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Der Rettungsanker am Unfallort

Der Rettungsanker am Unfallort

Ziel: Seitens Experten aus dem Gesundheitswesen wird für Mitarbeitende, die ein potenziell traumatisierendes Ereignis erlebt haben, eine früh einsetzende und niedrigschwellige psychosoziale Hilfe empfohlen. Die kollegiale Erstbetreuung stellt eine solche Form der Akutversorgung dar. Hierbei kommen Kollegen der Betroffenen an den Unfallort und haben die Aufgabe, sich um die betroffenen Mitarbeiter zu kümmern. Unklar blieb dabei bislang die Sicht der Betroffenen. Ziel war es daher, erste Erkenntnisse über das Erleben der kollegialen Erstbetreuung im Kontext eines potenziell traumatisierenden Ereignisses zu generieren.

Methode: Im Rahmen einer prospektiven Kohortenstudie wurden mittels leit-fadengestützter Interviews 22 Fahrdienstmitarbeitende eines deutschen Verkehrsunternehmens zum Erleben ihres erlittenen Arbeitsunfalls und der am Unfallort einsetzenden Versorgung befragt. Ausgewertet wurde das erhobene Material mithilfe einer strukturierenden Inhaltsanalyse nach Mayring und eines deduktiv-induktiv konzipierten Kategoriensystems.

Ergebnisse: Im Hinblick auf das Erleben des Unfallgeschehens ließen sich vier aufeinanderfolgende zeitliche Abschnitte ausmachen. Zum einen der Unfallmoment und der Augenblick danach, als auch die Zeit der Schadensabwicklung sowie das Verlassen des Unfallortes. In dieser Zeit fühlten sich die betroffenen Personen zunächst hilflos und überfordert, waren dann auf der Suche nach etwas, was ihnen Halt und Orientierung geben konnte. Für Betroffene stellte das Eintreffen eines kollegialen Erstbetreuers am Unfallort eine große Erleichterung dar. Der Erstbetreuer wurde als eine Person wahrgenommen, die ihnen das Gefühl vermitteln konnte, am Unfallort nicht mehr allein zu sein, versorgt zu werden und Beistand zu erhalten.

Schlussfolgerungen: Das Erleben des Unfallgeschehens lässt sich nicht auf den Augenblick reduzieren, in dem dieses plötzlich eintritt. Für Betroffene hält es vielmehr bis zum Verlassen des Unfallortes, als auch darüber hinaus an. Ihr Befinden lässt sich in dieser Zeit nicht als stabil charakterisieren. Aus Sicht der Betroffenen nimmt die kollegiale Erstbetreuung eine wichtige Rolle in dem am Unfallort einsetzenden Hilfesystem ein.

Schlüsselwörter: Unfall – Verkehr – Trauma – kollegiale Erstbetreuung – psychologische Erste Hilfe – Versorgungsforschung

The Lifeline at the Scene of an Accident

Objectives: Health care experts recommend prompt low-threshold psychosocial assistance for employees who have experienced a potentially traumatic event. Collegial first response constitutes such a form of acute care: colleagues of those involved in the accident come straight to the scene, where it is their job to look after the employees concerned. How this is viewed by the people involved has been unclear until now. The objective, therefore, was to gather initial findings about the experience of collegial first response within the context of a potentially traumatic event.

Methods: As part of a prospective cohort study, 22 drivers at a German transport company were asked in guideline-based interviews about their ex-perience of suffering an accident at work and the care provided at the scene of the accident. The material collected was assessed with the help of a structured content analysis based on Mayring and a classification system designed to be deductive/inductive.

Findings: The experience of the accident could be broken down into four consecutive periods of time: the moment of the accident, the ensuing interval, the time spent dealing with the damage and the departure from the scene of the accident. During this time the people affected felt helpless and overwhelmed at first. They then looked for something that could give them security and guidance. The arrival of a collegial peer supporter at the scene of the accident came as a great relief to the people concerned. The peer supporter was perceived as someone who could give them a sense of no longer being alone at the scene of the accident, of being cared for and receiving assistance.

