderung sogar ausgeglichen werden könne. Zwar hätten sowohl die Gutachter als auch der beratende Arzt der Beklagten übereinstimmend darauf hingewiesen, dass die durch den Beinverlust beim Kläger bestehende Be-einträchtigung der Mobilität und des Gehvermögens mit der C-Leg-Versorgung des Klägers erheblich verbessert worden sei. Dies führe aber nach Auffassung der Kammer nicht dazu, dass die chirurgische unfallbedingte MdE des Klägers herabgesetzt werden könnte. Gemäß der Zielsetzung des Schädigungsausgleichs in der gesetzlichen Unfallversicherung sei für die unfallbedingte MdE auf die Funktionsbeeinträchtigungen nach Eintritt der Amputation abzustellen ohne Berücksichtigung des durch Hilfsmittel erreichten Ausgleichs.

Objektiv funktioneller Körper-schaden unabhängig vom Erfolg der Prothetik?

Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) bestätigte zwar, dass die allgemeinen Erfahrungssätze über die Bewertung der MdE in regelmäßigen Zeitabständen und ggf. bei neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen darauf geprüft werden müssten, ob sie den technischen Entwicklungen und den Änderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sowie gewandelten sozialmedizinischen Anschauungen und neuen sozialmedizinischen Erkenntnissen anzupassen seien. Allgemeine Erfahrungssätze könnten sich allein schon wegen der ständig fortschreitenden Sammlung weiterer Erfahrungen, aber z. B. auch wegen des Zugewinns neuer medizinischer Erkenntnisse im Laufe der Zeit wandeln. Auch im Hinblick hierauf sei aber die herrschende Meinung in der unfallmedizinischen Literatur weiterhin der Auffassung, dass, jedenfalls beim Verlust von Gliedmaßen, der objektive funktionelle Körperschaden unabhängig von dem Erfolg der prothetischen Versorgung zu beurteilen ist.

Zur Begründung führen Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Seite 690 aus: „Indessen hebt das Gesetz (§56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII) nicht auf den Funktionsausgleich oder die Funktionsverbesserung durch Heil- und Hilfsmittel ab, sondern auf die fortbestehende Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Unfallverletzten auf dem gesamten Gebietes des Erwerbslebens. Dem entsprechen die jahrzehntelang bewährten MdE-Erfahrungssätze, die sich beinahe ausschließlich an der Amputationsstelle orientieren. Der objektive funktionelle Körperschaden wird dabei unabhängig von dem Erfolg der prothetischen Versorgung beurteilt, da eine Prothese für die Gliedmaßen den Schaden derzeit bei weitem noch nicht voll kompensieren kann. Auch die Frage, ob der Verletzte eine Prothese verwendet, geht nicht in die Einschätzung der MdE ein. Der Gutachter kann nicht beurteilen, wie oft der Verletzte eine Prothese trägt. In der gutachterlichen Praxis wird nach Amputationen der Einschätzung der MdE die Strukturverletzung zu Grunde gelegt, ohne sie von der Funktion abhängig zu machen. Die Funktionsbewertung bleibt bei dieser Begutachtungspraxis nicht völlig unberücksichtigt, sie wird nur im Sinne einer Durchschnittsbewertung einbezogen. Das Vorgehen ist pragmatisch, unabhängig von den Problemen der Objektivierung subjektiver Beschwerden und damit vorteilhaft. Liegen besondere Funktionsstörungen vor, sind diese zu berücksichtigen.“

Das LSG schloss sich dieser Begründung als überzeugend an, obgleich es als wahr unterstellte, dass die Versorgung mit dem C-Leg gegenüber einer konventionellen Prothesenversorgung Gebrauchsvorteile auch im Erwerbsleben bietet. Darauf komme es bei der Rechtsauffassung des Senats nicht an. Der Senat sieht insoweit eine Vergleichbarkeit mit der Versorgung eines Hörgeschädigten mit einem Hörgerät. Auch dieses sei eine Prothese, eine messbare Besserung der Hörfähigkeit durch ein Hörgerät beeinflusse die Höhe der MdE jedoch nicht. Nur wenn Hilfsmittel einen physiologisch vollwertigen Ersatz darstellen bzw. Ausgleich schaffen, sei es gerechtfertigt, dies bei der MdE zu berücksichtigen. Das Hörgerät erfülle diese Bedingungen nicht.

Auch hält der Senat einen Vergleich mit einem Unfallverletzten, dem ein C-Leg verordnet worden ist, mit einem Unfallverletzten, der mit einer regelrecht funktionierenden Totalendoprothese im Knie versorgt worden ist, für nicht überzeugend. Diese Fallkonstellation hält der Senat für nicht übertragbar bzw. vergleichbar auf den Fall eines mit einem C-Leg Versorgten. Es handele sich hierbei um eine (abnehmbare) Pro-these, während im Fall einer totalendoprothetischen Versorgung es zu einer festen Verbindung des in den Körper hinein operierten Körperersatzstückes komme, was es dann aus Sicht des Senates auch rechtfertigt, die hieraus erfolgte Herabsetzung der Funktionsbehinderung bei der Bemessung der MdE zu berücksichtigen. Gleiches gelte für das von der Beklagten genannte Beispiel der Versorgung mit einer Kreuzbandplastik nach Ruptur.

