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Arbeiten unter Einwirkung von Cadmium und seinen Verbindungen

T. Brüning1

J. Henry1

P. Welge1

J. Bünger1

G. Triebig2

Vorbemerkung

Diese Leitlinie wird empfohlen, wenn ärztliches Handeln im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit mit Exposition gegenüber Cadmium oder seinen Verbindungen in diagnostischer, therapeutischer oder präventiver Hinsicht erforderlich ist.

Beachten Sie bitte auch die für das arbeitsmedizinische Leitlinien-prinzip geltenden Besonderheiten sowie die sonstigen fachgebietsrelevanten Handlungsempfehlungen.

Arbeitsbedingte Cadmium-Intoxikation

Infolge der akuten oder chronischen Aufnahme (inhalativ, oral) von Cadmium und Cadmiumverbindungen verursachtes typisches Krank-heitsbild.

Leitsymptome

Akute hohe Belastungen führen zu Irritationen der oberen Atemwege, Bronchitis und Bronchopneumonie nach Inhalation von Cadmium-haltigen Dämpfen, Stäuben und Rauchen. Toxisches Lungenödem mit Latenzzeit (bis zu 3 Tagen). Nach oraler Aufnahme wurden Gastro-enteritiden und Nierenschäden beobachtet [1].

Bei chronischen Belastungen wurden folgende Gesundheitsschäden beschrieben: Chronische Rhinitis („Cadmiumschnupfen“), Atrophie der Nasenschleimhaut, Einschränkung des Geruchssinns bis zur Anosmie, chronisch-obstruktive Atemwegserkrankungen, Lungenemphysem, Nierenschäden, Leberschäden und unspezifische Symptome wie Müdigkeit und Gewichtsabnahme. Bei sehr hoher Exposition können Lungen- und Nierenkarzinome auftreten. (Eine entsprechende Einstufung von Cadmium und seinen Verbindungen als gesichert krebserzeugend beim Menschen (K1) wurde von der Senatskommission der DFG zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe aufgrund epidemiologischer Resultate zum Lungen- und Nierenkrebsrisiko vorgenommen [2]). Bei sehr hoher chronischer Cadmium-Exposition kann eine Gelbfärbung der Zahnhälse auftreten. Diese Expositionsbedingung ist für Deutschland bereits seit längerer Zeit nicht mehr anzunehmen.

Der in älteren Studien vermutete Zusammenhang zwischen ei-ner Cadmium-Exposition und dem Auftreten von Nierensteinen ist kausal nicht als gesichert anzusehen.

Diagnostik

Vollständige körperliche Untersuchung, SGPT, SGOT, -GT, Urin-untersuchung (Proteinausscheidung, 1-Mikroglobulin, N-Acetyl--D-Glukosaminidase), Nierensonographie, Biomonitoring: Cadmium im Vollblut und im Urin (24-Stunden-Sammelurin bzw. Spontanurin-probe).

Bei anamnestischen Hinweisen auf eine hohe Exposition (oder entsprechenden Ergebnissen des Biomonitorings), z. B. infolge von Havarie-Ereignissen:

  • Nasenspiegelung und Prüfung der Nasenatmung (ggf. anteriore Rhinomanometrie), Geruchssinnprüfung (z. B. Sniffin Sticks)
  • Spirometrie
  • Kreatinin im Serum
  • Bildgebende Diagnostik, da bei sehr hoher akuter inhalativer Ex-position (oberhalb von 5 mg/m3) ein Lungenödem auftreten kann (ATSDR 2012). Die Indikation für eine solche bildgebende Dia-gnostik ist individualmedizinisch zu stellen.

Anmerkung: Wegen der Akkumulation von Cadmium in der Niere gilt die Urinausscheidung als Parameter der Langzeitexposition.

Im Einzelfall nützlich: Erweiterte Lungenfunktionsdiagnostik (Bodyplethysmographie, Messung der CO-Diffusionskapazität, Blutgasanalyse in Ruhe und unter Belastung). Computertomographie zur Emphysemdiagnostik.

Entbehrliche Diagnostik: Bestimmung von Cadmium in anderen bio-logischen Materialien, wie z. B. Haare, Knochen, Leber, Niere.

Differenzialdiagnostik

Abhängig von der Symptomatik sind die entsprechenden Leitlinien anderer Fachdisziplinen (Innere Medizin, Nephrologie, Pneumologie) heranzuziehen.