Conclusions: The experience of an accident cannot be reduced down to the moment in which it suddenly occurs. In fact, for those affected it continues until leaving the scene of the accident and beyond. Their state of health at this time cannot typically be described as stable. Collegial first response plays a vital role in the system of assistance deployed at the scene of the accident from the perspective of the people involved.

Keywords: accident – transport – trauma – collegial peer support – psychological first aid – research in medical care

N. Wrenger1

R. Staples2

E. Gräßel3

H. Drexler1

A. Clarner1

(eingegangen am 22. 04. 2015, angenommen am 03. 07. 2015)

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2015; 50: 824–828

Einleitung

Schwere Verkehrsunfälle stellen neben Suiziden und tätlichen Angriffen für Mitarbeitende im öffentlichen Personennahverkehr potenziell traumatisierende Ereignisse dar. Während dieser können sie mit dem tatsächlichen oder drohenden Tod, mit einer ernsthaften Verletzung oder mit der Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen oder einer anderen Person konfrontiert werden (APA 2000; Maercker 2013). Als Reaktion auf ein solch belastendes Ereignis, können Beschwerden im psychophysiologischen Bereich auftreten. Dazu zählen das unwillkürliche Wiedererleben des Geschehens, Störungen der Konzentrationsfähigkeit, Ein- und Durchschlafstö-rungen, als auch Rückzugs- und Vermeidungstendenzen (Bengel u. Becker-Nehring 2013; Flatten et al. 2011).

Um die aus einem solchen Unfallgeschehen resultierenden psy-chosozialen Belastungsfolgen für die betroffenen Personen möglichst gering zu halten, wird seitens der Unfallversicherungsträger die kollegiale Erstbetreuung empfohlen. Diese stellt im Rahmen eines mehrstufigen Versorgungskonzepts die Phase der am Unfallort einsetzenden Akutversorgung dar. Dabei nehmen geschulte Kollegen die Rolle des Erstbetreuers ein und sollen für die Betroffenen als unterstützende Helfer wirken. Zu den wesentlichen Aufgaben eines Erstbetreuers zählen neben der unmittelbaren Kontaktaufnahme, dem Gewähren von emotionalen Beistand und dem Abschirmen gegenüber Einwirkungen von außen, auch die Aufklärung über die weitere betriebliche Vorgehensweise, die Begleitung zu Stationen der Weiterversorgung und die Übergabe an das soziale Umfeld. Damit ist sie in Kontrast zu einer professionellen psychologischen Betreuung, als eine niedrigschwellige psychosoziale Hilfe zu sehen, die betroffene Personen in den ersten Stunden nach einem belastenden Ereignis begleitet und in erster Linie das Ziel verfolgt, menschlichen Beistand zu leisten (DGUV 2012; VBG 2012).

Bislang ist diese Form der Akutversorgung nur unzureichend untersucht (Clarner et al. 2014, 2015). Daher bestand das Ziel der vorliegenden Studie darin, zunächst Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie die kollegiale Erstbetreuung aus Sicht der Betroffenen im Kontext eines potenziell traumatisierenden Unfallgeschehens wahrgenommen wird.

Methodik

In Bezug auf eine solche Betroffenensichtweise konnte zu Beginn der Studie nicht auf empirische Daten zurückgegriffen werden. Daher wurde ein exploratives Studiendesign gewählt (Preiser et al. 2014). Eingesetzt wurden dabei leitfadengestützte Interviews. Hierbei ste-hen die Äußerungen der Befragten im Fokus, mit dem Ziel, subjek-tive Bedeutungsmuster zu erfassen. Aus einem theoretisch abgeleiteten Themengerüst wird dazu der Leitfaden konstruiert (Schaffer 2009; Bortz u. Döring 2006).