Der MdE-Bemessung ausschließlich nach dem objektiven Körperschaden unabhängig von dem Erfolg einer prothetischen Versorgung ist aus Sicht des Senates zudem aus Gleichbehandlungsgründen und Gründen der Verwaltungsvereinfachung der Vorzug zu geben. Sie verhindere Neubegutachtungen aufgrund eingetretener prothetischer Versorgung der Versicherten. Zudem sei die Feststellung der konkreten Gebrauchsvorteile einer Prothese von zahlreichen Unwägbarkeiten abhängig. Bestätigt werde diese Auffassung schließlich durch die Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008. In Teil B unter Punkt 18.14 (Schäden der unteren Gliedmaßen) werde dort in Kenntnis der Diskussion weiterhin nicht dahingehend differenziert, ob eine prothetische Versorgung mit Erzielung einer Funktionsverbesserung besteht oder nicht.

Das Ergebnis der Revision bleibt abzuwarten

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat das Bundessozialgericht zwischenzeitlich unter dem Aktenzeichen B 2 U 11/15 R die Revision zugelassen. Es ist also in absehbarer Zeit mit einer höchstrichterlichen Entscheidung zu rechnen, ob ein (tatsächlich erreichter) Ausgleich durch prothetische Versorgung bei der MdE in der gesetzlichen Unfallversicherung zu berücksichtigen ist.

Die Rente in der gesetzlichen Unfallversicherung dient dem Ausgleich des unfallbedingten Erwerbsschadens. Daher bestimmt § 56 Abs. 2, S. 1 SGB VII ausdrücklich, dass die MdE sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens zu richten habe. Angesichts der überragenden Leistungen von prothetisch versorgten Sportlern ist kaum vorstellbar, dass eine gelungene Prothesenversorgung grundsätzlich ohne positive Auswirkung auf die körperliche Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben, mithin auf die Arbeitsmöglichkeiten, bleibt. Das Landessozialgericht hat im vorliegenden Streitfall die positiven Auswirkungen der Prothesenversorgung für das Erwerbsleben als gegeben unterstellt.

Die gesetzliche Unfallversicherung ist geprägt von dem Grundsatz Rehabilitation vor Rente. Alltags- und erwerbslebenstaugliche Prothesenversorgung ist gelungene Rehabilitation. Kann es da angesichts des Grundsatzes der abstrakten Entschädigung noch auf die tatsächliche Verwendung einer (uneingeschränkt geeigneten) Prothese durch den Versicherten ankommen?

Es erschließt sich dem Verfasser nicht, warum es einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz beinhalten soll, wenn der durch Prothetik (teilweise) kompensierte Verlust von Erwerbsmöglichkeiten nicht länger in Geld entschädigt werden soll. Dies stellt sich doch eher umgekehrt dar, falls der gut versorgte Versicherte in gleicher Höhe entschädigt wird wie derjenige, dessen Gliedverlust z. B. aus medizinischen Gründen nicht angemessen prothetisch versorgbar ist.

Als zentrales Argument für das alleinige Abstellen auf den objektiv funktionellen Substanzschaden verweist die herrschende Auffassung auf die unbestreitbare Tatsache, dass eine Prothesenversorgung wohl niemals in allen Aspekten den (Erwerbs-)Schaden des Verunfallten kompensieren wird. Folglich wird selbst die beste Prothetik niemals eine weitgehende oder gar vollständige Verneinung der MdE rechtfertigen. Aber greift das Argument tatsächlich gegenüber einer angemessenen Rückführung der MdE um ein Siebtel oder 10 v. H. wie vorliegend streitig? Sicherlich wird man eine wesentliche Änderung der Unfallfolgen immer von Art und Umfang der dauerhaften Funktionssteigerung im konkreten Einzelfall abhängig machen müssen. Für eine grundsätzliche Verneinung, den rehabilitativ erreichten Ausgleich angemessen in der MdE zu berücksichtigen, trägt das Argument indes nicht. Ein dauerhaft erreichter Funktionsgewinn mit konkreter Steigerungen der Einsatzfähigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt ist nach § 56 Abs. 2, S. 1 SGB VII zwingend in der MdE-Höhe zu berücksichtigen.

Von den Argumenten des LSG bleibt letztlich nur die Verwaltungsvereinfachung zur Vermeidung von Neubegutachtungen übrig. Dies ist kein wirklich durchschlagendes Argument gegen die Anpassung der Eckwerte. In dieser undifferenzierten Form könnte man es jeder Anwendung des § 48 SGB X entgegenhalten. Der Entscheidung des Bundessozialgerichtes darf mit Spannung entgegen gesehen werden.

    Autor

    Reinhard Holtstraeter

    Rechtsanwalt

    Lorichsstraße 17

    22307 Hamburg

    mail@ra-holtstraeter.de

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