Therapie

  • Expositionskarenz
  • Notfallbehandlung nach inhalativer Intoxikation gemäß den Leit-linien der Pneumologie/Intensivmedizin
  • Bei chronischer Cadmium-Intoxikation ist eine kausale Therapie nicht bekannt.

Kontraindiziert: Gabe von Komplexbildnern (z. B. EDTA, DMPS, BAL, Penicillamin).

Berufliche Gefährdungsschwerpunkte

Verhütten von Blei- und Zinkerzen, Sintern von Eisenerz, Herstel-lung von Cadmium oder seinen Legierungen auf thermischem Weg, Schweißen und Schneiden cadmiumhaltiger oder cadmiumbeschich-teter Materialien, Lötarbeiten mit cadmiumhaltigen Hartloten, Gold-schmiedearbeiten, Herstellung von Nickel-Cadmium-Akkumulato-ren, von löslichen Cadmiumverbindungen, von Cadmiumpigmenten und Stabilisatoren sowie Katalysatoren, Abbrucharbeiten an Pro-duktionsanlagen von Cadmium und seinen Verbindungen, Recycling von cadmiumhaltigen Altmaterialien, Entfernung cadmiumhaltiger Anstriche, mechanisches Bearbeiten cadmiumhaltiger Materialien, Herstellung und Verarbeitung cadmiumhaltiger Emaillen, Farben und Glasuren, Verwendung löslicher Cadmiumverbindungen in der Foto-, Glas-, Gummi- und Schmuckindustrie. Weitere Hinweise sind dem Gefahrstoffinformationssystem GESTIS [3] zu entnehmen.

Anmerkung: Die Verwendung von cadmiumhaltigen Produkten ist wegen des relativ hohen Gefährdungspotenzials stark eingeschränkt (s. auch unten).

Berufskrankheit

Die beruflich bedingte akute und chronische Cadmium-Intoxikation ist eine Berufskrankheit gemäß Nr. 1104 (Erkrankungen durch Cadmium oder seine Verbindungen) der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Auf das offizielle Merkblatt zur Berufskrankheit BK 1104 [4] wird verwiesen, wobei zu beachten ist, dass dieses seit 1963 nicht über-arbeitet wurde und Hinweise zu der krebserzeugenden Wirkung von Cadmium und seinen Verbindungen fehlen.

Der behandelnde Arzt ist verpflichtet, den begründeten Verdacht auf Vorliegen einer Berufskrankheit BK 1104 dem Träger der Unfall-versicherung (z. B. Berufsgenossenschaft) oder der im jeweiligen Bundesland zuständigen Stelle des medizinischen Arbeitsschutzes (Gewerbearzt) unverzüglich anzuzeigen.

Im Zeitraum von 2010 bis 2012 wurden 78 Verdachtsfälle einer BK 1104 bei den Unfallversicherungsträgern angezeigt und in 3 Fällen ein BK-Verdacht bestätigt.

Prävention

Da die Aufnahme vorwiegend durch Inhalation von Stäuben oder Rauchen erfolgt, sind in erster Linie technische Maßnahmen zur Ver-minderung der luftgetragenen Exposition erforderlich. Weiterhin sind ggf. persönliche Körperschutzmittel (Atemschutz) anzuwenden.

Bei Arbeitnehmern, die gegenüber Cadmium und Cadmiumverbindungen exponiert sind, ist gemäß Anhang Teil 1 (1) der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) eine Pflichtvorsorge zu veranlassen,

  1. 1.wenn der Arbeitsplatzgrenzwert für den Gefahrstoff nach der Gefahrstoffverordnung nicht eingehalten wird,
  2. 2.eine wiederholte Exposition nicht ausgeschlossen werden kann und der Gefahrstoff ein krebserzeugender oder erbgutverändernder Stoff oder eine Zubereitung der Kategorie 1 oder 2 im Sinne der Gefahrstoffverordnung ist oder
  3. 3.die Tätigkeiten mit dem Gefahrstoff als krebserzeugende Tätig-keiten oder Verfahren Kategorie 1 oder 2 im Sinne der Gefahrstoff-verordnung bezeichnet werden oder der Gefahrstoff hautresorptiv ist und eine Gesundheitsgefährdung durch Hautkontakt nicht ausgeschlossen werden kann.