Durchgeführt wurden die Interviews im Rahmen einer prospektiven Kohortenstudie im Zeitraum September 2013 bis Oktober 2014 jeweils vier Wochen nach einem erlittenen Arbeitsunfall. Dazu lag sowohl ein positives Votum der zuständigen Ethikkommission, als auch die Zustimmung seitens des Betriebsrats sowie des Konzerndatenschutzbeauftragten vor. Zur Befragung standen die Räume der in die Studie eingebundenen städtischen Werke zur Verfügung. Eine Vergütung erfolgte durch das Unternehmen in Form von drei Zeitstunden. Nach eingeholter Zustimmung der jeweiligen Probanden wurden die Gespräche digital aufgezeichnet. Um Auffälligkeiten im Rahmen der Erhebung festzuhalten, wurden im Anschluss an ein Ge-spräch Feldnotizen über die jeweilige Gesprächssituation erstellt.

Das in den Interviews gewonnene sprachliche Material wurde transkribiert, anonymisiert und mit Hilfe einer strukturierenden Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet. Diese Auswertungsmethode stellt ein regelgeleitetes Interpretationsverfahren dar, das intersubjektive Nachvollziehbarkeit ermöglicht. Ziel dabei ist es, umfangreiches Textmaterial systematisch auszuwerten und es auf die wesentlichen Kernaussagen zu reduzieren (Mayring 2010; Bortz u. Döring 2006; Lamnek 2010).

Ausgehend von den Interviewleitfragen wurde im Rahmen der strukturierenden Inhaltsanalyse ein deduktives Kategoriensystem erstellt, das während der Textanalyse beim Auftreten neuer Aspekte induktiv erweitert wurde. Übertragen wurde dieses in die Software MAXQDA und bei allen Interviews angewendet.

Kollektivbeschreibung

An der Befragung nahmen 22 Fahrdienstmitarbeitende eines deutschen Verkehrsunternehmens teil (95 % Männer, 5 % Frauen), die im Durchschnitt 44 Jahre alt waren (Standardabweichung 12 Jahre, Altersspanne 20–57 Jahre) und durchschnittlich über 17 Jahre Berufserfahrung (Spanne Berufserfahrung 2–33 Jahre) verfügten. Vertreten waren sowohl die Sparten U-Bahn (n = 4) und Bus (n = 6), als auch Straßenbahn/Tram (n = 12). Bei den Vorfällen handelte es sich um Beinaheunfälle (n = 2), Unfälle (n = 12), Zusammenstöße (n = 4), Suizide (n = 2) und Fahrgaststürze (n = 2). Dabei wurden 9 % der Fahrer und 82 % der Unfallgegner physisch verletzt. 32 % der Unfallgegner erlitten eine leichte Verletzung, 41 % eine schwere und 9 % wurden durch den Vorfall getötet.

Ergebnisse

Erleben des Unfallgeschehens

Im Zuge der Materialreduktion zeigte es sich, dass sich das Erleben des Unfallgeschehens zeitlich in vier distinkte Phasen gliedern lässt. Auf den Unfallmoment und den Augenblick danach folgen die Zeit der Schadensabwicklung sowie das Verlassen des Unfallorts ( Abb. 1).

Unfallmoment: Der Unfallmoment kristallisierte sich dabei als Augenblick heraus, in dem sich ein Unfall ereignet hat. Hierbei stieß beispielsweise ein Fahrer mit einem anderen Verkehrsteilnehmenden zusammen oder ein Passant prallte an die Frontscheibe des Fahrzeugs. Der überwiegende Teil der Befragten beschrieb das Eintreten eines Vorfalls als plötzlich und nicht beeinflussbar. Unfallbeteiligte wurden in den meisten Fällen kurz zuvor noch am Bahnsteig, beim Überqueren der Straße oder im Auto sitzend gesehen. Jedoch reagierten diese nicht auf das sich nähernde Fahrzeug oder die eigene Reaktionszeit wurde als zu kurz wahrgenommenen, um das Fahrzeug noch rechtzeitig zum Stehen bringen zu können. Dadurch wurde dieser Moment von den Fahrern mit einem starken Gefühl der Hilflosigkeit wahrgenommen.

„Ich bin mit dem Zug in die Haltestelle hinein gefahren und war ja schon fast drin. (…) und da war halt ein Fußgänger, schaut in die andere Richtung und macht einen Schritt nach vorne. Und auf einem Meter hast du keine Chance mehr.“ (B7, Z. 4 ff.)

Zeit unmittelbar nach dem Unfallmoment: Im Augenblick unmittelbar nach dem Unfallmoment kamen die am Unfallgeschehen beteilig-ten Fahrzeuge zum Stehen. Der Großteil der betroffenen Fahrer be-gann nun zu realisieren, was in dem Moment kurz zuvor passiert ist. Dabei saßen die Fahrer zum Teil noch in ihren Fahrzeugen oder waren dabei, aus diesen auszusteigen und sich der unmittelbaren Unfallstelle zu nähern. Durch den Anblick der Unfallstelle und der verunglückten Person gab der überwiegende Teil der Betroffen an, das Ausmaß des Unfalls realisiert zu haben. Einige Fahrer beschrieben ihr Befinden in dieser Zeit als stabil. Der Großteil gab jedoch an, sehr aufgeregt und emotional aufgewühlt gewesen zu sein. Sie gaben an, sich um die verunglückte Person große Sorgen gemacht und in Bezug darauf starke Schuldgefühle entwickelt zu haben. Zum Teil machten sie sich Selbstvorwürfe und fragten sich, was sie in dem Moment zuvor hätten anders machen können. Für einige Fahrer kam hinzu, dass sich in diesem Moment mehrere Personen am Unfallort einfanden, die sehr aufgebracht waren. Sie fühlten sich dadurch der Situation ausgesetzt, sich nicht nur um die Versorgung der verletzten Personen kümmern und mit der Abwicklung des Schadens beginnen zu müssen, sondern sich auch dazu verpflich-tet, auf aufgebrachte Akteure am Unfallort eingehen zu müssen. Dies waren in einigen Fällen Fahrgäste, die auf Weiterfahrt drängten oder andere Verkehrsteilnehmende, die zur Räumung der Unfallstelle aufforderten. In einem Fall waren es auch Passanten, die am Unfallort eine Menschentraube bildeten, auf den Fahrer einrede-ten und ihn als Unfallverursacher beschuldigten. Der überwiegende Teil der Fahrer fühlte sich dieser Situation allein ausgesetzt. Einigen Betroffenen wurde in diesem Moment alles zu viel. Sie fühlten sich nicht in der Lage, verunglückte Personen versorgen, auf aufgebrachte Passanten eingehen und mit der Schadensabwicklung beginnen zu können. Ein Gefühl der emotionalen Überforderung sowie der Verlust der Handlungsfähigkeit konnte bei den Fahrern in dieser Phase identifiziert werden.

„Und dann haben wir halt gesehen, dass er unten reingefallen ist und es hat bloß noch die Hälfte von dem Oberkörper herausgeschaut. (…) Und dann schießt es einem gleich durch den Kopf: 'Mensch, (…) ein bisschen schlechter reagiert und dann wäre es vorbei gewesen mit dem Jungen.' Dann wären die Beine weg, er wäre tot gewesen, hundert-prozentig. (…) Ja und dann war es bei mir vorbei.“ (B3, Z. 10 ff.)

Zeit der Schadensabwicklung: Die weitere Zeit am Unfallort kennzeichnete sich für alle Fahrer dadurch, dass sie mit der Abwicklung des Schadens begannen und auf das Eintreffen von Akteuren des Hilfesystems warteten. Aufkommende Gedanken konnten sie zum Teil ausblenden. Mit der Abwicklung des Schadens beschäftigt gewesen zu sein, wurde in diesem Kontext von einigen Fahrern als ablenkende Aufgabe wahrgenommen, auf die sie sich in dieser Zeit konzentrieren konnten. Sie gaben an, sich dabei in einer Art Mechanismus befunden zu haben und dadurch in der Lage gewesen zu sein, aufkommende Gedanken ausblenden zu können. Als schwierig wurde es erlebt, wenn sie sich lange Zeit allein am Unfallort befanden, die Schadensabwicklung dort abgeschlossen hatten und reflexive Verarbeitungsprozesse unbegleitet einsetzten.