Bei Tätigkeiten mit den in Absatz 1 Nr. 1 genannten Gefahrstoffen ist vom Arbeitgeber eine Angebotsvorsorge anzubieten, wenn eine Exposition nicht ausgeschlossen werden kann und der Arbeitgeber keine Pflichtvorsorge zu veranlassen hat. Der Arbeitsmediziner/Betriebsarzt kann hierzu u. a. den DGUV Grundsatz G 32 (Cadmium oder seine Verbindungen) heranziehen [5]. Die Frist für Nachuntersuchungen beträgt gemäß Arbeitsmedizinischer Regel (AMR) 2.1. 12 bis 24 Monate. Untersuchungsfristen können vom Ergebnis des Biomonitorings abhängig sein [6].

Zu den außerberuflichen Belastungsquellen zählen vor allem die Nahrung und das Inhalationsrauchen.

Die Aufnahme von Cadmium mit der Nahrung macht rund 90 % an der Gesamtzufuhr in der Allgemeinbevölkerung aus. Einen we-sentlichen Anteil nehmen Kartoffeln und Weizen sowie deren Produkte ein. Vergleichsweise hohe Cadmium-Konzentrationen können in bestimmten Waldpilzarten enthalten sein.

Von den tierischen Lebensmitteln weisen Nieren und Leber einen höheren Gehalt auf. Tabakrauch ist eine bedeutsame Cadmiumquelle für Aktivraucher.

Referenz- und Grenzwerte

Referenzwerte (sog. Hintergrundbelastung) in der Allgemeinbevölke-rung ohne berufliche Cadmiumbelastung sind [7]:

  • Vollblut: 1,0 g Cd/L Vollblut
  • Urin: 0,8 g Cd/L Urin

Beide Werte gelten für erwachsene Nichtraucher und wurden zwi-schen 1997 und 1999 an Personen im Alter von 18–69 Jahren ermittelt.

Als Grenzwerte für die Cadmium-Urinkonzentration in der Allgemeinbevölkerung ohne berufliche Exposition (Human-Biomonitor-ing-Werte (HBM)) gelten (Stand 2011) [7]:

  • HBM-I-Wert: 1 g/L Urin
  • HBM-II-Wert: 4 g/L Urin

Der HBM-I-Wert ist als „Prüfwert“ konzipiert, der HBM-II-Wert als „Interventionswert“.

Anmerkung: Die Cadmium-Ausscheidung im Harn gilt als Indikator für die Gesamtbelastung des Körpers bzw. für die Niere als relevantes Zielorgan (Akkumulation). Sie steigt mit zunehmendem Alter an: Von durchschnittlich 0,12 g/l im Altersbereich 18 bis 19 Jahre auf 0,28 g/l für 60- bis 69-jährige Nichtraucher.

Bei nicht beruflich exponierten Rauchern kann die Cadmiumkonzentration im Blut oberhalb von 1 g/L Vollblut liegen, sie liegt aber nur selten oberhalb von 3 g/L Vollblut [8].

Grenzwertempfehlung nach beruflicher Exposition

Cadmium in biologischem Material: Aufgrund der krebserzeugenden Wirkung des Cadmiums kann kein BAT-Wert festgesetzt werden. Der frühere Biologische Leitwert (BLW) von 5 g Cd/g Kreatinin oder 7 g Cd/L Urin, der auf der Nephrotoxizität als kritischem Effekt beruhte, wurde 2010 ausgesetzt. Die Aussetzung erfolgte, weil aufgrund neuer Publikationen die Reversibilität der frühen tubulären Effekte, die auch unterhalb dieses Wertes berichtet wurden, umstritten war, und weil aufgrund der langen Halbwertszeit und der Akkumulation in der Niere eine dauerhafte Belastung resultiert.

Das Ausmaß einer beruflichen Exposition kann durch Vergleich der Cadmium-Werte in Blut (Belastung der letzten Monate) oder Urin (Gesamtkörperlast, Cadmium-Konzentration im Hauptspeicher-organ Niere) von beruflich Exponierten mit Biologischen Arbeitsstoff-Referenzwerten (BAR) erfolgen, die für eine nichtrauchende Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter ohne berufliche Cadmium-Belastung abgeschätzt wurden. Die BAR betragen für Nichtraucher 1 g Cd/L Blut und 0,8 g Cd/L Urin [9] und entsprechen den o. g. Referenzwerten.