„Ab dem Zeitpunkt, sage ich mal, wo der Betroffene keine Arbeit mehr hat. Wenn der Fahrer, die Fahrerin mit seiner Arbeit fertig ist. Von DEM Zeitpunkt, bis jemand kommt, ist man alleine. Und das ist, da geht die Schwierigkeit los zum Nachdenken (…)“ (B12, Z. 79 ff.)

Zeit nach Verlassen des Unfallorts: Die Schwierigkeit mit dem Nachdenken war für einige Fahrer etwas, was sowohl bis zum Verlassen des Unfallortes als auch darüber hinaus angehalten hat. Für einige Fahrer hat diese Zeit mehrere Stunden bis zu einigen Tagen angehalten. In dieser Zeitspanne gaben sie an, sich erneut Gedanken über das Unfallgeschehen gemacht zu haben. Sie erwähnten Sorgen um die verletzten Personen, aufkommende Schuldgefühle sowie Gedanken um mögliche strafrechtliche Konsequenzen. Einzelne Fah-rer beschrieben, diese Zeit als etwas erlebt zu haben, bei dem sie drohten, emotional in ein Loch zu fallen. In dieser Zeit kristallisierte sich die Suche nach etwas heraus, das ihnen Halt und Orientierung geben konnte.

„(…) ich habe dann auch gemerkt, zunehmend gemerkt, von Minute zu Minute, dass es mir irgendwie bescheidener ging.“ (B13, Z. 50 ff.)

Erleben der Erstbetreuung

Vor diesem Hintergrund wurde das Eintreffen von Akteuren des Hilfesystems (Polizei, Sanitäter, Feuerwehr, Verkehrsmeister) am Unfallort als eine erste Erleichterung erlebt. Die Fahrer realisierten, dass sie faktisch nicht mehr allein am Unfallort waren und ihnen die Versorgung von verunglückten Personen abgenommen wurde. Der Großteil der Betroffenen nahm jedoch auch wahr, dass sich eintreffende Personen des Hilfesystems vorrangig um Unfallbeteiligte und kaputte Fahrzeuge kümmerten, nicht aber um sie als betroffene Fahrer. Der überwiegende Teil der Fahrer gab an, dem Unfallgeschehen anhaltend ausgesetzt gewesen zu sein und keine Ansprechperson gehabt zu haben, der sie erzählen konnten, wie sie ihr emotionales Befinden in der Zeit am Unfallort einstuften. Das Gefühl, sich nach wie vor allein am Unfallort befunden zu haben und unversorgt geblieben zu sein, konnte ihnen dadurch nicht genommen werden.

„Im ersten Moment, Feuerwehr und Sanitäter, alles sticht auf den Verletzen vorne zu und du sitzt da hinten in der Ecke irgendwie und mit den Nerven am Ende und musst erst einmal ahnen, was da Sache ist.“ (B2, Z. 28 ff.)

„Der Verkehrsmeister und so weiter, die haben alle sozusagen sich um die Leute gekümmert. Und um MICH im Prinzip eigentlich erst mal keiner.“ (B14, Z. 376 ff.)

Erst das Eintreffen eines kollegialen Erstbetreuers brachte in den überwiegenden Fällen die große Erleichterung. Indem dieser zeitnah am Unfallort eintraf und sich vor Ort ausschließlich mit ihnen befasste, konnte er den betroffenen Fahrern das Gefühl vermitteln, nicht mehr allein zu sein. Darüber hinaus stellte er in den überwiegenden Fällen eine Person dar, die sich den Fahrern empathisch zuwandte, sich nach ihrem Befinden erkundigte und basale Bedürfnisse stillte. Er sorgte beispielsweise dafür, dass sich die Betroffenen von der un-mittelbaren Unfallstelle entfernen konnten, zunächst einmal durchatmen und etwas trinken konnten. Die betroffenen Personen nahmen wahr, dadurch versorgt worden zu sein und Beistand erhalten zu haben.

„(…) man steht da wirklich erst einmal verlassen da (…)“ (B2, Z. 33)

„Und als er dann gekommen ist, der Ersthelfer, hat er gesagt: 'Wie geht es dir denn?' Dass ich weiß, jetzt ist jemand für MICH da. (…) Und das war für mich, (…) sozusagen wie so ein Rettungsanker.“ (B14, Z. 376 ff.)