Cadmium in der Luft: Aufgrund der krebserzeugenden Wirkung des Cadmiums (MAK-Kategorie K1) ist kein MAK- Wert festgelegt. Analog gibt es auch keinen Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) gemäß TRGS 900. Cadmium und anorganische Cadmiumverbindungen sind von der MAK-Kommission der DFG als hautresorptiv eingestuft. Anlass hierfür waren positive Tierversuche mit wässrigen Cadmiumchloridlösungen.

Für Cadmium und seine Verbindungen ist in der TRGS 910 eine Toleranzkonzentration von 1 g/m3 (bezogen auf die E-Fraktion, AGW-analoger Wert für nichtkanzerogene Effekte) und eine Akzeptanzkonzentrationen von 0,16 g/m3 (bezogen auf die A-Fraktion, Risiko 4:10 000) festgesetzt worden.

Literatur

[1] Schiele R: BK 1104: Erkrankungen durch Cadmium oder seine Verbindungen. In: Triebig G, Kentner M, Schiele R (Hrsg.): Arbeitsmedizin. Handbuch für Theorie und Praxis. Stuttgart: Gentner, 2011.

[2] Greim H (Hrsg.): Cadmium und seine Verbindungen. Toxikologisch- arbeitsmedizinische Begründungen von MAK-Werten (Maximale Arbeitsplatzkon-zentrationen), 39. Lieferung, WILEY-VCH Verlag, Weinheim, 2004. Online verfügbar unter onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/3527600418.mb744043verd0039/pdf (Zugriff 30.01.2014).

[3] GESTIS-Stoffdatenbank. Gefahrstoffinformationssystem der Deutschen Gesetz-lichen Unfallversicherung. www.dguv.de/ifa/de/gestis/stoffdb/index.jsp (Zugriff 30.01.2014).

[4] Merkblatt zur BK Nr. 1104: Erkrankungen durch Cadmium und seine Verbin-dungen. Bek. des BMA v. 28.10.1963, BArbBl Fachteil Arbeitsschutz 1963, 281f. Online verfügbar unter https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Berufskrankheiten/pdf/Merkblatt-1104.pdf (Zugriff 30.1.2014).

[5] Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: DGUV Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen, 6. Aufl. Stuttgart: Gentner, 2014.

[6] Arbeitsmedizinische Regel (AMR) Nr. 2.1 „Fristen für die Veranlassung/das Angebot von arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen“. GMBl Nr. 65/66 vom 27. Dezember 2012, S. 1285–1291. Zuletzt geändert im GMBl 2014, S. 1339. Online verfügbar unter www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Ausschuesse/AfAMed/AMR/pdf/AMR-2- 1.pdf?__blob=publicationFile (Zugriff: 07.01.2015).

[7] HBM-Kommission: Aktualisierung der Stoffmonographie Cadmium – Referenz- und Human-Biomonitoring (HBM)-Werte. Bundesgesundheitsbl – Gesundheitsforsch – Gesundheitsschutz 2011; 54: 1981–1996.

[8] Becker K, Kaus S, Krause C, Lepom P, Schulz C, Seiwert M, Seifert B (Hrsg.): Umwelt-Survey 1998 Band III: Human Biomonitoring. Stoffgehalte in Blut und Urin der Bevölkerung in Deutschland. WaBoLu-Hefte 2003.

[9] Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG): MAK- und BAT-Werte-Liste 2014. Maximale Arbeitsplatzkonzentrationen und Biologische Arbeitsstofftoleranzwerte; Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe. Mitteilung 50. Wiley-VCH Verlag, Weinheim 2014. Online verfügbar unter onlinelibrary.wiley.com/book/10.1002/9783527682010 (Zugriff 07.01.2015).

Erarbeitet von:

G. Triebig, Heidelberg (1998).

Erste Aktualisierung von:

G. Triebig, Heidelberg, X. Baur, Hamburg, Th. Brüning, Bochum, R. Schiele, Jena (2005).

Zuletzt überarbeitet und aktualisiert von:

T. Brüning, Bochum, J. Henry, Bochum, P. Welge, Bochum, J. Bünger, Bochum, G. Triebig, Heidelberg (2013). Verabschiedet vom Vorstand der DGAUM: November 2013.

Die vorliegende Fassung der Leitlinie wurde mit der Gesellschaft für Toxikologie abgestimmt (Juli 2014).

Hinweise bitte an:

Geschäftsstelle Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e. V. (DGAUM)

Schwanthaler Straße 73 b

80336 München

gs@dgaum.de