Diskussion

Die im Rahmen dieser Erhebung gewonnenen Ergebnisse sind die ersten zum qualitativen Erleben aus Fahrersicht. Dabei bietet das qualitative Studiendesign nicht die Möglichkeit, die Wirksamkeit der erhaltenen Betreuungsmaßnahme nachweisen zu können. Die Stärke dieses Ansatzes liegt vielmehr darin, sich einem Forschungsgegenstand explorativ nähern zu können, ohne auf standardisierte Verfahren eingeengt zu sein. Die subjektive Wahrnehmung der erhal-tenen Erstbetreuung konnte damit erfasst werden und stellt neben bisherigen Untersuchungen (Clarner et al. 2015) eine empirische, qualitative Basis für weitere Untersuchungen dar.

Eine weitere Limitation der Studie ist in dem untersuchten Kollektiv zu sehen. Mit 22 Probanden ist dieses als verhältnismäßig klein zu betrachten. Damit kann eine Sättigung der Studienpopulation nicht in vollem Umfang zugesichert werden (Glaser u. Strauss 1998). Da aber wesentliche Inhalte innerhalb des Kollektivs immer wieder auftraten, ist davon auszugehen, dass zentrale Themen identifiziert werden konnten (Preiser et al. 2014). Es zeigte sich sehr deut-lich, dass das Eintreffen eines Unfallgeschehens von betroffenen Personen mit einem starken Gefühl der Hilflosigkeit erlebt wurde und unmittelbar danach der Verlust der Handlungsfähigkeit drohte. Auch konnte die Suche nach etwas, das den Fahrern am Unfallort Halt und Orientierung geben konnte, als zentrales Element identifiziert werden. Damit stellt ein Unfallgeschehen für Fahrdienst-mitarbeitende ein mit einer außergewöhnlichen Belastung verbun-denes Ereignis dar, das ein hohes Maß an die individuellen Bewäl-tigungsstrategien stellt (Fischer u. Riedesser 2009; Clarner et al. 2014). Eine früh einsetzende und niedrigschwellige psychosoziale Hilfe nimmt in diesem Kontext einen hohen Stellenwert ein. Bislang beruhten die Empfehlungen dazu auf den Meinungen von Experten aus dem Gesundheitswesen und rationellen Überlegungen (Flatten et al. 2011; Angenendt et al. 2013; Hobfoll et al. 2007; Heir 2008; Bisson 2010; Clarner et al. 2014). Die Ergebnisse der vorliegenden Erhebung deuten darauf hin, dass ein kollegialer Erstbetreuer im Rahmen des nach einem Unfallgeschehen einsetzenden Hilfesystems diese Rolle einnehmen und den betroffenen Fahrern die zeitnahe und niedrigschwellige Hilfe zukommen lassen kann. Nach Creamer et al. (2012) bietet die durch einen Kollegen geleistete Akutversorgung auch den Vorteil für Betroffene den oft mit einer hohen Hemmschwelle verbundenen Weg zur professionellen Unterstützung ebnen zu können. Lasogga und Gasch (2011) sehen darüber hinaus in der niedrigschwelligen Betreuung durch Kollegen die Möglichkeit, dass sich Kollegen aus demselben Betrieb bekannt sind und Gespräche daher auf gleicher Augenhöhe stattfinden können. Weiterhin kann davon ausgegangen werden, dass Kollegen bereits ähnliche Erfahrungen ge-macht haben und dadurch nachvollziehen können, wie es den Betrof-fenen in der Situation am Unfallort geht (Lasogga u Gasch 2011).

Schlussfolgerungen

Insgesamt betrachtet lässt sich aus der Untersuchung schlussfolgern, dass sich das Erleben des Unfallgeschehens nicht ausschließlich auf das plötzlich eintreffende Unfallereignis und somit nicht ausschließlich auf den Moment konzentriert, in dem zwei Fahrzeuge zusammen-stoßen oder eine Person von einem Fahrzeug erfasst wird. Vielmehr hält es bis zum Verlassen des Unfallorts sowie darüber hinaus an. In diesem Zeitraum lassen sich mehrere Sequenzen identifizieren, die für die betroffenen Personen kritisch sind. Sie fühlen sich hilflos und überfordert, suchen in der Zeit am Unfallort und darüber hinaus nach etwas, das ihnen Halt und Orientierung geben kann. In diesem Zu-sammenhang nimmt der kollegiale Erstbetreuer aus Sicht der Betrof-fenen eine wichtige Rolle im Hilfesystem ein. Er stellt eine Person dar, die sich ihnen am Unfallort empathisch zuwendet und sich nur auf sie fokussiert, während sich alle anderen Akteure des Hilfesystems um verletzte Unfallbeteiligte oder kaputte Fahrzeuge kümmern. Damit kann die kollegiale Erstbetreuung u. a. einen Rettungsanker darstellen, der die Fahrer am Unfallort auffängt und ihnen Halt bietet.

Eine solche Form der Akutversorgung sollte daher im Rahmen der Versorgung von Beschäftigten nach potenziell traumatisierenden Ereignissen berücksichtigt werden. Um letztendlich die Bedeutsamkeit dieser Betreuungsform noch besser einschätzen zu können, wäre es von Interesse, die Betroffenensicht auf eine durch einen Professionellen durchgeführte Erstbetreuung zu erheben und diese mit den vorliegenden Ergebnissen zu vergleichen.

Danksagung: Die Autoren danken der Deutschen Gesetzlichen Unfall-versicherung (DGUV) für die finanzielle Förderung des Forschungsprojektes DGUV-FP 335 sowie den Verantwortlichen und Betriebsrat der VAG Verkehrs-Aktiengesellschaft Nürnberg für Ihre Unterstützung und ihr großes Engagement bei der Studiendurchführung. Ein besonderer Dank geht an das Centrum für Arbeitsmedizin unter der Leitung von Herrn Dr. Hopf, an den Unternehmenskoordinator Herrn Osterrieder sowie an den Leiter der Sozialberatung Herrn Schühlein. Darüber hinaus danken die Autoren allen Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmern für ihre Offenheit und ihre Bereitschaft, sich für die Befragung zur Verfügung gestellt zu haben.

Interessenkonflikt: Diese Studie wurde finanziell von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und durch eine Zeitstundengutschrift für alle Teilnehmenden durch die VAG Verkehrs-Aktiengesellschaft Nürnberg gefördert.

Literatur

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Bortz J, Döring N: Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler. Mit 87 Tabellen. 4. Aufl. Berlin: Springer, 2006.

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Glaser BG, Strauss AL: Grounded Theory. Grundlagen qualitativer Forschung. Bern: Huber, 1998.

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Hobfoll SE, Watson P, Bell CC, Bryant RA, Brymer MJ, Friedman MJ: Five essential elements of immediate and mid-term mass trauma intervention: em-pirical evidence. Psychiatry 2007; 70: 283–315; discussion 316–369.

Lamnek S: Qualitative Sozialforschung. Lehrbuch. 5. Aufl. Weinheim: Beltz, 2010.

Lasogga F, Gasch B: Notfallpsychologie. Lehrbuch für die Praxis; mit 18 Tabellen. 2. Aufl. Berlin: Springer, 2011.

Maercker A: Posttraumatische Belastungsstörungen. 4. Aufl. Berlin: Springer, 2013.

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Schaffer HI: Empirische Sozialforschung für die Soziale Arbeit. Eine Einführung. 2. Aufl. Freiburg/Breisgau: Lambertus, 2009.

VBG: Trauma und Psyche: Betreuung von Beschäftigten in Verkehrsunternehmen nach traumatischen Ereignissen. Warnkreuz Spezial 2012; Nr. 2 (zuletzt geprüft am 20.10.2014)

Für die Verfasser

Nina Wrenger, M.A.

Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU)

Schillerstraße 25/29 – 91054 Erlangen

nina.wrenger@fau.de

Fußnoten

1 Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

2 Institut für Soziologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

3 Zentrum für Medizinische Versorgungsforschung der Psychiatrischen Universitätsklinik Erlangen, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg